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Der „Kastor“ bricht alle Rekorde

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Stärkster Hirsch Deutschlands:
Noch vor Aufgang der Brunft verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer: „In der Nähe von Hamburg wurde der stärkste Hirsch Deutschlands erlegt!“ Gert G. von Harling ließ alles stehen und liegen, besuchte den Erleger und präsentiert exklusiv für WILD UND HUND alle Fakten und Hintergründe.

 

Kapitale Trophäe mit stolzem erleger oder die Krönung eines Jägerlebens: Volker Manke mit der Krone des „Kastor“

Von Gert G. von Harling

Donnerstag, 8. August. Mitten in der Nacht klingelt das Telefon. Schlaftrunken rappele ich mich auf und nehme den Hörer ab. Doch als ich die unglaubliche Nachricht vom anderen Ende der Leitung vernehme, denke ich, dass ich immer noch träume: Im Eigenjagdbezirk Jersebek Forst, vor den Toren der Millionenstadt Hamburg, wurde um 21.15 Uhr der stärkste Hirsch gestreckt, der seit Menschengedenken in Deutschland seine Fährte zog: Der Kastor!

Schlagartig bin ich hellwach, und trotzdem dauert es noch einige Minuten, bis ich mich so richtig gefangen habe. „Der stärkste Hirsch Deutschlands! 16 Kilo Geweihgewicht! Ausgerechnet im jagdrechtlich so gebeutelten Schleswig-Holstein! Ein solcher Hirsch im Dunstkreis der Elbe-Metropole!“ Tausende von Gedanken schießen mir durch den Kopf, und als ich mich wieder ins Bett begebe, steht schon fest: Ich muss da hin, ich muss diesen Hirsch sehen, ich muss mit Volker Manke, dem glücklichen Erleger, sprechen.

Wenige Tage später stehe ich bei Volker Manke vor der geradezu unglaublichen Trophäe des „Kastor“. Ich stehe angesichts dieses gigantischen Tieres einfach ehrfürchtig da, für andere Gefühle ist kein Platz. Der „Gigant“ – 1982 gerade mal siebenjährig im Duvenstedter Brook verludert gefunden und mit 254 Punkten bewertet –, über den ich damals unter der Überschrift „Weltklassehirsch am Stadtrand von Hamburg“ in WILD UND HUND berichtete, nimmt sich fast wie ein Zwerg gegenüber diesem Hirsch aus.

Er kam jedes Jahr im November

„Was haben Sie gefühlt“, frage ich Volker Manke. Mit verhaltenem Stolz entgegnet er: „Es ist wie bei einem Sportler, man braucht Zeit, um sich des Glückes bewusst zu werden.“ Er hat die Eigenjagd seit 15 Jahren gepachtet und schon einige Erfahrungen mit Hirschen aller Alters- und Stärkeklassen gemacht.

„Vor acht Jahren schoss ich meinen ersten Rothirsch“, erzählt Manke, „er war vom zweiten Kopf. Vor vier Jahren hatte ich das große Glück, den „Binsenhirsch“ erlegen zu können. Er war vom 11. Kopf und wurde mit 239 Punkten bewertet.“

Doch ein anderer Hirsch hatte es ihm besonders angetan: Der Kastor. Und wenn er über ihn spricht, leuchten seine Augen: „Ich kenne ihn nun schon seit fünf Jahren. Er kam jedes Jahr im November, also nach der Brunft, aus dem Duvenstedter Brook und zog stets zwischen dem 8. und 12. August wieder dorthin zurück. Dort war er während der Brunft Platzhirsch.“

„Und in diesem Jahr?“, hake ich ein. „Ja, in diesem Jahr“, ergänzt Volker Manke, „da fieberte ich wochenlang dem 1. August entgegen, zumal der Hirsch bereits am 8. Juli gefegt hatte. Mehrfach hatte ich ihn vorher mit sechs oder sieben schwächeren Hirschen beobachtet. Seit er gefegt hatte zog er aber allein.“

Große Gefühle

Am 8. August war es soweit: Volker Manke fuhr hinaus ins Revier, um nicht irgendeinen, sondern den Kastor zu jagen. Und so schildert er mir die entscheidenden Minuten: „Ich pirschte im lichten, mit Farnkraut unterstandenen Kiefern-Fichten-Stangenholz. Da hörte ich plötzlich einen Hirsch in der Dickung schlagen, offensichtlich zeigte er bereits Brunftverhalten. Das Wetter war gut, es herrschte konstanter Ostwind, der bei uns stets hilfreich für die Jagd ist. Ich pirschte also auf die Geräusche zu. Und dann stand er plötzlich vor mir: Der Kastor. Ein unvergesslicher Anblick. Das war er, der König der Wälder. Doch es musste jetzt schnell gehen. Der Hirsch stand auf kanpp 80 Gänge und hatte mich noch nicht mitbekommen. Also strich ich an einer Fichte an und schoss. Wie vom Blitz getroffen brach der Hirsch im Feuer meines Bergstutzens (9,3x74R, Teilmantelgeschoss) zusammen. Sie glauben gar nicht, welche Gefühle einen da durchströmen.“

