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295 JVG – Wildunfall bei Drückjagd

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295 JVG – Wildunfall bei Drückjagd Straßenverkehr sichern!

295 JVG

Mark G. v. Pückler

I. Die Rechtsgrundlage 
1. „Wer vorsätzlich oder fahrlässig  das Leben, den Körper,  die Gesundheit oder das Eigentum  eines anderen widerrechtlich  verletzt, ist dem anderen  zum Ersatze des daraus  entstehenden Schadens verpflichtet.“  § 823 Abs. 1 Bürgerliches  Gesetzbuch  2. „Wer eine Gefahrenquelle  schafft, muss die zur Beseitigung  der Gefahr erforderlichen  und zumutbaren Maßnahmen  treffen, um andere  vor Schäden zu bewahren.“  Allgemeine Verkehrssicherungspflicht

II. Der Sachverhalt 
Am Rande einer Großstadt  fand eine Drückjagd auf  Schwarzwild statt. Ein Pkw-  Fahrer fuhr mit seinem Volvo  mit etwa 90 km/h auf einer  Bundesstraße, als plötzlich eine  starke Bache auf die Fahrbahn  wechselte. Durch den Zusammenstoß  entstand am Pkw  ein Schaden von rund 3 750  Euro. Die Teilkasko ersetzte den  Schaden, bis auf die Selbstbeteiligung  von 150 Euro.  Der Pkw-Halter verlangte  nun vom Jagdausübungsberechtigten  Ersatz seiner Selbstbeteiligung  von 153 Euro sowie  eine allgemeine Aufwendungspauschale  von 20 Euro.  Zur Begründung machte er  geltend, dass der Jagdausübungsberechtigte  die ihm  obliegende Verkehrssicherungspflicht  fahrlässig verletzt  habe, weil er trotz der  Straßennähe keine Maßnahmen  zur Sicherung des  Straßenverkehrs ergriffen habe.  Insbesondere seien keine  Schilder aufgestellt worden,  die auf die Drückjagd und die  Gefahr von überwechselndem  Wild hingewiesen hätten.  Der Jagdausübungsberechtigte  lehnte die Zahlung ab.  Die Verkehrssicherungspflicht  sei nicht verletzt worden, weil  das Treiben von der Straße weg  geführt worden sei. Es sei nicht  damit zu rechnen gewesen,  dass Wild nach hinten durchbrechen  und über die Straße  wechseln würde, zumal sich  entlang der Straße eine Bahnlinie  und ein breiter Graben  befunden hätten. Außerdem  sei nicht bewiesen, dass die Bache  wegen der Drückjagd die  Straße überquert habe.

