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268 JVG – „Rotwildinsel“ darf bleiben

1910

Totalabschuss einer Wildart unzulässig „Rotwildinsel“ darf bleiben 268 JVG

268 JVG
FOTO: WERNER NAGEL

Mark G. v. Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
1. „Die Hege muss so durchgeführt werden, dass Beeinträchtigungen einer ordnungsgemäßen land-, forst- und fischereiwirtschaftlichen Nutzung, insbesondere Wildschäden, möglichst vermieden werden.“  § 1 Abs. 2 BJG
2. „Der Abschuss des Wildes ist so zu regeln, dass die berechtigten Ansprüche der Land-,
Forst- und Fischereiwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden voll gewahrt bleiben sowie die
Belange von Naturschutz und Landschaftspflege berücksichtigt werden. Innerhalb der
hierdurch gebotenen Grenzen soll die Abschussregelung dazu beitragen, dass ein gesunder
Wildbestand aller heimischen Tierarten in angemessener Zahl erhalten bleibt.“ § 21 Abs.
1 BJG

II. Der Sachverhalt
Pächter P. pachtete ein Gatterrevier von rund 1 000 Hektar Größe, in dem seit hundert
Jahren auch Rotwild seine Fährte zog. Für das Jagdjahr 1996/97 ordnete die zuständige
Behörde auf Drängen des Verpächters den Totalabschuss des Rotwildes an. Zur Begründung gab die Behörde an, dass die Schälschäden eine nachhaltige Forstwirtschaft in Frage stellten und die Entwicklung einer artgerechten Rotwildpopulation infolge der geringen Reviergröße und des sich daraus ergebenden kleinen Bestandes von maximal 20 Stück unmöglich sei. Der Pächter ging vor Gericht. Er beantragte die Feststellung, dass der Totalabschuss rechtswidrig sei, da er dem Hegegebot widerspreche. Ziel der Hege sei die Erhaltung eines gesunden und artenreichen Wildbestands, nicht jedoch die Ausrottung einer Wildart wegen Wildschäden. Im übrigen sei der Bestand gesund und frei von Degenerationserscheinungen.

III. Das Urteil
Das Gericht gab dem Pächter Recht; es stellte fest, dass der angeordnete Totalabschuss
rechtswidrig war. Nach § 21 BJG sei der Abschuss des Wildes so zu regeln, dass die berechtigten Ansprüche der Land- und Forstwirtschaft auf Schutz gegen Wildschäden voll gewahrt blieben. Innerhalb der dadurch gezogenen Grenzen solle die Abschussregelung
dazu beitragen, dass ein gesunder Wildbestand aller heimischen Arten in angemessener Zahl erhalten bleibe. Der sich hieraus ergebende Vorrang der Forstwirtschaft sei
jedoch nicht schrankenlos. Zum einen habe nur die „ordnungsgemäße“ Forstwirtschaft
diesen Vorzug, also die Forstwirtschaft, die neben der Gewinnerzielung und den anerkannten fachlichen Regeln auch die Funktionen des Waldes für die Allgemeinheit
berücksichtige, mithin nicht rücksichtslos sei. Zum anderen werde der Vorrang der Forstwirtschaft dadurch begrenzt, dass nach § 1 Abs. 2 BJG Wildschäden nur „möglichst“ vermieden werden sollen. Daraus sei zu entnehmen, dass Wildschäden trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten unvermeidbar seien und auf Grund der Sozialpflichtigkeit des Eigentums
hingenommen werden müssten. Die Ausrottung einer Wildart zwecks vollständiger
Vermeidung von Wildschäden sei im Bundesjagdgesetz nicht vorgesehen. Aus diesen Grundsätzen folge, dass zum extremen Mittel des Totalabschusses nur gegriffen werden dürfe und müsse, wenn sichergestellt sei, dass andere zumutbare Maßnahmen die Wildschäden nicht ausreichend eindämmten. Hieran fehle es im gegebenen Falle, da
bereits nicht erwiesen sei, dass das Rotwild untragbare Wildschäden verursacht habe.
Auch wildbiologische Gründe rechtfertigten nicht den Totalabschuss. Aus dem vom Gericht
eingeholten Gutachten ergebe sich, dass in dem hier betroffenen Gatterrevier ein gesunder,
qualitativ hochwertiger Rotwildbestand möglich sei, auch wenn infolge des Gatters ein Austausch mit anderen Beständen ausscheide. Bei einem Maximalbestand von 20 Stück sei eine artgerechte Sozialstruktur bei richtiger Bejagung unter Beachtung der Altersstruktur
(gerade) erreichbar. Zwar sei es sachgerecht, für frei lebende Populationen eine Mindestzahl von 50 Stück festzulegen, um auf jeden Fall eine genetische Verarmung auszuschließen. Daraus sei aber nicht der Umkehrschluss zu ziehen, dass geringere Populationen beseitigt werden müssten, weil sie zwangsläufig Defekte aufwiesen. Denn tatsächlich gebe es im Bundesgebiet zahlreiche inselartige Populationen von 20 bis 30 Stück, bei denen – wie im vorliegenden Fall – keinerlei Degenerationserscheinungen
festzustellen seien. Verwaltungsgericht Osnabrück, Urteil vom 11.6.2004 – 2 A 16/98 –
IV. Anmerkungen Das Gesetz hat sich für Wald und Wild entschieden, allerdings
mit einem Vorrang für den Wald. Deshalb sind tragbare Wildschäden aufgrund
der Sozialpflichtigkeit des Eigentums grundsätzlich hinzunehmen und im Wege des
Wildschadensersatzes auszugleichen. Tragbar sind Wildschäden, wenn sie das waldbauliche Ziel nicht gefährden, insbesondere die notwendige Waldverjüngung nicht vereiteln. Die
Hauptbaumarten sollen in der Regel ohne Flächenschutz in ausreichender Anzahl nachwachsen können, übrige Bäume sind durch übliche Schutzvorrichtungen gegen Schälund Verbissschäden zu schützen. Wegen des Gebots zur Erhaltung des Wildes ist ein Totalabschuss grundsätzlich unzulässig. Stets muss vorrangig versucht werden, überhöhte
Wildschäden durch andere zumutbare Maßnahmen auf ein tragbares Maß zurückzuführen,
etwa durch Ruhezonen und Äsungsflächen. Nur dann, wenn das nicht zum Erfolg geführt hat, kommt als letzter Ausweg ein Totalabschuss in Betracht. Dabei ist im Einzelfall genau zu prüfen, ob nicht ausnahmsweise das öffentliche Interesse an der Erhaltung des Bestands das private Interesse des Waldeigentümers an einer Steigerung seines Ertrags überwiegt. Zum Beispiel, weil die Fläche in einem Rotwild-Kerngebiet liegt und dadurch sowohl durch ihre Lage als auch durch ihre Bedeutung für den weiteren Wildbestand von vornherein
eine höhere Belastung zu tragen hat.

V. Ergebnis
1. Die ordnungsgemäße Forstwirtschaft hat Vorrang vor einem hohen Wildbestand. Aber
dieser Vorrang wird durch das Hegegebot begrenzt, so dass tragbare Wildschadensersatzes auszugleichen sind.
2. Ein Totalabschuss zwecks Vermeidung von Wildschäden ist nur zulässig, wenn  nachweislich sonstige zumutbare Maßnahmen erfolglos durchgeführt wurden.
3. Auch kleine, inselartige Rotwildvorkommen können einen gesunden Rotwildbestand
bilden. Siehe ergänzend WuH 26/1997, S. 50 und 24/1994, S.
70.

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