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Vorsicht, Spinne!- Rotwild ansprechen

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Die Rotwildjagd im Sommer hat ihre Tücken. Welche das sind und wie der Jäger folgenschwere Fehler vermeidet, schildert der Wildbiologe Burkhard Stöcker.

Rotwild im Sommer nachzustellen, ist problematisch: Es fällt nach Bundesjagdgesetz mitten in die Setzzeit des Rotwildes, die mit Abstand sensibelste Zeit im Jahreszyklus des Kahlwildes. Dann jagdlich einzugreifen, sollte nur eine Notmaßnahme sein, etwa bei untragbaren saisonalen Feldschäden oder unaufschiebbaren Reduktionsabschüssen in Schutzwaldgebieten. Die Sommerjagd auf Schmalspießer und Schmaltiere begann jahrzehntelang bundesweit am 1. Juni und endete jeweils meist am 31. Januar

Foto: Wolfgang Radenbach

Einige Bundesländer weichen inzwischen davon ab und jagen schon im Mai auf diese Altersstufe, setzen die Jagd dann im Juni und Juli aus, um am 1.8. wieder fortzufahren. Nach der Hauptsetzzeit im Juni gehen zuerst einmal viele Alttiere scheinbar einzeln ohne ihre abgelegten Kälber. In dem oft ausgemergelten Zustand nach dem Setzen werden sie schnell mit Schmaltieren verwechselt und erlegt – auch weil im Juni und Juli Schmaltiere schon deutlich „alttierähnlicher“ aussehen als noch im Mai. Um den Fehlabschuss eines führenden Alttieres während der Sommerbejagung auf Schmaltiere zu vermeiden, müssen wir uns mit ein paar Feinheiten in der sommerlichen Rotwildpopulation vertraut machen:

„Hier ist deutlich das Gesäuge zu sehen“ – diese Bildunterschrift schmückt oft Alttierbilder in diversen jagdlichen und wildbiologischen Publikationen. In der Mehrzahl dieser Bilder kann von einem „deutlich“ aber überhaupt keine Rede sein. Das hat mehrere Gründe: Zum einen weiß man ohne einen direkten Vergleich in den meisten Fällen gar nicht, wie es dort ohne Gesäuge aussehen würde oder ausgesehen hätte. Zum anderen ist das Gesäuge praktisch nicht zu sehen, wenn Alttiere ihr Kalb frisch gesäugt haben und danach gleich mit leerer Spinne dem Jäger in Anblick kommen.

Links ein Schmaltier, in der Mitte das Alttier, daneben ein Kalb. Selbst bei solch kleinen Kahlwildtrupps sollte jeder Schuss genau überlegt sein: Man hinterlässt immer „Zeugen“, vor allem bei kopfstarken Rudeln. Fotos: Burkhard Stöcker

Also: Wenn Sie die Spinne deutlich ansprechen können, ist das wunderbar. Sie haben eindeutig ein Alttier vor sich! Können Sie dies nicht, heißt das leider im Umkehrschluss zunächst einmal gar nichts.„Ich habe das Stück über eine Stunde vorgehabt und genau beobachtet. Es war die ganze Zeit alleine, und kein Kalb war weit und breit zu sehen – ich hab fliegen lassen …“ Diese Sequenz hört man fataler weise in so manchem Rotwildrevier während der Sommerjagd auf Kahlwild. Dem liegt leider einweit verbreiteter Irrtum und eine erschreckende Unkenntnis zugrunde: Einzeln ziehende, weibliche Tiere sind im Sommer im Zweifel eher Alttiere, die ihr Kalb in der schützenden Deckung abgelegt haben, als Schmaltiere. Etwa zwei Wochen vor dem Setzen der Kälber ziehen sich die Alttiere zurück und schlagen die Schmaltiere oder Schmalspießer ab. Wenn das Kalb gesetzt wurde, wird es zwei Wochen lang immer wieder abgelegt und vom Alttier praktisch nur zum Säugen aufgesucht. Die Abstände zwischen den einzelnen Säugakten sind in den ersten Tagen meist kurz (ein bis zwei Stunden) und verlängern sich rasch auf bis zu über sieben Stunden (extremste eigene Beobachtung: sieben Stunden und 20 Minuten). Da der eigentliche Säugakt nur Minuten dauert, gibt es im Sommer führende Alttiere, die während 23 Stunden des Tages alleine sind – aber eben nur scheinbar.