III. Das Urteil 
Das Gericht gab dem Fahrzeughalter  Recht. Es verurteilte  den Jagdausübungsberechtigten  zum Ersatz der Selbstbeteiligung  und Aufwendungspauschale,  weil er die ihm obliegende  Verkehrssicherungspflicht  fahrlässig verletzt habe.  Zwar sei ein Jagdausübungsberechtigter  nicht gehalten,  den Straßenverkehr  vor den allgemeinen Gefahren  durch Wildwechsel zu  schützen; dies sei vielmehr  Aufgabe der für die Sicherheit  der Straße zuständigen öffentlichen  Stellen. Wenn er aber  die Wahrscheinlichkeit, dass  Wild die Straße überquere,  durch eine Drückjagd erhöhe,  er also diese Gefahrenerhöhung  zu verantworten habe,  dann sei er verpflichtet,  diese Gefahr durch geeignete  und zumutbare Maßnahmen  zu beseitigen.  Hierzu sei das Treiben in  Richtung von der Straße weg  zu führen und einem Rückwechseln  des Wildes durch eine  möglichst dichte Treiberkette  vorzubeugen. Dennoch  durchbrechendes Wild sei  durch eine Verlappung entlang  der Straße von der Fahrbahn  abzuhalten, die Verkehrsteilnehmer  seien durch  Warnschilder und Warnposten  auf die Jagd hinzuweisen  (vergleiche Bundesgerichtshof,  Urteil vom 10. 2. 1976 –  VI ZR 160/1974 –).  Im vorliegenden Falle sei  das Treiben zwar von der  Straße weg geführt worden,  jedoch sei einem Rückwechseln  des Wildes nicht durch  eine dichte Treiberkette begegnet  worden, noch seien  entlang der Straße Jagdlappen  angebracht worden. Auch  Warnschilder oder Warnposten  seien nicht aufgestellt  worden, um die Verkehrsteilnehmer  auf die Jagd und die  dadurch entstehenden erhöhten  Gefahren hinzuweisen.  Weder der Graben noch die  Bahnlinie entlang der Straße  seien geeignet gewesen, das  hochgemachte Wild vom  Überqueren der Fahrbahn abzuhalten.  Einen der Schützen habe die  Bache in leichtem Troll in  100 Meter Entfernung in Richtung  Straße passiert. Selbst  wenn sie infolge ihres Alters  von fünf Jahren nicht zum Abschuss  freigegeben gewesen  wäre, so hätte sie doch aufgrund  einer Güterabwägung  zwischen der akuten Gefährdung  von Leib und Leben der  Verkehrsteilnehmer einerseits  und der Hege des Wildes andererseits  erlegt werden müssen,  da sie auf die Straße zugewechselt  sei.  Die Drückjagd sei auch für  den Unfall kausal gewesen.  Weil die Jagd zum Zeitpunkt  des Unfalles in unmittelbarer  Nähe der Straße stattgefunden  habe, spreche der Anscheinsbeweis  dafür, dass die  Bache durch die Jagd hochgemacht  worden sei. Dies werde  vorliegend noch dadurch erhärtet,  dass man die Rückwechsel  nicht gesichert habe,  so dass mit einem erhöhten  Wildwechsel auf die Straße zu  rechnen gewesen sei. Landgericht  Rostock, Urteil vom  6. 9. 2002 – 4 O 176/02 – 

