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Ein besonderer Bock

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besonderer Bock

AUS DEM WILD UND HUND-TESTREVIER
Das Blattjagdfieber hat dieses Jahr auch meine nicht jagende Freundin angesteckt. Zum Glück – sonst wäre uns ein interessantes Stück sicher durch die Lappen gegangen. Peter Schmitt

Ziemlich angespannt lehne ich, auf dem Boden hockend, an einer Fichte. Neben mir sitzt meine Freundin auf einem Sitzrucksack. Eigentlich sollten wir nicht hier, sondern auf
der unweit gelegenen Suhlenkanzel sitzen. Doch der Wind hat heute seine eigenen Pläne. Bei Ansitzen war Claudia schon oft dabei, aber beim Abschuss eines Stücks Schalenwild
noch nie. Auch das Blatten hat sie bis jetzt nicht live erlebt. Das soll sich heute, am 26. Juli, ändern. Mit dem berühmten Vorführeffekt im Hinterkopf, der einen in solchen Situationen meist ereilt, fange ich an zu blatten. Schon beim zweiten oder dritten Ton regt sich etwas im Farn vor uns. Plötzlich steht ein mittelprächtiger, schwach vereckter Gabler keine 25 Meter vor uns. Als er schließlich abspringt, kann ich ihn mit dem Locker zurückholen. Mehrere Minuten umrundet er unseren Stand. Besser hätte es nicht laufen können. Um nicht noch mehr Unruhe ins Revier zu bringen, lassen wir es für heute gut sein.

Das Erlebnis scheint bei meiner besseren Hälfte nachhaltig Eindruck hinterlassen zu haben. Also soll es am 27. wieder zum Blatten rausgehen. Meine Unlust und die Hinweise
auf den nicht unerheblichen Regen werden abgebügelt. Im Waldteil des Reviers angekommen, hat sich der Niederschlag noch deutlich verstärkt. Ein Abbruch der Mission
wird abgelehnt. Und so warten wir vorerst im Auto auf Wetterbesserung. Als es im dichten Buchenwald schon langsam dämmrig wird, beschließen wir, trotz des Regens loszuziehen.
Aufgrund des Windes kommen wir wieder nicht auf den vorgesehenen Sitz, sondern müssen unweit davon an einer Buche Stellung beziehen. Ich entscheide mich dafür, meiner Begleitung mit dem Kitzfiep etwas Neues zu bieten. Die Serie ist noch nicht zur Hälfte verklungen, da schießt keine 20 Meter neben uns eine Ricke aus der  Buchennaturverjüngung. Ich höre sofort auf zu blatten. Die Geiß orientiert sich halbspitz von uns weg, als auf demselben Wechsel ein weiteres Stück aus der Dickung bricht. Im ersten Moment bin ich etwas verwirrt, ist doch das zweite Reh zwar schwächer als die Ricke, aber auf keinen Fall ein Kitz und vom Gebäude auch kein Jährling. Im  Buchenhochwald folgt es nicht der Geiß, sondern steht weiter auf uns zu, um direkt auf unsere Anmarschspur zu geraten. Als es sich dreht und der Fährte – zum Glück von uns weg – gleich einem Schweißhund mit tiefer Nase folgt, sehen wir die recht hohen, hellen Sechserstangen. Sofort kommt mir ein Bock in den Sinn, den ich vergangenes Jagdjahr an etwa der gleichen Stelle ein einziges Mal in Anblick bekam. Damals hätte ich ihn geschossen, wäre der Abschuss nicht schon erfüllt gewesen. Ob wir tatsächlich denselben Bock vor haben, weiß ich natürlich nicht mit Sicherheit. Aber fast alle unserer Mehrjährigen werden im Feldteil des Reviers erlegt. Sollte dieser Waldbock nicht der alte vom letzten Jahr sein, wäre das Erlegen hier mitten im unübersichtlichen Busch auch kein Weltuntergang. Denn viele Stücke sieht man hier nur ein- oder zweimal, bevor sie im Naturverjüngungsdschungel für immer verschwinden.

Der Abschliff des rechten Kieferastes ist stärker und nach vorn verlagert – Indizien, dass der Strahlenpilz den Bock bereits stark beeinträchtigt hat. Fotos: Peter Schmitt

Jedoch zieht der Bock so ungünstig, dass meine bessere Hälfte auf ihrem Sitzstock zwischen Beute und Jäger sitzt. Das Reh wechselt über einen Waldweg und verliert dort unsere Spur. Gleich wird er wieder im dichten Busch untertauchen. Kurz entschlossen rutsche ich auf dem Hosenboden etwas vor, lege den Ellbogen meines Stützarms auf Claudias Knie, murmle etwas wie „nicht bewegen“ und schieße. Ohne Schalldämpfer hätte ich das natürlich nicht getan, auch wenn sich Claudia schon einige Zeit die Ohren zuhält.
Im Schuss bricht der Bock zusammen, schlegelt kurz, dann kehrt Ruhe ein. Mir fällt immer ein Stein vom Herzen, wenn ein Stück sofort verendet und ich nicht jagende Begleitung
dabei habe. Am Erlegten bestätigt sich der Eindruck, dass der brave Sechser recht schwach im Wildbret ist. Was wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen: Er litt an einem  Strahlenpilz im linken Unterkieferast, was sich dann beim Abkochen der Trophähe zeigen sollte. Der schon recht betagte Bock musste beim Äsen starke Schmerzen gehabt haben. Das legt zumindest der im Gebiss nach vorn verschobene Abrieb der Zähne nahe. Anstatt wie üblich 18 bis 20 brachte der Mehrjährige nur knapp 14 Kilogramm auf die Waage.

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