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277 JVG – Sofortvollzug rechtens

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277 JVG – Bei Unzuverlässigkeit Sofortvollzug rechtens

277 JVG
FOTO: BURKHARD WINSMANN-STEINS

Mark G. v. Pückler

I. Die Rechtsgrundlage
1. „Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen Personen nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Waffen oder Munition Personen überlassen werden, die zur Ausübung der tatsächlichen Gewalt über diese Gegenstände nicht berechtigt sind.“ § 5 Abs. 1 Nr. 2c Waffengesetz (WaffG).
2. „Jemand überlässt eine Waffe oder Munition, wer die tatsächliche Gewalt darüber einem anderen einräumt.“ Anhang 1, Abschnitt 2 Nr. 3 zum WaffG
3. „Die aufschiebende Wirkung entfällt nur in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse … besonders angeordnet wird.“ § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung.

II. Der Sachverhalt
Jäger J. war mit einem 14-jährigen Jagdhelfer in seinem Revier. Als sich die Drückjagd im Nachbarrevier bedrohlich näherte, wies er den Jugendlichen an, mit seinem Auto aus der Gefahrenzone zu fahren. Er selbst wollte die „verantwortungslose Jagdausübung im Nachbarrevier im Auge behalten“. Der Schlüssel steckte im Fahrzeug, auf dem Rücksitz lag eine Kipplaufbüchse, die passende Munition befand sich im Handschuhfach. Der Jugendliche fuhr davon, hielt nach einer Weile an, lud die Waffe und schoss auf einen flüchtigen Überläufer. Die Untere Jagdbehörde stufte J. als unzuverlässig ein. Sie erklärte seinen Jagdschein für ungültig, zog ihn ein und ordnete im überwiegenden öffentlichen Interesse die sofortige Vollziehung an. J. legte Widerspruch ein und  beantragte bei Gericht erst einmal die Beseitigung der sofortigen Vollziehung, um die aufschiebende Wirkung seines Einspruchs bis zum Abschluss des Verfahrens  wiederherzustellen. Zur Begründung machte er geltend, dass es ihm allein darum gegangen sei, den Jungen aus der Gefahrenzone zu bringen.

III. Die Entscheidung
Vor Gericht hatte J. keinen Erfolg. Sein Antrag wurde in beiden Instanzen abgewiesen, weil er wegen seines offensichtlichen Verstoßes gegen die Sorgfaltspflichten eines Jagdscheininhabers unzuverlässig sei. Es liege im besonderen öffentlichen Interesse, dass die von unzuverlässigen Waffenbesitzern ausgehenden Gefahren schnellstmöglich beseitigt würden. Ein klarer Verstoß gegen die Sorgfaltspflichten liege darin, dass J. dem Jugendlichen sein Fahrzeug mit der darin befindlichen Büchse und Munition überlassen habe. Da der Schüler von der Waffe und Munition gewusst habe, sei es unerheblich, dass das Gewehr mit einem  Mantel abgedeckt und die Munition im Handschuhfach gewesen sei. Indem er den Jugendlichen angewiesen habe, mit dem Auto wegzufahren, habe er ihm, und damit einem Nichtberechtigten, die Verfügungsgewalt über diese Gegenstände eingeräumt. Die Einlassung des J., er habe den Jungen nur aus der  Gefahrenzone bringen wollen, sei nicht überzeugend. Wäre es ihm tatsächlich darum gegangen, hätte er sich selbst an das Steuer gesetzt, anstatt sein Fahrzeug einem Minderjährigen ohne Fahrpraxis zu überlassen. Die Unzuverlässigkeit entfalle nicht deshalb, weil er sich im Laufe seines rund 40-jährigen Jägerlebens bisher nichts habe zu schulden kommen lassen. Dieser Umstand könne allenfalls bei der Bestimmung der Sperrfrist berücksichtigt werden. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15. 4. 2002 – 19 Cs 02.786 – IV. Weitere Entscheidung Durch eine vertrauliche Mitteilung wurde dem Landratsamt bekannt, dass J. „öfters ausflippe und psychische Ausfälle zeige“. Alle im Ort fürchteten sich vor ihm. Seine besonderen Feinde waren sein Bruder und der  Bürgermeister, der sich nach eigenen Angaben seit dem Erwerb eines Grundstücks durch die Gemeinde „ständiger, öffentlich vorgetragener gröbster verbaler  Diffamierungen ausgesetzt“ sah. Nach seiner Einschätzung drohe der Hass des J. zu  eskalieren und außer Kontrolle zu geraten. Der Besitz von Lang- und Kurzwaffen „könne eines Tages zu einer Katastrophe führen“. Die Untere Jagdbehörde befürchtete eine missbräuchliche Verwendung der Waffen. Sie erklärte den Jagdschein für ungültig und zog ihn ein. Außerdem widerrief sie die Waffenbesitzkarte und gab J. auf, seine Waffen innerhalb einer bestimmten Frist entweder einem Berechtigten zu überlassen oder sie unbrauchbar zu machen. Zum Schutz der Allgemeinheit wurde der sofortige Vollzug angeordnet. Vor Gericht behielt das Landratsamt Recht. Zwar sei derzeit noch offen und bedürfe weiterer Aufklärung, ob die Befürchtungen tatsächlich zuträfen und damit die angeordneten Maßnahmen rechtmäßig seien. Im Verfahren auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung überwiege jedoch das öffentliche Interesse an der einstweiligen Beseitigung möglicher schwerer Gefahren für die Allgemeinheit das Interesse des Betroffenen am weiteren Besitz seiner Waffen und Munition bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Das gelte schon dann, wenn – wie hier – konkrete Anhaltspunkte vorlägen, die im Falle ihrer Bestätigung die Befürchtung eines missbräuchlichen Waffenumgangs durch eine leicht erregbare, unbeherrschte und zu Aggressionen neigende Person begründeten. Eine solche Sachlage rechtfertige die Anordnung der sofortigen Vollziehung, weil es sich bei dem hier betroffenen Jagd und Waffenrecht um besonderes Sicherheitsrecht handle, bei dem bereits eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Drohen einer Gefahr genüge. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30. 3. 2001 – 19 CS 01.357 –

