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Geweiht, gekrönt, verfemt

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Der Rothirsch zwischen Kult und Kontroverse:
Hubertustag und Rothirschbilder gehören zusammen. Henry Makowski lädt ein zur Spurensuche für eine geradezu „unendliche“ Geschichte in ihrer Verbindung Wildtier-Mensch, die in unserem Kulturkreis einzigartig ist.

 

Welche Faszination muss eigentlich von einem starken Rothirsch ausgehen, wenn ihr schon die Menschen der Vorzeit erlagen? Als im Jahre 1940 drei im Gelände herumstromernde Schüler in der französischen Dordogne sich in ein Erdloch herabließen, standen sie ungläubig vor Bildern mit Hirschen, Auerochsen, Wisenten und Wildpferden. Diese Höhle, zunächst sorgfältig vor der Öffentlichkeit geheimgehalten, wurde später zur „Sixtinischen Kapelle der Eiszeit“ erklärt. Diese Bilder sind, so die Farbproben von den Wänden, vor rund 17 000 Jahren auf die Felswände eines weitverzweigten Höhlenlabyrinths gemalt worden. Es waren frühe Jäger-Künstler, die sich hier verewigt hatten und so kam auch bald die Meinung auf, hier würde es sich um einen Jagdkult handeln: Die Wildtiere sollten in den Bildern gebannt werden. So würden sie zu einer sicheren Beute für die Jäger.

Doch diese einleuchtende Erklärung ließ sich nur für einige Jahrzehnte halten. Heute, nachdem viele neue Bilder gefunden und näher untersucht wurden, sind die Wissenschaftler der Auffassung, hinter diesen Bildern steht eine magisch ausgeweitete Welt mit verschlüsselten Botschaften, die uns nicht zugänglich sind, über die wir nur spekulieren können. Die Ethnologin Evelyn Lot-Falks sieht es so: „Man bezahlte das Recht zu töten mit einem ,Jagdschein‘, der in diesem Fall von höheren Mächten ausgestellt ist“.

Geheimnisumwittertes Naturphänomen

Einig ist man sich darüber, dass diese Höhlen als heilige Orte mit Kulthandlungen anzusehen sind. An den Höhlenwänden von Lascaux sind Hirsche 85-mal dargestellt. Die Geweihe in ihrer bizarren Ausformung zeigen an, dass es sich hier um „magische“ Hirsche handelt. Ein Hinweis darauf, dass dem starken Geweih schon immer eine ganz besondere Bedeutung zukam. Es wird meistens vergessen, dass in der Steinzeit nicht nur die Bearbeitung von Feuerstein und anderen Gesteinsarten die Kulturstufe des frühen Menschen prägte, ebenso überlebenswichtig war die Verwendung des Hirschgeweihs für Speerspitzen und zu vielen anderen Wirtschaftsgeräten. Wir können davon ausgehen, dass die Jäger-Künstler ihre Hirsche auch damals schon darauf ansprachen, was sie „auf“ hatten.

Ihrer Beobachtung war auch nicht entgangen, dass die Hirsche zu einer bestimmten Zeit ihren Kopfschmuck abwarfen und in einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum ein neues Geweih schoben. Dieses geheimnisumwitterte Naturphänomen muss den Menschen schon in sehr frühen Epochen beschäftigt haben. Spuren dafür finden sich in nahezu allen Kulturräumen, in denen Hirsche vorkamen.

Das Schieben und Abwerfen des Geweihs wurde zum Symbol der sich regelmäßig erneuernden Natur, des Wiedererwachens und schließlich in den östlichen und christlichen Glaubensvorstellungen zum Zeichen der Wiedergeburt. In Kirchen, Kapellen, Klöstern und mittelalterlichen Repräsentationsbauten finden sich immer wieder Hängeleuchter mit Heiligenfiguren, die von starken Geweihstangen eingerahmt sind. In der christlichen Kunst verkörpern diese Umrahmungen eine Art Aureole, ein Lichtschein, der die Gestalt der Heiligen umgibt.

Doch nicht nur dem Geweih kam in der christlichen Ikonographie (der Beschreibung, Form- und Inhaltsdeutung von Bildmotiven) eine besondere Bedeutung zu, sie wurde auch auf das ganze Tier übertragen. Der Hirsch selbst wurde zum Symbol der Verheißung, der Wiederauferstehung. Berühmte Künstler, wie Albrecht Dürer und Lukas Cranach, setzten daher den Hirsch zu Bildern von Adam und Eva, als ein Gegengewicht zur Schlange, der Erbsünde.

