.300 – .30-06 – .308 – Feuer aus gekürzten Läufen

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Papiertiger, Donnerkaliber oder unterschätzte Murmel – um die .300 Win. Mag. und ihre beiden populären Cousinen .308 Win. und .30-06 ranken sich Sagen und Mythen. Vor allem, wenn sie aus kurzen Läufen geschossen werden. Ein einzigartiger Großversuch sorgt für Klarheit.-Wolfram Osgyan

Wie so oft prallen bei Kaliberdiskussionen Halbwissen und Dichtung auf Wahrheit: „Schwaches Hochwild mit der Dreihunderter zu bepflastern heißt, mit der Kanone auf Spatzen zu schießen“, schmeißt der eine in die Runde. Ein anderer tut die .300 Win. Mag. despektierlich als Papiertiger ab. „Bei kürzeren Läufen steckt die .308 Win. sie glatt in die Tasche“, legt er nach. „Mit dem richtigen Pulver bringe ich eine .30-06 locker auf die Leistung der .300 Win. Mag.“, brüstet sich der Wiederlader.

Foto: Wolfram Osgyan

Nach schier endlosen Debatten ist man sich am Jägerstammtisch aber meist mehrheitlich einig, dass es eine .300 Win. Mag. für unsere Jagdverhältnisse eigentlich nicht bräuchte. Uneinigkeit herrscht wiederum bei der vergleichenden Bewertung von .30-06 und .308 Win. Im Raum bleibt schließlich die Behauptung stehen, dass ab einer gewissen Laufverkürzung die .308 ihre „Schwestern“ .300 Win. Mag. und .30-06 leistungsmäßig übertreffen würde.

Über zwei Testtage blieb das Ziel immer im Blick. Schütze Hadler musste dabei einige Tritte aus den gekürzten Läufen wegstecken.

Schließlich sei sie ja für kurze Läufe prädestiniert. Um diesen Mythos sicher zu belegen, müsste man allerdings die drei Kaliber mit identischen Geschossen schießen, Geschwindigkeiten messen, die Läufe kürzen, erneut anschießen und die Treffpunktlagen ermitteln – bis man letztlich bei 45 Zentimetern (cm) Lauflänge angelangt ist. Schließlich sollen ja die „Stummelläufe“ der Nachsuchenbüchsen ebenfalls erfasst werden.

Ein Unterfangen, das von Endverbrauchern nicht bewältigt werden kann, weil jede Laufkürzung beschusspflichtig ist. Nachfragen bei Waffen- und Munitionsherstellern brachten keine zufriedenstellende Auskunft. Keiner verfügt über die Gesamtpalette der gewünschten Vergleichsdaten.

Vielmehr werden Erfahrungswerte interpoliert, was die Sache nicht voranbringt. „Dann packen wir doch die ganze Angelegenheit mal an“, macht Sauer Produktmanager Julian Wengenmayr Nägel mit Köpfen.

Mit der Metallsäge wird der nagelneue Lauf einer Sauer „202“ um fünf Zentimeter gekürzt.

Mit der RUAG AMMOTEC holt er zudem Munitionskompetenz und Know-how mit ins Boot. Nach intensiven Vorbereitungen empfangen uns im ballistischen Prüflabor der RUAG in Fürth Norbert Cyron, Leiter Qualitätsmanagement, und Andreas Hadler, Gruppenleiter Beschuss. Mit von der Partie sind drei Sauer „202 Synchro XT“ mit 65-cm-Lauf (.300 Win. Mag.) beziehungsweise 60-cm-Läufen (.30-06, .308 Win.) sowie drei 98er mit 70 cm langen, prügeldicken Präzisionsläufen. Als Referenzwaffen dienen eine Sauer „303“ in .300 Win. Mag. mit 51-cm-Lauf sowie eine kalibergleiche „R 93“ mit 65er-Matchlauf.

Die Messanlage ermittelt die Geschwindigkeiten der Projektile nach drei Metern Flugdistanz.

Dazu gesellt sich ein Handwagen voll RWS-Munition mit den Laborierungen 8,8 Gramm (g) „EVO Green“, 10,7 g „Doppelkern“ (DK), 11,9 g „EVO“ für die .300 Win. Mag. sowie 11,7 g „H-Mantel Kupferhohlspitz“ (HMK) für .30-06 beziehungsweise .308 Win. Wir starten mit der V₃-Messung. Hadler legt los. Pro Lauf und Laborierung jeweils drei Schuss. Kollege Bonk speist den Rechner mit den Ergebnissen und druckt den Mittelwert aus.