Der Zeitraum, in dem Kälber gesetzt werden, reicht von Ende April bis Mitte Juli mit deutlichem Schwerpunkt im Bereich des Monatswechsels Mai/Juni. Das heißt, wir können einzeln gehenden Alttieren, die vor der Geburt stehen oder ihr Kalb abgelegt haben, von Mitte April bis Ende Juli begegnen. Erst mit dem Abklingen der Ablegezeit der Kälber dulden die Alttiere auch ihr Schmalwild wieder bei sich, und es bilden sich die klassischen Kahlwildrudel. Während der Geburtsvorbereitung ihres Alttieres und während der Ablegezeit der neuen Kälber sind die abgeschlagenen Schmaltiere und Schmalspießer zum ersten Mal in ihrem jungen Leben „mutterseelenallein“. Ihre größte Sehnsucht als Rudeltier ist daher die Nähe zu Verwandten, Geschlechts- oder zumindest Artgenossen. Schmaltiere und Schmalspießer schließen sich daher häufig zu kleinen Gruppen zusammen oder suchen den Anschluss an Hirschrudel. Fazit: Bei einzeln gehenden Stücken ist zuerst einmal der „Grundverdacht Alttier“ anzunehmen. Natürlich stehen auch mal mehrere Alttiere zusammen, die ihre Kälber entweder getrennt oder auch als „kollektiven Kindergarten“ abgelegt haben.

Oben: Hochbeschlagenes Alttier im Mai – deutlicher ist der Unterschied zum Schmaltier nie zu sehen!
Unten: Junges Alttier kurz nach dem Setzen – eingefallene Flanken und fast zierlich wirkende Gestalt. Bei genauem Hinsehen erkennt man die feinen Striche des Gesäuges. Das Kalb liegt im Umkreis von wenigen hundert Metern.

Wenn Sie auf Schmalwildjagd im Sommer nicht verzichten wollen, fangen Sie so früh wie möglich an. Die frühe Jagd, teils schon ab Mai, ist wesentlich weniger „verwechslungsproblematisch“:

  1. Das Wachstum der Schmaltiere hat nach dem Winter noch nicht richtig eingesetzt. Sie sind jetzt noch viel besser als Schmaltiere ansprechbar als später im Sommer.
  2. Die meisten Alttiere sind noch hochbeschlagen und auch deshalb gut als solche anzusprechen. Das primäre Ziel der Vorverlegung der Schmalwildjagdzeiten auf den Mai ist die bessere Unterscheidbarkeit zwischen Schmal- und Alttieren. Dies ist ein triftiger Grund, und wenn man aus diesem Grund zur Schmalwildjagd „ja“ sagt, kann man zur Vorverlegung auf den Mai und zum Aussparen der wirklich kritischen Monate Juni/Juli nur schwerlich „nein“ sagen.

In die wieder neu gebildeten Kahlwildrudel ab der zweiten Junihälfte hineinzuschießen, nur um ein Schmaltier oder einen Schmalspießer zu erlegen, sollte tabu sein. Einzeln gehende Schmalspießer und Schmaltiere können erlegt werden – aber aufgepasst: Einzeln ziehendes Schmalwild hält selbst während der vorübergehenden „Waisenzeit“ lockeren Kontakt zum Muttertier. Die Erlegung der Söhne und Töchter vom Vorjahr wird vermutlich vom Alttier nicht unbemerkt bleiben.

Bei kleinen Schmalwildrudeln, „die einander zum Trösten gefunden haben“ ist der Kontakt zu den Muttertieren vermutlich etwas lockerer und deren Bejagung daher mit weniger Stress verbunden. Bei solch einer unerfahrenen „Jugendgang“ kann so-gar eine Schmalwilddoublette oder gar -triplette gelingen.In manchen Regionen sieht man während der „Waisenzeit“ regelmäßig Spießer oder auch Schmaltiere in den Basthirschrudeln. Auch hier empfiehlt sich eher jagdliche Zurückhaltung beim Herausschießen von Schmalwild aus den Hirschrudeln.