Seinen festen Platz als Gefährte in göttlichen Welten bekam der Hirsch durch seine Erwähnung im Psalm 42 des Alten Testaments (recht unwaidmännisch beobachtet): „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so schreit, Gott, meine Seele zu Dir“. Hier wird auf eine uralte Vorstellung angespielt, der Hirsch ziehe mit seinem Atem giftige Schlangen aus der Erde und nehme sie auf, ohne Schaden zu erleiden, da er dazu Wasser aus der mythischen Lebensquelle trinke.

Vom Symbol in der Religion zum Abbild der Macht

Das Motiv des schöpfenden Hirsches taucht immer wieder in alten Buchillustrationen auf. Zu den kostbarsten Schätzen der Kunstgeschichte gehören Miniaturen in den Stundenbüchern des französischen Herzogs von Berry. Die Anfertigung dieser Bildergeschichten hatten ihre Blütezeit im 15. Jahrhundert. Diese Gebetsbücher sollten den Tages- und Jahresablauf ihrer adligen Besitzer im Geiste eines christlichen Lebens regeln mit Andachten und religiöser Einkehr. Vermögen und Neigung ihrer Besitzer spiegeln sich in den Stundenbüchern wider. Und da die Jagd in jenen Zeiten Teil des gesellschaftlichen Lebens war, zeigen diese Miniaturen nicht nur die bildliche Umsetzung religiöser Glaubensvorstellungen, sie sind für uns heute Dokumente einer zeitgenössischen Jagdkultur.

Vom Symbol in der Religion zum Abbild der Macht, auch dafür liefert die Geschichte um den Rothirsch eine Fülle von Zeugnissen. Konzentriert sind diese zu finden in zwei großen Kulturabschnitten unserer Geschichte, in der Renaissance und im Barock. Sie repräsentieren, verkürzt ausgedrückt, den Wandel von der Macht der Kirche, der Religion, zur Feudalherrschaft der Fürsten, gegeben von Gottes Gnaden, gebunden an Geburt und Besitz. In nahezu allen Bereichen der Kunst und des Kunsthandwerkes kam dieses zum Ausdruck, denn die reichen Auftraggeber sparten nicht an Aufträgen zur eigenen Selbstdarstellung.

Hirsche inspirierten dabei Maler, Goldschmiede, Teppichwirker und Bildschnitzer zu künstlerischen Leistungen mit Erzeugnissen, die heute zu den wertvollsten Schätzen unseres Kultur-Welterbes gehören. Formschöne Hirschgeweihe waren hierfür besonders begehrt und entsprechend wertvoll. Albrecht Dürer und sein Künstlerkollege Pirckheimer sammelten leidenschaftlich Hirschgeweihe. Einige dieser Liebhaberstücke prangten in Edelmetall gefasst an den Wänden ihrer Kunstwerkstätten und wurden mit Stolz vorgezeigt.

Man beschenkte sich gegenseitig mit starken Rothirschtrophäen

Die Künstler praktizierten hier eine Zeitsitte, die besonders in fürstliche Säle von Jagdschlössern und in bürgerliche Rathäuser Eingang gefunden hatte. Die in den Schlössern aufgehängten Hirschgeweihe brauchten durchaus nicht immer vom Herrn des Hauses selbst oder von seiner Jägerei erbeutete Stücke zu sein. Es war unter den Fürstenhäusern üblich, besonders starke oder auch abnorm geformte Geweihe zu verschenken. Auf diese Art sicherte man sich der Gewogenheit einflussreicher Verwandter oder gesellschaftlich höher stehender Personen.

Solcherlei politisch motivierter Freundschaftsbekundungen unter den damals Herrschenden sind in vielen Dokumenten über einen langen Zeitraum vom 16. – 19. Jahrhundert überliefert. Wenn sich August der Starke von Sachsen und der preußische Soldatenkönig Friedrich Wilhelm II. auf Staatsempfängen trafen, tauschten beide als begeisterte Jäger nicht nur ihre jagdlichen Erlebnisse aus, man beschenkte sich gegenseitig mit starken Rothirschtrophäen. Besonders gut dokumentiert ist das Schicksal des legendären Rothirschgeweihes mit 66 Enden. Es stammte aus dem Privatbesitz des Kurfürsten Friedrich II. und fand 1727 im sächsischen Jagdschloss Moritzburg seinen Stammplatz. Nach unbestätigten Hinweisen soll dem Preußenkönig als Gegengeschenk eine Kompanie Soldaten übergeben worden sein.