Spannung pur nach dem ersten Durchgang. Wie groß sind die Differenzen zwischen den Sauer-Standard-Läufen und den Messläufen? Weichen die Packungsangaben ab? Zu aller Überraschung sind die Werte der Sauer-Läufe über alle Kaliber mit den Messläufen identisch.

Das spricht zweifelsohne für den hohen Qualitätsstandard der Serienläue aus Isny. Bei der „EVO Green“ in .300 Win. Mag. und .30-06 übertreffen die geschossenen V₃- die gedruckten V₀-Werte. Bei der .308 Win. liegen sie knapp darunter. Die V₀-Werte, so erfahre ich, werden von den V₃-Werten zurückgerechnet, sodass unseren Messwerten zum Vergleich mit der Drucksache noch fünf bis acht Meter pro Sekunde (m/s) zugefügt werden müssen.

Beim „DK“ schlagen sich .30-06 und .308 Win. wacker. Ebenso beim „HMK“. Mit „EVO Green“ geladen hat die .300 Win. Mag. die Nase vorn, und beim „DK“ verliert sie gegen die gedruckten Daten. Im Versuch dominiert bei gleicher Lauflänge und über alle Laborierungen hinweg die .300 Win. Mag. ihre Konkurrenz. Über 100 m/s bei der „EVO Green“ und 30 m/s mehr bei der „DK“ gegenüber .30-06 und deren 100 m/s gegenüber der .308 Win. – eine klare Ansage! Noch krasser fällt der Unterschied aus, wenn man berücksichtigt, dass in der Serie für die .300 Win. Mag. als Standard 65 cm Lauflänge veranschlagt werden, bei den Vettern jedoch nur 60 cm. Erwartungsgemäß nimmt die Geschwindigkeit mit jeder Kürzung ab, wobei der prozentuale Abfall kaliber- und geschossbezogen ein wenig variiert.

Die Reihung jedoch bleibt über alle Kürzungen hinweg erhalten. Den größten Geschwindigkeitsabfall von 70 cm auf 45 cm Lauflänge hat beim „EVO Green“ mit 11 Prozent (%) die .300 Win. Mag., gefolgt von der .30-06 (8 %) und der .308 (6,7 %). Und doch beläuft sich der Vorsprung der Magnum beim 45-cm-Lauf immer noch auf 76 m/s (.30-06) beziehungsweise auf 85 m/s (.308). Das wiederum verblüfft schon etwas. Es heißt aber auch, dass die .300 Win. Mag. bei gleichen Geschossen („EVO Green“ und „DK“) über alle Entfernungen hinweg deutlich mehr Energie ins Ziel bringt und weniger Vorhalt beim Schuss aufs flüchtige Wild benötigt. So gesehen hat der 51-cm–Lauf der „303“ im Kaliber .300 Win. Mag. insbesondere bei starkem, wehrhaftem Wild durchaus seine Berechtigung, denn hier schlägt „Klitschkos Eisenfaust“ zu. Im Labor bringe ich in Erfahrung, dass die EVO Green-Munition mit einem offensiven Pulvertyp einschließlich Additiven gegen Verschmierung gefüllt wird und dass dieses für jedes Kaliber eine veränderte Zusammensetzung aufweist.

Von jedem Kaliber wurden drei Laborierungen getestet. Die detaillierten Messergebnisse finden Sie hier.

Weitere Laborierungen, insbesondere mit schwereren Geschossen, verlangen wiederum individuelle Treibladungen, wenn das Ziel, möglichst gleich bleibende Leistung bei gleichmäßigem Gasdruck, stets erreicht werden soll. So allmählich dämmert es, welchen Aufwand die RUAG betreibt, um ihre hohen Qualitätsstandards zu sichern. Im Test bewahrheitet sich, dass Streuung und Treffpunktlage der unterschiedlichen Laborierungen kaliberbezogen differieren können.

