Kein Fall für den Abdecker
Verwertung rauschiger Keiler
Dr. Volker Döring
Es besteht kein Zweifel, ein in den Herbst- und Wintermonaten erlegter rauschiger Keiler „stinkt“ mehr oder weniger nach Maggi – etwas streng, häufig auch sehr streng! Doch gilt zu differenzieren: Was riecht hier? Die Schwarte oder das Wildbret? Woher kommt der Geruch? Wie sollte man mit der möglichen Verwertung fortfahren? Nachfolgend werden ausschließlich die Erfahrungen bezüglich der Verwertung von über 20 Keilern aus eigenem Revier weitergegeben. Kein einziger Basse musste als „untauglich“ bezeichnet werden. Es ist wenig sinnvoll und zudem verboten (§ 17 Tierschutzgesetz: vernünftiger Grund), einen Keiler zu erlegen, um ihn dann über die Tierkörperbeseitigungsanstalt zu entsorgen. Wer in der Rausche einen Keiler erlegt, muss auch bereit sein, ihn zu verwerten. Freilich kann man darüber diskutieren, männliches Schwarzwild in der Rauschzeit zu schonen, um jedes Risiko zu vermeiden. Doch das muss jeder Jagdpächter und Erleger selbst entscheiden.
Die Ursache des ekelerregenden Geruchs ist das Androstenon, ein Pheromon, das Keiler in den Hoden bilden. Mit zunehmendem Alter, also im Zuge der sexuellen Reifung, steigt die Produktion dieses Steroids in den Hoden an. Es wird über den Speichel abgegeben, zirkuliert im Blut, wird aber auch als Reserve im Fettgewebe abgelagert. Dieser Stoff wird vom Menschen als äußerst unangenehm wahrgenommen. An lebenden Stücken oder auch an rohem Fleisch ist der Geruch mehr oder weniger auffällig. Wenn jedoch das Wildbret
oder das Weiße erhitzt wird, kann es zur Freisetzung kommen (Koch-/Bratprobe). Es bestehen aber individuelle und geschlechtsspezifische Unterschiede in der Wahrnehmungsfähigkeit dieses Geruches. Frauen sind in dieser Hinsicht empfindlicher, Asiaten sind sehr sensibel, Briten relativ unempfindlich. Um dem Ebergeruch zuvorzukommen, ist in der Schweinezucht weltweit die am häufigsten genutzte und zugleich sicherste Methode die rechzeitige Kastration der männlichen Ferkel.
Damit auch ein rauschiger Basse unter Umständen ein gutes, unbedenkliches Lebensmittel wird, hat Wildbrethygiene höchste Priorität. Und zwar mehr als der Gesetzgeber heute vorschreibt. Das fängt schon bei der Schussabgabe an und setzt sich fort mit dem unverzüglichen Aufbrechen des Stückes. Keiler sollten einen gut platzierten, tiefen Blatt(= Herz)-schuss haben, damit sie gut ausschweißen. Danach sollten sie entweder sofort in
eine nahegelegene Wildkammer zur weiteren Bearbeitung gebracht oder unverzüglich
(maximal 45 Minuten nach Erlegung) vor Ort aufgebrochen werden. Der sofortige Transport in eine Wildkammer stellt die bessere Variante dar, da die hygienischen Verhältnisse nebst ausreichender Beleuchtung dort sicher besser sind. Schon deshalb scheiden unter dem
Aspekt einer hygienischen Lebensmittelgewinnung viele Drückjagd- und Nachsuchenkeiler
im Vorfeld schon als Lebensmittel aus. Wer seine rauschige Sau bereits im Revier aufbrechen will, dem sei folgende Kurzmethode empfohlen (siehe auch Abbildungen): Der Keiler wird in eine stabile Rückenlage gebracht und die Schwarte mit einem Hautschnitt vom Becken links und rechts neben der Brunftrute rund um den Pinsel eröffnet.
Dieser Rundschnitt um den Pinsel herum sollte mindestens bierdeckelgroß sein, denn rund um den Pinselausgang (Präputium) sitzt der bis zu faustgroße Präputialbeutel. In diesem befindet sich neben Harn auch das Sekret der akzessorischen Geschlechtsdrüsen, was alles zusammen bestialisch stinkt. Wer dort einmal hinein geschnitten hat, wird es nicht vergessen, und jeglicher Appetit ist vergangen. Achtung: Ich empfehle diesen großen
Rundschnitt um den Pinselausgang bei allen männlichen Schwarzkitteln, denn schon bei Frischlingskeilern kann diese „stinkende Brühe“ vorhanden sein. Nun fasst man den Pinsel an den umgebenden Borsten, hebt alles etwas hoch und setzt Pinsel und Brunftrute beckenwärts ab. Es ist kein Problem, die Brunftrute über dem Becken abzuschneiden, da sich die Harnröhre selbst verschließt. Es ist selbstverständlich, dass man für diese Arbeit Schutzhandschuhe trägt, sonst hat man selbst deutlich länger etwas vom Keilergeruch!
