Peppen einige Hersteller ihre bleifreie Munition mit zu hohem Gasdruck auf? Das kann verheerende Folgen für den Schützen haben. WILD UND HUND hat in Zusammenarbeit mit der DEVA eine repräsentative Auswahl an Munition überprüft.
Claudia Elbing und Michael Schmid
Hinter vorgehaltener Hand wird schon lange gemunkelt: „Ob das wohl immer stimmt, was die Bleifreien versprechen?“ Trotz materialspezifischem Handicap (geringere Dichte) beeindrucken viele Laborierungen durch beachtliche ballistische Leistung. Zumindest der Verdacht liegt nahe, dass das Plus durch grenzwertige oder gar zu hohe Gasdrücke erreicht wird. Den bleifreien Markt teilen sich viele in- und ausländische Firmen, entsprechend
hoch ist der Konkurrenzkampf. Stimmen Preis und Leistung, und wie ist es um Fertigungsqualität und Produktsicherheit bestellt? Nehmen Staat und Industrie ihre Kontrollpflichten im erforderlichen Umfang wahr? Wird tatsächlich jedes neue Fertigungslos geprüft, und sind wir als Verbraucher letztlich auf der sicheren Seite? Gasdruckspitzen
sind kein Gammelfleisch, statt Ekel oder Übelkeit fliegt uns im Zweifel die Büchse um die Ohren.
WILD UND HUND wollte es genau wissen. In einem umfangreichen Laborversuch haben wir in Zusammenarbeit mit der Deutsche Versuchs- und Prüfanstalt für Jagd- und Sportwaffen e. V. (DEVA) Gasdruck und Mündungsgeschwindigkeit (V3) einer repräsentativen
Auswahl an bleifreier Munition überprüft.
Die insgesamt 26 Werkslaborierungen verteilen sich auf die Kaliber .30 – 06 Spr., 8 x 57 IS und 9,3 x 74 R.
In den Patronen sind 16 unterschiedliche Geschosse verladen. Die höchstzulässigen
Gebrauchsgasdrücke (CIP) reichen von 3 400 (9,3 x 74 R), über 3 900 (8 x 57 IS) bis
zu 4 050 bar (.30 – 06 Spr.). Die Munition wurde auf dem freien Markt eingekauft.
Die Verwendung „normaler“ Serienlose ist damit sichergestellt. Versuchsaufbau und Vorgehensweise der DEVA entsprechen der aktuellen Beschussordnung. Der WuH-Test ist deshalb mit einer Munitions-Zulassungsprüfung beim Beschussamt vergleichbar.
Eine Laborierung erfüllt die gesetzlichen Anforderungen nicht, wenn der höchstzulässige Gebrauchsgasdruck im Mittelwert aus sechs Messungen überschritten wird und/oder bei erheblichen Gasdruckschwankungen (Defizite in der Fertigungsqualität). Diese drücken sich
in einer statistisch ermittelten „oberen Vertrauensgrenze“ aus. Für die Versuche nutzte die DEVA eine Schießvorrichtung mit Wechsellaufoption. Die Rohrlänge betrug bei allen drei Testkalibern die vorgeschriebenen 60 Zentimeter. Zum Einsatz kamen CIP-genormte Messläufe mit engsten Toleranzen. Die Gasdruckermittlung erfolgte im piezoelektrischen Verfahren. Dazu wird die Patronenhülse angebohrt. Die bei der Zündung aus der Bohrung ausströmenden Gase wirken direkt auf einen quarzbestückten Sensor. Dieser nimmt die Schwingungen auf und erfasst mithilfe eines elektronischen Verstärkers Druckverlauf und Maximalwert. Ein Oszillograph stellt die Ergebnisse in Form einer Kurve dar. Um die Testmunition auch leistungsmäßig zu prüfen, ermittelte die DEVA bei jedem Gasdruckversuch die Mündungsgeschwindigkeit (V3). Aus technischen Gründen erfolgte
die Lichtschranken-Messung in einem Abstand von drei Metern zur Mündung.
Die daraus resultierenden Abweichungen sind minimal. Sie können im direkten Vergleich „Werksangaben – Messergebnis“ vernachlässigt werden. Mithilfe der gemittelten V3 (6 Schuss) ließ sich die Mündungsenergie (E3) der Laborierungen berechnen. Die von der DEVA gelieferten Daten erlauben sowohl beim Gebrauchsgasdruck als auch bei den
Leistungsparametern (V3 und E3) eine abgesicherte Bewertung der Testmunition.
Barnes: Die US-amerikanische Firma nahm am Test mit einer TTSX (.30-06 Spr.) und einer TSX-Laborierung (8 x 57 IS) teil. Im Kaliber .30-06 Spr. überschritt eine Einzelmessung den höchstzulässigen Gasdruck um 62 bar. Im Mittel lagen die Werte mit 3 974 bar jedoch unter der Grenzmarke (4 050 bar). Damit entspricht das Testlos den gesetzlichen Vorgaben. V3 und E3 erreichten im Springfield-Kaliber annähernd die Herstellerdaten. Mit wenig Dampf operiert die 8 x 57 IS. Der gemessene mittlere Gasdruck von 3 106 bar unterschreitet den Grenzwert (3 900 bar) deutlich. Entsprechend schlapp fällt die Leistung aus. Die Mündungsgeschwindigkeit liegt acht Prozent, die Mündungsenergie satte 13 Prozent unter den Werksangaben.