Mit der Zeit wurden die „Hornsäle“ besonders an den kleinen Fürstenhöfen, die ihren großen Nachbarn an Aufwand und Repräsentation nacheifern wollten, so überfüllt, dass kaum noch Platz für neue Trophäen vorhanden war. Man übergab deshalb leihweise Geweihe an gut betuchte und einflussreiche Bürger. Dies geschah mit der Auflage, an besonderen Festtagen, wenn sich das Fürstenpaar seinen Untertanen mit Gefolge zeigte, die Geweihe an der Giebelfront aufzuhängen und damit, wie heute bei einer Beflaggung, die Verbundenheit zum Herrscherhaus zu bekunden.

Wirksame Blitzableiter

Über diesen Umweg kam das Hirschgeweih stellenweise wieder zu einer besonderen Bedeutung, die aus uralten Vorstellungen des Volksglaubens entstammte. An den Spitzen der mittelalterlichen Giebeldächern angebracht, sollte das Hirschgeweih vor dem Blitzeinschlag schützen. Bereits seit 1522 sind von einigen Ziergiebeln des Turmes der Wiener Stephanskirche Hirschgeweihe überliefert. Anlass waren wiederholte Blitzeinschläge in den Turm.

Daraufhin besannen sich Rat und Bürgermeister von Wien der alten Überlieferung über die Bedeutung der Hirschstangen und ordneten an, möglichst vielendige Geweihe von Rothirschen zu besorgen und „wider das Einschlagen des Donners“ anzubringen. Erst 1840 verschwanden bei Umbauarbeiten am Turm die einfachen, doch nach Meinung der Domherren, wirksamen Blitzableiter.

Beiprogramm wichtiger politischer Gipfeltreffen

Dem Abbau von politischen Spannungen, so ist es bis in unsere jüngste Vergangenheit zu verfolgen, dienten immer wieder die Jagden auf den Rothirsch. Die in der Kunstgeschichte berühmteste überlieferte Jagd mit politischem Hintergrund ist von dem Wittenberger Maler Lukas Cranach dem Jüngeren aus dem Jahr 1544 überliefert. Cranach schildert eine Massendrückjagd, wie sie zu seiner Zeit als Beiprogramm wichtiger politischer Gipfeltreffen als Repräsentationsveranstaltungen von den Gastgebern durchgeführt wurde. Treiber haben ihre Hunde auf die seit Tagen, manchmal sogar Wochen, zusammengetriebenen Hirschrudel gehetzt. Die hochkapitalen Hirsche sind getrennt vom Kahlwild in einen künstlich angestauten See gedrückt worden. Nun können sie von den Staatsgästen, die mit ihrem Gefolge am Uferrand postiert sind, beschossen und erlegt werden.

Diese Jagd war arrangiert worden, um Kaiser Karl V. mit dem Kurfürsten Friedrich dem Großmütigen zusammenzubringen. Als Kurfürst von Sachsen war Friedrich Untertan des Kaisers, als protestantischer Landesherr war er Gegner des katholischen Monarchen. Während des Reichstages bei Speyer waren die adligen Herren zusammen auf die Jagd gegangen, doch die im Bild dargestellte Jagd hat es in Wirklichkeit nie gegeben.

Rothirsche waren an den Rand der Ausrottung gedrängt worden

Das Gemälde ist das Dokument einer Illusion. Es illustriert den Wunschtraum von Cranachs kurfürstlichem Auftraggeber. Dieser hoffte, der hochpolitische Zwist zwischen den Protestanten und dem katholischen Kaiser sei beizulegen. Ein wichtiges versöhnendes Medium sollte nach seiner Meinung daher die Hofjagd auf die Hirsche sein.

