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Im „toten“Winkel – Stöberhunde in Gefahr

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STÖBERHUNDE IN GEFAHR
Foto: Michael Stadtfeld

STÖBERHUNDE IN GEFAHR
Sind auf einer Bewegungsjagd Jagdhunde zu nah an der Sau, verbietet sich ein Schuss. Aber was ist „nah“ und wann kann man gefahrlos schießen? Thore Wolf

Sechs Jahre alt war „Terri“. Ein Stöberhund im besten Alter. An die 30 Bewegungsjagden absolvierte er jährlich. Zu Hause war er Familienmitglied und der liebste Spielkamerad der Kinder. Auf einer Jagd im vergangenen Winter sandte sein Senderhalsband plötzlich keine neue Position mehr. Im ersten Moment dachte der Hundeführer an ein technisches Problem. Aber das Gerät funktionierte. Eiligen Schrittes machte sich der Rüdemann zu dem Punkt auf, von dem das letzte Signal kam. Er fand einen erlegten Frischling. Ein paar Schritte weiter lag „Terri“ regungslos auf dem Waldboden. Etwa 50 Meter entfernt rief ein Jäger. Seine Worte interessierten den Hundeführer nicht. Ein Geschosssplitter hatte „Terris“ Leben beendet. Nur ein kleiner Splitter. Aus dem Lauf des Schützen, der wenig später versuchte, alles abzustreiten. Immer wieder lassen sich manche Jäger auf Bewegungsjagden zu Schüssen verleiten, bei denen ein Hund gefährdet oder gar getötet wird. „Kommt Wild in Anblick, blenden viele Jäger alles um sich herum unbewusst aus. Sie sind in einer Stresssituation, die Konzentration verlagert sich auf das zu beschießende Stück, der Jäger bekommt einen Tunnelblick“, sagt WuH-Schießexperte Dr. Michael Frowein. Ein Hund, der sich in Nähe des Wildes befindet, wird dann häufig nicht mehr wahrgenommen. Ein Phänomen, das nur bei unerfahrenen Jägern auftritt? „Ganz im Gegenteil“, versichert WuH-Autor und Schweißhundführer Stefan Mayer von der Schweißhundestation Südschwarzwald. Nach seiner Erfahrung kann dies jedem passieren. „Auf unseren Bewegungsjagd-Seminaren sprechen wir zu Beginn die Teilnehmer auf dieses Problem an. Fast keiner kann sich vorstellen, in einer solchen Situation einen Tunnelblick zu bekommen. Ganz gleich, wie erfahren er ist.“ Im Weiteren zeigt der Schweißhundführer seinen Schülern dann einen kurzen Film. Zunächst hat dieser keinerlei jagdlichen Bezug. Im Film werden zwei Basketball-Mannschaften gezeigt, die sich gegenseitig Bälle zupassen. Der Betrachter soll die Pässe der schwarzgekleideten Spieler zählen, die zwischen den weißen hin und herlaufen. „80 bis 90 Prozent zählen richtig. Aber auch genauso viele sehen
nicht, was in den 30 Sekunden noch passiert!“, resümiert Mayer. Denn während des Spiels läuft ein Mensch in einem weißen Hasen-Kostüm durchs Bild. Während man die Pässe zählt, konzentriert man sich auf den Ball und nimmt den Hasen direkt daneben nicht wahr.

