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Wildernder Hund tötet Ricke (4): Schadensersatz auch für ungesetzte Kitze

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von Mark G. v. Pückler

I. Die Rechtsgrundlage

„Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“ § 823 Abs. 1 BGB

II. Der Sachverhalt

Am frühen Morgen des 26. März 1999 führte die Hundehalterin H. ihren Labrador in Waldnähe unangeleint spazieren. Der Hund lief in Richtung Wald, spürte eine Ricke auf und hetzte sie gegen einen Gartenzaun. Dort holte er sie ein und bis ihr in die Flanken, so dass sie getötet werden musste. Damit waren auch ihre beiden noch ungesetzten Kitze verloren.

Der Pächter verlangte von der Hundehalterin Schadensersatz für die beiden Kitze in Höhe von 240 DM (je 120 DM pro Kitz). Das Wildbret der Ricke war offenbar noch in vollem Umfang verwertbar, so dass insoweit kein Schaden entstanden war.

Die Hundehalterin lehnte ab. Sie behauptete gar, ihr Hund sei „bei Fuß“ gegangen und habe „gemeinsam mit ihr“ beim Anblick des Rehs „still verharrt“.
Das Gericht musste entscheiden.

III. Das Urteil

Das Gericht gab dem Jagdpächter recht. Es verurteilte die Hundehalterin zur Zahlung von 240 DM zuzüglich vier Prozent Zinsen ab Klageerhebung sowie zur Übernahme der gesamten Gerichtskosten.

Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Hundehalterin durch Fahrlässigkeit das Aneignungsrecht des Jagdpächters verletzt und ihm dadurch einen Schaden in Höhe von 240 DM zugefügt habe.

Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletze, sei dem anderen nach § 823 Abs. 1 BGB zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Zu diesen „sonstigen Rechten“ gehöre auch das Aneignungsrecht des Jagdpächters, da dieses ein selbständiges absolutes Recht sei.

Zwar habe keiner der Beteiligten unmittelbar gesehen, dass der Hund die Ricke gegen den Zaun gehetzt und gebissen habe; dieser Sachverhalt ergebe sich aber aus Indizien, die aufgrund der Angaben der Zeugen nur den Schluss zuließen, dass sich das Geschehen so abgespielt haben müsse.

Die Zeugin X sagte nämlich glaubhaft aus, dass sie kurz zuvor den Hund ohne Leine in Richtung Wald „flitzen“ gesehen hätte. Wenig später hätte sie die Hundehalterin gesehen, wie diese hastig den Weg heruntergeeilt wäre. Etwa fünf Minuten später hätte sie durch das Fenster das Reh gegenüber am Zaun liegen sehen.

Der Zeuge Y erklärte, dass er beim Aus-der Decke-schlagen des Rehs Bisswunden an der Flanke festgestellt hätte. Vor der Keule hätten sich zwei Bisse mit je vier Löchern von den vier Fangzähnen des Hundes in der Decke befunden.

Das Gericht befand, dass sich aus den Angaben der Zeugin X ergebe, dass die Hundehalterin zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht imstande gewesen sei, den Hund zu sich zu rufen oder sonst wirksam zu kontrollieren. Bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte sie den Vorfall vorhersehen und vermeiden können.

Die Höhe des Schadens ergebe sich aus dem Wildbretwert der beiden Kitze, den das Gericht auf je 120 DM schätze. Dabei sei unerheblich, dass die beiden Kitze noch nicht ausgetragen gewesen und nicht unmittelbar durch die Hundebisse, sondern erst durch das Töten der Ricke verendet seien. Denn auch der Tod der Ricke sei auf die unzureichende Beaufsichtigung des Hundes zurückzuführen. Amtsgericht Eutin, Urteil vom 07.01.2000 – 7 C 230/99 –

IV. Anmerkungen

Wieder einmal ein Sachverhalt, der die Unberechenbarkeit und Gefährlichkeit freilaufender Hunde in Feld und Wald beweist. Dabei kann es durchaus so gewesen sein, dass der Hund bisher in keiner Weise wildernd in Erscheinung getreten ist: Eine plötzliche Instinkthandlung, die Witterung oder der Anblick von Wild können den braven Gefährten zum reißenden „Wolf“ machen.

Dabei ist die Gefahr des Reißens von Schalenwild viel geringer als die Gefahr, dass das flüchtende Wild in Panik gegen einen Zaun läuft, sich darin verfängt oder auf einer Straße einen Verkehrsunfall verursacht.

Es entspricht daher ständiger Rechtsprechung, dass der Hundehalter grundsätzlich für alle Schäden haftet, die infolge unzureichender Beaufsichtigung durch seinen Hund verursacht werden; bei Körperschäden (Hund beißt Person) und Sachschäden (Hund beißt fremdes Tier) haftet er selbst dann, wenn ihn bzw. den Hundeführer keine Fahrlässigkeit trifft (§ 833 BGB).