Brenneke: Gleich zweimal schlägt das Traditionsunternehmen aus Langenhagen über die Stränge. Bei der 8 x 57 IS TAG überschreiten alle sechs Messungen den höchstzulässigen Gasdruck. Je nach Patrone liegen die Werte 12 bis 197 bar über dem Grenzwert. Von einer
Ausnahme abgesehen, entsprechen auch die Ergebnisse der 9,3 x 74 R TUG nature nicht den Vorschriften. Die höchste Überschreitung betrug 297 bar. Zudem sind die Gasdruckschwankungen in diesem Kaliber zu hoch. Perfekt abgestimmt präsentieren sich dagegen die .30er-Laborierungen TAG und TUG nature und die 8 x 57 IS TIG nature. Die
Arbeitsgasdrücke operieren deutlich unter dem Schwellenwert. Alle drei Patronen liefern beeindruckende Leistungsparameter. V3 und E3 entsprechen den Herstellerangaben
oder liegen sogar geringfügig darüber.
Federal: Im Test war Federal nur im Kaliber .30 – 06 Spr. (Trophy Copper) vertreten.
Die Gasdrücke lagen ohne Ausnahme unter dem höchstzulässigen Wert von 4 050 bar. Die gemessene mittlere V3 von 862 m/s überschreitet sogar die Werksangaben.
Hornady: Auch die Hornady GMX trat im Test nur im Kaliber .30 – 06 Spr. an. Die Patrone beeindruckt durch geringe Gasdruckschwankungen. Sie arbeitet knapp, aber zuverlässig unter dem Höchstwert von 4 050 bar. Mündungsgeschwindigkeit und Energie liegen über den Herstellerangaben.
Labor für Ballistik: Sowohl in 8 x 57 IS als auch in 9,3 x 74 R entsprachen die Jaguar-
Classic-Laborierungen nicht den gesetzlichen Vorschriften. Im Acht-Millimeter-Kaliber streuten die Gasdrücke zwischen 3 257 und 4 278 bar (Grenzwert 3 900 bar). Mit Schwankungen von mehr als 1 000 bar wird die obere Vertrauensgrenze deutlich überschritten. Trotz eines mittleren Gasdrucks von lediglich 3 480 bar sind derartige Fertigungstoleranzen nicht akzeptabel. Etwas geringer, aber immer noch zu viel, streuten die Ergebnisse der 9,3 x 74 R. Zusätzlich lagen alle Messungen über dem höchstzulässigen Gasdruck (3 400 bar). Der Spitzenwert brachte es auf üppige 3 785 bar. Das ist starker
Tobak für einen Kipplaufverschluss. Als unproblematisch zeigte sich die .30 – 06 Spr. Der mittlere Gasdruck betrug „sichere“ 3 585 bar. Die V3 lag vier Prozent und die E3 acht Prozent unter den Werksangaben.
Lapua: Keinen Anlass zur Kritik gaben die beiden Naturalis-Laborierungen. Sowohl im Kaliber .30 – 06 Spr. (LR Naturalis) als auch in 8 x 57 IS (Naturalis) lagen die mittleren Gasdruckwerte deutlich unter der Höchstmarke. Bei moderaten Geschwindigkeiten überzeugen die finnischen Patronen durch hohe Energieausbeute. V3 und E3 liegen nur knapp unter den Herstellerangaben.
Lutz Möller GmbH: Die mit dem MJG verladene 8 x 57 IS überschreitet im Mittel den höchstzulässigen Gasdruck um 39 bar. Der gemessene Spitzenwert brachte es auf stattliche 4 039 bar (zulässig 3 900 bar). Damit entspricht die Laborierung nicht den gesetzlichen Vorschriften. Deutlich unter den Gasdruck-Höchstwerten ist die .30 – 06 Spr. und die 9,3 x 74 R platziert. Alle Patronen operieren mit hohen Mündungsgeschwindigkeiten. Da sich auf den drei Packungen keine Angaben zu V0 und E0 finden, scheidet ein Vergleich mit Messwerten aus.
Norma: Die Kalahari ging im Kaliber .30 – 06 Spr. an den Start. Mit einem mittleren
Gasdruck von 3 785 bar lag die Laborierung unkritisch unter dem Grenzwert (4 050 bar). Die ermittelten Leistungsparameter befinden sich knapp unter den Werksdaten.