„Genau dasselbe passiert, wenn sich ein Drückjagdschütze auf die flüchtende Sau konzentriert“, so Stefan Mayer. „Abstellen kann man das nur mit stetem Üben“, weiß Michael Frowein. In seinem WuH-Seminar „Sicher schießen“ versucht er, genau dies zu vermitteln. Den Schützen werden im Schießkino Filme gezeigt, bei denen Hunde ins Bild rennen. Bewusst setzen die Seminarleiter den Jäger unter Stress (siehe auch WuH
23/2011). Er lernt, unter diesem Druck einen klaren Blick zu behalten und den Hund im Tumult zu erkennen. Aber wie groß ist der Gefährdungsbereich eines Hundes auf einer Bewegungsjagd?  „Es kommt stets auf die jeweilige Situation an“, sind sich sowohl
Mayer als auch Dr. Frowein einig. „Bedenkt man, wie schnell sich ein Hund bewegt, kann sich jede erdenkliche Situation in Sekunden ändern“, räumen die Experten ein. Denn im Durchschnitt legt ein Vierläufer in einer Sekunde zwischen fünf und sieben Meter (Schnittker 2013) zurück, um zum Beispiel einer Sau auszuweichen oder sie zu attackieren.
Solche Szenen kommen inzwischen immer häufiger vor. Der Grund: Die Schwarzkittel sind aufgrund der häufigeren Hundeeinsätze in den vergangenen Jahren aggressiver und hartnäckiger geworden. Sie stellen sich den Hunden öfter, anstatt zu flüchten (siehe
WuH 3/2011).Nach Dr. Frowein muss man zunächst zwei Grundszenarien unterscheiden.
Eine dynamische Situation, bei der sowohl Hund als auch Wild in Bewegung sind, sowie eine statische, bei der Hund und Wild relativ bewegungsarm verharren. Mit dieser sind vor
allem Nachsuchenführer konfrontiert, wenn das kranke Stück vom Hund gestellt wurde. Auf der Bewegungsjagd sind es vor allem dynamische Situationen. Entscheidend ist immer der Winkel, in dem das Wild und der Hund den Jäger anwechseln, oder in dem der Schütze zu Hund und Stück steht.  Flüchten beispielsweise eine Sau und dahinter ein Vierläufer quer vor dem Jäger, kann in aller Regel nicht viel passieren, wenn der Hund weit genug hinter der Sau und vor allem exakt auf deren Fluchtwechsel folgt.

Aber was ist weit genug? Fünf Meter, zehn oder gar zwanzig? Eine Frage, die Dr. Michael Frowein nur schweren Herzens mit „mindestens 20 Meter – je nach Schusswinkel“ beantwortet. Vor allem kommt es darauf an, wie weit der Schütze von Sau und Hund entfernt ist und wie schnell sich diese bewegen. Je weiter weg vom Jäger und je schneller Sau und Hund sind, desto gefährlicher ist ein Schuss. Der Schütze muss schneller mitschwingen. Seine Konzentration ist mehr gefordert, sein Tunnelblick wird enger. Schießfehler werden schneller gemacht, weil unter Umständen nicht richtig und sauber mitgeschwungen werden kann. Hindernisse, wie Äste, die das Geschoss ablenken können, werden viel eher übersehen. Überhaupt werden Abpraller oder Geschossreste häufig
unterschätzt. Hat das Geschoss den Wildkörper durchdrungen, ist seine Flugbahn unberechenbar. „Es kann im ungünstigen Fall, wenn es auf Knochen oder einen dahinterliegenden Baum trifft, bis zu 90 Grad abgelenkt werden und den Jagdhund treffen“, warnt Dr. Frowein. Gerade auf kurze Distanzen können sich härtere Verbundkernprojektile wie Vollmantelgeschosse verhalten. Erfahrungsberichte von Nachsucheführern weisen darauf hin, dass dieser Effekt besonders oft bei bleifreien Büchsengeschossen auf kurze Distanzen beobachtet wird. Das geringste Gefährdungspotenzial haben weiche Verbundkerngeschosse, das größte hingegen Teilmantelgeschosse aufgrund ihrer starken Splitterwirkung. Dies dokumentiert ein Fallbeispiel, bei dem ein Schütze, auf einer kleinen Lichtung postiert, einen Frischling auf weniger als 15 Meter beschossen hatte. Nachdem der Schwarzkittel über Kopf ging, vernahm der Schütze wenige Meter weiter ein Röcheln aus der Dickung. Dort lag ein Terrier, der von einem Splitter getroffen worden war. Vermutlich hatte das Geschoss, nachdem es die Sau durchschlagen hatte, seine Splitter breit verteilt. Den stummen Hund in der Dickung hatte der Schütze nicht sehen können.

