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357 JVG – Sturz vom Hochsitz

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357 JVG – PÄCHTER HAFTET FÜR SICHERHEIT, Sturz vom Hochsitz

Mark G. v. Pückler

357 JVG

I. Die Rechtsgrundlage

1. Wird durch den Einsturz eines Gebäudes oder eines anderen mit dem Grundstück verbundenen Werkes oder durch die Ablösung von Teilen des Gebäudes oder des Werkes ein Mensch getötet oder verletzt, so ist der Besitzer des Grundstücks, sofern der Einsturz oder die Ablösung die Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelnder Unterhaltung ist, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Besitzer zum Zwecke der Abwendung der Gefahr die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat. § 836 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch

2. Der Unternehmer (Pächter) muss sicherstellen, dass Hochsitze fachgerecht errichtet und mit Einrichtungen gegen das Abstürzen von Personen gesichert sind und sie vor jeder Benutzung, mindestens jedoch einmal jährlich, geprüft werden. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 Unfallverhütungsvorschrift Jagd (VSG 4.4)

II. Der Sachverhalt

Jäger J. war wiederholt als Jagdgast im Revier des Pächters auf Ansitz. Als er eines Tages eine Kanzel bestieg, brach unter ihm eine Holzbohle, sodass er rund vier Meter in die Tiefe stürzte. Hierbei verletzte er sich schwer und war mehrere Monate arbeitsunfähig.

J. erhob Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Zur Begründung machte er geltend, dass der Pächter seiner Kontrollpflicht nach den Unfallverhütungsvorschriften nicht ordnungsgemäß nachgekommen sei. Bei einer sachgemäßen Überprüfung der Kanzel hätte er erkennen müssen, dass das Holz völlig morsch und durchgefault war. Es sei bekannt, dass auch äußerlich noch intakt aussehende Balken innen völlig verfault sein können.

Der Pächter entgegnete, dass er selbst die Kanzel etwa sechs Monate zuvor eingehend kontrolliert habe. Hierbei habe er nur geringe Mängel festgestellt, die er umgehend beseitigt habe. Da die Jagdeinladung eine bloße Gefälligkeit sei, hafte er nur für grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz. Beides liege nicht vor. Im Übrigen treffe J. ein Mitverschulden, weil jeder Benutzer vor dem Besteigen des Hochsitzes zur Überprüfung von dessen Sicherheit verpflichtet sei.

In einem separat zur Klage geführten Beweissicherungsverfahren wurde der Zustand der Kanzel von einem Sachverständigen überprüft. Dieser kam in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Bruch der Plattform durch – „scheinbar unsichtbare“ – Holzfäulnis verursacht wurde.

III. Das Urteil

Das Landgericht hat den Pächter in vollem Umfang zum Schadensersatz verurteilt. Seine hiergegen eingelegte Berufung wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen. Zur Begründung führte dieses Gericht aus, dass die Voraussetzungen der Haftung nach § 836 Abs. 1 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch gegeben seien. Der Jagdpächter sei Besitzer des Grundstücks, auf dem die Kanzel gestanden habe. Diese sei ein Werk, das mit dem Grundstück verbunden sei und den Scha

den durch Ablösen eines Teiles verursacht habe. Nach dem Gutachten des Sachverständigen stehe fest, dass der Einsturz durch eine sich über Jahre entwickelnde Holzfäulnis des Auflagebalkens verursacht wurde. Ein rechtzeitiges Auswechseln des Balkens hätte den Unfall vermieden.

