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Blatten auf Schwedisch

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In der Ruhe liegt die Kraft, lautet eine Grundregel der Blattjagd. Der Schwede Per-Arne Åhlén hat jedoch seine eigenen Regeln. Björn Ebeling hat dem Könner beim Locken über die Schulter geschaut.

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Es ist der 20. Juli, sechs Uhr morgens. Blattzeit im Thüringer Wald! Mit Nackenwind sitze ich neben Per-Arne auf einem offenen Schlag. Vor uns erstreckt sich ein Hang mit dichtem Unterwuchs. Dort vermuten wir den Einstand eines Bockes, auf den wir unser Glück versuchen wollen. Zugegeben, ich würde lieber im Altholz sitzen, wo auch der Wind für uns besser gewesen wäre, doch der Schwede war zielstrebig zu diesem Platz gepirscht.
Nachdem die Büchse mit Zweibein gerichtet und die Gesichtsmaske übergezogen ist, wirkt mein getarnter Begleiter wie ein Strauch. Ohne großes Vorspiel beginnt er mit dem von ihm entwickelten „Nordik-Roe“-Blatter seine erste Lock-Arie auf deutschem Boden. Er tut das nicht leise und verhalten, auch nicht zart und verführerisch, sondern fordernd aggressiv! „Piiääh, piiääh“, tönt es immer und immer wieder. Kurz darauf folgt der Sprengruf! Und tatsächlich – keine fünf Minuten später taucht am Waldrand ein roter Fleck auf. Ein Bock!
Ohne Zögern prescht der Liebestolle auf die Fläche und verhofft erst, als er 30 Meter vor uns steht. Ich wage nicht, mich zu bewegen und schaue gebannt auf den Galan, der sich selbst sicher nach seinem vermeintlichen Rivalen umschaut. Nun scheint er Wittrung bekommen zu haben. Aufgeregt streckt er seinen Windfang in den Himmel und rollt mit den Lichtern. Zu spät, denn gerade als er abspringen will, bricht der Schuss.
Gut getroffen springt der Abschussbock mit einer hohen Flucht ab. Ein paar Meter tragen ihn die Läufe noch, dann sinkt er verendend in den Bewuchs. Nach kurzer Pause erhebt sich der Busch neben mir, und ein strahlender Schwede kommt zum Vorschein. Nach dem Versorgen des Bockes frage ich Per, wie er auf die Idee kam, einen eigenen Rehwildlocker zu bauen. Der Skandinavier erklärt, dass es in Schweden kaum Ansitzschirme, Pirschsteige und in einigen Regionen viel weniger Wild gibt als in Deutschland. Und da muss sich der Jäger etwas einfallen lassen, um erfolgreich zu sein.


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Der schwedische Rehbockjäger setzt in der Blattzeit auf Locker und perfekte Tarnung. Der 3 D-Anzug lässt ihn dabei förmlich mit der Umgebung verschmelzen. Für saubere Schüsse wurde am Repetierer ein hohes Zweibein angebracht. (Foto: Björn Ebeling)
Irgendwann habe er mit einem Freund beschlossen, einen Rehlocker zu bauen, der einfach zu bedienen ist und dessen Töne lauter als die anderer Instrumente sind. Zudem habe er auch seine Jagdtaktik geändert. Denn in dichten Beständen habe er immer wieder das Nachsehen gehabt, weil er entweder auf die herangeblatteten Böcke kein freies Schussfeld hatte oder ihn die Böcke unbemerkt umschlugen und dann schreckend absprangen.

 


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Per-Arne Åhlén mit seinem verführten Bock. (Foto: Björn Ebeling)
An größeren Schlägen passiert ihm das nun nicht mehr. „Vorausgesetzt, man ist entsprechend gut getarnt“, sagt der Schwede und streicht über seinen 3 D-Tarnanzug. Die großen Blätter sorgen dafür, dass die menschliche Silhouette förmlich mit der Umgebung verschmilzt. Da die suchenden Böcke vorzugsweise gegen den Wind anwechseln würden, sei Rücken- oder halber Wind empfehlenswert, sofern mindestens 100 Meter Sicht in Windrichtung zur Verfügung stehen.
Weil er vom Boden aus jagt, ist bei der Standwahl natürlich auf einen guten Kugelfang zu achten. Bei den einzelnen Strophen setzt Per-Arne auf das Konkurrenzverhalten der Platzböcke und verwendet die „normalen“ Fieptöne in aller Regel nur als Übergang von einer Strophe zur nächsten. Mit seinem nordischen Blatter kann er alle notwendigen Töne erzeugen.
Der Wechsel vom Kitzfiep zum Ruf der Ricke erfordert lediglich, dass der dicke Gummiring nach hinten gerollt wird. Das geschieht mit einer einfachen Drehbewegung mit der Fingerkuppe. Der Vorteil dieses Systems: Mit wenig Übung kann die betreffende Strophe selbst von Laien perfekt geblattet werden. An der Unterseite des Kunststoffblatters befindet sich zudem ein Daumenloch, mit dem die Töne bei Bedarf gedämmt werden können. So präpariert, empfiehlt der schwedische Spezialist, bereits kurz nach dem Einnehmen des Standes mit Strophen zu beginnen, die einen hohen Reiz auf die brunftigen Böcke ausüben oder die Ricke zum Suchen ihrer vermeintlich in Gefahr befindlichen Kitze anlockt.

 


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Der schwache Sechser konnte den aggressiven Tönen des skandinavischen Lockjägersnicht widerstehen und wechselte ihn gegen den Wind bis auf 30 Meter an. (Foto: Björn Ebeling)
Große Pausen legt der Wildbiologe zwischen den Strophen nicht ein. Weniger motivierte Böcke seien dadurch nur geneigt, sich zu viel Zeit zum Anwechseln zu nehmen. Oft verlieren sie sogar das Interesse, sobald man die Strophe beendet. Pro Stand blattet der Schwede mindestens 20 Minuten. Danach wartet er noch ein Weile, bevor er den Platz wechselt. „Man muss dem Wild genügend Zeit geben“, sagt er. Wichtig sei aber auch, den Böcken eine Geschichte zu erzählen. „Und Du musst geduldig sein“, fügt er noch hinzu. Gerade die Alten stehen oft erst viel später zu. Dumm, wenn der ungeduldige Jäger dann bereits seine Sachen zusammengepackt hat.
Passiert über einen längeren Zeitraum nichts, greift der Spezialist gern zum Raubwildlocker. Mit dem Vogelangstgeschrei gelingt es ihm dabei regelmäßig, einen oder gar mehrere Füchse anzulocken. Keine Angst! Rehwild stört sich nicht an den Klagelauten. Die Probe aufs Exempel liefert Per-Arne gleich mit. Am nächsten Stand – einer kleinen Viehweide – angekommen, greift er sofort zum „Nordik Crying Bird“ und lässt das Vögelchen sterben. Und tatsächlich – nach einigen gequälten Rufen schnürt ein hungriger Fuchs aus dem 100 Meter entfernten Wäldchen und wird im Dienste der Niederwildhege gestreckt.
Auf seine bevorzugten Tageszeiten zum Blatten angesprochen, zuckt er mit den Schultern. „Das hängt oft vom Wetter ab“, sagt der Schwede. Er bevorzuge jedoch die frühen Morgen stunden von 5.30 bis 8.30 Uhr. Doch gerade Anfang August müsse man immer mit allem rechnen.

 


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