298 JVG – Bei Wildunfall Tierschutz beachten, Abfangen mit der kalten Waffe
Mark G. v. Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
1. „Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer einem Wirbeltier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.“ § 17 Nr. 2 b Tierschutzgesetz (TSchuG) 2. „Ist die Tötung eines Wirbeltieres ohne Betäubung im Rahmen waidgerechter Ausübung der Jagd … zulässig, so darf die Tötung nur vorgenommen werden, wenn hierbei nicht mehr als unvermeidbare Schmerzen entstehen. Ein Wirbeltier darf nur töten, wer die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hat. “§ 4 Abs. 1 S. 2 und S. 3 TSchuG 3. „Um krankgeschossenes Wild vor vermeidbaren Schmerzen oder Leiden zu bewahren, ist dieses unverzüglich zu erlegen; das gleiche gilt für schwerkrankes Wild, es sei denn, dass es genügt und möglich ist, es zu fangen und zu versorgen.“ § 22 a Abs. 1 BJagdG
II. Der Sachverhalt
Im August 2004 ereignete sich auf einer Straße in Hessen ein Wildunfall mit einem Rehkitz, das schwerverletzt am Straßenrand liegen blieb. Die Polizei benachrichtigte den Jagdaufseher des Revieres, der aber wegen einer Erkrankung nicht erscheinen konnte. Seine Ehefrau informierte daher zwei weitere Jäger, die mit einem Gewehr und einem Jagdmesser zum Unfallort fuhren. Dort ereignete sich dann folgendes (Zitat aus dem Urteil): 1. Nachdem der Angeklagte sich erkundigt hatte, wo „das Ding“ liege, kam es zu einem Disput mit dem Zeugen A., der darauf hinwies, dass das Tier kein Ding, sondern ein Lebewesen sei. Die Auseinandersetzung verschärfte sich, als sich der Angeklagte zum Zwecke der Tötung des Rehkitzes, das am Straßenrand im Rinnsteig lag und außer etwas Blut an der Nase keine äußerlich sichtbaren Verletzungen hatte, das Jagdmesser des Zeugen B. geben ließ und das Ansinnen des Zeugen C., das Tier in eine Aufzuchtstation zu bringen, rundweg ablehnte. In diesem Zusammenhang nannte der Angeklagte den Zeugen eine „Träne“ und sagte außerdem mehrfach „Arschloch“ zu ihm. 2. Den aufgrund seiner Überzeugung, das Rehkitz habe infolge des Zusammenstoßes mit dem Pkw erhebliche innere Verletzungen erlitten, gefassten Entschluss, es zu töten, setzte der Angeklagte in der Weise in die Tat um, dass er dem Tier, ohne es vorher betäubt zu haben, das Jagdmesser seitlich in den Hals stach und die Klinge sodann nach unten durchzog. Dabei wurde allenfalls eine Halsarterie durchtrennt. Anschließend drehte der Angeklagte die Klinge und führte einen weiteren Schnitt in umgekehrter Richtung durch. Das Rehkitz, das sich zuvor völlig ruhig verhalten hatte, begann nun heftig zu zappeln, woraufhin die Zeugen D. und E. hinzutraten und das Tier festhielten. Währenddessen brachte der Angeklagte dem Rehkitz weitere Schnitte oder Stiche im Halsbereich bei. Es dauerte etliche Minuten, bis das Kitz schließlich verendet war. Sein Todeskampf wurde begleitet von deutlich hörbaren Schnaufgeräuschen, wie sie entstehen, wenn die Luftröhre geöffnet wird.“
III. Das Urteil
Das Gericht verurteilte den angeklagten Jäger wegen Beleidigung in Tatmehrheit mit Tiermisshandlung zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 30 Euro. Seine Äußerungen gegenüber dem Zeugen seien herabsetzend und ehrverletzend gewesen, die Tötung selbst habe er weder waidgerecht noch tierschutzgerecht durchgeführt. Vielmehr habe er dem Tier länger anhaltende erhebliche Schmerzen zugefügt. Der Sachverständige habe hierzu erklärt, dass im Halsbereich wegen vieler sensibler Nerven erhebliche Schmerzen entstünden, wenn Wundränder miteinander oder mit dem Messer in Berührung kämen. Aus dem längeren Zappeln sei zu schließen, dass sich die Entblutung stark verzögert habe. Das sei nur dadurch zu erklären, dass mit dem ersten Schnitt zumindest nicht beide Arterien durchtrennt worden seien. Für die Beleidigung sei eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen, für den Verstoß gegen das Tierschutzgesetz eine solche von 80 Tagessätzen schuld- und tatangemessen. Aus diesen Einzelstrafen habe das Gericht eine Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen gebildet. Amtsgericht Biedenkopf, Urteil vom 10.5.2005 – 40 Ds 4 Js 12475/04 –
