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ASP: Wenn die Seuche bleibt

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Die Afrikanische Schweinepest (ASP) hat Deutschland erreicht. Hilft radikale Bejagung oder kann die ASP auch von allein wieder verschwinden? Ein Blick in Länder mit langer ASP-Erfahrung zeigt unerwartete Möglichkeiten. Dr. Christine Miller (Beitrag aus der WILD UND HUND 2/2021)

Foto: Rafal Lapinski

Viren können ausgesprochen reisefreudig sein, wie die Menschheit gerade erfahren muss. Wann und wo sie auftauchen und ob und wann sie wieder verschwinden sind Fragen, die Wissenschaftler beantworten müssen, wenn sie eine Krankheit bekämpfen wollen. Bei der Afrikanischen Schweinepest sind die Rätsel um die Ausbreitung und Dynamik nach wie vor kaum gelöst. Vor mehr als 60 Jahren tauchte die ASP erstmals auf dem europäischen Kontinent auf und setzte sich vier Jahrzehnte lang fest. Zwischenzeitlich war sie ausgelöscht, bis sie 2007 von Georgien ausgehend wieder aufgetreten ist.

Inzwischen wurden fast sechs Millionen Schweine zur Bekämpfung der ASP gekeult. In Mitteleuropa wurde die Jagd auf Schwarzwild intensiviert. Ob es auch diesmal gelingt, die Seuche in Schach zu halten, zurückzudrängen oder wieder auszurotten, ist noch lange nicht absehbar. Ein Blick auf die Strategien, die sich bei der ersten Welle bewährten, um die ASP zu bekämpfen, ist hilfreich. Dabei zeigt sich auch, dass die Dichte des Wildschweinbestandes weder die Ausbreitung der ASP vorhersagbar macht noch diese antreibt. Auch in einem hohen Sauenbestand kann die Seuche erlöschen. Die Erfahrungen der Langzeit-ASP-Gebiete auf der Iberischen Halbinsel und Sardinien geben dabei womöglich Aufschluss, was uns in Zukunft blüht. Aber zunächst ein Blick nach Osten.

Als im Januar 2014 zwei Wildschweinkadaver in Litauen nahe der Grenze zu Weißrussland entdeckt wurden, war das erste Mal nachgewiesen, dass das Virus einen Sauenbestand erreicht hatte, der sich über Staatsgrenzen hinweg bewegte. Die ebenfalls in Litauen betroffenen Hausschweine waren aber nachweislich nicht von den Schwarzkitteln infiziert worden. In Lettland dagegen traten ein halbes Jahr später infizierte Haus- und Wildschweine fast zeitgleich auf, wieder an der Grenze zu Weißrussland. Hier vermutet man, dass das Virus über infiziertes Gras oder gemeinsam genutzte Weideflächen verbreitet wurde.

Hausschweine in Freiland- und Hinterhofhaltung sind das Hauptreservoir des Virus in den Bergen Sardiniens und Ursache der meisten Ausbrüche.

Trotz schneller Maßnahmen – inklu¬sive verstärkter Bejagung der Sauen – breitete sich das Virus im Schwarzwildbestand weiter aus. Die Dichte der Bestände war auch in Lettland nicht mit der Seuchendynamik gekoppelt. Allerdings stiegen die ASP-Fälle im Sommer an und fielen dann ab. Ein kleines Zwischenhoch trat stets zur Rauschzeit im Winter auf.

Auch in Estland, in das die ASP im Herbst 2014 Einzug hielt, ist das Seuchengeschehen vom Schwarzwild getrieben. Jedoch ist es nicht von der Dichte der Sauen abhängig. Allerdings stieg die Ausbreitungsgeschwindigkeit der ASP in der Jagdsaison, in der auch ausgiebige Treib- und Drückjagden veranstaltet wurden. Im Jahr zuvor, in dem die Jagd nur vom Ansitz aus erfolgte, verbreitete sich das Virus erkennbar langsamer.

Das Panel der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) aus renommierten Wissenschaftlern und Epidemiologen, das im Auftrag der Europäischen Kommission 2018 den Kenntnisstand zur ASP zusammenfasste und Vorschläge zum Umgang mit der Seuche entwickelte, kommt zu dem klaren Schluss: Es gibt keine sichere Maximaldichte für Wildschweine, die die Ausbreitung stoppen oder verhindern würden. Zu viele Faktoren sind unbekannt. Vermutlich sind kleinräumige Rottenstrukturen oder die Übertragung an Kadavern wichtigere Parameter, die bestimmen, ob das ASP-Virus in einer Population überlebt.

