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Interview mit Bruno Hespeler: Tacheles zur Hege

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Bruno Hespeler ist in der Vergangenheit als Provokateur der traditionellen Jagdszene aufgetreten. Mit seinem neuen Buch „Hege“ will ­er alte Zöpfe abschneiden. WILD UND HUND traf den ehemaligen Berufsjäger und Buchautor in seiner Kärntner Wahlheimat.

„Alles jammert, weil es angeblich keine Rehe mehr gibt. Es wird viel zu wenig hinterfragt, warum.“
Foto: Bernd Helbach

WuH: Was läuft Ihrer Meinung nach heute schief in der Jagd? Was hat Sie veranlasst, das Buch zu schreiben?
Bruno Hespeler: Veranlasst hat das der Verlag. Ich habe zugesagt, unter der Bedingung, dass ich kritisch schreiben darf. Anleitungen für Wildackerbestellung und Hochsitzbau gibt es schon genug. Was läuft falsch? Der Jäger beruft sich immer auf die Altvorderen sowie Traditionen und präsentiert ganz einfache Lösungen, die vielfach schon vor hundert Jahren als falsch erkannt wurden.

WuH: Wie wird Hege von der Jägerschaft verstanden, und wie sollte sie Ihrer Meinung nach verstanden werden?
Bruno Hespeler: Ich denke, wir müssen uns einfach mal der Zeit – der geänderten Umwelt – anpassen. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem sich die Rahmenbedingungen der Jagd immer schneller ändern. Kleines Beispiel: In den Jahren, in denen ich hier unten bin (im Gailtal, Kärnten, Anm. d. Red.), gab es dramatische Änderungen, obwohl sich die Kulisse wenig geändert hat. Wir hatten in der Au wunderschöne Wiesen mit einer hohen Artenvielfalt. Diese waren gleichermaßen rotwild- wie rehwildtauglich. Mit der Biogasanlage kam der Mais. Die Wiesen wurden umgebrochen, wurden zu Maisflächen. Dann wurden sie im Wechsel neuerlich umgebrochen und wieder zu Grünland. Jetzt sind es keine Wiesen mehr, sondern reine Grasplantagen – für das Rotwild ganz gut, aber für Rehe untauglich. Alles jammert, weil es angeblich keine Rehe mehr gibt. Es wird viel zu wenig hinterfragt, warum. Früher gab es in Kärnten selbst in den Hochlagen noch Hasen und Rebhühner. Heute dominiert unten der Mais und oben die Fichte. Auch der Zuwachs an Jägern ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite muss man froh sein, dass Junge dazukommen. Auf der anderen Seite gibt es auf schrumpfender Jagdfläche sowie bei immer höherer Freizeitnutzung und Tourismus immer mehr Jäger.

WuH: Bei uns wird in vielen Hochwild­revieren, gerade beim Forst, kein Fuchs geschossen. Von deutscher Perspektive gewinnt man in Ihrem Buch mitunter den Eindruck, dass Sie offene Türen einrennen, dass Ihre Kritikpunkte in ein gegenteiliges Extrem umgeschlagen sind.
Bruno Hespeler: Ich habe den Eindruck, dass heute viele Jäger weiter sind, als manche derjenigen, die sie vertreten sollten. Die Verbände sehe ich nicht alle als wirklich fortschrittlich. Dann eher Jäger. Dass sich in Deutschland jagdlich dennoch viel positiv verändert hat, wenn man dreißig, vierzig Jahre zurückdenkt, bestreite ich nicht.

WuH: Rotwild wird zunehmend zum Politikum, der Forstpartie zum Ärgernis. Was denken Sie darüber?
Bruno Hespeler: In weiten Teilen des deutsch-österreichischen Alpenraums wird Rotwild fast nur mit Wintergatter akzeptiert. Das mag rechtlich in Ordnung sein, an der Kreatur ist es ein Verbrechen. Die evolutiv entstandenen Verhaltens- und Überlebensmuster der Tiere werden nachhaltig verändert. Wer gibt uns das Recht hierzu? Das Wild gehört uns Jägern nicht, es ist Allgemeingut des Volkes! Wir können es ablehnen oder akzeptieren. Aber eine Rotwildhege, die sich der gleichen Muster bedient wie die der Rinderhaltung im Gebirge, dient sicher nicht der Zukunft dieser Tierart. Früher drängten die Alttiere im Frühjahr aus dem Gatter raus, auf tradierte Setzplätze. Heute ist es in vielen Wintergattern umgekehrt. Ist es nicht lächerlich, bei einer Tierart, die sechs oder sieben Monate eingesperrt wird, von Wild zu reden?