IV. Anmerkungen 
Treib- und Drückjagden sind  besonders gefährlich. Das  Wild wird in großer Zahl absichtlich  hochgemacht, geht  oft hochflüchtig ab und überquert  Straßen und Bahnlinien.  Hinzu kommen viele Jäger,  Treiber und Hunde auf  engem Raum, so dass jeder  Schuss gut überlegt sein muss.  Diese erhöhte Gefahrenlage  muss der Jagdausübungsberechtigte/  Jagdleiter, der für  die Drückjagd verantwortlich  ist, aufgrund der allgemeinen  Verkehrssicherungspflicht beseitigen,  damit andere Personen  nicht verletzt oder geschädigt  werden. Unterlässt er  das, so haftet er für den dadurch  entstehenden Schaden  wegen fahrlässiger Verletzung  der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht.  Die Jagdhaftpflichtversicherung  hat  für den Schaden einzustehen.  Das vorstehende Urteil stellt  geradezu schulmäßig die bei  einem Treiben in Straßennähe  einzuhalten Sicherungsmaßnahmen  der Reihe nach  dar:
Treiben in Richtung von  der Straße weg führen;
Rückwechsel durch dichte  Treiber- und Schützenkette  abriegeln;
Verlappung besonders gefährdeter  Straßenabschnitte;
Warnschilder für die Verkehrsteilnehmer  aufstellen  oder
Warnposten abstellen, die  die Verkehrsteilnehmer durch  Handzeichen zu langsamen  Fahren anhalten.  Wie ein Warnschild aussehen  muss, ist gesetzlich nicht  vorgeschrieben. Das Verkehrszeichen  Nr. 142 „Wildwechsel“  warnt nur vor einem  erhöhten natürlichen Vorkommen  von Wild, nicht aber  vor Wild, das durch eine  Drückjagd absichtlich hochgemacht  wurde.  Es empfiehlt sich daher, das  allgemeine Warnschild „Gefahrenstelle“  zu verwenden,  das in jedem Pkw mitzuführen  ist, ergänzt durch ein Zusatzschild  mit der Aufschrift  „Treibjagd, erhöhte Gefahr! 30  km/h“. Die Schilder müssen  groß genug sein und gut sichtbar  in beiden Fahrtrichtungen  aufgestellt werden. Bei besonderen  Gefahren sollte zusätzlich  je Fahrtrichtung ein Jagdhelfer  als Warnposten abgestellt  werden.  Beweispflicht liegt  beim Geschädigten  Solche Sicherungsmaßnahmen  sind immer dann erforderlich,  wenn nach jagdlicher  Erfahrung damit zu rechnen  ist, dass Wild oder Jagdhunde  auf die Straße gelangen könnten.  Das ist immer der Fall,  wenn die Jagd in unmittelbarer  Straßennähe stattfindet.  Das kann aber auch bei  größerem Abstand der Fall  sein, je nach Entfernung, Topographie,  Wildarten und Bewuchs.  Im Zweifel: sichern!  Auch die Zugänge in das  Jagdgebiet, also vor allem  die Wald- und Feldwege,  müssen durch Hinweisschilder  oder Warnposten gesichert  werden, damit Spaziergänger,  Reiter, Jogger  und andere Personen auf die  erhöhte Gefahr hingewiesen  und von einem Betreten  abgehalten werden. Noch  sicherer ist eine vorübergehende  Sperrung dieser Wege,  wie es in den jeweiligen  Landeswaldgesetzen geregelt  ist.  Wurden die Sicherungsmaßnahmen  ordnungsgemäß  durchgeführt und entsteht  trotzdem infolge zu schnellen  Fahrens ein Schaden, so scheidet  eine Haftung regelmäßig  aus. Denn mit der Warnung  hat der Jagdausübungsberechtigte  alles getan, was von  ihm verlangt wird. Es fehlt an  einer Pflichtwidrigkeit, der  Unfall ist allein auf die zu hohe  Geschwindigkeit zurückzuführen.  Das Urteil sagt aber auch in  Anlehnung an das erwähnte  Urteil des Bundesgerichtshofs  klipp und klar, dass bei einer  Einzeljagd grundsätzlich keine  Sicherungsmaßnahmen notwendig  sind. Aus der Sicht der  Verkehrsteilnehmer ist es nämlich  unerheblich, ob das Wild  von einem Jäger, Spaziergänger,  Landwirt oder Förster  hochgemacht wurde und über  die Straße flüchtet. Diese Fälle  fallen daher unter das normale  Risiko, dem jedermann im  Straßenverkehr ausgesetzt ist.  Anders ist es nur dann,  wenn Wild auf einer Einzeljagd  in unmittelbarer Straßennähe  bejagt wird, so dass mit einer  Flucht auf die Fahrbahn und einer  Gefährdung der Verkehrsteilnehmer  zu rechnen ist (zum  Beispiel Schuss auf ein Stück  Rehwild, das in Fahrbahnnähe  äst, Durchdrücken der Straßenböschung  nach Niederwild am  Rande einer befahrenen Straße  und ähnliche Situationen).  Hier gilt grundsätzlich das  Jagdverbot nach § 20 Abs. 1  BJagdG, wonach an Orten, an  denen die Jagd die öffentliche  Sicherheit stören oder das Leben  von Menschen gefährden  würde, nicht gejagt werden  darf.  Der Geschädigte muss beweisen,  dass das Wild durch die  Gesellschaftsjagd hochgemacht  wurde und notwendige  Sicherungsmaßnahmen unterblieben  sind. Allein die Tatsache,  dass eine solche Jagd „irgendwo  in der näheren Umgebung“  stattfand, genügt hierfür  nicht. Nur bei unmittelbarer  Straßennähe ist nach den  Grundsätzen des Anscheinsbeweises  in der Regel davon auszugehen,  dass der Unfall durch  die Jagd verursacht wurde.  Wild- und Jagdunfall –  ein kleiner Unterschied  Bei einem Unfall frage man  daher den Fahrer als erstes,  von welcher Straßenseite das  Wild angewechselt ist und  überprüfe die Angaben anhand  der Lage des Wildes und  der Schäden am Fahrzeug auf  ihre Richtigkeit. Kam das Wild  von der anderen Straßenseite,  war die Jagd in aller Regel  nicht die Ursache des Unfalles.  Eine Haftung scheidet  dann von vornherein aus.  Es empfiehlt sich, die  Straßenverkehrsbehörde einzuschalten  und die Sicherungsmaßnahmen  ihr zu  überlassen oder sie in Abstimmung  mit ihr durchzuführen.  Denn sie ist nach § 45 Straßenverkehrsordnung  für die Sicherheit  des Straßenverkehrs  zuständig. Sperrt sie die Straße  für die Dauer der Gefahr, so ist  das die beste Lösung, weitere  Sicherungsmaßnahmen sind  dann entbehrlich. Übernimmt  sie das Aufstellen von  Warnschildern, ist der Jagdausübungsberechtigte  hiervon  befreit, nicht aber zum  Beispiel von der Führung der  Jagd von der Straße weg und  dem Abriegeln der Rückwechsel,  weil diese Maßnahmen  nur von ihm durchgeführt  werden können.  Bei Unfällen mit Wild ist  zwischen einem Wildunfall  und einem Jagdunfall zu unterscheiden,  sofern sich aus  den Versicherungsbedingungen  nichts anderes ergibt.  Ein Wildunfall liegt vor,  wenn Wild den Unfall „von  sich aus“ verursacht hat, ohne  dass es durch eine Gesellschaftsjagd  in Straßennähe   absichtlich hochgemacht  wurde.  Das sind die Fälle des normalen  Wildwechsels oder des  vor Spaziergängern, Landwirten  oder Jägern auf der Einzeljagd  flüchtenden Wildes. Die  Kaskoversicherung übernimmt  die Schäden von Schalenwild  selbst dann, wenn es  nicht zu einem Zusammenstoß  gekommen ist, zum Beispiel  weil der Fahrer dem Wild ausgewichen  und dabei in den  Graben gefahren ist. Bei kleinerem  Wild bis etwa zur Fuchsgröße  darf nicht ausgewichen  werden, sonst liegt grobe Fahrlässigkeit  vor, so dass die Versicherung  nicht zahlen muss.  Ein Jagdunfall ist gegeben,  wenn der Unfall von Wild verursacht  wurde, das auf einer  Gesellschaftsjagd in Straßennähe  absichtlich hochgemacht  wurde und die Verkehrsteilnehmer  nicht ausreichend gewarnt/  geschützt wurden. Hier  haftet der Jagdausübungsberechtigte/  Jagdleiter, wenn der  Schaden auf einer fahrlässigen  Verletzung der allgemeinen  Verkehrssicherungspflicht beruht,  die Jagdhaftpflichtversicherung  stellt ihn bis zur Höhe  der Versicherungssumme frei.