V. Anmerkungen
Beide Entscheidungen sind noch nach dem alten Waffengesetz ergangen, sie wären aber auch nach dem neuen Recht nicht anders ausgefallen. Das Gericht machte deutlich, dass das Waffenrecht ein spezielles Sicherheitsrecht ist, das den Schutz der Allgemeinheit vor den Gefahren durch Waffen und Munition bezweckt und daher strenge Regelungen enthält. Wegen dieses Zieles stellt das Gesetz nicht auf den Besitz oder das Eigentum an Waffen und Munition ab, sondern auf die „tatsächliche Gewalt“ über sie. Denn die Gefahren gehen von demjenigen aus, der die Waffe/Munition in seinen Händen, in seiner  Zugriffsmöglichkeit hat, der sie also tatsächlich einsetzen kann. Das ist der Eigentümer und Besitzer, solange er die Waffe/Munition bei sich hat oder in seinem Waffenschrank verwahrt. Das ist aber auch der Finder und der Dieb, der die Waffe/Munition – legal oder illegal – an sich genommen hat, weil er sie nach eigenem Willen verwenden kann. Deshalb definiert das Gesetz in Anlage 1, Abschnitt 2 Nrn. 1 – 4 zum Waffengesetz, dass jemand eine Waffe oder Munition – „erwirbt“, wenn er die tatsächliche Gewalt über sie erlangt; – „besitzt“, wenn er die tatsächliche Gewalt über sie ausübt; – „überlässt“, wenn er die tatsächliche Gewalt über sie einem anderem einräumt; – „führt“, wenn er die  tatsächliche Gewalt über sie außerhalb der eigenen Wohnung oder des eigenen befriedeten Besitztums ausübt. Im ersten Fall hat also der Jäger seine Waffe und Munition dem Schüler (Nichtberechtigten) überlassen, der Junge hat diese Gegenstände erworben und geführt, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Denn in dem Augenblick, in dem er allein mit dem Fahrzeug davonfuhr, erlangte er die tatsächliche Gewalt über die Waffe und Munition. Das führt nach § 5 Abs. 1 Nr. 2c WaffG zur Unzuverlässigkeit. Anders als bei der Verurteilung wegen einer Straftat legt das Gesetz in den Fällen des § 5 Abs. 1 Nr. 2 a – c WaffG nicht ausdrücklich fest, wie lange die Unzuverlässigkeit dauert. Die Untere Jagdbehörde hat daher die Dauer unter Berücksichtigung der Schwere des  Verstoßes und der Person des Betroffenen nach Ermessen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit festzulegen. Hierbei kann sie positiv  berücksichtigen, dass der Betroffene schon viele Jahre Waffen besitzt und sich stets korrekt verhalten hat. Im zweiten Fall hat das Gericht klar gemacht, dass es bei konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen von Tatsachen, die die Zuverlässigkeit beseitigen, aus Gründen der öffentlichen Sicherheit erst einmal beim sofortigen Vollzug der behördlichen Maßnahme bleibt, bis der Sachverhalt geklärt und das Verfahren endgültig abgeschlossen ist. Je nach dem Ergebnis der Ermittlungen bleibt es beim Entzug der Erlaubnisse oder der Bescheid wird aufgehoben.

VI. Ergebnis
1. Ein illegales Überlassen von Waffen und Munition liegt schon dann vor, wenn dem Nichtberechtigten die tatsächliche Gewalt über diese Gegenstände eingeräumt wird.

2. Das Waffenrecht dient in besonderem Maße der öffentlichen Sicherheit. Deshalb  überwiegt in der Regel das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung einer Maßnahme gegen unzuverlässige Waffenbesitzer deren Interesse an der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens.

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