Tradition aus Suhl

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Doppelbüchsdrilling MV 97 von Merkel:
Klassisch gefertigt, jedoch mit einem ungewöhnlichen Kombi-Element für Sicherung und Umschaltung, stellt sich Merkels MV 97 dem Wettbewerb. Wolfram Osgyan zeigt Stärken und Schwächen des Doppelbüchsdrillings auf.

 

Probeanschlag: Der Doppelbüchsdrilling flutscht ins Gesicht, das Balkenkorn steht mittig und gestrichen in der Klappkimme. Ein zweiter Versuch nach links und noch einer nach rechts manifestieren den ersten Eindruck: Er liegt trotz seiner 3,5 Kilogramm wie eine Flinte. Und wie mit einer Flinte müsste man damit schießen und treffen können. Das Geheimnis enthüllen Schäftung und Balance: Ein sorgsam gepasster Halbbiberschwanz-Vorderschaft mit sauber geschnittener Fischhaut sorgt für sicheren Sitz der Führhand, während der Hinterschaft mit Schweinsrücken, deutscher Backe und wohldimensioniertem Pistolengriff auf die Belange des flüchtigen Schusses ausgerichtet ist. Zudem bleibt die Waffe auf dem ausgestreckten Zeigefinger in der Waage, wenn sie eine Daumenbreite vor dem Scharnierbolzen aufgelegt wird. Das indiziert klassische Büchsenmacherkunst wie auch die Tatsache, dass sämtliche der zahlreichen Schraubenschlitze exakt fluchten, demnach „auf Strich stehen“.

Der zweite, kritische Blick wiederum verrät, dass alle Passflächen von Metall zu Metall und Holz zu Metall so ausgeführt sind, dass selbst in den Ecken oder Rundungen von Scheibe, Muscheln, Greener-Nase, Laufhaken oder Eisen-Vorderschaft nicht der Hauch eines Spaltes sichtbar ist und der durchgehend gleichmäßige Überstand des Holzes bewusst gewählt wurde.

Mit gleicher Akribie sind Reifen und die breite Laufschiene aufgelötet, wurde jene guillochiert und das gesamte Laufbündel brüniert. Da blinkt an den Nähten nichts verräterisch silbern oder blüht gar grau. Lediglich die Front des Laufbündels mit vorstehendem Keil und bündiger Schraube will nicht ganz zum sonstigen Finish passen. Über den Keil hat der Büchsenmacher die Möglichkeit, an der Mündung die Treffpunktlage der fest verlöteten Kugelläufe zueinander bis zu einem gewissen Grad zu regulieren.

Das schlanke Laufbündel aus Krupp-Drei-Ring-Stahl mit seinen gehämmerten Kugelläufen misst 60 Zentimeter und verriegelt saugend eingepasst mittels zweier Laufhaken sowie einer Greener-Nase in der Basküle.

Bei der Qualität des Schaftholzes wurde nicht gespart

Der Systemkasten aus Chrom-Nickel-Stahl wurde liebevoll ausgebogt, muschelliert sowie vielflächig bearbeitet und bietet dem Stichel des Graveurs reiches Betätigungsfeld. Das wurde auch genutzt. Allein die beiden Tierstücke an den Flanken der Basküle wirken etwas schablonenhaft und verlieren somit gegen die umrandenden Laub- und Rankenornamente, Rauten und Rosetten. Alles in allem fällt die Gravur reichhaltig aus und liegt vom Niveau über dem, was sonst unter der Rubrik „Luxus“ angeboten wird. Nicht zuletzt, weil sie auch Laufwurzel, Muscheln, Verschlusshebel, Scheibe, Eisen-Vorderschaft, Schnäpper, Abzugsbügel und sogar Schrauben erfasst. Die gesamte Basküle, der Eisen-Vorderschaft und der Schnäpper sind silberhell nitriert und damit rostgeschützt.

