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303 JVG – Unfall auf Drückjagd

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303 JVG – Unfall auf Drückjagd, Jagdgast als Treiber unfallversichert

303 JVG

Mark G. v. Pückler

I. Die Rechtsgrundlage
1. „Kraft Gesetzes sind unfallversichert Beschäftigte.“ (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch VII) 2. „Ferner sind Personen versichert, die wie nach Abs. 1 Nr. 1 Versicherte tätig werden.“ § 2 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch VII 3. „Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, sind diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf dem Weg von oder zur Arbeit herbeigeführt haben.“ §105 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch VII

II. Der Sachverhalt
Jagdgast J. und Treiber T. nahmen an einer Drückjagd auf Schwarzwild teil. Als eine Dickung durchgedrückt werden soll, ordneten sich beide auf Weisung des Jagdherrn in die Treiberkette ein. J. führte seine Waffe mit. In der Dickung gab er einen Schuss ab, der T. schwer verletzte. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft (LBG) hat den Unfall als Arbeitsunfall anerkannt, weil J. als Treiber eingesetzt gewesen sei. Das hatte zur Folge, dass Schadensersatzansprüche des T. gegen J. nach § 105 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch VII ausgeschlossen waren. Hiergegen wandte sich T. mit dem Ziel, von J. vollen Schadensersatz und ein Schmerzensgeld zu erlangen. Zur Begründung machte er geltend, dass dieser zum Zeitpunkt der Schussabgabe nicht Treiber, sondern Jagdgast gewesen sei, was sich schon daran zeige, dass er seine Waffe mitgeführt und keine orangene Treiber-Sicherheitsweste getragen habe. J. entgegnete, dass er im Zeitpunkt des Unfalles als Treiber in das Jagdunternehmen eingegliedert gewesen sei. Er sei daher als Arbeitskollege des T. anzusehen, so dass Ansprüche gegen ihn ausgeschlossen seien.

III. Das Urteil
Das Gericht gab J. Recht. Es wies die Klage des verletzten Treibers auf vollen Schadensersatz und Schmerzensgeld ab, da dessen eventuelle Ansprüche gegen J. am Haftungsausschluss des § 105 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch VII scheiterten. . Nach dieser Vorschrift seien die Ersatzansprüche eines in der LBG versicherten Geschädigten (T.) aus einem Betriebsunfall gegen einen im selben Betrieb tätigen Beschäftigten (J.) grundsätzlich ausgeschlossen, wenn dieser den Unfall durch eine betriebliche Tätigkeit verursacht habe. Das sei hier geschehen. Unstreitig sei, dass es sich beim Durchdrücken der Dickung um eine betriebliche Tätigkeit in dem Jagdunternehmen des Pächters gehandelt habe und T. als Treiber und damit als Betriebsangehöriger anzusehen sei. Uneinigkeit bestehe lediglich darüber, ob J. bei dem Unfall als Jagdgast oder als Treiber und damit Arbeitskollege des T. einzustufen sei. Letzteres sei hier der Fall. . Bei Beantwortung der Frage, ob jemand zum Unfallzeitpunkt als Angehöriger des Jagdunternehmens und damit als Arbeitskollege anzusehen sei, komme es entscheidend auf die zum Unfallzeitpunkt ausgeübte Tätigkeit an. Diese habe hier darin bestanden, das in der Dickung befindliche Schwarzwild hoch zu machen und es den Schützen zuzutreiben. Dass er hierbei seine Waffe mitgeführt und keine Sicherheitsweste getragen habe, sei unerheblich. Diese Tätigkeit des J. sei dazu bestimmt gewesen, der Durchführung der Jagd zu dienen und das Erlegen des Wildes zu ermöglichen. Es habe sich daher um eine betriebliche Tätigkeit gehandelt, bei der J. vom Jagdunternehmer angewiesen worden sei, wie, wann, wo und mit wem er zu treiben habe. . Für diese Tätigkeit habe er den Anweisungen des Jagdleiters unterlegen. Dieser sei befugt gewesen, zu bestimmen, welche Tätigkeiten er durchzuführen habe. Solange sich J. gemeinsam mit T. am Aufscheuchen des Wildes betei ligt habe, sei er daher in das Jagdunternehmen eingegliedert gewesen, so dass er einem Betriebsangehörigen gleichgestellt und als Arbeitskollege des T. anzusehen sei (vgl. auch Bundesgerichtshof, Versicherungsrecht 1977, S. 968,969). Hierzu genüge bereits eine lediglich vorübergehende Tätigkeit. Eine Haftung des J. sei daher nach § 105 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch VII ausgeschlossen. Landgericht Koblenz, Urteil vom 27.2.2004 – 10 O 242/03 –

