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Das Wildtierforum Baden-Württemberg

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Viel Zustimmung erhielt der Landesjagdverband Baden-Württemberg für das Thema seines ersten Wildtierforums am 29. Februar in Bad Wildbad (Nordschwarzwald).

Der LJV habe mit dem Forum ein aktuelles und wichtiges Thema im Vorfeld der 9. UN-Naturschutzkonferenz besetzt, deren Gastgeber die Bundesrepublik Deutschland in der Zeit vom 19. bis zum 30. Mai 2008 sein wird. Die UN-Naturschutzkonferenz wird das letzte Treffen der Vertragsstaaten vor dem entscheidenden Datum 2010 sein, bis zu dem die Weltgemeinschaft den Verlust der biologischen Vielfalt entscheidend be-grenzen will.
 
Namhafte Referenten, darunter der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk und der saarländische Umweltminister Stefan Mörsdorf, hochrangige Wissenschaftler aus ganz Deutschland und Vertreter von Naturschutzverbänden, stellten in Bad Wildbad ihren Standpunkt dar und zur Diskussion. Alle Referenten stimmten überein, dass die Jagd in Deutschland kein Gefährdungsfaktor der Biodiversität sei. In den letzten Jahrzehnten sei keine einzige Tierart durch die Jagd ausgerottet worden. Landesjägermeister Dr. Dieter Deuschle sowie der DJV-Präsident Jochen Borchert begrüßten die Teilnehmer und führten in das Thema ein.
 

„use it or loose it“

Prof. Klaus Pohlmeyer von der Tierärztlichen Hochschule Hannover und Präsident der Landesjägerschaft Niedersachsen betonte, dass die vorhandene Artenvielfalt in Mitteleuropa erst durch die menschliche Bewirtschaftung von Natur und Landschaft entstanden sei. Die Jäger in Deutschland verfügten durch Abschusspläne, Streckenmeldungen und verschiedene Wildtiererfassungssysteme über Ansätze von Management- und Bewirtschaftungskonzepten, noch bevor dies durch „Rio“ gefordert wurde. Die Biodiversitätskonvention lasse die nachhaltige Nutzung von Tierpopulationen ausdrücklich zu. Nur derjenige, der heute Populationen nutze und auch künftig weiter nutzen will, setze sich für den nachhaltigen Schutz ein – „use it or loose it“ so das neudeutsche Credo von Pohlmeyer.

 
Prof. Manfred Niekisch von der Universität Greifswald, der zahlreiche Ämter in Naturschutzorganisationen – wie Vizepräsident des Deutschen Naturschutzringes und IUCN Regional Councillor West Europe – ausübt, schränkte die Devise „use it or loose it“ ein. Sie sei zu pauschal und treffe in dieser Pauschalität nicht zu. Es gebe zahlreiche Tierarten die nicht, oder nur mit äußerster Vorsicht, nachhaltig zu nutzen seien. Als Beispiel nannte er verschiedene Tiefseefischarten, die sich sehr langsam entwickeln und erst im hohen Alter geschlechtsreif werden. Bei der heutigen flächendeckenden Befischung der Meere und Meerestiefen, würden diese Arten gefangen noch bevor sie sich fortpflanzen können. Ein anderes Beispiel sei die Zucht von Shrimps in tropischen Mangrovengebieten, die nur zwei bis drei Jahre an einem Ort ausgeübt werden könne und dann ihre eigene Basis zerstört habe und weiterziehen müsse. Niekisch zeigte in seinem Referat die internationale Dimension des Erhalts der Biodiversität auf. Regionen mit besonders hoher Artenvielfalt, sogenannte „hot spots“, lägen weit überwiegend in tropischen Ländern. Oft seien es genau die Länder, die volkswirtschaftlich über die geringsten Möglichkeiten verfügten, um die Erhaltung der Biodiversität zu gewährleisten.
 