Während die Jagd einen ASP-freien Sauenbestand stabil halten kann und dies auch das EFSA-Panel empfiehlt, halten die Wissenschaftler den Versuch, die Schwarzkittel auf großer Fläche drastisch zu reduzieren, für wenig sinnvoll und Erfolg versprechend. Selbst dem Bau vermeintlich wildschweindichter Zäune, um die Ausbreitung des Virus mittels infizierter Sauen zu verhindern, messen die Experten wenig Chancen zur Seuchenkontrolle zu. Es gibt einfach keinen hundertprozentig sicheren Zaun! Dagegen dämmen natürliche Barrieren, wie große Flüsse oder Gebirgsketten, die Ausbreitung merklich ein. Je mehr Wald es gibt, desto unkontrollierter können sich Schwarzkittel und ihre Virenlast dagegen bewegen. Auf der Iberischen Halbinsel z. B. herrschte die ASP mehr als 35 Jahre lang. 1994 wurde sie in Portugal, 1995 in Spanien ausgerottet, mit Ausnahme eines isolierten Aus¬bruchs 1999 in Portugal. Neben den befallenen Hausschweinbeständen hielt sich die ASP auch in Wildschweinpopulationen auf. Besonders bemerkenswert ist hier aber, dass im Nationalpark Coto de Doñana in Südspanien ein völlig unregulierter Bestand lebt. Doch erwies sich diese Population nicht als Brutstätte oder Infektionsherd von regionaler Bedeutung für das Seuchengeschehen.

Ob rabiate Methoden wie der Einsatz von Saufängen ein probates Mittel zur Bekämpfung der ASP darstellen, ist im Licht der Erfahrungen aus Sardinien fragwürdig. (Foto: Egbert Gleich)

Das zeigen auch die Studien im intensiv untersuchten Endemiegebiet in Sardinien. Dort tauchte das Virus 1978 erstmals auf. Inzwischen registriert man seit Jahren keine Infektionen mehr, und über kurz oder lang wird auch Sardinien wieder ASP-frei sein. Auf der Mittelmeerinsel leben mehr als 70 % der dort gehaltenen Hausschweine in freier Weidehaltung. Ständiger und enger Kontakt mit Wildschweinen, mit denen Sardinien reich gesegnet ist, bleibt so unvermeidbar.

Seit den ersten Fällen Afrikanischer Schweinepest auf der Insel arbeitet und forscht Prof. Laddomada in der Abteilung für Tiergesundheit und am Zentrum für Seuchenüberwachung in Cagliaria über die ASP. Der erste Eintrag des Virus und die nachfolgende Ausbreitung ins Zentrum der Insel erfolgte über Hausschweine. Für das Seuchengeschehen sind drei Schweinepopulationen bedeutsam. Der hauptsächliche Treiber sind Hausschweine, die traditionell vor allem in den Bergen Sardiniens gehalten werden. Die zweite Population sind die Schwarzkittel, die es praktisch überall auf der Insel gibt. Und dann gibt es noch viele kleine Haltungen, meist wenige Tiere, die zur Eigenversorgung oder für den lokalen Handel betrieben werden.

Von der Mitte der Insel heraus flammten immer wieder kleinere Epidemien auf. Sie betrafen entweder nur die Hinterhofhaltungen oder die kleinen Betriebe sowie Wildschweine. Aus den Hausschweinbeständen wurden diese Seuchenspitzen regelmäßig durch Keulung der kleinen Bestände erstickt. Prof. Laddomado erläutert weiter: „Die ASP zeigte den Trend, in der jeweils betroffenen Wildschweinpopulation abzunehmen und dort mit der Zeit wieder zu erlöschen, sobald die ASP bei den Hausschweinen ausgemerzt wurde.“ Das Besondere im Fall von Sardinien war, dass die ASP von den frei lebenden Hausschweinen auf der Insel erhalten wurde. „Sie stellten das Reservoir für die ASP dar, während die Wildschweine nur eine minimale Rolle bei der Virusverbreitung gespielt haben.“ Diese Zusammenhänge wurden seit Jahrzehnten von vielen Forschergruppen untersucht und bestätigt. Die sardische Sauenpopulation hat in der Zeit seit 1978 auch nicht wesentlich abgenommen. Wurden damals etwa 70 000 Tiere geschätzt, beläuft sich diese Zahl heute auf etwa 90 000.

Die Grafik zeigt die Schwarzwilddichte Sardiniens (rot) sowie die ASP-Fälle bei
Hausschweinen in Freilandhaltung (Grüne bzw. blaue Punkte) 2013-18. Die ASP-Schutzzone ist grün markiert. (Grafik: Loi et al, Standardized Risk Analysis … (2019).)

