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390 JVG Notwendiges Elterntier vorsätzlich erlegt

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390 JVG Notwendiges Elterntier vorsätzlich erlegt ROTWILD

Mark G. v. Pückler

390 JVG

I. Der Fall

Anfang November wurde Jäger J. vom Forstamt zur Jagd auf weibliches Rotwild eingeladen. Von seinem Ansitz aus erblickte er zwei Alttiere mit zwei Kälbern und einem Schmaltier. Da er nach eigenen Worten an keines der Kälber „herangekommen sei“, habe er eines der beiden Alttiere erlegt. Beim anschließenden Aufbrechen stellte er fest, dass noch Milch im Gesäuge war. Dies teilte er dem Forstbediensteten mit. Daraufhin wurde er aufgefordert, Selbstanzeige zu erstatten, was er jedoch unterließ.

Das Amtsgericht verurteilte ihn wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen den Schutz notwendiger Elterntiere zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 20 Euro. Die hiergegen eingelegte Berufung wurde vom Landgericht verworfen. Auch seine Revision blieb ohne Erfolg.

II. Das Urteil

Das Oberlandesgericht stellte zunächst klar, dass J. ein notwendiges Elterntier erlegt hat. Denn notwendig sei ein Muttertier, solange es noch unselbstständige Jungtiere zu versorgen habe. Beim Rotwild sei bekannt, dass Kälber beim Verlust des Elterntieres vom Rudel abgestoßen würden, sodass die Gefahr des Verendens bestehe. Deshalb sei für Kälber die Betreuung durch das Muttertier lebensnotwendig und dauere jedenfalls bis in den Winter hinein, wenn nicht sogar bis zum nächsten Frühjahr.

Zur Frage der Schuld befand das Gericht, dass J. das Erlegen des Elterntieres billigend in Kauf genommen und damit vorsätzlich gehandelt hat. Denn er habe den Tod eines Muttertieres für möglich gehalten und sei damit auch einverstanden gewesen. Anhand der beiden Kälber habe er gewusst, dass sich unter den drei adulten Stücken zwei Elterntiere befunden haben. Daraus ergebe sich zwangsläufig, dass die Gefahr bestand, ein notwendiges Muttertier zu erlegen. Diese Folge habe er akzeptiert, sonst hätte er sich entweder durch weiteres Beobachten Klarheit verschafft oder den Schuss unterlassen.

Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 9.6.2015 – 5 RVS 64/15 –

III. Anmerkungen

Im Ergebnis ist die Entscheidung zu begrüßen. Denn beim Rotwild gehen die Meinungen über die Dauer des Schutzes sehr auseinander. Nach dem Wortlaut des Gesetzes dauert der Schutz der Elterntiere „bis zum Selbständigwerden der Jungtiere“. Umstritten ist jedoch, wann dieser Zeitpunkt eintritt.

In der juristischen Literatur wird hierzu überwiegend die Ansicht vertreten, dass die Jungtiere selbstständig geworden sind, sobald sie sich artgerecht fortbewegen und selbst ernähren können. Dieser Zeitpunkt trifft für die meisten Wildarten zu, beim Rotwild tritt er etwa Mitte Oktober nach der Brunft ein. Die anschließend notwendige Führung durch das Alttier wird nach dieser Auffassung nicht mehr vom Verbot erfasst. Das Erlegen eines Elterntieres nach diesem Zeitpunkt ist daher keine Straftat mehr, sondern nur noch ein schwerer Verstoß gegen die Grundsätze deutscher Waidgerechtigkeit, der aber

auch zum Verlust des Jagdscheins führen kann (§ 17 Abs. 2 Nr. 4 BJagdG).

Von Seiten der Wildbiologen und erfahrenen Rotwildjäger wird dem entgegengehalten, dass die Kälber beim anschließenden Verlust des Elterntieres vom Rudel abgestoßen werden, sodass sie ohne Führung im Winter leiden, kümmern oder gar eingehen. Deshalb werden beim Rotwild die Kälber erst gegen Ausgang des Winters oder im Frühjahr selbstständig.

Dieser Ansicht hat sich das Gericht hier ohne weitere Begründung angeschlossen. Es steht damit im Einklang mit einem Urteil des Landgerichts Schweinfurt vom 23.6.2009 (Az. – 3 Ns 12 Js 2394/08 –), das den Schutz des Elterntieres beim Rotwild wegen der sozialen Isolation des Kalbes und der dadurch bedingten physischen und psychischen Leiden bis in das Frühjahr hinein ausgedehnt hat. Auch die sich an die unmittelbare Aufzucht anschließende notwendige Betreuung durch das Alttier gehöre noch zur Aufzuchtzeit.

Der Jäger handelte hier vorsätzlich, weil er den Tod des Elterntieres bewusst in Kauf genommen hat. Bei der gegebenen Situation – zwei Kälber, zwei Alttiere und ein Schmaltier – war ihm klar, dass die Alttiere mit hoher Wahrscheinlichkeit die Elterntiere der beiden Kälber waren. Gleichwohl schoss er, weil er an die beiden Käl-ber nicht „herangekommen sei“. Das Schmaltier hatte er wohl aus dem Blick verloren.

IV. Ergebnis

1. Das Erlegen eines notwendigen Elterntieres ist nicht nur bei Vorsatz, sondern auch bei Fahrlässigkeit eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet wird. Die Folge ist in der Regel Unzuverlässigkeit, das bedeutet Verlust des Jagdscheines, der Waffen und des Revieres.

2. Besondere Vorsicht ist auf Drückjagden geboten, weil hier die Elterntiere oft von den Kälbern getrennt werden und dem Jäger allein kommen. Erst hinterher stellt sich dann heraus, dass es ein führendes Alttier war. Um die Leiden des Kalbes und die Folgen für den Jäger zu vermeiden, empfiehlt es sich, auf solchen Jagden den Abschuss von Alttieren zu unterlassen und nur männliches Rotwild und Kälber freizugeben.

3. Siehe zum Erlegen einer führenden Bache auch: WuH 5/2000, S. 52 (Landgericht Heidelberg); WuH 15/2009, S. 94 (Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht) und WuH 9/2016, S. 74 (Oberverwaltungsgericht Schleswig – Holstein)

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