RWS: In Sachen Gasdruck ließ sich der deutsche Marktführer nichts zuschulden
kommen. Alle drei Laborierungen (.30 – 06 Spr.: Bionic Yellow und EVO green, 9,3 x 74R: EVO green) lagen sowohl bei den Mittel- als auch bei den Spitzenwerten unter den jeweiligen Grenzen. Mit Ausnahme der Bionic Yellow entsprechen oder überschreiten
die Leistungsparameter die Herstellerangaben. Unklar sind die Werksdaten bei der 9,3 x 74 R (Packung: 835 m/s, RWS-Homepage: 885 m/s).
Sax: Ebenfalls auf der gasdrucksicheren Seite operieren die drei mit dem KJG-SR verladenen SAX-Laborierungen. Mittel und Spitzenwerte befinden sich deutlich unter den höchstzulässigen Drücken. Mit Ausnahme der etwas stärker variierenden 8 x 57 IS beeindrucken die Patronen durch geringe Gasdruckschwankungen. Imposant ist die mit 971 m/s gemessene V3 der 9,3 x 74 R. Im Acht-Millimeter-Kaliber gruppieren sich die Leistungsparameter knapp unter den Werksangaben. Als Papiertiger entpuppte sich die .30 – 06 Spr. Die Mündungsgeschwindigkeit lag sechs Prozent unter den Werksdaten.
Sellier & Bellot: „Langsam, aber sicher“, lautet das Testergebnis für die Exergy bestückte Frankonia Hausmarke. Sowohl in 8 x 57 IS als auch in .30 – 06 Spr. operierten alle Messwerte unter dem höchstzulässigen Gasdruck. Die Schwankungen sind akzeptabel. Die an sich schon geringen Mündungsgeschwindigkeiten werden von beiden Laborierungen
unterschritten. Waffenbesitzer müssen sich in Deutschland mit einer Vielzahl von Bürokratie und Kontrollen herumschlagen. Die gewerbliche Munitionsherstellung überrascht dagegen durch erstaunlich „wenig Staat“ und ein hohes Maß an Eigenverantwortung. Die Munitionsprüfung ist im Beschussgesetz und der Beschussverordnung geregelt. Zulassung
und Kontrolle obliegen den staatlichen Beschussämtern. Zentraler Punkt der Prüfung ist die Gasdrucksicherheit.
Folgende Vorgehensweisen sind möglich:
. Der Hersteller verfügt über geeignete Geräte und Fachpersonal und erhält daraufhin eine Zulassung vom Beschussamt zur selbstständigen Munitionsprüfung. Dabei ist jedes neu
aufgelegte Los zu prüfen. Auf Antrag des Herstellers wird der Betrieb mindestens alle drei Jahre vom Beschussamt kontrolliert, in Anbetracht der Kosten ein großer Vertrauensvorschuss.
. Hat eine Firma keine eigene Prüfkompetenz, ist die Zulassung zu versagen. Ausnahme: Die Überwachung der Herstellung wird einem Beschussamt übertragen. Stellt sich nur die Frage, wie das lückenlos und ohne Schlupfloch in der Praxis umgesetzt werden soll.
. Wird Munition aus anderen Ländern eingeführt, tritt der deutsche Importeur in die sich
aus dem Beschussgesetz ergebenden Pflichten. Diese sind mit der oben genannten Herstellerprüfung weitgehend vergleichbar.
. In den CIP-Mitgliedsstaaten zugelassene Munition darf in Deutschland ohne weitere Prüfung vertrieben werden.
In Deutschland gefertigte/geprüfte Munition wird von den Herstellern/Importeuren selbstständig mit dem Zeichen des zuständigen Beschussamtes versehen. Verkaufsverpackungen sind unter anderem mit der Losnummer zu kennzeichnen.
„Gib Gas“ – Ballistik Bleifrei
Aufgrund unterschiedlicher Dichte (Blei 11,34 g/cm2, Kupfer 8,96 g/cm2, Zinn 7,28 g/cm2) ist bei identischen Abmessungen ein bleifreies Geschoss um circa 20 bis 30 Prozent leichter als ein bleihaltiges Konkurrenzprodukt. Die daraus resultierende geringere Masse im Vergleich zum Geschossquerschnitt (Querschnittsbelastung) hat ballistische Konsequenzen.
So erfährt das bleifreie Projektil, gleiche Pulvermenge und Qualität vorausgesetzt, im Lauf eine höhere Beschleunigung als das bleihaltige Pendant. Verlässt das Kupfer-, Messing- oder Zinngeschoss die Mündung, baut sich die Geschwindigkeit jedoch überproportional schnell ab. Der Luftwiderstand bremst das „leichtere“ Projektil deutlich stärker. Irgendwann ist der Vorsprung aufgebraucht und „Blei“ setzt zum Überholen an. Um diesen Punkt so weit wie möglich hinauszuschieben, sind viele Hersteller bleifreier Munition bestrebt, die Mündungsgeschwindigkeit zusätzlich zu erhöhen. Bewerkstelligen lässt sich das nur durch
optimale Nutzung der Verbrennungsenergie, Verringerung des Einpresswiderstandes
und/oder hohen Gasdruck.