Verantwortung für lebende natürliche Ressourcen übernehmen

Niekisch macht auch darauf aufmerksam, dass die Ziele des Schutzes der biologischen Diversität und ihre nachhaltige Nutzung, im internationalen Verhandlungsprozess der Staaten heute kam noch umstritten sind. Heftige Diskussionen und grundlegende wirtschaftspolitische Differenzen zwischen den Industrie- und Entwicklungsländern, verursache jedoch die Umsetzung des dritten Zieles der Konvention: der gerechte Vorteilsausgleich bei der Nutzung genetischer Ressourcen. Anders als im internationalen Handel üblich, seien dabei nicht nur Individuen und Rechtspersonen Träger von Rechten, sondern auch Gemeinschaften mit tradierten Kenntnissen und Verfahren. Wer also beispielsweise die Kenntnisse der Hochlandindios in Bolivien über medizinisch wirksame Pflanzen, ihre Zubereitung und Anwendung zur kommerziellen Entwicklung für Arzneimittel nutzen wolle, müsse den Indios einen „gerechten Vorteilsausgleich“ verschaffen. „Nationale Souveränitäten zu respektieren, dabei die Rechte lokaler und indigener Gemeinschaften zu stärken und gleichzeitig gemeinsam globale Verantwortung für lebende natürliche Ressourcen zu übernehmen, sind die Quintessenz dessen, was mit der Biodiversitäts-Konvention erreicht werden soll“, so Niekisch.

 

Jagd ist legitime Nutzungsform

Nach seinen Ausführungen zur internationalen politischen Diskussion ging Niekisch auf die Situation in Deutschland ein: „Jagd ist kein Faktor der Gefährdung von Biodiversität in Deutschland, sondern eine legitime nachhaltige Landnutzungsform. Wenn dies heute gelegentlich anders diskutiert wird, dann handelt es sich um überkommene Graben-kämpfe zwischen Naturschutzvertretern und der Jägerschaft.“ Noch vor zehn Jahren wäre es „undenkbar“ gewesen, dass er als Referent von den Jägern eingeladen wird. Deshalb habe er die Anfrage des LJV zu einem Referat spontan zugesagt und sich allenfalls gewundert, dass die Anfrage von einem Landesverband und nicht dem Bundesverband kam.

 

Hauk fordert Grünbrücken

Das Eingangsreferat des Wildtierforums hatte der baden-württembergische Landwirtschaftsminister Peter Hauk übernommen. Er stellte gleich zu Beginn klar, dass aus seiner Sicht „Jagd nicht nur legitim, sondern auch erwünscht und erforderlich ist. Allerdings braucht die Jagd gesellschaftliche Akzeptanz und Legitimation, sonst ist sie nicht zukunftsfähig.“ Die Sicherung der biologischen Artenvielfalt gehe alle an, sei aber für viele Menschen nur schwer greifbar und brauche deshalb Symbole, wie das Auerwild, den Luchs oder die Wildkatze. Die jagdliche Nutzung stehe nicht im Widerspruch zur biologischen Vielfalt, auch wenn durch Erlegung und Hege jagdbarer Wildtiere ihre Population und Lebensräume sowie indirekt nicht jagdbare Tierarten und Pflanzenarten beeinflusst werden. „Die Jäger werden dabei ihrer Verantwortung gerecht“, so der Minister. In einem dicht besiedelten Bundesland stehe die Erhaltung der Artenvielfalt und Vielfalt der Lebensräume in einem gewissen Widerspruch zu den Ansprüchen, die sich aus Wirtschaftswachstum und Besiedelung ergeben. Nur durch die Bereitschaft zu Dialog und Kompromiss sei dieser Spagat zu bewältigen.

 
Hauk ging auch auf konkrete Schritte der Landesregierung zur Erhaltung der biologischen Vielfalt ein. Beispielsweise habe die Regierung zu Beginn der Legislaturperiode beschlossen, einen Aktionsplan zur Sicherung der biologischen Vielfalt in Baden-Württemberg aufzustellen. Dieser werde derzeit in Zusammenarbeit mit den Naturschutz- und Nutzerverbänden entwickelt. Das Land hat am 4. März 2008 die Beitrittserklärung zur Initiative „Countdown 2010“ offiziell unterzeichnet. Die FVA Freiburg erstellt einen „Generalwildwegeplan“, der Eingang in die Generalverkehrswegeplanung des Landes findet. Hauk forderte den Bau von Grünbrücken, die dem Wild die Querung der Verkehrstrassen erlauben, beispielsweise beim Ausbau der Bahnstrecke zwischen Stuttgart und München.
 

