320 JVG – Unzuverlässigkeit, Alkohol und Waffen (1)
Mark G. v. Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
1. „Eine Erlaubnis nach diesem Gesetz ist zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen.“ § 45 Abs. 2 WaffG. 2. „Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen in der Regel Personen nicht, die … wegen einer fahrlässigen gemeingefährlichen Straftat … zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal (innerhalb von zehn Jahren) zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind.“ § 5 Abs. 2 Nr. 1b WaffG. 3. „Wer (vorsätzlich) im Verkehr ein Fahrzeug führt, obwohl er infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel nicht in der Lage ist, das Fahrzeug sicher zu führen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer die Tat fahrlässig begeht.“ § 316 Strafgesetzbuch.
II. Der Sachverhalt
Jäger J. hatte ordentlich gefeiert. Auf der Heimfahrt fiel er auf und wurde kontrolliert. Passiert ist nichts, aber er hatte 1,81 Promille im Blut. Durch Strafbefehl wurde er wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen verurteilt. Die Folgen: Widerruf der Waffenbesitzkarte, Abgabe der Waffen an einen Berechtigten oder ihre Unbrauchbarmachung und Einziehung des Jagdscheins. Außerdem Verlust der Fahrerlaubnis und Sperre von einem Jahr für deren Wiedererteilung. Weil der Verlust von Waffenbesitzkarte und Jagdschein fünf Jahre dauert, der Entzug der Fahrerlaubnis aber nur ein Jahr, ging J. vor Gericht. Er legte ein medizinisch-psychologisches Gutachten des TÜV Süd über seine Fahreignung vor, demzufolge er nunmehr keinen Alkohol mehr trinke und daher nicht mehr zu erwarten sei, dass er künftig erneut unter Alkoholeinfluss ein Fahrzeug führen werde.
III. Die Gerichtsentscheidung
Vor Gericht hatte J. keinen Erfolg. Es wies seinen Antrag ab, weil ein solches Gutachten nicht geeignet sei, die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit zu widerlegen. Mit der hier maßgebenden Unzuverlässigkeitsregelung habe der Gesetzgeber eine Wertung getroffen, nach der die Begehung einer fahrlässigen gemeingefährlichen Straftat (Trunkenheit im Verkehr) ein gewichtiges Indiz dafür sei, dass der Waffenbesitzer nicht gewissenhaft mit Waffen und Munition umgehen werde. Deshalb könnten auch nur tatbezogene Umstände die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit widerlegen, die im Tatverhalten selbst lägen und die Tat ausnahmsweise in einem derart milden Licht erscheinen ließen, dass die durch die Verurteilung begründeten Zweifel an der Zuverlässigkeit im konkreten Fall nicht berechtigt seien (Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 13.12.1994, BVerwGE 97, 245). Solche tatbezogenen Umstände ergäben sich weder aus seinen Stellungnahmen noch aus dem TÜV–Gutachten. Darin werde lediglich ein Zusammenhang zwischen der früheren Alkoholabhängigkeit und den unter Alkoholeinfluss verübten Straftaten hergestellt. Eine Alkoholabhängigkeit könne zwar eine Straftat erklären, sie aber nicht in einem milderen Licht erscheinen lassen. Eine im Straßenverkehrsrecht zulässige Prognose über das künftige Verhalten des Betroffenen ist angesichts der vom Gesetzgeber auf fünf Jahre festgelegten Unzuverlässigkeit im Waffenrecht nicht zulässig, da es sich beim Fahrerlaubnisrecht und dem Waffenrecht um unterschiedliche Rechtsgebiete handle. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 5.3.2008 – 19 CS 07.2786 – (im Ergebnis ebenso Verwaltungsgerichtshof Baden – Württemberg, Beschluss vom 13.4.2007 – 1 S 2751/06, WuH 10/2008, S. 106) IV. Anmerkungen Bei der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 WaffG, die über § 17 Abs. 1 S. 2 BJagdG immer auch die jagdrechtliche Unzuverlässigkeit zur Folge hat (außer hinsichtlich der Beizjagd, weil für sie keine Schusswaffen benötigt werden), stellt sich immer wieder die Frage, ob man durch ein medizinisch- psychologisches Gutachten die Unzuverlässigkeit widerlegen oder abkürzen kann und wann eine Ausnahme von der in der Regel gegebenen Unzuverlässigkeit vorliegt. Diese Fragen haben die Gerichte inzwischen weitgehend geklärt. 