Vier Tage nach der Erlegung wog das abgekochte Haupt immer noch 16,4 Kilogramm, der aufgebrochene Hirsch brachte mit Haupt 230 Kilogramm auf die Waage.

Hauptdarsteller in jedem guten Heimatfilm

„Ohne Fritz Tietgen wäre die Sache gewiss anders verlaufen“, fügt Volker Manke hinzu. Fragend schaue ich den passionierten Jäger ob seiner bescheidenen Einschränkung an. „Doch, doch“, sagt Manke, „Fritz Tietgen ist quasi mit den Hirschen groß geworden und betreut seit gut 40 Jahren die Eigenjagd Jersebek. Er kennt jeden Hirsch, und ihm gebührt ein großer Anteil an dieser Erlegung.“

Also mache ich mich auf, um Fritz Tietgen, den Landwirt aus Jersebek zu besuchen. Bevor er und seine Frau Maria mich in ihr Wohnzimmer bitten, um über Rotwild zu klönen, zeigt mir der begeisterte Motorradfahrer, der mit seinem weißen Rauschebart bestens als Hauptdarsteller in jedem guten Heimatfilm den typischen Jäger verkörpern könnte, seine Motorräder. „Diese Maschine, eine alte Heckler, ist genauso alt wie ich, 73 Jahre“, erklärt mir der sportliche Jagdaufseher, dessen Alter ich zehn Jahre jünger geschätzt hatte.

Und dann sitzen wir zusammen mit seinen zwei Hunden in der guten Stube, und ich frage die beiden über das Revier, nein über ihr Revier aus, in dem in so kurzer Zeit bereits der zweite hochkapitale Hirsch gefallen ist.

Im Notfall einmal die Arbeit zurückstellen

„In zwei Tagen wäre er wieder fort gewesen“, sinniert Fritz Tietgen, „wir haben immer nur höchstens zehn Tage Zeit, dann ziehen die Hirsche zurück in das Brook. Und der Kastor war seit fünf Jahren immer der Erste, der uns verließ“, fährt er fort. „Er hatte bereits am 19. Januar abgeworfen.“ Und allein schon diese Abwürfe ließen die Erwartungen für das Folgejahr in die Höhe schnellen, denn sie wurden mit über 250 Punkten bewertet.

Mein Blick fällt auf das Geweih eines gewaltigen Damschauflers an der Wand. Fritz Tietgen deutet meine neugierigen Blicke richtig und erklärt: „Mit dem Damwild verhält es sich genauso: Die Hirsche kommen, das Kahlwild bleibt im Brook, wir haben hier keine Brunftplätze. Tiere haben wir nur selten zu Besuch.“

Und dann erzählt mir der alte Jäger mehr über sein Revier: Viel Mischwald, zahlreiche gute Suhlen, über fünf Prozent der Gesamtfläche der Hegegemeinschaft sind Wildäcker, das Wald-Feld-Verhältnis ist 50:50, und da es sich im Privatbesitz befindet, Eigentümer ist die Familie Bethmann-Hollweg, können die Wege mitunter gesperrt werden. „Auch mit den Landwirten pflegen wir ein gutes Einvernehmen, sie stellen sogar im Notfall die Arbeit einmal zurück“, freut sich Tietgen. Der Schwarzwildbestand ist gut, schwankt aber, die Schäden halten sich in Grenzen. Und Niederwild? „Wir schießen im Jahr 25 bis 30 Hasen, Hühner und Fasanen sind knapp“, ergänzt Tietgen.