Wie es sich für eine Luxusvariante gehört, wurde auch bei der Qualität des Schaftholzes nicht gespart. Das verwendete weist eine durchgehende Längsmarmorierung und einen seidenmatten Ölschliff auf. Nicht zu diesem Erscheinungsbild will freilich das Pistolengriffkäppchen aus Kunststoff passen. Holz, Stahl oder Büffelhorn würden sicherlich mehr hermachen, doch lässt sich das Retortenerzeugnis ebenso wie der synthetische Schaftabschluss aus „Kunsthorn“ wegschrauben und durch edleres beziehungsweise zweckmäßigeres Material ersetzen.

Viel Fingerspitzengefühl ist gefragt

Um den Schaft abnehmen zu können, müssen aber einige Schrauben gelöst werden. Deren Schlitze sind durchweg so schmal, dass dies mit handelsüblichem Werkzeug nicht möglich ist. Dabei wäre es doch ein Leichtes, anstelle der Schlitzschrauben solche mit Kreuz zu verwenden.

Der geteilte Auszieher kommt dem schnellen Nachladen sehr entgegen, schiebt er doch die linke Kugelpatrone und die Schrotpatrone weiter heraus.

Bei nahezu allen Drillingen werden Umschaltung und Sicherung über zwei separate Hebel bedient. Beim MV 97 ist das anders: Sein Kombi-Element auf der Scheibe sieht wie ein normaler Spannschieber mit Entriegelungsknopf aus, arbeitet jedoch im Zwei-Wege-Verfahren. Um die Stangensicherung für die beiden Kugelschlosse aufzuheben, gilt es den Schieber bei gedrücktem Knopf etwa einen knappen Zentimeter bis zum Einrasten nach vorn zu führen. Durch Vorschieben in die zweite Rast wird dagegen das Schrotschloss gespannt und gleichzeitig umgeschaltet. Jetzt bedient der vordere Abzug den Schrotlauf und der hintere den linken Kugellauf. In dieser Position des Schiebers sind alle Schlosse gespannt, und die Abzüge ungesichert. Es ist demnach bei diesem System unmöglich, das Schrotschloss gespannt und gesichert zu führen. Das erweckt fraglos Unbehagen.

Sobald das Laufbündel abgekippt wird, spannt sich jedes abgeschlagene Schloss erneut, wie die Stifte beiderseits des Verschlusshebels signalisieren. Entspannt wird das Schrotschloss durch Knopfdruck. Der Schieber gleitet jetzt zurück in die Feuerstellung für die Kugelschlosse. Zum Sichern muss er dann bei gedrücktem Knopf manuell zurückgeführt werden. Das hört sich kompliziert an, bedarf einer Gewöhnungsphase und schließt Bedienungsfehler nicht aus. Wer demnach Niederwild mit dem Doppelbüchsdrilling nachstellen und dessen Schrotlauf einsetzen möchte, tut gut daran, die beiden Kugelläufe nicht zu laden, den Kombischieber in entsicherte Position zu bringen, unmittelbar vor dem Schrotschuss zu spannen und sofort wieder zu entspannen, wenn er nicht zu Schuss gekommen ist.

Entsichern, Spannen des Schrotschlosses, Entspannen und Sichern benötigen viel Fingerspitzengefühl im Umgang mit dem Knopf, wenn alles ohne verräterische Geräusche über die Bühne gehen soll. Mit klammen Fingern kann ich es mir eigentlich gar nicht vorstellen.

Soll der Doppelbüchsdrilling universell eingesetzt werden, will die Zielfernrohrfrage wohl bedacht sein. Die beste Lösung besteht zweifelsohne aus Drückjagd- und Ansitzglas, mittels Schwenkmontage aufgesetzt und tunlichst gleich im Werk montiert. Das spart nach aller Erfahrung mit verlöteten Laufbündeln Zeit, Ärger und Kosten. Wer sich dagegen mit nur einem Zielfernrohr bescheiden möchte, muss sich darüber im Klaren sein, dass er entweder Abstriche beim Gesichtsfeld oder bei der Vergrößerung respektive Dämmerungsleistung in Kauf nimmt und eventuelle „Nachbesserungen“ teuer bezahlt. So etwas wie eine Sattelmontage mit all ihren Optionen gibt es nämlich für den MV 97 nicht.