Danach wird vorsichtig (Achtung: Viele Keiler haben eine prall gefüllte Harnblase!) zum Beispiel mit einer Aufbruchklinge, die leider immer mehr außer Mode kommt, die Bauchhöhle vom vorderen Beckenrand bis zum Brustbein geöffnet. Danach wird der Magen-Darm-Trakt entnommen. Der Enddarm wird vor dem Becken nach vorne ausgestreift, abgebunden oder in sich verknotet und dann abgesetzt. Nieren, Leber, Herz und Lunge bleiben im Tierkörper, werden auch nicht gelöst, da sie sonst beim Abtransport
herausfallen. Um ein gutes Ausschweißen zu gewährleisten, sollte die Brusthöhle durch
einen bogenförmigen Schnitt am Rippenbogen entlang eröffnet werden. Das Stück danach so positionieren, dass das Blut aus der Brusthöhle gut abfließen kann. Der sogenannte Lüftungs- oder Achselschnitt zum Lüften der Schulterblätter und zum Schutz gegen angebliches Verhitzen hat in jedem Fall, auch bei noch so großen Keilern, zu unterbleiben. Er ist lebensmittelhygienischer Blödsinn! Ansonsten schneidet man mit einem verschmutzten Messer durch die verschmutzte Haut und bringt dadurch Bakterien in keimfreies Gewebe! Wenn auch die Freude über den erlegten Keiler noch so groß ist, sollten wir auch an das Lebensmittel Wildbret denken und die obligaten Fototermine jetzt
zügig über die Bühne bringen, denn nach dem Transport des Keilers zur Wildkammer beginnt erst die richtige Arbeit. Umso besser schmeckt beim Tottrinken
danach des Bier!
In der Wildkammer, besser dem Vorraum, wird der Keiler an den Hinterläufen oberhalb des Sprunggelenkes in einen Spreizbügel eingehakt und in Arbeitshöhe gebracht. Komplette Keiler werden nun entsprechend der vorgenannten Methode aufgebrochen. Bei
den bereits im Revier „erstversorgten“ Keilern wird das Aufbrechen fortgesetzt. Es ist selbstverständlich, dass dabei sorgfältig die Organe bezüglich Veränderungen untersucht werden. Ist der Keiler bereits nach der Kurz-Methode aufgebrochen, werden die Hautschnitte verlängert: vom Brustbein bis zum Kinnwinkel und vom Beckenanfang
Richtung After zwischen den Steinen hindurch. Danach folgt das stumpfe Lösen der Brunfkugeln und Durchtrennen des Samenstranges. Es folgt das Öffnen der Beckenhöhle durch Messer- oder Sägeschnitt. Das Werkzeug muss akkurat geführt werden, damit die akzessorischen Geschlechtsdrüsen nicht verletzt werden. Ganz besonders heikel ist immer die Entnahme der Harnblase, deshalb muss dabei mit größter Vorsicht vorgegangen werden. Der Harn von rauschigen Keilern stinkt genauso bestialisch wie das Sekret
der akzessorischen Geschlechtsdrüsen (Samenblasendrüse, Prostata und Harnröhrenzwiebeldrüse). Es muss unbedingt vermieden werden, dass Muskelfleisch mit Harn in Kontakt kommt. Sollte es dennoch einmal passieren, hilft nur nochviel Wasser (Trinkwasser-Qualität).
Sind die Organe der Beckenhöhle inklusive Enddarm entnommen, steht das Abschwarten an. Dazu werden als erstes neue Schutzhandschuhe übergestreift. Der geschlechtsspezifische Geruch eines Keilers hängt vor allem in der Schwarte. Da die Schwarte sowieso das Unhygienischste an einem Schwarzkittel ist und daher auch im Kühlraum nichts verloren hat, werden alle Sauen in meiner Wildkammer vor der Beförderung in den Kühlraum abgeschwartet. Diese Regel gilt bei mir auch für anderes Wild. Kein Metzger hängt ein Kalb oder einen Bullen mit Fell in den Kühlraum. Doch leider ist dies in Deutschland im Gegensatz zu Skandinavien beim Wild zulässig. Das Abschwarten eines noch warmen Keilers geht zehn Mal zügiger voran als das eines gekühlten Schweines. In einer halben Stunde ist dies leicht zu schaffen. Da das „Eberhormon“ auch im Fettgewebe gespeichert wird, kann man beim Abschwarten bereits so vorgehen, dass möglichst viel Unterhautfettgewebe an der Schwarte bleibt. Sonst müsste man es nach dem Abschwarten wie bei einem Gyrosbraten mit dem Messer herunterschälen. Selbstverständlich werden beim Abschwarten gleich die Läufe gekürzt. Danach entledigt man sich der unsauberen Schutzhandschuhe und entnimmt die Organe aus der Brusthöhle, die Nieren und reißt das sogenannte Flomen (Bauchfett) mit einem Ruck heraus. Es folgt das intensive Abduschen des Tierkörpers mit sanftem Wasserstrahl. So wie das jeder Metzger bei seinen Schlachttieren macht. Hämatome im Ein- und Ausschussbereich werden sorgfältig umschärft und ausgespült. Liegen die Außentemperaturen im Bereich unter 10°C, kann der Tierkörper über Nacht zum langsamen Auskühlen im Außenbereich hängenbleiben. Bei Temperaturen darüber muss der Tierkörper nach einer kurzen
Abtrocknungsphase in den Kühlraum und kann dort bis zu einer Woche reifen. Ist der Keiler ein taugliches Lebensmittel? Unabhängig davon ist zunächst die amtliche Trichinenuntersuchung vorgeschrieben. Diese beantwortet aber nicht die Frage: Lebensmittel ja oder nein? Dazu bedarf es unter Umständen einer weiteren Untersuchung, der Koch- oder Bratprobe, die ausschließlich dem amtlichen Tierarzt vorbehalten ist. Diese ist aber nur notwendig, wenn man Abweichungen des Geruches beim Fleisch feststellt. Ist man sich nicht sicher, steht es dem Eigentümer des Keilers durchaus zu, vorab eine
Koch- und Bratprobe selbst durchzuführen. Dazu entnimmt man vom Tierkörper ein 100 bis 200 Gramm großes Stück Wildbret und kocht es 5 bis 10 Minuten. Stinkt es schon beim Kochen oder Braten, wird es problematisch. Doch Vorsicht: Jedes Stück Schweinefleisch hat beim Kochen oder Braten ohne Gewürze einen nicht gerade appetitanregenden eigenen Geruch.