WuH: Auf der einen Seite wenden Sie sich gegen den Machbarkeitswahn, der dort mal reduzieren oder aussetzen, hier das Habitat optimieren will. Auf der anderen Seite sagen Sie, wir sollten uns an die Front der Entwicklung setzen. Aber: Den Haupteinfluss auf das Biotop selbst und damit auf die Artenvielfalt hat die Landwirtschaft. Letzten Endes sind handfeste finanzielle Interessen im Spiel, und gegen die sind wir machtlos. Was soll die Jägerschaft da tun?
Bruno Hespeler: Die Jägerschaft sollte nicht von den wahren Problemen ablenken. Und genau das taten die Verbände Jahrzehnte hindurch. Sie haben abgelenkt und im Zweifel Partei für eine Politik ergriffen, die eine den Lebensraum vieler Niederwildarten zerstörende Agrarindustrie und Landschaftszerstörung fördert. Warum sagt keiner der jagdlichen Spitzenvertreter, dass die alte Landwirtschaft tot ist und dass wir beim jetzigen Kurs vom Niederwild Abschied nehmen müssen? Das wäre ehrlich, würde Jäger wie Nichtjäger vielleicht aufrütteln. Es ist viel zu einfach zu erzählen, dass wir nur eifrig Füchse und möglichst noch Greifvögel schießen müssen.

WuH: Die Schraube, an der die Jäger drehen können, ist die Raubwildbejagung. Warum also nicht den Beute­greifern nachstellen, wenn man ja auch alles andere Wild bejagt?
Bruno Hespeler: Ich gehe auf die 80 zu und friere mir noch jeden Winter den Hintern für einen Fuchs ab. Aber: Wir hatten vergangenes Jahr – bedingt durch die steigende Trockenheit – ein großes Mäuseproblem. Hektarweise blanke Grünflächen. Gleichzeitig bekämpften manche in bester „Taliban-Manier“ Füchse sowie Wiesel und „entsorgen“ diese. Wer soll uns da ökologisches Denken zubilligen? Wie wollen Sie der Öffentlichkeit vermitteln, dass wir im Sommer Füchse „regulieren“ müssen, um im Herbst dann die Hasen zu „regulieren“? Was passiert, wenn wir im Sommer Füchse schießen? Wir schießen die zuverlässigsten Verbündeten im Kampf gegen die Kokzidiose und machen Platz für die im Herbst ohnehin wieder zuwandernden fremden Füchse!

„Wo der Fasan nicht mehr sicher brüten kann, hilft ihm auch der Hass auf Fuchs und Greifvogel nichts.“
Foto: Heiko Petersen

WuH: Die klassische Räuber-Beute-­Beziehung greift in der zeitgenössischen Kulturlandschaft nicht. Die häufigsten Vögel im WuH-Testrevier sind Krähe, Elster, Greife. Dann kommt lange nichts. Wie soll da ein Junghase überleben? Wenn man einen Niederwildbesatz haben will, warum da nicht angreifen?
Bruno Hespeler: Was das Niederwild braucht, sind geeignete Habitate, nicht verstaubte Ideologien. Ob wir in 20 Jahren noch mit der Flinte jagen werden, ist zweifelhaft – was ich persönlich bedauern würde. In den meisten Revieren hier im Tal – aber auch anderenorts – wird rund ums Jahr jeder Fuchs geschossen. In anderen überhaupt keiner oder nur, wenn der Balg gut ist. Glauben Sie wirklich, dass es bezüglich der Hasenbesätze einen Unterschied gibt?

WuH: Wenn man das so kleinräumig betreibt, egalisieren sich natürlich die Besätze.
Bruno Hespeler: Bejagbare Besätze gibt es beispielsweise auch in weiten Teilen des Burgenlandes nicht mehr. Das ist ein klassisches Niederwildland. Die meisten Jäger sind dort eifrige Raubwildjäger. Aber wo der Fasan nicht mehr sicher brüten kann, hilft ihm auch der Hass auf Fuchs und Greifvogel nichts. Wo wollen wir noch Glaubwürdigkeit erreichen, wenn wir Fasanen industriell aufziehen, dann aussetzen, und vier oder acht Wochen später toben wir uns an ihnen aus? Ich sehe da weniger ein rechtliches als ein medizinisches Problem.