Allerdings fallen die Abweichungen nicht stark aus. Erstaunlicherweise verlieren hier die „Sauer-Gerten“ nur marginal gegen die wasserleitungsdicken „Messprügel.“ Mit jeder Laufkürzung klettert die Treffpunktlage, was alle Beteiligten überrascht. Dabei spielen sicherlich veränderte Laufschwingungen und andere Abgangswinkel neben weiteren Faktoren eine Rolle. Interessanterweise garantiert eine geringe 100-Meter-Streuung beileibe nicht eine ebenbürtige auf 200 Meter. Im Gegenteil. Mal überzeugt diesbezüglich die eine Kombination aus Kaliber und Geschoss, mal die andere. Insgesamt jedoch wachsen die 200-Meter-Streukreise signifikant. Für die auf 55 cm gekürzten und mit dem 10,7 g „DK“ mit drei cm Hochschuss eingeschossenen Kandidaten schlägt die Stunde der Wahrheit auf der 200-Meter-Bahn. Während die Projektile der .300 Win. Mag. im Mittel knapp zwei Finger unter dem Haltepunkt einschlagen, fallen .308 Win. und .30-06 so beträchtlich ab, dass man mit der einen den Bock auf der Scheibe unten ankratzt und ihn mit der anderen unterschießt.

Natürlich lässt sich das Manko kurzer Läufe mit einer Absehen-schnellverstellung kompensieren. Fehlende Zielgeschwindigkeit vermindert jedoch die Auftreffwucht, was zu unzureichender Geschosswirkung im Wildkörper und somit zu mangelnder Tötungswirkung führt.

Mit zunehmender Laufkürzung rücken drei Größen immer mehr in den Blickpunkt: Schussknall, Rückstoß und Mündungsfeuer. Schießt sich die .300 Win. Mag. aus dem überschweren 70-cm-Präzisionslauf wie ein Kleinkaliber, verrät schon der Gesichtsausdruck des Schützen mit 25 cm kürzerem Lauf genug über das, was Schulter und Jochbein abbekommen.

„Die tritt wie ein Pferd“, presst er nach dem ersten Schuss mit der .300 Win. Mag. durch die Zähne. Auch bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem maximal gekürzten Rohr erregt die Magnum mit übergroßen Feuerbällen vor der Mündung Aufmerksamkeit. Mehrmals deaktivieren Feuerglocke und Mündungsgasdruck die Messanla- Die Ergebnisse des zweitägigen Versuches sprechen für sich:

Auf 200 Meter sinken die Treffpunktlagen aus kurzen 55-cm-Läufen zum Haltepunk (weiß) deutlich ab.

Die .300 Win. Mag. ist alles andere als ein Papiertiger. Sie bringt auf Entfernungen noch die Kugel ins Ziel, wo ihre Mitbewerber das Wild nur erschrecken. Ferner ist sie bei der Jagd auf starkes Hochwild geradezu prädestiniert für Distanzen zwischen 150 und 220 Meter.

Um dabei ihre üppige Energie ins Leben zu steuern, bedarf sie keiner Haltepunktkorrektur. Auf Laufkürzungen aber reagiert der „Tiger“ gereizt: Er brüllt, er schlägt, er blendet den Schützen und wird zum bissigen Begleiter. Also: Entweder 65 cm oder lästige Nebenwirkungen. Deren schlimmste, nämlich der Rückstoß, wird jedoch bei der Sauer „303“ im wahrsten Sinne des Wortes „automatisch“ gebändigt.

Denn dank der im Schuss bewegten Massen des Selbstladers kommt in der Schulter weniger an als beim Repetierer. Mündungsgeschwindigkeit und Energie gehen aber durch den Selbstladevorgang nicht verloren. Das Mündungsfeuer fällt bei der kurzläufigen „S 303“ dagegen beindruckend aus, spielt jedoch keine große Rolle, weil die Waffe primär der Bewegungsjagd dient.

Bei der .308 liegen Dichtung und Wahrheit im Schulterschluss. Sie ist hochpräzise, kann dagegen leistungsmäßig weder der .30-06 noch der .300 Win. Mag. das Wasser reichen. Auf jagdübliche Distanzen verfügt aber auch sie über genügend Reserven. Sie schießt sich am angenehmsten und reagiert am gutmütigsten auf Laufkürzungen: Rückstoß und Mündungsfeuer halten sich bei ihr in Grenzen.

Das macht sie zur ersten Wahl für kurze Läufe und leichte Waffen. Und die .30-06? Sie liegt irgendwo dazwischen. In der Praxis beliebt sowie bestens bewährt, wahrt sie im Labor den Ruf einer echten Allrounderin. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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