Zu hoher Abzugswiderstand

Einer Waffe für’s Hochwildrevier stehen natürlich „waschechte“ Hochwildpatronen am besten zu Gesicht. Zur 20/76 für den Schrotlauf bieten sich demnach die Randpatronen 9,3×74 R, 8×75 RS, 8×57 IRS und .30 R Blaser an. Kleinere Kaliber und randlose Patronen sind dagegen nur ausnahmsweise sinnvoll.

Mehrläufige Waffen von der Stange und Testwaffen haben in der Regel eines gemeinsam: Man muss sie so nehmen, wie sie sind, hat keinen Einfluss auf das Kaliber, nur mehr bescheidenen auf das Äußere und recht eingeschränkten auf die Laborierung.

Ich hätte mir beispielsweise den zur Verfügung gestellten MV 97 mit einer rutschfesten und rückstoßmindernden Gummischaftkappe gewünscht sowie ein universeller einsetzbares Zielfernrohr als das 1,25–4 x 24 ZM von Zeiss und anstelle des 16-g-KS in der 9,3×74 R hätte ich das 18,5- g-TMR oder das 14,6-g-DK favorisiert. Vor allem aber wäre mir wichtig gewesen, dass die Waffe mit einem Flintenlaufgeschoss entweder über die offene Visierung oder über das Zielfernrohr so eingeschossen ist, dass sich Haltepunktänderungen erübrigen. Selbstverständlich hätte ich auch erwartet, dass die Original-Einschießmunition mitgeliefert wird. Die jedoch war nach Auskunft des Herstellers zur Neige gegangen, so dass auf ein anderes Fertigungslos ausgewichen werden musste.

Die Suche nach einem geeigneten Flintenlaufgeschoss wiederum erhielt allein der Tester aufgebürdet. Unter diesen Vorzeichen lag es nahe, den Doppelbüchsdrilling erst mal auf gute Schrotschussdistanz (35 Meter) anzuschießen. So wie sich’s gehört zuerst den rechten, unmittelbar darauf den linken Lauf und danach den Schrotlauf mit FLG. Laden, anschlagen, entsichern, visieren. Die Stachelspitze des Diavari-Absehens steht im kleinen Kreis der WuH-Anschussscheibe. Der Zeigefinger legt sich an den vorderen Abzug, übt Druck aus. Nichts tut sich. Ein Blick auf die Sicherung zeigt den roten Punkt. Also doch nicht gesichert! Ein zweiter Anlauf. Druck, gesteigerter Druck, noch mehr Druck… Ganz überraschend bricht der Schuss. Auch beim hinteren Züngel hat man das Gefühl, während des Abziehens mit dem Zeigefinger eine Mauer einreißen zu müssen (Interessanterweise machen sich hohe Abdrücke beim Schießen in der Bewegung nicht bemerkbar, fördern jedoch mit Sicherheit das Verreißen). Die später eingesetzte Abzugswaage bestätigt den Verdacht entschieden zu hoher Abzugswiderstände: 3,3 Kilogramm misst der vordere, 3,0 Kilogramm der hintere. Das ist zum einen der Tribut an die Blitzschlosse und zum anderen wohl auch der Obolus für sichere Rasteintritte. Nur gut, dass wenigstens der vordere Abzug über einen Rückstecher verfügt. Vor diesem Hintergrund dürften jetzt wohl nur derbfäustige Zeitgenossen, Puristen oder Prinzipienreiter über die Berechtigung des Stechers noch diskutieren wollen.