Die Hoffnung trog, wie die Geschichte zeigt. Was geblieben ist, sind die vielen Bilder mit Hirschen, die der Malerclan der Cranachs der Kunstwelt hinterlassen hat. Wie kein anderer Künstler zuvor sind die Cranachs auf die Jagdpassion ihrer Auftraggeber eingegangen. Ein Chronist berichtet über Lukas Cranach den Älteren: „Sooft die Fürsten Dich mit zur Jagd nehmen, führst Du eine Tafel mit Dir, auf der Du inmitten der Jagd darstellst, wie Friedrich einen Hirsch aufspürst“ und weiter: „Denn das fertige Bild gewährt dem Fürsten kein geringeres Vergnügen als die Jagd selbst.“

Dreihundert Jahre später hatten die Künstler kaum noch Gelegenheit, Studien an lebenden Hirschen zu machen. Die Rothirsche waren – und das ist heute nahezu vergessen – in den deutschsprachigen Ländern an den Rand der Ausrottung gedrängt. Die Revolution von 1848 hatte mit der Auflösung der alten Jagdregale und Privilegien zusammen mit der Verkoppelung, der Neuordnung der Fluren und der Wälder, zu einem nahezu totalen Zusammenbruch der Rothirschbestände geführt. Der Rothirsch wurde in unserer Landschaft zu einer besonders bedrohten Tierart. Nur inselartig hatten kleine Rotwildgruppen die Auswirkungen der Revolution überlebt. Es dauerte Jahre, bis nach dem Erlass neuer gesetzlicher Vorschriften geordnete Verhältnisse in den Wildbahnen eintraten.

Geschichte hat gegenwärtig in den Medien Hochkonjunktur

Ein Dokument aus dieser Zeit ist ein Bild des Münchner Landschafts- und Genremalers Heinrich Bürkel. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war er ein vielbeschäftigter und berühmter Künstler, dessen Bilder auch außerhalb Deutschlands Anerkennung fanden. Im Jahre 1862 malte er eine Gruppe einheimischer Jäger, die nach erfolgreicher Gemeinschaftsjagd ihr Schüsseltreiben vor einer Almhütte abhält. Dieses Bild fand beim Publikum einen so großen Anklang, dass es der Maler gleich mehrfach in verschiedenen Variationen wiederholte und gut verkaufte.

Geschichte hat gegenwärtig in den Medien Hochkonjunktur, besonders, wenn es um die eigene der letzten hundert Jahre geht. Doch wer nach den Wurzeln sucht, als noch Jagd und Naturschutz zusammengingen im gemeinsamen Bemühen, Wildtieren ein Überleben zu sichern, stößt auf weiße Flecken. Haben die Buchautoren und Ausstellungsmacher, die sich mit der historischen Entwicklung des Naturschutzes beschäftigen, dieses wichtige Thema verdrängt, nicht gesehen oder nur schlicht vergessen?

Die offizielle Chronik des Naturschutzes, gesehen in seiner gesetzlich verankerten Wirkung, wird gerade erst hundert Jahre alt. Die Bestrebungen zur Erhaltung von Großtieren gefasst in Vorschriften ist jedoch wesentlich älter. Sie beginnen bereits ein Jahrtausend früher als gekrönte Häupter, jagdbegeistert bis zur Passion, ihr Gewicht als Herrscher einsetzten zum Erlass der entsprechenden Edikte. Dies zum Nutzen ihrer eigenen Küchen, zur Sicherung des eigenen Vergnügens und als Gunstbeweis an Getreue. Letzteres war besonders wichtig, denn Belehnungen mit Jagdrechten waren Lohn für die Unterstützung bei Landeroberungen, kriegerischen Auseinandersetzungen. Der Abschuss von Rothirschen konnte immer von den Beliehenen als besondere Auszeichnung angesehen werden. Eine Sitte, die sich bis in unsere Zeit erhalten hat.

Zu allen Zeiten profitierte der Rothirsch

Bei der Ausweisung von Schutzgebieten spielte schon früher (wie auch heute) die Frage der Größe eine Schlüsselrolle. Diese ließ sich bei Karl dem Großen und seinen Nachfolgern ziemlich leicht lösen. Sie erklärten einige der größten Waldkomplexe zu Bannwäldern. Ohne größere Auseinandersetzungen gelang dies in den neueroberten Ostgebieten, wie in Sachsen. Viele Historiker sind der Meinung – und diese ist zu teilen – ohne diese Bannlegungen hätten keine der heute noch vorhandenen großen Waldgebiete bis in unsere Tage überlebt.