Im geschilderten Fall befand sich der Terrier sprichwörtlich in einem toten Winkel. Denn gerade, wenn der Vierläufer nicht auf gleicher Höhe mit dem flüchtigen Stück, sondern weiter nach hinten versetzt jagt (siehe Grafik Seite 35), ist er im absoluten Gefahrenbereich des Geschosses. Selbst Knochensplitter des beschossenen Wildes können sich zu rasanten und tödlichen Geschossen entwickeln! „Auf unseren Anschuss-Seminaren blicken wir immer wieder in erstaunte Gesichter der Teilnehmer, nachdem wir zeigen, wie sich Knochen-, Geschoss- oder auch Holz- und Steinsplitter hinter dem beschossenen Wild verteilen. Ein ‚Trichter‘ von mindestens 20 Metern Breite und 50 Metern Tiefe ist keine Seltenheit. Manche Splitter gehen dabei rechtwinklig ab, teilweise können sie sogar in Richtung des Schützen geschleudert werden. Eine immer noch häufig anzutreffende Situation sind Drückjagdstände an Forstwegen. Diese bieten keinen Kugelfang. Auf dem harten Boden zersplittert das Geschoss und fliegt in alle Himmelsrichtungen. Wie brandgefährlich das ist, zeigt der Film von Blaser „Jagd in Bewegung“, bei dem mit Leuchtspurmunition auf Fahrwege geschossen wird. Schüsse auf Fahrwege sind eine Riesengefahr und nicht zulässig!“, erläutert Stefan Mayer (siehe auch WuH 24/2013).
Weitgehend gefahrlos für den Hund kann man eigentlich nur dann schießen, wenn das Dreieck aus Hund, Wild und Schütze einen spitzen Winkel bildet, und der Hund sich dabei halb seitlich vom Schützen befindet. „Auf der Nachsuche versuche ich, möglichst so an den Hund heranzurücken, dass die Geschossflugbahn vom Hund wegweist, um ihn somit bestmöglich aus der Gefahrenzone zu bekommen“, erläutert Dr. Michael Frowein. „Ist die Situation statisch, und sowohl Hund als auch Wild bewegen sich kaum, hat man beste Bedingungen. Allerdings muss man auch dabei stets damit rechnen, dass der Hund wie aus dem Nichts in die Schusslinie springen kann.“

Im Unterschied zum Nachsuchenführer kann ein Drückjagdschütze seine Position nicht verändern. Doch bereits die Jagdpächter können bei der Planung der Drückjagd einen großen Teil zum sicheren Winkel beitragen: Erstens sollten die Stände so positioniert werden, dass die potenziellen Hauptwechsel gut einsehbar sind. Dadurch kann der Schütze das Wild im Zweifel so weit heran- oder wegflüchten lassen, dass der Winkel zum Hund passt. Zweitens sollten keine Stände an Asphalt- oder Schotterwegen stehen. Ebenso wichtig für den Nachsuchen- und Drückjagdprofi Mayer sind klare Ansagen des Jagdleiters. Und zwar dahingehend, dass vor der Jagd die Schützen dazu ermahnt werden, den Finger gerade zu lassen, wenn beispielsweise krankes Wild durch Hunde gestellt wird. Ein solches Szenario kann und darf nur ein Hundeführer auflösen. Ein waghalsiger Schuss in den Bail ist indiskutabel und hat zu unterbleiben!

Es gibt nie eine absolut hundertprozentige Sicherheit für einen Jagdhund im Einsatz. Durch umsichtiges Verhalten und Zurückhaltung aber können die Schützen die Wahrscheinlichkeit größerer Unglücke verringern. „Es ist besser, mehrmals nicht zu schießen, wenn ein Hund zu nah am Wild ist, als einmal zu schnell zu reagieren und damit den Tod eines Vierläufers in Kauf zu nehmen“, sind sich Stefan Mayer und Dr. Michael Frowein einig.

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