Zu ersetzen ist in der Regel aber nur der Wildbretwert, nicht auch die dadurch entgangene Jagdfreude. Denn im Schadensersatzrecht werden immaterielle Schäden grundsätzlich nicht ersetzt, weil sie keinen Vermögenswert haben.

Wenn also der reife Erntehirsch in den Tod gehetzt wird, erhält der Jagdausübungsberechtigte maximal den Wildbretwert – und auch den nicht, wenn das Wildbret noch voll verwertbar ist, weil dann nämlich gar kein Schaden entstanden ist.

Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung nur in den Fällen, in denen die entgangene Freude kommerzialisiert ist, mithin ein geldwertes und in Geld messbares Gut darstellt, wie das z. B. bei einem unfallbedingten Entzug der Nutzungsmöglichkeit eines Kraftfahrzeugs der Fall ist.

Dass die Jagdfreude inzwischen ebenfalls einen selbständigen wirtschaftlichen Wert darstellt, also „kommmerzialisiert“ ist, beweisen die zahlreichen Jagdreisen sowie – besonders eindrucksvoll – die forstlichen Abschussgebühren, die allein die Jagdfreude abgelten, weil das Wildbret des erlegten Stückes dem Forstamt verbleibt.

War der getötete Hirsch oder Bock nachweislich für die Vergabe eines entgeltlichen Einzelabschusses vorgesehen, so ist Schadensersatz in Höhe des entgangenen Entgelts zu leisten, also mehr als nur der Wildbretwert, weil in diesem Falle ein weitergehender Schaden eingetreten ist.

In allen Bundesländern ist es verboten, einen Hund in einem fremden Jagdbezirk außerhalb einer Einwirkung/unbeaufsichtigt/frei laufen zu lassen (Ordnungswidrigkeit).

Dabei bedeutet unbeaufsichtigt soviel wie außerhalb der Aufsicht, also außer Kontrolle, so dass dieser Tatbestand auch bei anwesender Aufsichtsperson gegeben ist, wenn sich der Hund selbständig gemacht hat oder die Aufsichtsperson sich nicht um ihn kümmert.

Hier kann jeder Anzeige erstatten.

Ein Jagdschutzberechtigter ist darüber hinaus befugt, die Personalien der Person festzustellen (aber keine Festnahme, weil keine Straftat vorliegt, sondern nur eine Ordnungswidrigkeit).

In allen Bundesländern sind Jagdschutzberechtigte ferner befugt, wildernde Hunde zu töten. Das gilt insbesondere für Hunde, die bereits Wild hetzen oder gar reißen, da in diesen Fällen das Wild in akuter Gefahr ist.

Dieses Tötungsrecht besteht auch gegenüber Hunden, die wesentlich wertvoller sind als das bedrohte Wild; denn Jagdschutz ist Schutz des Lebens des Wildes, nicht Schutz eines materiellen Wertes.

Anders als beim Notstand verlangt das Gesetz hier nicht, dass der Wert des getöteten Hundes nicht außer Verhältnis zu dem Wert des geschützten Wildes steht (Landgericht Würzburg, Urteil vom 12.11.1985 – 2 O 571/85 -, WuH 15/1992, S. 40).

Daneben besteht die Möglichkeit, den Hundehalter auf Unterlassung zu verklagen, wenn der Hund in der Vergangenheit schon einmal außerhalb der Einwirkung seiner Aufsichtsperson angetroffen wurde, weil in diesen Fällen die Gefahr weiterer Zuwiderhandlungen in der Zukunft besteht (Amtsgericht Remscheid, Urteil vom 17.09.1987 – 7 C 459/87 -, WuH 3/1988, S. 20).

V. Ergebnis

1. Der Hundehalter haftet für Schäden, die sein Hund durch unzureichende Beaufsichtigung an Wild verursacht.

2. Zu ersetzen ist grundsätzlich nur der Wildbretwert. Findet eine tragende Ricke den Tod, so ist nach obigem Urteil auch der Wert der beiden Kitze (je 120 DM) zu ersetzen.

3. Das Laufen lassen eines Hundes außerhalb einer Einwirkung/unbeaufsichtigt in einem fremden Revier ist eine Ordnungswidrigkeit.

4. Hunde, die Wild hetzen oder reißen, dürfen grundsätzlich im Rahmen des Jagdschutzes getötet werden.

5. Vom Hundehalter kann der Jagdausübungsberechtigte Unterlassung weiterer Störungen verlangen, wenn der Hund bereits in der Vergangenheit ohne ausreichende Aufsicht im Revier angetroffen wurde, so dass auch zukünftig die Gefahr weiterer Beeinträchtigungen besteht.


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