Der Pächter habe sich nicht nach § 836 Abs. 1 S. 2 Bürgerliches Gesetzbuch von der Haftung befreien können. Denn er habe nicht nachgewiesen, dass er hinsichtlich der Sicherheit der Kanzel die erforderliche Sorgfalt eingehalten habe. Wegen der erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit seien an den Nachweis der ordnungsgemäßen Überwachung hohe Anforderungen zu stellen. Der (rechtmäßige) Benutzer müsse sich darauf verlassen können, dass infolge sachkundiger Wartung keine akute Einsturzgefahr besteht. Für eine ordnungsgemäße Überprüfung genüge es daher nicht, lediglich eine Sicht- und Rüttelkontrolle durchzuführen, auch wenn dies häufig so erfolge. Vielmehr sei erforderlich, die Oberseiten und insbesondere die horizontal angebrachten Hölzer samt der Verbindungsstellen der Balken mittels eines Spitzhammers, Messers oder ähnlichen Gegenstandes auf ihre Festigkeit zu überprüfen. Nur so sei gewährleistet, dass morsche Holzteile zuverlässig erkannt würden. Eine solche Kontrolle habe der Pächter nicht durchgeführt, bei fehlender Sachkunde hätte er einen Fachmann hinzuziehen müssen.

Bei reinen Gefälligkeiten der vorliegenden Art komme eine Beschränkung der Haftung auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz nicht in Betracht. Denn diese würde nicht dem Pächter nutzen, sondern seiner Haftpflichtversicherung. Auch ein Mitverschulden des Verletzten scheide aus, da die Holzfäule von außen nicht zu erkennen gewesen sei und sich der Unfall im Übrigen bei Dunkelheit ereignet habe.

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 12.10.2011 – I – 13 U 52/11 – (rechtskräftig)

IV. Anmerkungen

1. Sicherheitskontrolle

Jeder Jagdausübungsberechtigte weiß, dass Hochsitze und Kanzeln nach den Unfallverhütungsvorschriften fachgerecht errichtet und mindestens ein Mal pro Jahr überprüft werden müssen. Während es für die sachgerechte Errichtung konkrete Vorgaben und Hinweise gibt, werden Art und Umfang der Überprüfung in keiner Weise festgelegt.

Das Gericht hat das getan, und wie! Angesichts der Gefahren verlangt es eine äußerst intensive Sicherheitskontrolle. Dabei orientiert es sich an den Anforderungen für Dächer, weil von ihnen ähnliche Gefahren ausgehen. Ausdrücklich weist es darauf hin, dass allein eine Sicht- und Rüttelkontrolle, wie sie in der Praxis häufig angewandt wird, nicht ausreicht. Denn die Sicherheitserwartung der Benutzer verlange, dass der Besitzer der Anlage zur Überprüfung eine Methode anwendet, die einen Einsturz zuverlässig verhindert.

Anders noch das Oberlandesgericht Braunschweig in seinem Urteil vom 25.9.1991 -3 U 106/90- (WuH 21/1994, S. 47). Es entschied, dass der Umfang der Überprüfung mangels konkreter Angaben in den Unfallverhütungsvorschriften von den Umständen des Einzelfalles abhänge. Im Regelfall genüge es, dass der Prüfende eine Sichtkontrolle durchführt, den Hochsitz besteigt und dabei auf der Leiter wippt sowie in der Kanzel durch Verlagerung seines Gewichts (!) die Standfestigkeit überprüft. Eine nähere Überprüfung der Pfosten sei nur erforderlich, wenn sich hierbei Zweifel an der Standfestigkeit ergäben.

Es scheint überzogen zu sein, ist aber richtig, dass das Oberlandesgericht Hamm die Anforderungen an die Sicherheitsüberprüfung verschärft hat. Denn dem Jagdausübungsberechtigten kann das ziemlich egal sein, weil am Ende seine Jagdhaft

pflichtversicherung den Schaden ersetzen muss. Für den Verunglückten aber ist das von allergrößter Bedeutung, denn je höher die Anforderungen an die Überprüfung sind, desto eher erlangt er Ersatz von der Versicherung. Man stelle sich vor, man selbst sei als Jagdgast das Opfer und sitze anschließend gelähmt im Rollstuhl – ohne Einkommen und Schmerzensgeld. Für beide eine ganz miese Situation! Der Jagdausübungsberechtigte soll für seine Gefälligkeit haften, der Jagdgast für dessen Schlamperei büßen. Als Ausweg aus diesem Dilemma empfiehlt sich ein Mittelweg: Der Jagdgast verzichtet (nur) insoweit auf Schadensersatz, als der Schaden nicht von der Jagdhaftpflichtversicherung des Jagdausübungsberechtigten oder einer anderen Versicherung ersetzt wird.

