327 JVG – Berechnung von Waldwildschäden, Der ewige Ärger
Mark G. v. Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
1. „Wird ein Grundstück, das zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehört, durch Schalenwild, Wildkaninchen Fasanen beschädigt, so die Jagdgenossenschaft Geschädigten den Wildschaden zu ersetzen. Hat der Jagdpächter den Ersatz übernommen, so trifft ihn die Ersatzpflicht.“ § 29 Abs. 1 BJagdG Werden Bodenerzeugnisse, deren voller Wert sich zur Zeit der Ernte bemessen lässt, vor diesem Zeitpunkt durch Wild beschädigt, ist der Wildschaden in Umfang zu ersetzen, wie sich zur Zeit der Ernte darstellt.“ § 31 Abs. 2 S.1 BJagdG
II. Der Sachverhalt
Der Eigentümer mehrerer Waldgrundstücke stellte auf Flächen erheblichen Rehwildverbiss fest, insbesondere an Weißtannen. Er meldete die Schäden fristgerecht bei der zuständigen Gemeinde an. Da eine gütliche Einigung mit dem ersatzpflichtigen Jagdpächter nicht zustande kam, beauftragte Gemeinde einen Gutachter zur Bemessung des Schadens. Dieser überprüfte die einzelnen Parzellen und bezifferte den Gesamtschaden 323 Euro, unterteilt in direkte Verbissschäden, mehraufwand und Entmischungsschäden“. Auf der Grundlage dieses Gutachtens erließ die Gemeinde einen Vorbescheid diese Summe. Da der Jagdpächter damit nicht einverstanden war, kam die Sache vor Gericht. Das Amtsgericht folgte ebenfalls dem Gutachten und verurteilte den Jäger zur Zahlung von 25 323 Euro. Im Berufungsverfahren gelangte das Landgericht zu dem Ergebnis, dass ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens bestehen. Es bestellte daher einen neuen Gutachter, der den Schaden auf lediglich 8 481 Euro festsetzte. Daraufhin hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts geändert und den Ersatz auf diesen Betrag reduziert. Gegen dieses Urteil legte nun der Eigentümer Revision ein, sodass der Bundesgerichtshof als oberstes Zivilgericht entscheiden musste.
III. Das Urteil
Der Bundesgerichtshof wies die Revision zurück und bestätigte damit das landgerichtliche Urteil. Zur Begründung stellte er vorab klar, dass für die Art und den Umfang des zu leistenden Schadensersatzes die §§ 249 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches maßgeblich seien, ergänzt durch § 31 BJagdG. Desweiteren sei zu beachten, dass bei der Beschädigung von Bäumen zwischen Waldund sonstigen Bäumen zu unterscheiden sei. Letztere würden mit dem Einpflanzen wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, sodass bei Beschädigungen an ihnen nicht auf ihren Minderwert, sondern auf die Wertminderung des Grundstücks abzustellen sei (WuH 3/2006, S. 102). Anders seien Schäden an Waldbäumen zu beurteilen; denn diese Bäume dienten der Holzproduktion oder zu Verkaufszwecken, sodass sie von Anfang an nur zu einem vorübergehenden Zweck – wenn auch für lange Zeit – mit dem Grund und Boden verbunden würden. Sie seien daher kein wesentlicher Bestandteil des Grundstücks, weshalb Beschädigungen an ihnen als Baumschäden zu ersetzen seien. Die Ermittlung des Wertes der Wildschäden im Wald sei typischerweise mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, da schwierige Prognosen über künftige Kosten und Erträge zu treffen seien. Auch die Beurteilung des Ausmaßes des Verbisses und seiner Folgen auf den Wachstumsfortgang sei mit Schwierigkeiten verbunden. Da es keine allgemein anerkannte, herrschende Methode zur Bemessung der Waldwildschäden gebe und in der Fachwelt unterschiedliche Bewertungsverfahren vertreten würden, sei es Aufgabe der jeweiligen Richter, den Umfang des Schadens unter Hinzuziehung eines Sachverständigen nach anerkannten Regeln zu bestimmen. Welche Methode sie hierbei anwendeten, liege in ihrem pflichtgemäßen Ermessen (§ 287 Zivilprozessordnung). Im vorliegenden Fall habe das Gericht, dem Sachverständigen folgend, seiner Schadensberechnung die Kos tenwertmethode zugrunde gelegt. Diese Methode gehe davon aus, dass der Wert einer Pflanze oder eines Waldbestandes der Summe der zum Bewertungsstichtag aufgezinsten (forstüblich: vier Prozent jährlich) Kosten für Anschaffung, Pflanzung und Pflege entspreche. Dem Gutachten folgend habe das Gericht den Kostenwert der beschädigten Bäume bei ungestörter Entwicklung mit deren Kostenwert nach Eintritt der Schädigung ver glichen und die sich daraus ergebende Differenz als Schaden angenommen. Diese Berechnung sei rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere stehe dieser Methode nicht § 31 Abs. 2 S. 1 BJagdG entgegen, wonach der Schaden zum Zeitpunkt der Ernte zu bemessen sei; denn bei forstwirtschaftlichen Schäden sei – im Gegensatz zu landwirtschaftlichen Schäden – zu berücksichtigen, dass der eigentliche Sinn dieser Vorschrift – die exakte Ermittlung der eingetretenen Ertragsminderung zum