IV. Anmerkungen
1. Allgemeines
. Die gesetzliche Unfallversicherung gewährt den Jagdausübungsberechtigten und ihren Helfern Versicherungsschutz bei Unfällen im Jagdbetrieb. Versichert sind die im Jagdunternehmen tätigen Personen, also die Jagdausübungsberechtigten und ihre Jagdaufseher und Jagdgehilfen/ Treiber sowie ihre Ehegatten, sofern sie sich „bei“ einer Tätigkeit im Jagdbetrieb verletzen. Auch die direkten Fahrten zum Revier und zurück fallen unter den Versicherungsschutz, so dass bei einem selbst verschuldeten Unfall die Leistungen der LBG anfallen. . Die gesetzliche Unfallversicherung ist eine Pflichtversicherung, die mit der Übernahme des Revieres automatisch in Kraft tritt. Ein Vertragsabschluss ist nicht erforderlich. Unfälle sind binnen drei Tagen der LBG zu melden. Auch Berufskrankheiten fallen unter den Versicherungsschutz. . Die Unfallversicherung erfasst sowohl Eigen- wie Fremdverletzungen. Verletzt sich der Versicherte selbst, z. B. beim Hochsitzbau, beim Überspringen eines Grabens oder beim Sturz über eine Wurzel, so erleidet er einen Arbeitsunfall und erhält die dafür vorgesehenen Leistungen, z. B. Heilbehandlung, Krankenpflege und Verletztenrente. Das gilt selbst dann, wenn er fahrlässig gehandelt hat. . Verletzt ein Pächter einen Mitpächter oder einen Angehörigen seines Jagdunternehmens (Jagdaufseher, Jagdhelfer oder Treiber), so liegt ein „Arbeitsunfall“ zwischen Versicherten desselben Jagdunternehmens vor mit der Folge, dass Schadensersatzansprüche aus dem allgemeinen Haftungsrecht gegen den Schädiger kraft Gesetzes ausgeschlossen sind (§ 104 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch VII). Ebenso ist es, wenn ein Angehöriger eines Jagdunternehmens einen anderen desselben Jagdunternehmens verletzt, z. B. der Jagdaufseher einen Treiber (§ 105 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch VII). Die Verletzten erhalten jeweils allein die Leistungen der Unfallversicherung. Dadurch soll der Betriebsfrieden innerhalb des Jagdunternehmens gewahrt bleiben. . Durch den Ausschluss des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs und das Einspringen der LBG ist die Sache für den Schädiger aber noch nicht erledigt. Denn nach § 110 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch VII haftet er der LBG für die von ihr an den Verletzten geleisteten Aufwendungen bis zur Höhe des Schadensersatzanspruchs, wenn er den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Die LBG kann aus Billigkeitsgründen ganz oder teilweise auf diesen Ersatzanspruch verzichten. Die Jagdhaftpflichtversicherung schützt den Versicherten in der Regel vor diesem Regressanspruch. . Der Ausschluss des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs hat weitreichende Folgen! Denn durch diesen Verlust wird der Verletzte in der Regel schlechter gestellt, da die Leistungen der LBG zum Teil wesentlich geringer sind als voller Schadensersatz nach dem allgemeinen Haftungsrecht. . So werden z. B. ein Schmerzensgeld nicht gewährt und Sachschäden nicht ersetzt, beim Verdienstausfall und bei Renten gibt es erhebliche Einschränkungen und Obergrenzen. Hiergegen hilft nur eine private Zusatzversicherung. Fremde Sachschäden sind vom Schädiger zu ersetzen, für Eigenschäden gibt es keinen Ersatz. Für einen durch Fremdverschulden verletzten Betriebsangehörigen ist es daher oft günstiger, dass der Schädiger kein Angehöriger desselben Jagdunternehmens ist und dadurch die Unfallversicherung nicht den Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger ausschließt (wie bei dem hier beschriebenen Fall). . Nimmt z. B. ein jagdinteressierter Arzt, Rechtsanwalt oder Architekt als Treiber an einer Jagd teil und wird vom Pächter des Revieres berufsunfähig verletzt, so erhält er nur die verhältnismäßig geringen Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. War er aber nur als bloßer Zuschauer dabei, ohne in das Jagdunternehmen eingegliedert gewesen zu sein, stehen ihm und seinen Angehörigen Ersatz aller gegenwärtigen und künftigen Schäden einschließlich vollem Verdienstausfall und Schmerzensgeld zu. . Aber der Verletzte hat durch den Eintritt der LBG auch Vorteile. Denn er muss nicht nachweisen, dass der Schädiger fahrlässig gehandelt hat, und ein eigenes Mitverschulden an dem Unfall wird nicht anspruchsmindernd angerechnet. Gerade ein erhebliches Mitverschulden des Geschädigten kann den zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch stark mindern oder ganz zum Erlöschen bringen. Das kann bei den Leistungen der LBG nicht passieren! . Verletzt ein Jagdausübungsberechtigter oder Jagdaufseher dagegen durch Fahrlässigkeit einen Jagdgast oder eine sonstige nicht in dem Jagdunternehmen tätige Person, so haftet er dem Verletzten für alle sich daraus ergebenden Schäden gemäß dem zivilrechtlichen Schadensersatzrecht ohne Begrenzung. Hier tritt die Jagdhaftpflichtversicherung ein. Ebenso ist es, wenn ein Jagdgast jemanden verletzt. 2. Jagdgäste . Jagdgäste fallen grundsätzlich nicht unter den Unfallversicherungsschutz, auch wenn sie einen entgeltlichen oder unentgeltlichen Begehungsschein besitzen (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII). Denn sie jagen auf Einladung des Revierinhabers und stehen damit nicht in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis zum Jagdausübungsberechtigten, noch unterliegen sie seinen Weisungen. . Eine Ausnahme kann dann gegeben sein, wenn der Jagdgast dem Jagdausübungsberechtigten bei solchen Tätigkeiten im Revier hilft, die nicht mehr zur Jagdausübung eines Jagdgastes gehören und üblicher Weise von Jagdgehilfen ausgeführt werden. Das kann z. B. der Fall sein beim gemeinsamen Bau einer Kanzel (Bundessozialgericht, Urteil vom 11.11.2003 B 2 U 41/02 R – mit weiteren Hinweisen), bei der gemeinsamen Anlage eines Wildackers oder bei der Verwendung als Treiber oder Hundeführer auf einer Treib- oder Drückjagd. Ebenso unterliegen Tätigkeiten der Revierpflege (Ausschneiden von Wegen und Schussschneisen mit der Motorsäge) grundsätzlich der Unfallversicherung (Sozialgericht Koblenz, Urteil vom 31.3.2005 – S 7 U 318/03 –). . Je mehr der Jagdgast dabei eine arbeitnehmerähnliche Stellung einnimmt, also unselbstständig tätig ist und den Weisungen des anwesenden Jagdausübungsberechtigten unterliegt, desto eher ist er „wie“ ein Jagdhelfer tätig und damit als Versicherter einzustufen. Denn nach § 2 Abs. 2 S. 1 Sozialgesetzbuch VII sind auch solche Personen versichert, die zwar keine Beschäftigten des Jagdausübungsberechtigten sind, die aber „wie“ dessen Beschäftigte tätig werden (siehe I.2.) . Baut sich dagegen der Jagdgast zu Hause einen Hochsitz, um ihn in das Revier zu bringen und darauf anzusitzen, so handelt er für sich selbst und ist nicht versichert. Ebenso ist es, wenn er im Revier für sich selbst Maßnahmen für seine Jagdausübung trifft, z.B. sich einen Schirm erstellt, um darin am Abend anzusitzen.

