296 JVG – Kein Schadenersatz durch Jagdpächter, Bache verwüstet Wohnzimmer
Mark G. v. Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
1. „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit oder das Eigentum eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatze des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“ § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch 2. „Wer eine Gefahrenquelle schafft, muss die zur Beseitigung der Gefahr erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen treffen, um andere vor Schäden zu bewahren.“ Allgemeine Verkehrssicherungspflicht
II. Der Sachverhalt
Bei einer Drückjagd auf Schwarzwild wurde eine Bache hochgemacht, aber nicht erlegt. Am Nachmittag desselben Tages sprang plötzlich eine Bache durch die geschlossene Terrassentür eines Hauses, verletzte die Bewohnerin und richtete erheblichen Sachschaden an. Die Geschädigte verlangte vom Jagdausübungsberechtigten Schadensersatz in Höhe von rund 15 000 Euro und Schmerzensgeld, da nach ihrer Ansicht das Stück durch die Drückjagd aufgescheucht, in Panik geraten und schließlich blindlings in das Haus geflüchtet sei. Der Jagdausübungsberechtigte habe die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt, weil er nichts unternommen habe, um flüchtendes Wild von Wohngebieten fernzuhalten. Der Jagdausübungsberechtigte bestritt, dass die auf der Drückjagd hochgemachte Bache mit der identisch sei, die den Schaden verursacht habe. Es sei durchaus möglich, dass es sich um ein anderes Stück gehandelt habe, das auf Grund anderer Ursachen geflüchtet sei. Außerdem entspreche es nicht dem natürlichen Verhalten des Schwarzwildes, durch eine Drückjagd derartig in Panik zu geraten, dass es in Häuser eindringe.
III. Das Urteil
Das Gericht gab dem Jagdausübungsberechtigten Recht. Es wies die Klage kostenpflichtig ab, da der Geschädigten „unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt“ ein Schadensersatzanspruch zustehe. Es sei bereits fraglich, ob die den Schaden verursachende Bache tatsächlich mit der auf der Drückjagd hochgemachten identisch sei. Denn das Jagdgebiet liege etwa zwei Kilometer von dem Haus entfernt, dazwischen fließe ein kleines Flüsschen, das die Bache auf dem Weg zum Wohnhaus zweimal hätte durchrinnen müssen. Angesichts dieser Situation gäbe es keinen Anhalt dafür, dass die Bache tatsächlich aus dem Jagdgebiet geflüchtet sei und es sich nicht um eine andere Bache gehandelt habe. Letztlich könne diese Frage aber offen bleiben. Denn jedenfalls habe der Jagdausübungsberechtigte die ihm obliegende allgemeine Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt. Zwar müsse derjenige, der eine Gefahrenquelle schaffe, im Rahmen des Erforderlichen und Zumutbaren Maßnahmen treffen, damit andere nicht geschädigt würden. Andererseits sei eine Verkehrssicherheit, die jeden möglichen Unfall ausschließe, nicht herstellbarbar. Deshalb müsse nicht für jede denkbare, entfernte Möglichkeit eines Schadens Vorsorge getroffen werden. Vielmehr werde eine Gefahrenlage erst dann haftungsbegründend, wenn es naheliege, dass andere geschädigt werden könnten, zum Beispiel bei einem Treiben in Straßennähe. Im gegebenen Falle sei es für den Jagdausübungsberechtigten nicht vorhersehbar gewesen, dass die Bache zwei Kilometer in Richtung Wohngebiet flüchten, dabei zweimal das Flüsschen durchrinnen und schließlich mitten im Ortskern durch eine geschlossene Terrassentür dringen würde. Ein derartiger Geschehensablauf sei so außergewöhnlich, dass er für den Jagdausübungsberechtigten nicht vorhersehbar gewesen sei. Ihm könne daher die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht nicht vorgeworfen werden. Landgericht Lüneburg, Urteil vom 29.11.2002 – 4 O 201/02 –, bestätigt durch das Oberlan desgericht Celle, Beschluss vom 17.2.2003 – 9 U 12/03 –
IV. Anmerkungen
Nicht für jeden Schaden gibt es einen Ersatzpflichtigen, so schön das auch wäre. Denn nach dem allgemeinen Haftungsrecht ist ein Schadensersatzanspruch nur gegeben, wenn jemand vorsätzlich oder fahrlässig und widerrechtlich eine Handlung oder Unterlassung begeht, die zu einem Schaden führt. Fehlt es an einem solchen Verhalten, gibt es grundsätzlich keinen Schadensersatz. . Für Haustiere haftet der Tierhalter, ausnahmsweise auch ohne Verschulden. Für wilde Tiere haftet niemand, weil sie herrenlos sind, also niemandem gehören und niemand für sie aufsichtspflichtig ist. Verletzt zum Beispiel ein Ziegenbock einen Spaziergänger, haftet der Tierhalter für den Schaden; nimmt aber eine führende Bache einen Wandersmann an, so haftet niemand für den Schaden. . Eine Haftung für Wild trifft den Jäger nur, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig selbst die Ursache für den Schaden erzeugt hat, die Beeinträchtigung also wenigstens voraussehbar gewesen ist. Bei Gesellschaftsjagden in Straßennähe ist das in der Regel der Fall (siehe hierzu ausführlich WuH Nr. 23/2006, S. 152). . Ab welcher Entfernung nicht mehr mit einem Wildunfall zu rechnen ist, kann man nicht für alle Fälle gleich festlegen. Das hängt von der Entfernung, der Topographie, dem Bewuchs, der Wildart und weiteren Faktoren ab. Entscheidend ist, ob in der gegebenen Situation nach jagdlicher Erfahrung mit einer erhöhten Gefahr durch hochgemachtes Wild zu rechnen ist. . Das Landgericht Aachen (Urteil vom 21.1.1987 – 7 S 323/86 –) hat zum Beispiel entschieden, dass bei einer Drückjagd auf Rotwild in einer Entfernung von rund einem Kilometer von einer Straße nicht davon auszugehen sei, dass der Wildunfall durch die Jagd verursacht worden sei. Nur wenn das Treiben in unmittelbarer Straßennähe durchgeführt werde und die konkrete Gestaltung der Jagd einen erhöhten Wildwechsel über die Straße erwarten lasse, spreche der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass das Wild wegen der Jagd über die Straße gewechselt sei.
V. Ergebnis
1. Eine haftungsbegründende, schuldhafte Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ist nur gegeben, wenn in der konkreten Situation der Eintritt eines Schadens naheliegt und voraussehbar war, also Fahrlässigkeit gegeben ist. 2. Nur bei einem Treiben in Straßennähe spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass das Wild durch die Jagd hochgemacht wurde und über die Fahrbahn geflüchtet ist. Bei weiter entfernten Treiben muss der Geschädigte beweisen, dass die Jagd die Ursache für den Wildunfall war. 3. Keine Haftung besteht, wenn die Jagd zur Zeit des Unfalles bereits beendet war und die Beteiligten das Jagdgebiet schon verlassen hatten oder wenn das Wild von einer anderen Seite angewechselt ist.