Die Suhler verstehen ihr Handwerk

Die beiden Kugeln sitzen einigermaßen mittig, das nachgeschickte Flintenlaufgeschoss dagegen boxt den Karton ein gutes Stück weg. Kein Wunder, bei einem Bodentreffer sechs Uhr und 15 Zentimeter vom Haltepunkt entfernt. Über die offene Visierung beschossen, bleibt dagegen die Schachtel, wo sie ist. Das kreisrunde Einschussloch findet sich über dem „W“ des WuH-Logos und damit 13 Zentimeter zu hoch. Das ist, mit Verlaub, indiskutabel. Es mag ja sein, dass es ein Fabrikat gibt, mit dem man in den bierfilzgroßen Außenkreis der WuH-Scheibe treffen kann, und vielleicht findet sich sogar eines nach nicht allzu vielen Anläufen. Billig freilich wird die Angelegenheit bei einem Preis von zirka sechs Euro für den Fünferpack nicht, und was soll mit den restlichen angebrochenen Packungen im Kaliber 20/76 geschehen, deren Schussleistung nicht befriedigte?

Das Beispiel zeigt doch, wie wichtig es ist, dass der Hersteller generell die Waffe mit einem für den Kunden zugänglichen FLG über die offene Visierung (auf Wunsch über das Zielfernrohr) gemäß der Langenhagener Norm einschießt und auf das Fabrikat hinweist. Und für den Erwerber dürfte es allemal besser sein, wenn er weiß, dass sein Schrotlauf ein bestimmtes Flintenlaufgeschoss verdaut als wenn er hinterher feststellen muss, dass er es nicht tut, dass er mit dem dicken Batzen nur die Luft bleihaltiger macht oder – noch schlimmer – bei sauberem Abkommen Wild anbleit.

Die beiden Kugelläufe, im Fünf-Sekunden-Takt auf 115 Meter geschossen, erbrachten übrigens nach einer angemessenen Wartezeit für das zweite Schusspärchen den exzellenten Streukreisdurchmesser von vier Zentimetern bei vier Schüssen. Das beweist einmal mehr, dass die Suhler ihr Handwerk verstehen und eigentlich auch die Sache mit den FLG auf die Reihe kriegen sollten. Dass die vier Kilogramm Gewicht bei aufgesetztem Drückjagdzielfernrohr keineswegs zu hoch siedeln, zeigt sich beim sitzend aufgelegten Schießen mit der 9,3×74 R, denn es kommt immer noch zu viel zurück an die Schulter, um das Prädikat „butterweich“ zu vergeben (Diesbezüglich würde die 8×57 IRS sicherlich Pluspunkte sammeln).

Dass es mit dem Doppelbüchsdrilling möglich war, einen Schwung Rollhasen und leichtere Skeettauben zu treffen, sagt eigentlich mehr als genug über die Schussleistung des Schrotlaufes aus. Somit erübrigte sich das doch mühselige Auszählen der Einschläge auf der Anschussscheibe.

Bei den Abzügen besteht eindeutig Bedarf zur Nacharbeit

Mit Preisen von 6 145 Euro für die Standard- und 7 305 Euro für die Luxusausführung (3/2003) liegt der MV 97 im Mittelfeld der DB-Drillingsklasse und hebt sich durch seine Verarbeitung wohltuend von anderen Fabrikaten ab. Ohne Fehl und Tadel ist auch die Schussleistung der Kugelläufe. Die Idee, Sicherung und Umschaltung in einem Kombischieber auf der Scheibe zu vereinigen, überzeugt jedoch nur vordergründig. Billiger macht sie nämlich die ganze Angelegenheit nicht und sicherer erst recht nicht.

Bei den Abzügen aber besteht eindeutig Bedarf zur Nacharbeit. Sollte die Wurzel allen Übels in Beziehung mit dem Kombielement stehen, dann wäre es ein Grund mehr, sich von dieser Lösung zu verabschieden.

 

 

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