Von dieser Entwicklung profitierte zu allen Zeiten das wichtigste Großtier unserer Wälder, der Rothirsch. Deshalb fehlen auf nahezu keinem Dokument jener Zeit Hinweise auf diese Tierart. Lesen zu können war zu allen Zeiten mit Mühen verbunden. Dies ist einer der Gründe weshalb wichtigen Veröffentlichungen, die für alle Schichten des Volkes bestimmt waren, bildliche Erläuterungen beigegeben wurden. Dafür sorgten in der Regel einfache Umrisszeichnungen. Diese mit einem Sinngehalt, den jedermann verstand.

„Oberster Jägermeister des Heiligen Römischen Reiches“

Ein Beispiel ist dafür das Rechtsbuch des Mittelalters, der Sachsenspiegel. Der anhaltinische Ritter Eike v. Repkow hat zwischen 1220 und 1225 diesen Codex verfasst. In mühsamer Kleinarbeit hatte er die wichtigsten bisher nur mündlich weitergegebenen Regeln des Land- und Lehnsrechtes zusammengetragen und mit Erläuterungen versehen. In den Bildmotiven haben die Gebärden der Figuren, die Farbe ihrer Kleidung und die Anordnung der Gegenstände jeweils ihre eigene Bedeutung. In Eike v. Repkows Beschreibung der ersten Schutzgebiete unserer Geschichte überragt der Rothirsch die anderen Wildtiere. Damit ist zum Ausdruck gebracht, der Rothirsch steht an erster Stelle. Die drei Laubbäume, es sind Linden, symbolisieren die drei Bannforsten auf die im Text hingewiesen wird. Der Herrscher trägt die nur für ihn bestimmte rote Farbe. Er sitzt auf dem Thron und hat das Zepter in der Hand. Der überlange Zeigefinger der rechten Hand kennzeichnet die Befehlsgebärde mit der er die Festlegung der Bannforsten verfügt hat, Schutzbezirke „in denen der König dem Wild Frieden gewirkt hat“,wie der Verfasser vermerkt.

Zu den wichtigsten frühen Hinweisen zur Einrichtung von Wildreservaten in den Alpenländern gehören die umfangreichen Aufzeichnungen, die Kaiser Maximilian I. im 16. Jahrhundert anfertigen ließ. Er nannte sich selbst „der große Weidmann“ und strebte den Titel eines „Obersten Jägermeisters des Heiligen Römischen Reiches“ an. Wie die Chronisten anmerkten: Er jagte nicht nur „zu seiner Gesundheit und Erholung“, er jagte auch „zum Troste seiner Untertanen“. Diese hatten bei seinen ausgedehnten Jagdreisen die Möglichkeit, ihre Anliegen ihrem Herrscher persönlich vorzutragen. Solcherlei Praktiken erhöhten das Ansehen des Kaisers bei seinem Volk, führten jedoch bei hohen Politikern oft zu allerlei Unannehmlichkeiten. So mussten spanische und venezianische Unterhändler sich mühsam im Juni 1501 durch die Berge bewegen, um den Kaiser in seinem Tiroler Jagdrevier Achenkirch zu treffen. Sie wurden am St. Veitstag, am 15. Juni (!), mit einer großen Hirschjagd entschädigt.

Hirsche wurden zu Zielscheiben

Im Tiroler Jagdbuch lässt der Kaiser 154 Hirschreviere beschreiben. Für die heutigen Jagdgeschichtler ist zu entnehmen, dass zu Zeiten Maximilians ganz Tirol von Rotwild besiedelt war. Vier Jahrhunderte später war es nur auf wenige Reviere nördlich des Inns zusammengedrängt. In den Hegeanordnungen für bestimmte Schutzgebiete verfügte der Kaiser: „Doch bejagt man dieses Jagdrevier selten, denn es ist den Tieren und den anderen Jagdrevieren eine Mutter“. Ihm war auch der Gebrauch der Feuerbüchsen verpönt, weil sie eine solche Überlegenheit des Menschen bedeuteten, die zwangsläufig zu einer Ausrottung des Wildes führen müsse. Hier hatte er besonders das Verschwinden des Steinwildes vor Augen.