VI. Ergebnis
1. Bei Klagen im Zusammenhang mit der gesetzlichen Unfallversicherung gibt es zwei Hauptrichtungen: . Bei Eigenverletzungen (Sturz vom Hochsitz, Stolpern über eine Wurzel, Angriff eines Keilers) will der Geschädigte den Schutz der Unfallversicherung, um Ersatz zu erlangen. Es gibt ja niemanden, von dem er Schadensersatz verlangen könnte. . Bei Verletzungen durch einen Angehörigen des Jagdunternehmens will der geschädigte Arbeitskollege oft nicht den Schutz der Unfallversicherung, weil er dann seine weitergehenden Ansprüche gegen den Schädiger verliert. Die einen wollen also rein in die Versicherung, die anderen sollen raus! 2. Jagdgäste sind grundsätzlich nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versichert, außer sie sind als Helfer in das Jagdunternehmen eingegliedert und unterliegen hierbei den Weisungen des Jagdausübungsberechtigten. 3. Entscheidend ist immer die Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet. Auf ein Entgelt für die Tätigkeit kommt es nicht an, ebenso wenig auf eine persönliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit des Helfers. 4. Ein Jagdgast, der vorübergehend als Treiber eingesetzt wird und dabei den Weisungen des Jagdleiters unterliegt, ist hierbei nach diesen Urteil unfallversichert (vgl. auch Urteil des Landessozialgerichts Schleswig-Holstein vom 6.3.1996 – L 8 U 59/95 – , WuH Exklusiv Jagdrecht (2), S. 93). Es gibt aber auch eine gegenteilige Auffassung, nach der zumindest das kurzfristige Mitgehen mit der Treiberwehr noch zur jagdgast-typischen Tätigkeit gehört, vor allem wenn die Waffe zwecks Erlegens von Wild mitgeführt wird. Dann wäre der Jagdgast nicht versichert. 5. Verletzt ein Pächter einen Mitpächter oder einen Angehörigen seines Jagdunternehmens, liegt ein Arbeitsunfall vor. Der Verletzte erhält ausschließlich die Leistungen der Unfallversicherung. Er hat keine Ansprüche gegen den Schädiger. Ebenso ist es, wenn ein Angehöriger einen anderen Angehörigen desselben Jagdunternehmens verletzt. 6. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit kann die LBG vom Schädiger Ersatz ihrer Aufwendungen verlangen. Die Jagdhaftpflichtversicherung übernimmt in der Regel diesen Schaden. 7. Die Leistungen der LBG sind in der Regel geringer als Schadensersatz nach dem Haftungsrecht


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