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Ein Hirsch namens Tøffe

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Hirsche

DÄNEMARK: HIRSCH MIT WELTREKORDMASSEN

Im Mai 1993 wurde im dänischen Jaegersborg ein Hirschkalb gesetzt, das sich zu einer Ausnahmeerscheinung entwickeln sollte. Über „Tøffe“ berichtet Torben Christiansen, Berufsjäger des königlichen 1 000-Hektar-Revieres bei Kopenhagen.

Normalerweise bekommen Kälber in Jaegersborg eine anonyme Identifikationsnummer, und Hirsche ab dem 4. Kopf werden „getauft“. Aber 1993 wurde ein Kalb gesetzt, das sogleich Tøffe genannt wurde. Es ist unklar, woher der Name stammt, aber es behielt ihn sein ganzes Leben lang bei. Das Wort „Tøffe“ hat im Dänischen keine besondere Bedeutung, nur manchmal nennen Kinder ihre Haustiere so. Schon als Jährling war Tøffe im Gebäude deutlich stärker als seine Altersgenossen. In seinem Verhalten war er ausgeglichen und ruhig, und er nahm eine hohe Stellung in der Rudelhierarchie bei seinen Altersgenossen ein. Er beteiligte sich nie an den üblichen Rangordnungskämpfen der jungen Hirsche, und während der Winterfütterung sicherte er sich ohne Aufwand immer „seinen Teil“ der Nahrung.
Der große Augenblick: Prinz Henrik erlegt unter der Führung des Autors den Hirsch
Normalerweise erkämpfen sich die Hirsche bei uns ab dem 6. oder 7. Kopf eigene Brunftplätze mit Kahlwild. Vom 4. oder 5. Kopf beobachten sie das Brunftgeschehen nur aufmerksam und versuchen manchmal, den Platzhirsch nachzuahmen. In dieser Beziehung war Tøffe viel entschlossener. Schon mit dem 5. Kopf waren seine Stangen gut entwickelt und wogen zehn Kilogramm, so dass er sich auf einem eigenen Brunftplatz behaupten konnte. Zwar war dieser nicht sonderlich attraktiv, dennoch fanden sich dort einige Alttiere ein. In den nächsten Jahren erweiterte er sein Territorium, ohne dabei einen der begehrtesten Brunftplätze ergattern zu können. Er war nicht sehr aggressiv und nahm Aufforderungen zu Brunftkämpfen nur widerstrebend an. Mit dem 9. Kopf verlagerte er seinen Brunftplatz auf eine offene Fläche, die für andere dominante Hirsche ebenfalls attraktiv war. Dort verbrachte er mehrere Brunftperioden. Zwar konnte er nie größere Kahlwildrudel um sich scharen, aber genügend Aufmerksamkeit war ihm hier immer sicher. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass Tøffe das Posieren vor der Kamera liebte, und so erschienen schon bald in allen europäischen Jagdzeitungen Bilder des Kapitalhirsches. Mit dem 10. Kopf endete ein Brunftkampf für Tøffe mit einer Niederlage, und er zog sich in sein Überwinterungsgebiet zurück, um seine Wunden auszuheilen. Während des Winters verschlechterte sich sein Zustand zusehends, und er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Am Ende des Winters beschlossen wir, ihn zu betäuben und durch einen Veterinär untersuchen zu lassen. Auf das Betäubungsmittel, speziell auf das Gewicht eines normalen Hirsches abgestimmt, reagierte der geschwächte Körper zu stark, und er verendete fast. Die Untersuchung durch den Veterinär brachte keine Befunde, aber es dauerte Tage, bis sich der Kranke von der Betäubung erholt hatte. Als die meisten anderen Hirsche im Spätwinter schon abgeworfen hatten, trug Tøffe noch beide Stangen. Dann warf er die eine Seite ab, behielt aber die andere für fast zwei Wochen länger auf dem Rosenstock – ziemlich ungewöhnlich.
Im Frühjahr verbesserte sich sein Zustand, und er schob ein starkes Geweih. Am Ende des Sommers benötigte er zum Fegen etwas länger, aber die Stangen sahen gut aus. Sein Zustand war in Ordnung, aber nicht so wie in den Jahren zuvor. Als die Brunft einsetzte und die anderen dominanten Hirsche schon alle auf ihren Brunftplätzen standen, zog Tøffe noch allein im nördlichen Teil des Revieres herum als wenn er noch sein Selbstbewusstsein stärken wollte. Normalerweise werden bei uns die Hirsche mit dem 12. Kopf geschossen, aber wir entschlossen uns, ihn aufgrund der relativ schlechten Kondition schon ein Jahr früher zu erlegen. An einem Tag im September machte sich seine Königliche Hoheit, Prinzgemahl Henrik, auf, um den Hirsch zu erlegen. Natürlich war Tøffe an diesem Tag wie vom Erdboden verschluckt.
Nach einer längeren Pirsch fand man ihn dann in einer abgelegenen Revierecke, aber wie das so ist, Wildtiere haben einen sechsten Sinn für die Gefahr, oder er bekam die pirschenden Jäger mit. Hochflüchtig ging der Kapitale ab, bevor Prinz Henrik die richtige Schussposition einnehmen konnte. Die nächsten zwei Tage schien Tøffe sich in Luft aufgelöst zu haben.
Als man ihn wiederentdeckte, versuchte es Prinz Henrik erneut,aber wieder sprang er ab und verchwand. Einige Tage später machte man ihn erneut aus, und Prinz Henrik beschloss, dass der Hirsch eines natürlichen Todes sterben solle, wenn es jetzt mit der Erlegung nicht klappen würde. Der Kapitale saß in seinem Bett, und es wurde ein Plan gemacht, wie man ihn an einem Wechsel abpassen könnte. Und tatsächlich Tøffe zog genau über den erhofften Wechsel. Eine perfekt platzierte Kugel aus der .30-06 beendete sein Leben. Seine Stangen waren riesig, aber sie erschienen geringer als im Vorjahr. Es sah so aus, als wenn der Hirsch schon zur ückgesetzt hätte. Trotzdem wogen sie noch 10,6 Kilogramm (ein Jahr zuvor: 11,6 kg) und wurden mit 276,97 Punkten bewertet – Weltrekordmaße.
Ein paar Tage nach der Erlegung erschien die Jubiläums-Ausgabe zum 110- jährigen Bestehen von WILD UND HUND per Post. Und was war auf dem Titel: ein Bild von Tøffe, das ein paar Jahre zuvor aufgenommen wurde und ihn auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung zeigte. Ein unglaublicher Zufall.
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