Knapp 350 Jahre nach diesen Aufzeichnungen schien das Schicksal des Steinwildes auch für den Rothirsch bestimmt zu sein. In diesen Jahrhunderten war der Hirsch zu einer Art Hassfigur geworden. Er musste hinhalten für alle Bedrückungen, die sich aus den überkommenen Jagdprivilegien ergaben, die besonders die bäuerliche Bevölkerung beschwerten. Mit den Belastungen durch überhöhte Rotwildbestände verbanden sich die Ungerechtigkeiten, die mit den Jagdfrohnden, den Hand- und Spanndiensten für die Dörfler verbunden waren. Hirsche wurden zu Zielscheiben, wenn es darum ging, sich gegen örtliche Missstände aufzulehnen. Das Rotwild sollte ausgerottet werden. Solche Forderungen riefen die ersten frühen Hirschverteidiger auf den Plan, sogar aus den Reihen bekannter geistlicher Schriftsteller. Der Theologe und Mediziner Herrmann Heinrich Frey schrieb über die Hirsche in seinem „Biblisch Thierbuch Therobiblia“ von 1599: „Und die begeren/ das sie gar ausgerottet werden/ die schmehen Gott/ der sie erschaffen hat.“

Jedem stand das Jagdrecht auf eigenen Grund und Boden zu.

Am Ende stand die Französische Revolution mit der Aufhebung aller Jagdprivilegien. Sie fand in Deutschland ihren Scheitelpunkt in den Beschlüssen der Frankfurter Nationalversammlung von 1848. Die Jagd wurde in die Grundrechte des deutschen Volkes aufgenommen, doch bestimmte Artikel 29: „Die Jagdgerechtigkeit auf fremden Grund und Boden, die Jagddienste, Jagdfrohnden und andere Leistungen für Jagdzwecke sind ohne Entschädigung aufgehoben. Jedem steht das Jagdrecht auf eigenen Grund und Boden zu. Der Landesgesetzgebung ist es vorbehalten, zu bestimmen, wie die Ausübung dieses Rechtes aus Gründen der öffentlichen Sicherheit zu ordnen ist“. Dieses „wie zu ordnen“ führte zu einem langen Hin und Her in den einzelnen Bundesstaaten. Opfer dieser Verhältnisse im jagdlichen Interregnum wurde das Rotwild. Wie eine Insel des Friedens in der Zeit gesellschaftlicher Umbrüche mutet daher das Bild des Malers Heinrich Bürkel die „Wildfütterung vor dem Forsthaus“ aus dem Jahre l855 an. Dies zu einer Zeit, als das Rotwild aus unserer Landschaft fast verschwunden war. Rotwild überlebte nur dort, wo es die eingehegten großen Waldflächen gab und sich beherzte Forstleute ihrer annahmen.

Der neue Sympathieträger für Recht und Ordnung in Wald und Flur

Im Gegenzug kamen die Hirsche vertraut bis vor die Försterei. Der Giebel des Forsthauses auf dem Bild Bürkels ist mit einem geschnitzten Hirschkopf versehen und bekrönt mit einem kapitalen Geweih. Ein Markenzeichen, das später typisch für alle Forsthäuser wurde und entscheidend für ein neues Image des Förster-Jägers in unserer Gesellschaft.

Waren in den Feudalzeiten einzelne Wilderer immer wieder zu Volkshelden hochstilisiert worden, die gegen die Willkür der Obrigkeit rebellierten, begann sich zum Ende des Jahrhunderts das Blatt zu wenden. Förstermörder wurden als Verbrecher eingestuft, in etwa vergleichbar mit Terroristen unserer Zeit. Der einst gefürchtete grüne Büttel zur Überwachung der Jagdprivilegien wurde zum Wildhüter. Er wurde zum neuen Sympathieträger für Recht und Ordnung in Wald und Flur. (Damit zum Vorfahren der Ranger, die heute mit der Waffe in der Hand Gorillas, Elefanten und Nashörner verteidigen, unterstützt von weltweiten Spenden.)

