292 JVG – Unzuverlässigkeit auch bei Steuerdelikt, Waffenbezug nicht nötig
Mark G. v. Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
1. „Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen in der Regel Personen nicht, die wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe, Jugendstrafe, Geldstrafe von mindestens sechzig Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind, wenn seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind.“ § 5 Abs. 2 Nr. 1a Waffengesetz
2. „Eine Erlaubnis nach diesem Gesetz ist zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen.“ § 45 Abs. 2 Waffengesetz
3. „Fehlen die Zuverlässigkeit oder die persönliche Eignung im Sinne der §§ 5 und 6 des Waffengesetzes, darf nur ein Jagdschein nach § 15 Abs. 7 Bundesjagdgesetz (= Falknerjagdschein, Red.) erteilt werden.“ § 17 Abs. 1 S. 2 Bundesjagdgesetz
II. Der Sachverhalt
Jäger J. wurde am 1. März 2003 ein Dreijahresjagdschein für die Dauer vom 1. April 2003 bis 31. März 2006 erteilt. Im Rahmen der Regelüberprüfung erfuhr die Untere Jagdbehörde nachträglich, dass er durch rechtskräftigen Strafbefehl vom 19.12.2002 wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt worden war. In den Jahren 1996 bis 1998 hatte er seine Einkünfte nur unvollständig angegeben. Daraufhin widerrief die Untere Jagdbehörde im Mai 2005 die Waffenbesitzkarte des J. und forderte ihn auf, seine Waffen innerhalb einer bestimmten Frist einem Berechtigten zu überlassen oder sie unbrauchbar zu machen. Außerdem erklärte sie den Jagdschein für ungültig und zog ihn ein. Zur Begründung führte sie aus, dass J. wegen der vorsätzlich begangenen Straftat unzuverlässig sei. J. ging vor Gericht. Er machte geltend, dass die Taten von 1994 und 1995 wegen Zeitablaufs nicht mehr berücksichtigt werden könnten und die Einzelstrafe für 1996 unter 60 Tagessätzen liege. Außerdem sei in seinem Falle eine Ausnahme vom Regelfall zu machen, weil er an der Aufklärung des Sachverhalts tatkräftig mitgewirkt habe.
III. Das Urteil
Vor Gericht hatte J. keinen Erfolg. Seine Klage auf Aufhebung der Bescheide wurde kostenpflichtig abgewiesen, da er infolge der Verurteilung waffenrechtlich unzuverlässig sei. Maßgebend seien nicht die Vorschriften des alten Waffengesetzes, sondern die des neuen, da es auf das im Zeitpunkt des Erlasses des Widerrufs der Waffenbesitzkarte geltende Recht ankomme. Nach den Übergangsregeln des § 58 Abs. 1 Satz 1 des neuen Waffengesetzes gelten zwar Erlaubnisse, die noch nach dem alten Waffenrecht erteilt worden seien, zunächst einmal fort. Ihr weiterer Bestand richte sich dann aber allein nach dem neuen Recht. Nach diesem sei J. gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG unzuverlässig, weil er wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen verurteilt worden sei. Dem stehe nicht entgegen, dass die hinterzogene Steuer teilweise die Jahre 1994 und 1995 betreffe und damit 10 Jahre und länger zurückliege. Denn entscheidend sei allein, dass seit Eintritt der Rechtskraft der Verurteilung im Jahre 2002 noch keine fünf Jahre vergangen seien. Es lägen auch keine Tatsachen vor, die ausnahmsweise die Regelvermutung widerlegten. Weder der Zeitablauf seit Begehung der Tat noch die konkreten Tatumstände ließen die Verfehlung in einem derart milden Licht erscheinen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel gegebene Unzuverlässigkeit hier nicht gegeben sei. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 24. 4. 1990 – 1 C 56.89 –) sei es zwar nicht von vornherein ausgeschlossen, die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit als widerlegt anzusehen, wenn die Tat bei Erlass des Bescheids mindestens zehn Jahre zurückliege. Diese Frist sei hier aber noch nicht abgelaufen gewesen, weil die Tat in der Abgabe der unzutreffenden Steuererklärungen liege (1996–1998), auf die zugrunde liegenden Steuerjahre (1994–1996) komme es nicht an. Auch die Tatumstände und die Person des Täters ließen keine Gesichtspunkte erkennen, die ein Abweichen vom Normalfall rechtfertigten. Vielmehr zeige die Höhe der hinterzogenen Steuern von insgesamt rund 23 000 Euro sowie die Dauer von mehreren Jahren ein beachtliches Maß an krimineller