V. Anmerkungen
Das Urteil zeigt, wie man es nicht machen soll und wie man seinen Jagdschein leichtfertig aufs Spiel setzt. Jedes Jahr werden tausende Stück Wild an- oder überfahren, so dass sich jeder Jäger schon im voraus einen Plan machen sollte, wie er im Falle eines Wildunfalles das Stück gefahrlos und tierschutzgerecht erlösen wird. Nach dem Erscheinen am Unfallort ist als erstes der Straßenverkehr zu sichern. Sodann ist der Zustand des Wildes, insbesondere seine Fluchtfähigkeit, zu prüfen, um weitere Gefahren durch ein erneutes Überqueren der Fahrbahn zu verhindern. Schließlich ist zu klären, ob ein Fangschuss möglich ist oder wegen der Gefahr von abprallenden Geschossteilen oder Steinsplittern ausscheidet (Kugelfang). Schaulustige sind aus diesem Grunde immer aufzufordern, den Gefahrenbereich weiträumig zu verlassen. Denn für die Folgen eines Schusses ist grundsätzlich der Schütze verantwortlich, selbst wenn den Verletzten ein Mitverschulden trifft. In der Not hilft die Polizei Weigern sich die Zuschauer, den Gefahrenbereich zu verlassen, scheidet ein Fangschuss häufig aus. In diesem Falle ist die Polizei einzuschalten, damit sie die Personen aus dem Gefahrenbereich verweist, sofern ein tierschutzgerechter Umgang mit dem Jagdmesser nicht gewährleistet ist. Schwerverletztes, leidendes Wild stellt nämlich einen tierschutzwidrigen Zustand und damit eine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar, zu dessen Beseitigung die Polizei zuständig ist. Sie ist befugt, die Zuschauer wegzuschicken, der Jäger nicht. Ein Erlösen durch Abnicken oder Abfangen ist zwar in Situationen wie hier waidund tierschutzgerecht (siehe hierzu auch den Fall in WuH 19/2002, S. 12), aber durchaus nicht jedermanns Sache. Denn es setzt voraus, dass der Jäger den Umgang mit dem Messer absolut sicher beherrscht. Denn nach § 4 Abs. 1 S. 3 des TSchuG darf ein Wirbeltier nur töten, wer die dazu notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten hat. Ein „Herumstochern“ im Wildkörper, wie im vorliegenden Fall geschehen, verursacht vermeidbare weitere Schmerzen und ist daher nicht tierschutzgerecht. Die Folgen sind weitreichend, denn ab einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen liegt in der Regel Unzuverlässigkeit vor, die den Widerruf der Waffenbesitzkarte und die Einziehung des Jagdscheins zur Folge hat – fünf Jahre lang! Scheidet ein Kugelschuss aus Sicherheitsgründen aus, kann der Fangschuss notfalls auch mit Schrot auf den Träger aus kurzer Distanz abgegeben werden, sofern das gefahrlos möglich ist. Das Verbot des Schrotschusses auf Schalenwild (§ 19 Abs. 1 Nr. 1 BJagdG) kommt angesichts des Notstands nicht zum Tragen. Weicheisenschrot ist hierbei allerdings zu vermeiden, weil es infolge fehlender Verformung und damit unzureichender Energieabgabe sehr zu Abprallern neigt. Krankes Wild immer erlösen Schwerverletztes Schalenwild ist grundsätzlich zu erlegen, ein Einfangen und Versorgen scheidet regelmäßig aus. Zum einen würden damit dem Wild außer weiteren Schmerzen ganz erhebliche psychische Leiden zugefügt, weil es sich seinem Todfeind Mensch ausgeliefert fühlte, zum anderen entspricht es dem Gebot der Hege, vorrangig krankes und verletztes Wild zu erlegen. Mit dem Erlösen des schwerverletzten Stückes wird gleichzeitig ein anderes gesundes Tier „gerettet“, da jedes erlegte Stück auf das jährliche Abschusssoll angerechnet wird. Das werden auch einsichtige Laien verstehen, wenn man ihnen das ruhig erklärt. Bemerkenswert ist, was