Prof. Laddomado weist auch darauf hin, dass niemals der gesamte Schwarzkittelbestand der Insel betroffen war. Neben dem Zentrum der Insel waren die Sauen in einem nördlichen Bezirk gefährdet. Die Populationen wurden nur in einem begrenzten Gebiet und nur für eine begrenzte Zeit befallen. Niemals breitete sich der Befallsradius weiter als 1 000 km² aus. Die gesamte Insel hat eine Fläche von 24 000 km², halb so groß wie Estland, wo innerhalb weniger Jahre fast die gesamte Landesfläche betroffen war.

Was also begrenzt die Verbreitung innerhalb der Sauenpopulationen Sardiniens? Im Vergleich zu den Baltischen Staaten sind die Seuchenspitzen vor allem auf das Frühjahr beschränkt. Es hat sich, wie Prof. Laddomado vermutet, ein Gleichgewicht beim Hauptwirt (den frei lebenden Hausschweinen und einem Teil der Wildschweine) entwickelt, das zu einer geringeren Sterblichkeit des Virus führte. Denn tatsächlich waren die frei lebenden Schweine bis zu 70 – 80 % seropositiv. Das heißt, diese Tiere hatten Kontakt mit dem Virus und diesen Kontakt überlebt. Eine derart hohe Zahl von „Überlebenden“ gibt es sonst nur noch bei den Afrikanischen Warzenschweinen. Aber auch bei den sardischen Wildschweinen hat man vergleichbar hohe Zahlen von Überlebenden gefunden.

Sollte die ASP auch hierzulande endemisch werden, ist bei der Bejagung ein Umdenken angesagt: Der Kontakt von Hund und Sau sollte minimiert werden. (Foto: Carol Scholz)

Aktuell sind praktisch keine Wildschweine mehr von der ASP betroffen, und auch die Zahl der seropositiven Tiere ist auf null gesunken. Die „freien Hausschweine“ wurden inzwischen alle gekeult. Das Seuchengeschehen ist damit zum Erliegen gekommen. Die Wildschweine auf Sardinien wurden seit dem Auftreten der ASP nie anders bejagt als davor. Weder Zäune noch massive Bejagung wurden angewandt. Eher wurde die Jagd inzwischen strenger reglementiert, wie auch die Zunahme der Population insgesamt gezeigt hat. Die Wildschweine wurde niemals als das große Problem für die ASP-Dynamik angesehen, sondern eher als ihr Opfer. Der Sauenbestand in Sardinien ist kein Seuchenherd und wurde ASP-frei, sobald die ständigen Neuinfektionen durch die frei lebenden Hausschweine unterbunden wurde.

Kann das Beispiel Sardiniens auf das Seuchengeschehen in Mittel- und Zentraleuropa übertragen werden? Das kann man nicht sagen. Die Wildschweine auf Sardinien sind genetisch von den Sauen des Festlandes verschieden. Auch ihr Lebensraum, ihre weitgehend artgerechte und intakte Sozialstruktur mögen zu anderem Verhalten führen. Jedoch sind sich Experten heute weitgehend einig, dass es praktisch unmöglich sein wird, Wildschweinpopulationen in Waldgebieten so zu regulieren, dass dadurch die ASP ausgemerzt werden kann. Nur bei wirklich kleinen, lokalen Ausbrüchen kann das gelingen, wie die Beispiele in Tschechien und Belgien zeigen. Es weiß aber niemand, ob sich die ASP auch von allein totgelaufen hätte, wie es in Sardinien der Fall war. Auch in Afrika hatte man versucht, mittels der Vernichtung von Wildtierbeständen ein mögliches Seuchenreservoir auszurotten – ohne Erfolg. Fachleute bezeichnen derartige Maßnahmen als „teuer, schwierig und ineffektiv“.

Alle Hoffnungen liegen inzwischen auf der Entwicklung von effektiven Impfstoffen. Nachdem man sich dazu endlich entschlossen hat, stehen die Aussichten nicht schlecht, in den nächsten Jahren mit einer Impfung zumindest die Hausschweine vor der ASP schützen zu können. Die EU hat allein zehn Millionen Euro in das sogenannte VACDIVA-Projekt (vacdiva.eu) investiert, das an einem Impfstoff forscht. Aus der Erfahrung mit anderen Pandemien ist bekannt, dass entschlossenes Handeln und ausreichende Finanzierung auch zu raschen Erfolgen führen kann. Dies erscheint jedenfalls sinnvoller, als nur mit Gewalt an der Schraube „Wildschweindichte“ drehen zu wollen.

Die Grafiken zeigen die ASP-Inzidenz nach Jahreszeiten auf Sardinien (a). Grafik b illustriert den Haus- und c den Wildschweinbestand. Auffällig ist dabei die Spitze zur Rausche am Ende der Jagdzeit im März.( Grafik: : Loi et al, Mathematical Approach … (2020) S. 4)
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