WuH: Sie sind ein vehementer Gegner der Fallenjagd. Warum?
Bruno Hespeler: Weil ich früher selbst passionierter Fallenjäger war und genug „Betriebsunfälle“ erlebt habe – wie viele meiner damaligen Kollegen auch. Heute noch wird gelehrt, den Schwanenhals mit abgedecktem Köder ins Wasser zu stellen, dann sei der Genickfang garantiert. Das ist Wunschdenken. Alles haben wir im Schwanenhals gefangen: den Bussard an Ständern wie den Waldkauz an den Schwingen, die Wildkatze an den Branten und die Sau überm Wurf.

„Ich habe genug Betriebsunfälle bei der Fallenjagd erlebt.“
Foto: Bernd Helbach

WuH: Die Fallenjagd, wie sie bei uns praktiziert wird, spielt sich zu 95 % mit Betonrohrfalle oder Kastenfalle ab. Darin fängt sich kein Greifvogel.
Bruno Hespeler: In einem meiner Bücher wird die Betonrohrfalle empfohlen. Aber: Muss ich da, wo Luchs, Wildkatze oder Fischotter vorkommen, ein Eisen stellen?

WuH: Im Buch arbeiten Sie sich an vermeintlichen Hege-Ikonen ab. Warum eigentlich? Tut es etwas zur Sache, dass Raesfeld ein Titelschleicher war oder Frevert ein brauner Unsympath?
Bruno Hespeler: Raesfeld und Frevert sind nur zwei von vielen, mit denen ich mich beschäftige. Bei Raesfeld wird sein forstlicher Werdegang und der damals elementare Wandel in der Forst­ausbildung aufgezeigt – mehr nicht. Wenn wir eine Auseinandersetzung mit Frevert verweigern, ignorieren wir nicht nur den Trophäenkult in seiner abartigsten Blüte, sondern auch die Morde in den Wäldern um Białowieza – im Dienste einer entarteten „Hege“.

WuH: Aber betrifft das die Hege? Wie ernst nehmen wir deren Konzeptionen überhaupt noch?
Bruno Hespeler: Seit Teile der Jägerei die Förster als Feindbild entdeckt haben, das Schalenwild aussterben sehen, gebetsmühlenhaft die Notwendigkeit der Fütterung, der Fallenjagd und der Rehwild-Trophäenschauen beschwören, lebt der alte Geist wieder auf. Andererseits: Ulrich Scherping wird heute gewissermaßen „Wild vor Wald“ unterstellt. Tatsächlich hat er vor 80 Jahren schon die Reduktion der viel zu hohen Schalenwildbestände angemahnt. Aber seither steigen die Strecken. Er hat den Sinn der Rehwildfütterung angezweifelt, sich gegen die Frühjahrsbejagung der Schnepfe wie gegen den Greifvogelabschuss ausgesprochen und sich an hohen Niederwildstrecken als erlebnisarm desinteressiert gezeigt.

WuH: Was würden Sie dem Vorwurf entgegnen, Sie lieferten Jagdgegnern Munition, Sie seien, um diese hässliche Vokabel zu gebrauchen, ein Nestbeschmutzer?
Bruno Hespeler: Als Nestbeschmutzer – verbales Überbleibsel einer Epoche, die 60 Millionen Menschen das Leben gekostet hat – muss ich mich seit Jahrzehnten diffamieren lassen, da bin ich immun geworden. Ich würde dagegen fragen: Halten Sie die Gesellschaft wirklich für so uninformiert, dass sie mich braucht, um zu wissen, was abgeht? Wer gegen die Jagd Argumente und Material sammeln will, kann sich der (a)sozialen Medien bedienen oder eine Jagdmesse besuchen. Vieles von dem, was er dort sieht, kotzt den Nichtjäger und viele Jäger schlicht an.
Die Fragen für Wild und Hund stellte Richard Günzel.

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Bruno Hespelers Buch „Hege“ ist im Österreichischen Jagd- und Fischereiverlag erschienen.


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