2. Keine Haftung bei rechtwidriger Benutzung

Besteigt ein Unbefugter einen Hochsitz und erleidet infolge mangelhaften Zustands einen Schaden, haftet der Jagdausübungsberechtigte grundsätzlich nicht. Denn das Betreten fremden Eigentums ohne Zustimmung des Berechtigten ist rechtswidrig. Für rechtswidrige Handlungen gibt es keinen Ersatz. Die Anbringung eines Verbotsschildes ist entbehrlich, weil jeder Erwachsene weiß, dass die eigenmächtige Benutzung fremden Eigentums rechtswidrig ist. Außerdem ist jedermann erkennbar, dass Hochsitze täglich Wind und Wetter ausgesetzt sind, sodass jedes Besteigen ein erhebliches Risiko darstellt (Oberlandesgericht Stuttgart, Urteil vom 12.11.1976 –5 O 86/76– WuH 23/1993, S.43; ebenso Landgericht Gießen, Urteil vom 28.2.2001 –1 S 497/00-– WuH 17/2001, S. 96).

Auch hier weicht das Oberlandesgericht Braunschweig teilweise ab. Es entschied in seinem obigen Urteil, dass der Jagdausübungsberechtigte aufgrund der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht verpflichtet ist, „zumutbare Maßnahmen“ gegen ein Besteigen durch Unbefugte jedenfalls dann zu treffen, wenn „nach den gegebenen Umständen“ mit einem Besteigen durch Nichtberechtigte zu rechnen ist. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Kanzel am Wegesrand oder gut sichtbar und erreichbar in dessen Nähe steht, sodass ein Anreiz zum Besteigen besteht. Hier seien Verbotsschilder oder Besteigungshindernisse anzubringen, um eine Haftung auszuschließen.

Noch strenger ist es bei der Haftung gegenüber Kindern. Muss der Jagdausübungsberechtigte mit dem Erklettern durch Kinder rechnen, ist er verpflichtet, dies durch Anbringung besonderer Sicherungsmaßnahmen zu verhindern, zum Beispiel durch Entfernen der Leiter. Das gilt beispielsweise, wenn sich der Hochsitz in der Nähe bewohnter Gebiete oder eines Spiel- oder Parkplatzes befindet. Hier genügt ein Verbotsschild nicht, denn Kinder haben keine Bremse, auch dann nicht, wenn sie schon lesen können. Der Spieltrieb ist stärker. Anders dann, wenn sich der Hochsitz weitab im Revier befindet, sodass mit spielenden Kindern ohne begleitende Eltern nicht zu rechnen ist.

V. Ergebnis

1. Nach dem obigen Urteil muss der Jagdausübungsberechtigte Hochsitze und Kanzeln regelmäßig, mindestens jährlich, intensiv auf Sicherheit überprüfen.

2. Diese Kontrolle muss so durchgeführt werden, dass auch unsichtbare Fäulnis und sonstige Schäden sicher erkannt und umgehend beseitigt werden.

3. Gegenüber Unbefugten besteht grundsätzlich keine Haftung. Bietet jedoch die Kanzel einen Anreiz zum Besteigen, zum Beispiel durch ihre Lage am Wegesrand oder gut sichtbar und erreichbar in der Nähe oder mit verlockender Fernsicht, sollte unbedingt ein Verbotsschild angebracht werden.

4. Ist mit Kindern zu rechnen, muss das Besteigen durch spezielle Maßnahmen verhindert werden, zum Beispiel durch eine abnehmbare Leiter

Foto: Werner Nagel

Unfällen mit spielenden Kindern hat der Jagdausübungsberechtigte ganz besonders sorgsam vorzubeugen.

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