V. Ergebnis 
1. Bei Gesellschaftsjagden in  unmittelbarer Straßennähe  müssen die Verkehrsteilnehmer  vor flüchtendem Wild  und Jagdhunden gewarnt und  geschützt werden.  Das gilt auch bei entfernteren  Treiben, wenn auf Grund  der örtlichen Situation nach  jagdlicher Erfahrung mit einer  Gefährdung durch Wild  oder Hunde gerechnet werden  muss.  2. Treiben in Straßennähe  müssen grundsätzlich in  Richtung von der Straße weg  geführt werden, die Rückwechsel  sind durch eine dichte  Treiber- und Schützenkette  abzuriegeln.  Besonders gefährdete  Straßenabschnitte (Wildwechsel  über die Straße) sind  zusätzlich zu verlappen.  3. Der Geschädigte muss beweisen,  dass das Wild durch  die Jagd hochgemacht wurde  und notwendige Sicherungsmaßnahmen  unterblieben  sind. Fand die Jagd in unmittelbarer  Straßennähe statt, ist  in der Regel davon auszugehen,  dass das Wild durch die  Jagd aufgescheucht wurde.  4. Die Straßenverkehrsbehörde  ist einzuschalten. Übernimmt  sie die Sicherung, ist  der Jagdausübungsberechtigte  hiervon befreit, nicht aber davon,  das Treiben von der Straße  weg zu führen und die Rückwechsel  dicht abzustellen.  5. Gelangt Wild bei einer Einzeljagd  auf die Straße, haftet  der Jäger grundsätzlich nicht,  außer es wurde in unmittelbarer  Straßennähe bejagt.

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