Diese Ordnung erhielt ein gesetzlich fundiertes Korsett: Die Bundesstaaten des Kaiserreiches erließen ihre Feld- und Forstschutzgesetze. Eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für den Naturschutz kam 1920 zustande. Die Weimarer Republik hatte zwar in ihrer Verfassung aufgenommen … „Die Denkmäler der Natur sowie der Landschaft genießen den Schutz und die Pflege des Staates“, doch dies erwies sich für die Praxis nur als Papiertiger. Erst als es gelang, den Naturschutz in Preußen im alten Feld- und Forstpolizeigesetz von 1880 zu verankern, war ein erster Durchbruch für wirksame Regelungen zugunsten von Tierarten, die nicht Jagdregelungen unterlagen und zur Einrichtung von Naturschutzgebieten gegeben. Die Regierungspräsidenten konnten mit Errichtung von Naturschutzgebieten jetzt Vorschriften treffen, von denen auch Rotwild profitierte. Sie konnten Wegegebote aussprechen und damit verhindern, dass jedermann die Einstände heimsuchte. Die „Zweckehe“ Jäger-Naturschützer verlief auch zu jenen Zeiten nicht immer ungetrübt. Hermann Löns machte den ersten staatlichen Naturschutz-Sachwaltern 1911 den Vorwurf, sie würden sich nur um die Naturdenkmale als eine Art Museumsexponate in der freien Natur kümmern. Er sah nicht und wusste es auch nicht, dass der Naturschutz in seinen Pioniertagen keinerlei exekutive Macht hatte, seine Ziele durchzusetzen. Der Naturschutz brauchte die Unterstützung von Naturfreunden.

Er bekam sie durch den jagdbegeisterten Landrat Fritz Ecker. In seinem Kreis, vor den Toren Hamburgs, hatten sich die letzten großen Heideflächen Norddeutschlands erhalten. Sie mit Hilfe eines befreundeten Pastors zu retten, kam nicht recht voran. Es fehlte an Geld, die Heideflächen anzukaufen, um sie vor der Aufforstung zu bewahren. Er war Leser von WILD UND HUND und hatte, so ist in der Chronik des Vereins „Naturschutzpark“ nachzulesen, durch einen Aufruf in seiner Lieblingszeitschrift erfahren, dass sich in Stuttgart ein Verein gebildet hatte, mit dem Ziel, drei große Naturschutzparke nach Vorbildern in den USA und in der Schweiz zu schaffen. Die Aktivitäten des 1909 in München gegründeten Vereins „Naturschutzpark“ standen unter dem Logo des Rothirsches. Die Logistik wurde vom Stuttgarter Verlagshaus wahrgenommen, das auch das weitverbreitete Naturmagazin Kosmos herausgab.

Erinnerung an eine verlorene heile Welt

Die Stuttgarter Redakteure hatten zuvor den Rothirsch auf seine Eignung als Sympathieträger getestet. Hatten sie doch vor ihrer Haustür den Favoritepark. Und später eines der größten Naturschutzgebiete Baden-Württembergs, das heute noch die offizielle Bezeichnung trägt: „NSG Rotwildpark bei Stuttgart“. Und dann waren da noch die Hirschbilder, die tausendfach um die Jahrhundertwende als Öldrucke Eingang in die bürgerlichen Schlafzimmer gefunden hatten. Für die Menschen, die in der Gründerzeit in die Städte abgewandert waren, waren sie Erinnerung an eine verlorene heile Welt.

Die Geldsammelei mit dem Bild der Hirsche wurde zum größten Medienerfolg in der Geschichte des Naturschutzes und zum Anstoß, sich neben den Naturdenkmalen der Gründung von Großschutzgebieten zuzuwenden. Auch hier spielten die Rothirsche immer wieder eine Rolle mit Emotionen, die bis auf die Bildschirme unserer Tage gerieten und die Zuschauer teilten in Lager für Pro und Contra über das Schicksal der geschichtsträchtigen Wildtiere.

Doch trotz aller Kontroversen, die demoskopischen Umfragen im Zusammenhang mit dem zweimaligen Küren des Rothirsches zum Wildtier des Jahres ergaben: Unangefochten positiv behauptet sich der Hirsch immer noch in der Gunst des Volkes. Stellvertretend für die Sehnsucht unserer Tage nach einer heilen Welt? Ein Umfrageergebnis, das wir nutzen sollten, die Zukunft des Wildtieres zu sichern, das wie kein anderes Großtier unserer Landschaft mit unserer Kunst-, Kultur- und Gesellschaftsgeschichte verbunden ist.

Hirsch an der Quelle des Lebens, Stundenbuch des Herzogs von Berry (um 1400)

 

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