Energie. Das zeige auch das Strafmaß von insgesamt 150 Tagessätzen. Die Mitwirkung bei der Aufklärung des Sachverhalts sei bereits bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigt worden. Die Ungültigkeitserklärung und Einziehung des Jagdscheins ergebe sich aus § 18 BJG in Verbindung mit § 17 Abs. 1 S. 2 BJG. Danach sei ein Jagdschein für ungültig zu erklären und einzuziehen, wenn nachträglich die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Inhabers bekannt werde. Diese Neuregelung im Bundesjagdgesetz finde hier Anwendung, weil die Verlängerung des Jagdscheins ab 1.4.2003 gültig sei. Verwaltungsgericht Göttingen, Urteil vom 25.1.2006 – 1 A 140/05 –
IV. Anmerkungen
1. Verschärfung der Zuverlässigkeit
• Seit Inkrafttreten des neuen Waffengesetzes am 1. April 2003 gelten für die waffenrechtliche Zuverlässigkeit verschärfte Anforderungen. Insbesondere führt seitdem jede rechtskräftige Verurteilung wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat „in der Regel“ zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit, auch wenn kein Bezug zur Jagd oder zum Waffenumgang besteht. Daher haben jetzt auch Steuerstraftaten, Wirtschaftsdelikte und ähnliche Straftaten den Verlust von Waffenbesitzkarte und Jagdschein zur Folge, sofern die Geldstrafe mindestens 60 Tagessätze beträgt oder es sich um eine zweite, nicht notwendig gleiche Vorsatztat innerhalb der letzten fünf Jahre handelt.
• Mit den Worten „in der Regel“ bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass die Unzuverlässigkeit im „Normalfall“ gegeben ist, also nicht immer. In Ausnahmefällen kann daher trotz Verurteilung keine Unzuverlässigkeit gegeben sein.
Ein solcher Ausnahmefall liegt vor, wenn die Umstände der Tat die Verfehlung des Täters in einem derart milden Licht erscheinen lassen, dass die Annahme der Unzuverlässigkeit nicht gerechtfertigt erscheint. Diese Fälle sind aber nach der Rechtsprechung sehr selten. Allein ein guter Leumund sowie ein langjähriger Besitz des Jagdscheins und korrekter Waffenumgang genügen noch nicht. Das Gewicht der Tat und das Verhalten des Täters im Zusammenhang mit der Tat müssen sich vom Normalfall deutlich positiv abheben. (Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 13.12.1994 –1 C 31.92 – und vom 4.9.1995 – 1 C 13.94 –). Eine weitere Verschärfung liegt darin, dass die Dauer der Unzuverlässigkeit bei einer Verurteilung wegen eines Verbrechens jetzt zehn Jahre ab Rechtskraft des Urteils beträgt. Gleiches gilt für vorsätzlich begangene Vergehen, sofern die Freiheitsstrafe mindestens ein Jahr beträgt. Daran ändert auch eine Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung nichts.
• Fahrlässigkeitstaten begründen in der Regel keine Unzuverlässigkeit (z. B. fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung im Straßenverkehr), außer die Tat wurde im Zusammenhang mit dem Umgang von Waffen, Munition oder Sprengstoff begangen (z. B. fahrlässige Körperverletzung durch einen leichtsinnigen Schuss).
• Ausreichend ist ferner eine fahrlässig begangene gemeingefährlich ohne Unfall) sowie eine fahrlässige Straftat nach dem Waffengesetz, dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen, dem Sprengstoffgesetz oder dem Bundesjagdgesetz (z. B. fahrlässig begangenes Schonzeitvergehen: Erlegen von ganzjährig geschontem Wild oder eines notwendigen Elterntieres).
• Die Folgen der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit wirken sich auch auf den Jagdschein aus. Denn nach der neu eingefügten Vorschrift des § 17 Abs. 1 S. 2 BJG (siehe oben I.3.) ist der Jagdschein bei Fehlen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit oder persönlichen Eignung zu versagen, ein bereits erteilter einzuziehen. Nur ein Falknerjagdschein bleibt davon verschont, weil die Beizjagd ohne Schusswaffe erfolgt.
2. Strafbefehl wirkt wie ein Urteil Die Kleinkriminalität wird in der Regel durch einen Strafbefehl geahndet. Voraussetzung hierfür ist, dass nach der Sach und Rechtslage eine Hauptverhandlung entbehrlich erscheint und nur eine Geldstrafe oder, wenn der Angeschuldigte einen Verteidiger hat, eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr auf Bewährung verhängt wird.
