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Reiterin stürzte vom Pferd

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334 JVG – Reiterin stürzte vom Pferd, Schussknall nicht haftungsbegründend

334 JVG

Mark G. v. Pückler

I. Die Rechtsgrundlage
1. „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“ § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch 2. „Ist wegen der Verletzung des Körpers […] Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, billige Entschädigung in gefordert werden.“ § 253 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (Schmerzensgeld)

II. Der Sachverhalt
Im November 2008 führte K. Jagdleiter eine Treibjagd durch. Während des Treibens die später Verletzte V. mit ihrer Freundin auf einem Waldweg nahe des Jagdgebietes. Obwohl sie plötzlich einen Schuss hörten, entschlossen sie sich, den Ausritt fortzusetzen. Kurz darauf fiel ein weiterer Schuss, woraufhin das Pferd der V. scheute sie zu Boden stürzte. Hierdurch verletzte sie sich erheblich. Vor Gericht verlangte sie Schadensersatz und Schmerzensgeld von mindestens 4 500 Euro, weil K. angeblich weder Hinweis noch Warnschilder aufgestellt habe. K. erwiderte, dass er an allen in den Wald führenden Wegen mit Warnschildern auf die Treibjagd hingewiesen habe. Im Übrigen sei der Schuss nicht von einem Teilnehmer seiner Jagd abgegeben worden, da zum Zeitpunkt des Unfalls die Mittagspause stattgefunden habe.

III. Das Urteil
Vor Gericht hatte die Reiterin keinen Erfolg. Sowohl das Amts- und Landgericht als auch der Bundesgerichtshof als letzte Instanz haben ihre Klage kostenpflichtig abgewiesen. „Im Allgemeinen begründen Schussgeräusche einer Jagd für sich noch keine potenzielle Gefahr für Rechtsgüter Dritter“, so der Leitsatz des Urteils. Zur Begründung führte der Bundesgerichtshof aus, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung derjenige, der eine Gefahrenlage schaffe, grundsätzlich verpflichtet sei, die „notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern.“ Hierbei sei aber einschränkend zu berücksichtigen, dass nicht jeder fernliegenden Gefahr vorgebeugt werden könne. Deshalb werde eine Gefahr erst dann haftungsbegründend, wenn die nahe liegende Möglichkeit bestehe, dass andere verletzt werden. In einem solchen Falle seien diejenigen Sicherungsmaßnahmen zu treffen, die „ein verständiger, vorsichtiger und gewissenhafter“ Angehöriger des betroffenen Personenkreises (hier: Jagdleiter) für ausreichend und zumutbar halten dürfe, um andere vor Schaden zu bewahren. Nach diesen Grundsätzen sei der Jagdleiter im vorliegenden Fall nicht verpflichtet gewesen, die Reiterin vor unkontrollierten Reaktionen ihres Pferdes auf Schussgeräusche zu schützen. Denn die bei Gesellschaftsjagden einzuhaltenden Sicherheitsmaßnahmen ergeben sich aus den Unfallverhütungsvorschriften. Nach ihnen und den dazugehörenden Durchführungsbestimmungen seien Verkehrsunfälle durch über die Straße flüchtendes Wild zu vermeiden und Dritte vor Schussverletzungen zu bewahren. Ein Schutz vor Schussgeräuschen sei darin nicht vorgesehen. Zwar enthielten die Unfallverhütungsvorschriften nicht sämtliche Schutzmaßnahmen, die im Einzelfall erforderlich sein könnten. Jedoch müssten keine besonderen Schutzmaßnahmen zur Warnung vor Schussgeräuschen getroffen werden, weil diese im Allgemeinen keine Gefahr begründeten. In Waldgebieten müsse mit solchen Lärmbeeinträchtigungen allgemein gerechnet werden. Anders wäre es nur, wenn der Schuss in unmittelbarer Nähe der Verletzten abgegeben worden wäre. Ein solcher Fall sei hier aber nicht gegeben. Vielmehr sei der Unfall erfolgt, weil die Reiterin ihrPferd nicht beherrscht habe. Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. Februar 2011 – VI ZR 176/10 –