Zeitpunkt der Ernte – ohnehin nur unvollkommen zum Tragen kommen könne, weil sich die Beschädigung des Baumes erst viele Jahre oder gar Jahrzehnte später finanziell auswirke. Die Berechnung des Schadens sei auch im Einzelnen ohne Rechtsfehler erfolgt. Das gelte sowohl für die Pflanz-, Pflege- und sonstigen Kosten wie auch für die Verneinung eines Entmischungsschadens, das heißt eines Schadens, der durch den Verbiss von beigemischten Baumarten entsteht (Veränderung der Baumartenanteile). Ein solcher Schaden sei mangels ausreichender Kontrollerhebungen nicht nachgewiesen. Schließlich habe das Gericht auch einen Kostenersatz für die Errichtung, Unterhaltung und Pflege der Einzäunungen zutreffend abgelehnt, weil es sich hierbei nicht um Wildschäden handle, sondern um Maßnahmen zur Verhütung von Wildschäden. Bundesgerichtshof, Urteil vom 4.11.2010 – III ZR 45/10 IV. Anmerkungen 1. Traditionelle Schadensberechnung Bisher wurden Waldwildschäden überwiegend in der Weise errechnet, dass bei Totalschäden in einer Kultur nach § 249 Bürgerliches Gesetzbuch entweder die Wiederherstellung in gleicher Art und Güte (Naturalrestitution) oder der hierfür notwendige Geldbetrag zu leisten ist. Für den Ausfall einzelner Pflanzen gilt das nur, soweit sie zur Erreichung des waldbaulichen Ziels notwendig sind. Bei einzelnen Verbissund Schälschäden ist es schwieriger. Hier wird anhand komplizierter Prognosen und Bewertungstafeln der voraussichtliche Schaden zum Zeitpunkt der – künftigen – Ernte ermittelt. Denn bisher war nach § 31 Abs. 2 S. 1 BJagdG grundsätzlich die Schadenshöhe zum Zeitpunkt der Ernte maßgebend. Dieser (Ernte-) Schaden wird sodann mittels eines geschätzten Diskontierungsfaktors (Zinssatzes) auf den Zeitpunkt des Verbisses/ der Schälung zurückgerechnet, um den heutigen Schadensbetrag zu erlangen. Dieser ist zu ersetzen. Dass diese Methode wegen des späten Erntezeitpunkts und der dadurch notwendigen Prognosen nicht zu exakten Ergebnissen führen kann, liegt auf der Hand. Außerdem ist zu beachten, dass der Diskontierungsfaktor (Zins) eine ganz wichtige Rolle spielt. Denn je kleiner er ist, desto höher ergibt sich der gegenwärtig zu ersetzende Schaden. 2. Moderne Berechnungsmethoden Neue Wege geht die Forstliche Versuchsanstalt Baden– Württemberg in Freiburg. Sie bewertet den Verbiss an Naturverjüngungen nicht anhand des Anteils oder der Anzahl der geschädigten Bäume, sondern danach, ob noch genügend unverbissene Pflanzen der gewünschten Baumarten in ausreichender Verteilung vorhanden sind, um das waldbauliche Ziel zu erreichen. Zuwachsverluste und Entmischungsschäden werden anhand spezieller Messverfahren bewertet. Eine andere Lehre sieht den Schaden ebenfalls nicht in der Beschädigung der einzelnen Pflanzen, sondern in dem durch die Beschädigung später eintretenden Ertragsverlust. Werden beispielsweise in einer Naturverjüngung einzelne Bäume der erwünschten Arten verbissen, ist ein ersatzpflichtiger Schaden nur gegeben, wenn dadurch später eine Ertragseinbuße entsteht. Denn nicht jeder Baumverbiss ist auch ein finanzieller Schaden. Müsste gleichwohl für jeden beschädigten Baum Ersatz geleistet werden, erhielte der Waldbesitzer trotz gleichen Ertrags zusätzlich eine erhebliche Summe als Schadensersatz, sodass er durch den (unerheblichen) Baumverbiss besser gestellt würde (MOOG, Deutscher Jagdrechtstag, XX. Band, S. 126). Schließlich wird auch die Ansicht vertreten, dass bei Naturverjüngungen ein Schaden nur vorliegt, wenn überhaupt ein verjüngungsnotwendiger Bestand vorliegt und bei den Zielbaumarten der Ist-Zustand hinter den Soll-Zustand zurückf.llt, also nicht mehr genügend gesunde Pflanzen für den Endbestand in ausreichender Verteilung übrig sind. Schäden an unerwünschten Baumarten, nicht überlebensf.higen Naturverjüngungen (zum Beispiel wegen Lichtmangels durch späteren Kronenschluss) oder überflüssigen Pflanzen (zu dichter Abstand) sind in der Regel unerheblich (REIMOSER, WuH 2/1997, S.22; KLOTZ, WuH 7/2000, S. 32).
V. Ergebnis
1. Mit diesem Urteil hat der Bundesgerichtshof den Anwendungsbereich des § 31 Abs. 2 S. 1 BJagdG eingeschränkt und für Waldschäden den Weg für Berechnungen frei gemacht, die nicht auf den Zeitpunkt der Ernte abstellen (hier: Kostenwertmethode, für die der Zuwachsverlust maßgebend ist). 2. Es steht im Ermessen der jeweiligen Richter, welcher Berechnungsmethode sie im Einzelfall folgen und welche sie ihrer Entscheidung zugrunde legen. 3. Bei erntebezogener Schadensberechnung kommt dem Diskontierungssatz besondere Bedeutung zu: Je höher er ist, desto geringer ist der heutige (zu ersetzende) Schaden. 4. Fazit: Die Berechnung der Waldwildschäden ist äußerst umstritten und daher allein Sache für Spezialisten. In Zweifelsfällen lohnt es sich, ein Zweitgutachten einzuholen