• Der Angeklagte kann gegen den Strafbefehl innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung Einspruch einlegen. Maßgebend für die Einhaltung der Frist ist der Tag des Eingangs beim Amtsgericht, nicht der Poststempel (z. B. Erhalt des Strafbefehls am Mittwoch, Ablauf der Frist am übernächsten Mittwoch um 24.00 Uhr). Der Einspruch muss schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Amtsgericht eingelegt werden. Ist das erfolgt, so ordnet das Gericht eine Hauptverhandlung an, in der die Sache geklärt wird. Hierzu werden der Angeklagte und, je nach Fallgestaltung, die Zeugen und Sachverständigen geladen und angehört sowie zu Beweiszwecken Schriftstücke verlesen und Fotos angesehen. Am Ende verkündet der Richter das Urteil (Freispruch oder Verurteilung), bei Geringfügigkeit kann das Verfahren auch eingestellt werden.
• Wichtig: Wird gegen den Strafbefehl kein Einspruch erhoben, so wird er unanfechtbar. Er steht dann einem rechtskräftigen Urteil gleich mit der Folge, dass sein Inhalt für die Jagd- und Waffenbehörde bindend ist. Der Verurteilte kann dann grundsätzlich nicht mehr geltend machen, der Strafbefehl sei zu Unrecht ergangen, in Wirklichkeit habe er die Tat nicht oder nicht so begangen und die verhängte Strafe sei zu hoch. Nur in den seltenen Fällen, in denen es offenkundig ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht, hat die Jagd- und Waffenbehörde weitere Ermittlungen durchzuführen (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22.4.1992 – 1 B 61.92 –).
• Würde also die im Strafbefehl enthaltene Verurteilung zur Unzuverlässigkeit führen, so empfiehlt es sich sehr, rechtzeitig Einspruch einzulegen und mit Hilfe eines Rechtsanwalts zu versuchen, eine Einstellung des Verfahrens oder wenigstens eine Geldstrafe von weniger als 60 Tagessätzen zu erreichen, falls ein Freispruch nicht möglich ist. In Betracht kommt z. B., anstelle einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 Euro (= 1 800 Euro) eine solche von 50 Tagessätzen zu je 36 Euro (= ebenfalls 1 800 Euro) zu erlangen, um wenigstens unter die Mindesthöhe der Unzuverlässigkeit (= 60 Tagessätze) zu gelangen.
• Zwar ist auch bei einer Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit die Jagd- und Waffenbehörde nicht in jedem Falle gehindert, aufgrund des ermittelten Sachverhalts, insbesondere bei einem groben oder wiederholten Verstoß gegen das Bundesjagdgesetz oder das Waffengesetz, oder bei einem unsachgemäßen Umgang mit der Waffe, die Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 oder Abs. 2 Nr. 5 Waffengesetz zu bejahen und die Waffenbesitzkarte zu widerrufen sowie den Jagdschein einzuziehen (Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 14.2.1996 – 1 B 134.95 –). Jedoch liegt in diesem Falle die Schwelle zur Unzuverlässigkeit höher und ihre Dauer ist kürzer. Denn bei einer Einstellung wegen Geringfügigkeit liegt zumeist auch kein grober oder wiederholter Gesetzesverstoß vor, und mangels Vorliegens einer Verurteilung gilt nicht die starre Fünf- Jahres-Frist, vielmehr ist die Dauer je nach der Schwere des Verstoßes unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit festzulegen.
V. Ergebnis
1. Jede Verurteilung wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen begründet in der Regel die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit. Aber es gibt auch Ausnahmen. Ein Bezug zur Jagd oder zum Waffenumgang ist nicht erforderlich. 2.Von dieser Regel gibt es Ausnahmen, wenn die Tat vom Normalfall positiv abweicht und in einem besonders milden Licht erscheint.
3. Als Folge der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit ist die Waffenbesitzkarte zu widerrufen und der Jagdschein zu versagen/einzuziehen.
4. Wird ein Strafbefehl unanfechtbar, steht er einem rechtskräftigen Urteil gleich. Die Jagd- und Waffenbehörde ist dann an die Verurteilung gebunden. Der Betroffene kann grundsätzlich nicht mehr einwenden, dass er die Tat nicht begangen habe oder sie anders geschehen sei.