1. Gutachten unerheblich Ausgangspunkt hierbei ist das Gesetz. Danach ist „in der Regel“ unzuverlässig, wer wegen (irgend-) einer vorsätzlich begangenen Straftat oder einer bestimmten fahrlässigen Straftat mindestens zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe verurteilt worden ist. Das Gesetz vermutet also, dass ab dieser Strafhöhe der Betroffene mit Waffen eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt. „In der Regel“ bedeutet so viel wie „im Normalfall“. Die Vermutung der Unzuverlässigkeit kann daher widerlegt werden, wenn kein Normalfall vorliegt, sondern ein wesentlich milderer Bagatellfall. Das ist nur in Ausnahmefällen gegeben. Weil das Gesetz die Unzuverlässigkeit allein aus der Verurteilung herleitet, so die Gerichte, müssen sich auch die Milderungsgründe aus der Tat und der in der Tatbegehung zum Ausdruck kommenden Persönlichkeit des Täters ergeben. Entscheidend sind daher allein die Schwere der Verfehlung und die Persönlichkeit des Täters, wie sie in seinem Tatverhalten zum Ausdruck kommen (z.B. Abwendung drohender Tatfolgen, Erste-Hilfe-Leistung). Dagegen ist es unerheblich, ob der Täter bisher jahrzehntelang ordnungsgemäß mit Waffen und Munition umgegangen und nicht vorbestraft ist denn das unterstellt das Gesetz als selbstverständlich. Weil einer Medizinisch Psychologischen Untersuchung (MPU) über die Fahreignung ein anderer Beurteilungsgegenstand zu Grunde liegt (künftiges Fahrverhalten) und es in einem anderen Rechtsgebiet ergeht, ist es waffenrechtlich nicht aussagekräftig. Allenfalls ein Gutachten, das die Schwere der Tat und die Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Tatverhalten zum Ausdruck kommt, beurteilt und dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Tat ausnahmsweise in einem besonders milden Licht erscheint, die den Schluss auf die Unzuverlässigkeit nicht rechtfertigt, könnte die Unzuverlässigkeit widerlegen. 2. Weitere Entscheidungen In einem anderen Beschluss wies das Gericht darauf hin, dass bei der Anwendung der Regelvermutung grundsätzlich keine psychologischen Gutachten erforderlich sind, es sei denn, der Sachverhalt weist Besonderheiten auf, deren Bewertung eine spezielle Sachkunde voraussetzt (BVerwGE 97, 245). Auch der Hinweis auf ein Gutachten, wonach die Unzuverlässigkeitsregelung des § 5 Abs. 2 Nr. 1a WaffG statistisch gesehen bedenklich (überzogen) erscheint, ist unerheblich. Denn die Befugnis zur Einschätzung, wer unzuverlässig ist, steht allein dem Gesetzgeber zu. Wenn er über die statistischen Ergebnisse hinausgeht, um Leib und Leben besonders zu schützen, überschreitet er nicht die ihm vom Grundgesetz gezogenen Grenzen (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 15.8.2008 – 19 CS 08.1471). Schließlich ist ohne Bedeutung, ob die Blutentnahme entgegen § 81a Abs. 2 Strafprozessordnung ohne richterliche Anordnung durchgeführt wurde. Denn bei der Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit gelten geringere Anforderungen als im Strafverfahren, um Leben und Gesundheit wirksam vor unzuverlässigen oder ungeeigneten Waffenbesitzern zu schützen (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 22.2.2010 – 21 CS 09.2767 -).
V. Ergebnis
1. Ein Gutachten zur Widerlegung der gesetzlichen Unzuverlässigkeitsvermutung ist nach derzeitiger Rechtsprechung nur dann aussichtsreich, wenn es zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich um eine Bagatelle handelt, das den regelmäßigen Schluss auf die Unzuverlässigkeit ausnahmsweise nicht rechtfertigt. 2. Grundlage des Gutachtens muss die (geringe) Schwere der Tat sowie die Persönlichkeit des Täters sein, wie sie in seinem Tatverhalten zum Ausdruck kommt.