Doch dann kommt der Jagdaufseher wieder auf „seinen“ Hirsch zu sprechen: „Der Kastor stand im letzten Jahr in einem riesigen Rapsschlag. Regelmäßig war er auch am Tage zu beobachten. Er war sehr vertraut, ja fast dickfellig. In diesem Jahr war er aber recht unstet und zog viel umher. Er war lange nicht so standorttreu wie im vergangenen Jahr, sondern man konnte ihn im ganzen Revier mal hier, mal dort beobachten. Wir waren uns überhaupt nicht sicher, ihn in der kurzen, uns zur Verfügung stehenden Zeit, erlegen zu können.“

Gefährliches Hirschleben

„Stand denn schon lange fest, dass der Hirsch dieses Jahr erlegt werden sollte?“, frage ich, und Fritz Tietgen schmunzelt: „Wir haben lange überlegt, ob wir den Kastor noch älter werden lassen sollten, doch er hätte ebensogut zurücksetzen können. Jedes Jahr vor Aufgang der Rothirschjagd besprechen wir im großen Kreis die Abwürfe, und diskutieren, wo sie stehen und vieles mehr“, fährt Tietgen fort und erzählt auch, wie sich der Kastor entwickelt hat. „Bis vor vier Jahren war der Kastor ja noch Beihirsch vom Binsen-hirsch, doch mehr und mehr stellte sich heraus, dass da ein ganz Besonderer heranwächst.“

„Aber trotzdem ist der Hirsch erst vom 10. Kopf“, hake ich nach. „Richtig“, entgegnet Fritz Tietgen, „aber nach der Brunft sieht man selten Hirsche mit heilen Stangen, meistens sind sie abgekämpft. Da sehen Sie schon, wie gefährlich die Hirsche hier leben. Früher wurden die Kapitalen erst ab dem 13. Kopf bejagt, seit ungefähr zehn Jahren ist das Zielalter auf den 10. Kopf herabgesetzt. Mit ein Grund hierfür waren die vielen Verluste bei alten Hirschen, die im Oktober/November abgebrunftet ihre Brunfteinstände verließen und geforkelt wurden oder dem Straßenverkehr zum Opfer fielen.“

Die Sternbilder aus dem Zwilling

„Treibende Kraft für diese Regelung war der damalige Revierleiter des Duvenstedter Brooks, Revierförster Hans-Jürgen Unger, der kann Ihnen viel mehr erzählen als ich“, ermuntert mich mein Gegenüber. Außerdem war Unger es, der diesem Hirsch seinen Namen gab, bei dem wohl jeder zuerst an Atom-Transporte denkt.

Logisch, dass ich ihn zuerst auf disesen Namen anspreche. Doch der erfahrene Rotwildkenner, der von 1974 bis 2000 über das zwar kleine, aber qualitätsmäßig stärkste Rotwildvorkommen Deutschlands wachte, winkt lachend ab: „Oh nein, mit Atom-Transporten hat das überhaupt nichts zu tun.“ „Sondern?“, hake ich nach, und Unger fährt fort: „1992 hatten wir vier sehr ähnliche, gleichstarke Hirschkälber, und das regte mich an, sie unter anderem nach den Sternbildern aus dem Zwilling zu benennen: Kastor und Pollux. Zwei von ihnen leben noch, sind aber mit Abstand nicht so stark wie Kastor.

„Worin liegt das Geheimnis, dass die Hirsche hier so stark sind?“, frage ich auch den Rotwildspezialisten. „Es gibt viele Faktoren. Unsere Wunschdichte sind 70 bis 80 Stück Winterbestand auf 10 000 Hektar. Wichtig ist Ruhe. Dafür, dass das Wild auch am Tag aktiv sein kann, sorgen schon die vielen Mücken bei uns, die viele Menschen abschrecken, in die Einstandsgebiete einzudringen. Außerdem wird dem Wild durch die abwechslungsreichen Weichholzbestände das ganze Jahr hindurch reichhaltige Äsung geboten. In den 60er Jahren haben wir sogar noch gefüttert, natürlich ist das heute nicht mehr nötig, aber schon die Versuche im Gatter Schneeberg haben ja bewiesen, dass man mit guter Äsung, egal ob Naturäsung oder künstlicher Fütterung, starke Hirsche bekommen kann.“

Aber „Kastor“ ist doch trotzdem eine unglaubliche Ausnahme, oder?“, lenke ich das Gespräch auf den Grund meines Besuches, den von Unger am 10. August mit vorsichtigen 270 Internationalen Punkten vermessenen Kapitalhirsch, zurück. „Richtig“, entgegenet Unger, „Kastor hatte in seiner gesamten Geweihentwicklung eine stetige Aufwärtsentwicklung, keinen Stillstand oder Rückgang. Der Sprung vom 9. zum 10. Kopf war gewaltig, eventuell hätte er im nächsten Jahr noch zugelegt. Aber wer will das beurteilen?“

Egal, von welcher Seite man die Trophäe des Kastor betrachtet – dieser außergewöhnliche Kapitalhirsch zieht jeden Betrachter in seinen Bann

 

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