über diesen Fall von einem Tierarzt in der Broschüre „Amtstierärztlicher Dienst und Lebensmittelkontrolle“ (12. Jahrgang – 3/2005) veröffentlicht wurde. Darin wird dem Jäger unter der Überschrift „Amtstierärztliches Gutachten“ zunächst vorgehalten, dass er zum Unfallort ohne Gewehr und Messer gekommen sei, obwohl er doch zum Töten des verletzten Tieres erschienen sei. Kein Wort darüber, dass ausweislich des Urteils der begleitende Jäger sowohl ein Gewehr als auch ein Messer mitgeführt hatte. Das genügte doch. Zur Tötung wird zutreffend ausgeführt, dass Wild im Rahmen waidgerechter Jagdausübung ohne vorherige Betäubung getötet werden dürfe, wenn dem Tier dabei nicht mehr als unvermeidbare Schmerzen entstünden. Darunter sei vor allem der Abschuss zu verstehen. Daneben könne zur fachgerechten Tötung „der Entblutungsstich“ angewendet werden, wenn eine vorherige Betäubung stattgefunden habe. Diese Tierschutzvorgabe werde auch durch das Bundesjagdgesetz nicht außer Kraft gesetzt (§ 44 a BJagdG). Vor Ort habe der Jäger dann entschieden, dass ein Fangschuss wegen Gefährdung der umstehenden Personen nicht in Frage komme. Sodann heißt es wörtlich: „Es blieb also die Möglichkeit des Tötens durch ein Jagdmesser. Die Vorgabe des Tierschutzgesetzes zur vorherigen Betäubung wurde vom Angeklagten offenbar nie in Erwägung gezogen, obwohl die Be täubung des Rehkitzes vor seiner Tötung jederzeit leicht möglich und zumutbar war, z. B. durch einen gezielten Kopfschlag mittels eines Wagenhebers, der in jedem der umstehenden Fahrzeuge vorhanden gewesen sein musste oder durch einen entsprechend dimensionierten Holzstock aus dem Wald.“ Betäubung ist nicht nötig Ich möchte diese Tötungsmethode nicht näher kommentieren. Aber ich kann mir gut den Aufschrei der Zuschauer und Medien vorstellen, wenn der Jäger tatsächlich mit dem Wagenheber auf den Kopf des Kitzes eingeschlagen hätte. Rechtlich ist hierzu zu bemerken, dass ein vorheriges Betäuben jedenfalls vor dem Abnicken oder Abfangen nach § 4 Abs. 1 S. 2 Tierschutzgesetz nicht notwendig ist. Denn das Töten von verletztem Wild mit dem Jagdmesser durch fachgerechtes Abnicken oder Abfangen entspricht waidgerechter Jagdausübung, zumal wenn ein Fangschuss nicht abgegeben werden kann. Ein „Entblutungsstich“ hingegen ist unwaidmännisch und damit verboten. Die Tötung von schwerverletztem Wild ist eindeutig noch Jagdaus übung, wie sich aus § 22 a BJagdG ergibt. Das verletzte Stück ist zu diesem Zeitpunkt noch herrenlos, es unterliegt dem Jagdausübungsrecht und alleinigen Aneignungsrecht des Revierinhabers. Daran ändert auch der Hinweis auf § 44 a BJagdG nichts, weil die vorgenannte Ausnahme von der Betäubungspflicht im Tierschutzgesetz selbst steht, das Tierschutzgesetz also zwangsläufig unberührt bleibt. Der Wagenheber kann also auch in Zukunft im Fahrzeug bleiben. Bei genauem Lesen ergibt sich des Weiteren, dass es in Wahrheit nicht die Brutalität des Jägers war, die zum Einsatz des Messers führte, sondern das Verhalten der Zuschauer. Denn wegen ihrer Anwesenheit im Gefahrenbereich entschied sich der Jäger dazu, aus Sicherheitsgründen keinen Fangschuss abzugeben. Da hätte er lieber die Polizei rufen sollen, anstatt unsachgemäß mit dem Messer umzugehen.
V. Ergebnis
1. Bei einem Wildunfall ist als erstes der Straßenverkehr zu sichern und der Zustand des Wildes zu überprüfen. 2. Schaulustige sind grundsätzlich aus Sicherheitsgründen aus dem Gefahrenbereich zu verweisen, notfalls durch Einschaltung der Polizei. 3. Ist ein Fangschuss mit der Büchse nicht möglich (fehlender Kugelfang), kommt trotz des ansonsten geltenden Verbots ein (sofort tödlicher) Schrotschuss (auf den Träger) in Betracht. 4. Ein Abnicken oder Abfangen ist dann waid- und tierschutzgerecht, wenn es richtig ausgeführt wird. Wer das nicht beherrscht, sollte die Finger vom Messer lassen