Artenvielfalt und Landschaftswandel

Der Umweltminister des Saarlandes, Stefan Mörsdorf, ging in seinem Referat auf den Zusammenhang von Artenvielfalt und Landschaftswandel ein. Deutschland und Mitteleuropa sind nach seinen Aussagen nicht die Regionen, die bei globaler Betrachtung zur Artenvielfalt beitragen bzw. in denen die vorhandene Artenvielfalt gefährdet sei. Die internationalen Bemühungen seien auf die „Hot-Spot-Regionen“ zu fokussieren. Dort gebe es die größte Anzahl von Arten und Lebensräumen, dort seien sie am meisten gefährdet. Die meisten Tierarten, die in Deutschland als gefährdet gelten, befänden sich bei uns am Rande ihres Verbreitungsareals. Bereits geringfügige Änderungen des Klimas oder der Landbewirtschaftung führen dort zu einer beträchtlichen Verschiebung der Arealgrenzen. Da die Arten aber in ihrem Kernverbreitungsgebiet nicht gefährdet seien, stelle der oft hohe Aufwand zur Arterhaltung bei uns eine Verschwendung der Ressourcen dar. Die Auswahl, welche Arten zu schützen sind, sei so fast „beliebig“ und von den Wünschen und Vorstellungen des Einzelnen abhängig. Eine Spezies, für die aufgrund ihres engen Verbreitungsgebiets Deutschland eine besondere Verantwortung trage, sei beispielsweise der Rotmilan. Auf solche Arten sollten die Aktivitäten und Mittel des Artenschutzes bei uns konzentriert werden. Kritisch hinterfragte Mörsdorf die Extensivierung der Nutzung bis hin zur vollständigen Unterschutzstellung von Gebieten im Inland: „Ist die Extensivierung der Nutzung bei uns die Antwort auf die Erhaltung der Artenvielfalt wenn wir uns die Ressourcen hinterher wo anders holen müssen?“ Nach seiner Meinung bedarf es eines integrativen Ansatzes, um die beiden Kernfragen nach der ausreichenden Versorgung der Menschheit mit Energie und der Erhaltung der Biodiversität zu beantworten.

 

WILD „Wildtier-Informationssystem der Länder Deutschlands“

Prof. Roland Klein von der Universität Trier stellte das „Wildtier-Informationssystem der Länder Deutschlands“ (WILD) vor. Es ist das erste bundesweite Monitoring-Programm zur großflächigen Populationserfassung bejagbarer Tierarten. Nach Erläuterung der Erhebungsverfahren, berichtete Klein über die Bestandsentwicklung ausgewählter Wildtierarten, wie Rebhuhn, Hase, Marderhund, Mink, Wildkatze und Fuchs. Da WILD nicht nur die Populationsdichten im Raum und über die Zeit hinweg erfasst, sondern auch weitere Parameter der Habitate, wie landwirtschaftliche Nutzpflanzen, Saumlängen, Grenzlinien und Gewässeranteile, können auch die Ursachen unterschiedlicher Bestandsdichten und -entwicklungen analysiert werden. So sei beispielsweise erkennbar, wenn auch noch nicht hinreichend statistisch abgesichert, dass die großflächige, intensive und auf wenige Nutzpflanzenarten beschränkte Landwirtschaft in Ostdeutschland zu einer deutlich geringeren Hasendichte führe als in weiten Teilen Westdeutschlands.

