363 JVG – Treibjagd nicht angekündigt VERKEHRSSICHERUNGSPFLICHT VERLETZT
Mark G. v. Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
1. „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“ § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch
2. „Wer eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, muss die notwendigen und zumutbaren Sicherheitsmaßnahmen treffen, um andere vor Schaden zu bewahren.“ Allgemeine Verkehrssicherungspflicht
II. Der Sachverhalt
Auf einer Treibjagd in Niedersachsen wurde auch eine umzäunte Weide einbezogen, die sich am Anwesen eines Landwirts befand. Infolge der dadurch verursachten Störungen gerieten die dortigen drei Rinder in Panik. Sie durchbrachen den Stacheldrahtzaun und liefen auf eine Straße zu.
Der Landwirt verfolgte seine Rinder, um sie von der Straße fernzuhalten und einzufangen. Hierzu ist er an der Seite eines Rindes entlanggelaufen und versuchte, es durch Druck und Schläge gegen den Hals von der Richtung zur Straße abzubringen. Dabei stürzte er und zog sich einen komplizierten Splitterbruch der rechten Hand zu.
Der Landwirt verlangte von den Jagdpächtern Schadensersatz und ein angemessenes Schmerzensgeld. Außerdem beantragte er die Feststellung, dass die Jagdpächter alle künftigen Schäden zu ersetzen haben, die auf den Unfall zurückzuführen sind, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder Dritte übergegangen sind.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Verhalten des Landwirts sei unvernünftig und von vornherein ungeeignet gewesen, um die Gefahr abzuwenden. Mit seinem Versuch habe er vielmehr für sich ein neues Risiko geschaffen, für das er allein verantwortlich sei.
III. Das Urteil
Auf die Berufung des Landwirts hin hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts aufgehoben und die Jagdpächter als Veranstalter und Organisatoren der Jagd in vollem Umfang zum Schadensersatz verurteilt. Zur Begründung führte es aus, dass die Jagdpächter die ihnen obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt haben, weil sie die in unmittelbarer Nähe des Anwesens durchgeführte Treibjagd weder angekündigt noch die Weide von der Bejagung ausgenommen hatten, obwohl sie sichtbar mit Rindern bestanden war.
Nach den Grundsätzen der Verkehrssicherungspflicht sei der Urheber einer besonderen Gefahr verpflichtet, die im Einzelfall gebotenen Vorkehrungen zu treffen, um Dritte vor Schäden zu bewahren. Für die Jagdausübung gelte daher, dass sich Jäger so verhalten müssen, dass kein anderer gefährdet oder geschädigt werde. Hiergegen hätten die Jagdpächter verstoßen, weil sie sich vor Beginn der Treibjagd nicht vergewissert hatten, ob sich innerhalb des Treibens Nutztiere aufhielten, die durch Schüsse oder stöbernde Jagdhunde gefährdet werden könnten.
Aufgrund dieser Pflichtverletzung sei es zum Ausbrechen der Rinder gekommen, weil mindestens ein Jagdhund in die Weide eingedrungen sei und die Rinder in Panik versetzt habe. Beim Versuch, die Rinder einzufangen, habe sich der Landwirt dann verletzt. Hätten die Jagdpächter dem Landwirt vorher die Treibjagd auf seiner Weide mitgeteilt, so hätte dieser seine Tiere rechtzeitig in den Stall bringen können. Ferner wäre der Unfall nicht geschehen, wenn die Treibjagd bei Wahrnehmung der Rinder unterbrochen oder beendet worden wäre. Deshalb liege sowohl bei der Planung als auch bei der Durchführung der Treibjagd ein fahrlässiges Organisationsverschulden vor.
Dem stehe weder das Reiterurteil des Bundesgerichtshofs (Sturz einer Reiterin, entfernter Schuss im Wald ist eine unbeachtliche „waldtypische“ Gefahr; WuH 21/2011, S. 128) noch das Drückjagd-Urteil des Oberlandesgerichts Hamm (Panik auf einer Pferdekoppel, die mindestens 100 Meter entfernt war; WuH 19/2013, S. 86) entgegen. Denn in beiden Fällen sei die Abgabe von Schüssen „gebietstypisch“ gewesen und wegen der Entfernung zu den Pferden keine besondere Gefahrenlage begründet worden. Dass die Unfallverhütungsvorschriften keine Pflicht des Jagdpächters zur vorherigen Information der Landwirte enthalten, sei ohne Bedeutung. Denn es sei anerkannt, dass die Unfallverhütungsvorschriften nicht alle Sorgfaltspflichten enthalten. Die Verkehrssicherheitspflichten fänden daher ergänzend Anwendung.
Ein Mitverschulden des Landwirts scheide aus. Aufgrund seiner Schadensverhütungspflicht als Tierhalter sei er verpflichtet gewesen, die Rinder rechtzeitig einzufangen, um Schäden zu verhindern. Dass er hierzu neben einem Rind hergelaufen und mit der Hand gegen den Hals des Rindes gedrückt habe, um es von der Straße wegzulenken, sei ihm nicht vorzuwerfen. Das Risiko, hierbei zu stürzen, habe er angesichts der Gefahren für die Verkehrsteilnehmer eingehen dürfen.
Oberlandesgericht Oldenburg, Urteil vom 24.10.2013 – 14 U 80/13 –
IV. Ergebnis
1. Der Schusswaffengebrauch und frei laufende Hunde stellen eine erhöhte Gefahrenquelle dar, die besondere Schutzmaßnahmen erfordern.
2. Die überraschende Abgabe eines Schusses in unmittelbarer Nähe eines Menschen oder Tieres stellt in der Regel eine Sorgfaltspflichtverletzung dar, sodass dadurch entstehende Schäden zu ersetzen sind. Das gilt auch für die Einzeljagd. Anders ist es, wenn der Betroffene mit dem Schuss rechnen musste, zum Beispiel der Treiber oder der Nachbarschütze auf dem Schießstand.
3. Entfernte Schüsse im Wald sind „waldtypisch“ und daher grundsätzlich ersatzlos hinzunehmen (Reiterfall). Das gilt in der Regel auch für das freie Feld. Bei bestandenen Weiden sind jedoch ausreichende Sicherheitsabstände einzuhalten, auch mit den Jagdhunden. Diese sind erforderlichenfalls anzuleinen.
4. Soll im Gefahrenbereich von Weidevieh gejagt werden, ist deren Eigentümer/Tierhalter unbedingt vorher zu benachrichtigen, damit er Schutzmaßnahmen ergreifen kann. Ein Unterbleiben der Jagd kann dieser regelmäßig nicht verlangen.
5. Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für die Einzeljagd. Denn schon ein einziger Schuss und ein ungehorsamer Hund können Weidetiere in Panik versetzen und einen Menschen schädigen