Nach dem Kochen oder Braten wird das Stück Fleisch geschmacklich beurteilt. Dazu sollte auch der erweiterte Familienkreis zu Rate gezogen werden. Dabei müssen aber auch die vorgenannten individuellen Geschmacksunterschiede beachtet werden. Frauen sind weitaus empfindlicher. Doch stinkt das Fleisch oder schmeckt es unangenehm (angeblich moschusähnlich), so weiß der Eigentümer, was er mit dem Stück dann zu tun hat. Im Zweifelsfalle muss aber der amtliche Tierarzt hinzugezogen werden, der die Koch- und Bratprobe noch einmal vornimmt und beurteilt. Und letztlich muss er das Wildbret fleischbeschaulich beurteilen und gegebenfalls als Lebensmittel freigeben. Ich halte nicht sehr viel von den Koch- und Bratproben, es sei denn, sie sind eindeutig. Die Beurteilung von Fleisch nach der Koch-/Bratprobe ist meines Erachtens zu sehr von subjektiven
und individuellen Geschmacksempfindlichkeiten abhängig. Aber andere Möglichkeiten gibt es zur Zeit eben nicht bzw. sind nicht zulässig. Letztendlich ist die Beurteilung durch den amtlichen Tierarzt rechtsverbindlich und entscheidet über das weitere Vorgehen. Dann gibt es nur noch hopp oder topp, also „tauglich“ oder „untauglich“ als Lebensmittel. Die Beurteilung „minderwertig“ oder „tauglich nach Brauchbarmachung“ existiert nicht mehr. Demnach scheidet auch das Einfrieren und/oder das Pökeln des „rauschigen“ Wildbrets zur „Brauchbarmachung“ aus. Ist der Keiler als Lebensmittel untauglich, darf das Stück
keinesfalls zurück ins Revier gebracht und dort entsorgt werden. Die Beseitigung über eine Tierkörperbeseitigungsanstalt ist rechtlich vorgeschrieben. Doch nach meiner eigenen Erfahrung sind die meisten Keiler, die nach der beschriebenen Methode aufgebrochen und
versorgt werden, als Lebensmittel tauglich. Der Tierkörper kann dann als Ganzes verkauft werden, oder, sofern man Betreiber eines bei der zuständigen Behörde registrierten Wildbretzerlegungsbetriebes ist, weiter verarbeitet werden. Nach fünf bis sieben Tagen Abhängen im Kühlraum wird der Keiler zerwirkt. Es hat sich bewährt, das Tier komplett auszubeinen, die Fleischteile portionsgerecht zu vakuumieren und nochmals verpackt im Vakuumbeutel im Kühlraum ein paar Tage nachreifen zu lassen. Danach steht dem Verkauf nichts mehr im Wege bzw. die Portionen können eingefroren werden. Alternativ bietet sich an, das Wildbret eines Keilers von einem zugelassenen Metzgereibetrieb zu Schinken und Hartwurst verarbeiten zu lassen. Bei der Jagd auf einen Keiler muss immer die Verwertung als Lebensmittel angestrebt werden, sonst handeln wir verbotswidrig. Zum Töten von Wild muss ein vernünftiger Grund vorliegen. Sonst würde die Jagd ad absurdum geführt. Aas-Jägerei bzw. ausschließliche Trophäenjagd ist in meinen Augen ekelhaft und durch nichts zu rechtfertigen. In unserem eigenen Haushalt mit Jagdrevier wird zu 90 Prozent Wildfleisch mit Hochgenuss verzehrt – auch Keiler! Bei uns werden sie nicht nur „totgetrunken“, sondern auch „totgegessen“.