 

Großraubwild in Deutschland

Am Beispiel des Luchses erläuterte Dr. Thomas Kaphegyi von der Universität Freiburg die Anforderungen an ein Management von Großraubwildarten in Deutschland. Da die großen Carnivoren in Westeuropa vor rund 200 Jahren weitgehend ausgerottet wurden, stehen keine aktuellen Ausbreitungsmuster zur Verfügung, die unmittelbar als Messgröße zur Beurteilung der Habitatvernetzung in unserer stark zerschnittenen Landschaft heran gezogen werden können. Deshalb ist man auf die Übertragung entsprechender Kenntnisse aus Gebieten mit noch stabilen Populationen angewiesen. Kaphegyi führte eindruckvoll vor, wie schwierig und aufwändig es ist, die vorhandenen Erfahrungen und Kenntnisse auf unsere Kulturlandschaften zu übertragen, ohne allzu einfachen Erklärungen aufzusitzen. Im Gegensatz zur häufig anzutreffenden Meinung, dass sich der Luchs in Mitteleuropa wieder ausbreite, machen empirische Untersuchungen deutlich, dass Luchspopulationen in Kulturlandschaften nur eine sehr geringe Tendenz zur Arealausweitung haben. „Klar wird jedoch bereits jetzt, dass in vielen als prinzipiell geeignet eingestuften Regionen in Westeuropa nicht mit einer selbständigen Besiedlung durch die Raubkatzenart zu rechnen ist.“

 
Der neue Landesvorsitzende des NABU Baden-Württemberg, Dr. Andre Baumann, formulierte im letzten Referat des Tages die Erwartungen des Naturschutzes an die Jagd. Dabei machte er deutlich, dass der Naturschutz und die Jägerschaft in zahlreichen Bereichen gemeinsame Ziele haben und bot den Jägern im Land mehrfach und ausdrücklich die Zusammenarbeit an. Er erwähnte aber auch „Herausforderungen“ für die Jäger und nannte als Beispiele regional hohe Wilddichten, die zu hohen Wildschäden führen, Missstände bei Kirrung und Fütterung, (Zer-)störungen von FFH-Gebieten durch Schwarzwild. Die Jäger sollten Wild wild sein lassen, von der Wildtierbewirtschaftung zum Wildtiermanagement übergehen und effektive Jagdmethoden anwenden.
 
Nach der vom Moderator Dr. Gerd Kalkbrenner geleiteten Schlussdiskussion, bedankte sich der sichtlich zufriedene Landesjägermeister bei Referenten, Teilnehmern und Organisatoren. Der Landesjagdverband werde im Jahr 2010 das nächste Wildtierforum ausrichten. Die Kurzfassungen der Referate können im Internet unter www.wildtierforum-bw.de eingesehen werden. Die vollständigen Referate werden in einem Tagungsband zusammengefasst.
 

Das Wildtierforum Baden-Württemberg

Das Wildtierforum Baden-Württemberg ist eine Veranstaltungsreihe des Landesjagdverbands, die im zweijährigen Rhythmus durchgeführt wird. Das Wildtierforum richtet sich sowohl an Jäger, Forstleute und Naturfreunde als auch an Behörden, Verwaltungen, Verbände und Einrichtungen der Forschung und Lehre. Es soll als Forum des Austausches von Forschungsergebnissen und Informationen dienen und diese dokumentieren. Alternierend zum Wildtierforum des LJV findet eine ähnliche Veranstaltung des Ministeriums für Ernährung und Ländlichen Raum statt. Die Veranstaltung in Bad Wildbad bildete den Auftakt der Veranstaltungsreiehe des LJV und wurde in Kooperation mit dem DJV durchgeführt. Am Vortag fand eine Exkursion in das Gebiet des Kaltenbronn statt. Thomas Nissen, Martin Hauser und Katrin Dürr vom Kreisforstamt Rastatt vermittelten bei günstiger Witterung einen Eindruck der Naturschätze im Staatswald Kaltenbronn. Themen wie Wald- und Jagdgeschichte des Kaltenbronns, Rotwildbewirtschaftung, Auerwildhege und Natura-2000-Umsetzung kamen zur Sprache. Die Exkursion endete mit einem Besuch des neuen Infozentrums-Kaltenbronn. Am Vorabend des Wildtierforums gab es für die früh angereisten Teilnehmer ein gemeinsames Abendessen und ein Kamingespräch mit Landesjägermeister Dr. Dieter Deuschle und LJV-Präsident Jochen Borchert.

 
 
-fjl-


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