Eine weitere Frage steht dabei oft im Raum: „Schmalspießer im Frühsommer jagen? – Ich kann doch deren Stärke noch gar nicht beurteilen!“ Da wir inzwischen aus zahlreichen Studien wissen, dass kein Zusammenhang zwischen der Stärke der Spieße und der späteren Geweihstärke des alten Hirsches besteht, kann auf das Wahlabschusskriterium Spießlänge getrost verzichtet werden. Zumindest ist dies kein stichhaltiges Argument gegen die Sommerjagd. Wenn wir Spießer primär nach der Körperstärke und Kondition auswählen, tun wir sicherlich einen sinnigen Schritt.

Der Anteil zu erlegender Schmaltiere und Schmalspießer liegt in einem ausgewogenen Rotwildbestand in der Regel um die 20 Prozent des Gesamtabschusses. Es dürfte ab Anfang August (besser ab September) doch wohl möglich sein, diesen Anteil während der regulären Kahlwildjagdmonate mit zu erfüllen. Dabei kann man auch während der Brunft erfolgreich Kahlwild jagen, ohne den Brunftablauf zu stören.

Das langgezogene Haupt eines reifen Alttieres mit deutlicher Wamme (o.). Zum Vergleich: zwei schwache, schussbare Schmaltiere

Wir nehmen übrigens mit fast sieben Monaten Bundes-Rotwildjagdzeit im europäischen Vergleich den Spitzenplatz ein – knapp viereinhalb Monate sind es im europäischen Durchschnitt. Es gibt für die Jagd auf Rotschmalwild kaum Patentrezepte, und jeder Jagdausübungsberechtigte muss für seinen Beritt nach der optimalen Kombination von Möglichkeiten suchen. Immer jedoch sollten das Wild und der Lebensraum primäres Kriterium sein. „In der Kürze liegt die Würze“ darf daher bei einer so sensiblen und störungsanfälligen Wildart das Credo verantwortungsvoller Rotwildbejagung sein.

Frag den Prof.!

Erkennt heimisches Schalenwild Farben, und wie gut äugt es in der Dunkelheit?- Professor Dr. Hans-Dieter Pfannenstiel, Biologe

Im Auge der Säugetiere ist die Netzhaut (Retina) die für die Lichtwahrnehmung zuständige Zellschicht. Dort finden sich zwei unterschiedliche Typen lichtempfindlicher Zellen, die nach ihrer Form als Zäpfchen und Stäbchen bezeichnet werden. In diesen Rezeptoren werden beim Auftreffen von Licht Nervenimpulse erzeugt, die über mehrere miteinander verschaltete Nervenzellen im Sehnerv zum Gehirn geleitet werden. Zapfen sind für Licht bestimmter Wellenlänge empfindlich und deswegen für die Farbwahrnehmung zuständig. Zum Farbensehen reichen prinzipiell zwei unterschiedliche Farbrezeptoren aus.

Diese können aber nur bei einer gewissen Helligkeit Farben unterscheiden. Bei Primaten findet man drei unterschiedliche Zäpfchen-Typen: Gelb-grün-Rezeptoren, Rot-Rezeptoren und Blau-violett-Rezeptoren. Die meisten anderen Säugetiere haben nur Grün- und Blau-Rezeptoren. Das trifft auch auf Hirschartige zu. Sie können also Farben sehen. Allerdings ist die Farbwahrnehmung, vor allem im Rotbereich sicher anders als bei uns Menschen. Sauen besitzen Zäpfchen, die zumindest Blau wahrnehmen können. Ob andere Farben erkannt werden, ist zweifelhaft. Stäbchen können zwar nur hell und dunkel unterscheiden, sind jedoch bis zu 1 000-mal licht-empfindlicher als Zäpfchen. Sie arbeiten also auch in der Dämmerung oder Dunkelheit. In der menschlichen Retina sind etwa 20-mal mehr Stäbchen als Zäpfchen vorhanden. Huftiere besitzen noch wesentlich mehr Stäbchen als Zäpfchen. Ihre Sehfähigkeit ist demnach in der Dämmerung und bei Dunkelheit wesentlich besser.

Bei vielen Säugetier-Arten, wie auch bei Reh- und Rotwild, entwickelt sich nach der Geburt hinter der Netzhaut eine weitere Schicht im Auge, die das einfallende Licht reflektiert. So werden die Fotorezeptoren sowohl beim Eintritt des Lichts ins Auge als auch beim Austritt erregt, was eine Steigerung der Empfindlichkeit bedeutet. Insofern sind jene Arten besonders an das Sehen in der Dämmerung beziehungsweise Dunkelheit angepasst.

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