IV. Anmerkungen
1. Verkehrssicherungspflicht Die allgemeine Verkehrssicherungspflicht hat nichts mit (Straßen-)Verkehr zu tun, sondern mit (jedem) menschlichen Tun. Sie besagt, dass derjenige, der irgendwie eine Gefahr für andere begründet, diese durch geeignete und zumutbare Maßnahmen beseitigen oder wenigstens minimieren muss. Unterlässt er dies, handelt er regelmäßig fahrlässig und haftet für eintretende Schäden. Das gilt im gesamten menschlichen Umgang, bei der Absicherung einer Baugrube oder eines Balkon blumen kastens ebenso wie bei der Sicherung eines Schlageisens (durch einen geeigneten Fangbunker) oder einer Drückjagd in Straßennähe (Treiben in Richtung weg von der Straße führen, Rückwechsel sichern, Straßenverkehr durch Posten oder Hinweisschilder warnen). Diese allgemeine Sicherungspflicht gilt jedoch nicht für ganz entfernt liegende Möglichkeiten einer Schädigung. Weil Schussgeräusche im Allgemeinen keine Gefahr für andere begründen und jeder weiß, dass sie im Wald auftreten können, muss vor ihnen nicht gewarnt werden. Das gilt für Einzeljagden und Gesellschaftsjagden in gleicher Weise, aber nur für den Normalfall („im Allgemeinen“). Wer einen anderen durch einen unvermittelten Schuss aus nächster Nähe erschreckt und dadurch verletzt, kann sehr wohl für den Schaden haften, wie der folgende Fall zeigt. 2. Weiterer Fall Jäger J. stand am Rande eines Baches auf Enten an. Nach einiger Zeit näherte sich auf der gegenüber liegenden Seite ein Reiter. Als dieser etwa auf 30 Meter heran war, gab J. zwei Schüsse ab. Daraufhin scheute das Pferd und galoppierte davon. Der Reiter war empört. Er beruhigte sein Pferd und näherte sich erneut dem Jäger, um ihn zur Rede zu stellen. Wieder gab J. aus der Nähe einen Schuss ab, und wieder scheute das Pferd und preschte davon. Nach kurzer Distanz lahmte es auf der Hinterhand. Der Tierarzt diagnostizierte eine spinale Ataxie (Bewegungsstörung) infolge eines Schrecks und empfahl eine Notschlachtung. Der Reiter verlangte Schadensersatz. Das Gericht verurteilte den Jäger zum Ersatz von 80 Prozent des Schadens, 20 Prozent musste der Reiter wegen Mitverschuldens selbst tragen. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Verletzung des Pferdes und der daraus resultierende Schaden durch starkes Erschrecken verursacht worden sei. Der Jäger habe diese Folge durch Fahrlässigkeit herbeigeführt, weil nach den Unfallverhütungsvorschriften ein Schuss erst abgegeben werden dürfe, wenn sich der Schütze vergewissert habe, dass niemand gefährdet werde. Gegen diese Sorgfaltspflicht habe J. verstoßen, weil allgemein bekannt sei, dass Pferde auf plötzliche laute Geräusche unkontrolliert reagieren können. Es sei daher vorhersehbar gewesen, dass der Schuss aus der Nähe eine Verletzung des Pferdes zur Folge haben könnte. Hierbei genüge es, dass sich das Pferd irgendwie verletzen könnte; dass es eine spinale Ataxie sein würde, müsse nicht voraussehbar gewesen sein. Den Reiter treffe ein Mitverschulden, weil er gewusst habe, dass sich Pferde durch plötzliche Geräusche erschrecken und dadurch verletzen können, er aber gleichwohl noch einmal zum Jäger geritten sei.

V. Ergebnis
1. Ein Schussknall begründet im Allgemeinen keine Haftung des Jägers. 2. Anders kann es sein, wenn in unmittelbarer Nähe eines anderen geschossen wird, insbesondere wenn es überraschend geschieht


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