Mit der im Juni 2004 im nimrod-verlag erschienenen Biografie Walter Freverts stürzt der Schweizer Historiker Dr. Andreas Gautschi ein Denkmal. Sein Buch hebt den
Schleier, der Walter Frevert noch immer umgibt. Es deckt Passagen im Leben Freverts auf, die bisher weitgehend im Dunkeln blieben und über die zeitlebens nur hinter vorgehaltener Hand gesprochen wurde. Die von Gautschi veröffentlichten Fakten hätten einige Größen der deutschen Jägerschaft schwer belastet.
Dr. Paul-Joachim Hopp, Wolfgang Weitz
Das neue Buch von Andreas Gautschi ist wie die vorangehenden verständlich geschrieben und zweckmäßig nach den Lebensphasen Freverts gegliedert. Die genutzten zahlreichen Quellen führen zu abgesicherten Befunden, die fundierte Aussagen ergeben. Selbst dort,
wo man anderer Ansicht ist, Deutlichkeit vermisst oder eine Ergänzung für angebracht
hält, kann die Entscheidung des Autors für bestimmte Formulierungen respektiert
werden. Wer Gautschis Ausführungen über die Jugend und Schulzeit Freverts liest, erkennt,
dass der Ursprung seines frühen Wunsches, Forstmann und Jäger zu werden, im Elternhaus lag. Der Vater, Dr. Gustav Frevert, war eben nicht nur Zahnarzt und Besitzer des Gutes „Haus Gierken“, sondern auch Jäger. Onkel Wilhelm diente als Oberförster und Hofjägermeister beim Fürsten Leopold IV. von Lippe-Detmold. Sie unterstützten die Absicht des Schülers, der lieber jagte als die Schulbank zu drücken und das Gymnasium wechseln
musste. Aber sie schafften es, dass der Pennäler einsichtig wurde und erkannte, dass er nur mit guten Leistungen seine Vorstellung von der Berufswahl verwirklichen konnte. „Leistung“ wurde ein Leuchtfeuer zur Kursbestimmung im Leben Freverts, die er später auch unabdingbar von seiner gesamten Mitarbeiterschaft einfordern sollte.
Frevert beendete seine Schulzeit mit einem ordentlichen Abitur und erzielte gute
Abschlüsse im Studium, das dem mehrjährigen Dienst als Feldartillerist im Ersten
Weltkrieg unmittelbar folgte. Die Ausbildung für den höheren Forstdienst im Land
Preußen konnte beginnen. Nicht zuletzt die Reisezeit, Bildungstour der Forstreferendare
mit Jagdeinladungen, weckte nach Gautschi die Liebe Freverts zur östlichen Landschaft, zu ihrer Weite und Stille. Frevert wurde während des Studiums, das er in Eberswalde, Hannoversch Münden, München und Halle absolvierte, auch Verbindungsstudent, aber nicht bei der „Forstakademischen Gesellschaft Freia“, sondern bei der „Andreeschen Tischgesellschaft“ (ATG, mündliche Mitteilung von FD a.D. Karl-Heinz Seibert, Montabaur).
Dort lernte er wohl auch seinen kaum stillbaren Bierdurst zu kanalisieren. Der Buchautor
erwähnt jedenfalls mehrmals die von vielen Mitarbeitern und Gästen gefürchteten
Zechgelage des großen Jägers. Es wird deutlich, dass die Revierassistentenzeit in der vielseitigen Oberförsterei Wolfgang vor den Toren der Stadt Hanau am Main (Die Umbenennung der Oberföstereien in Forstämter erfolgte 1934), in der es 6 000 Hektar Staats- und Gemeindewald zu bewirtschaften und eine Großdarre mit einem zehn Hektar großen Pflanzkamp zu leiten galt, die „Forstschule“ Freverts für das „Verwalten“ war. Er liebte zwar diese Arbeit nicht, aber bewältigte sie schnell und zur vollen Zufriedenheit des
besonders tüchtigen Oberförsters Klein. Später vermochte Frevert dadurch Zeit für
den Außendienst und die Jagd zu gewinnen. (Ebenfalls 1934 wurde die Bezeichnung
„Oberförster“ abgeschafft und durch „Forstmeister“ ersetzt). Revierverwalter Klein bescheinigte seinem Vertreter, der beim Forstpersonal in Wolfgang als strenger, aber gerechter und wohlwollender Vorgesetzter geschätzt wurde, daher auch vorzügliche forstliche und verwalterische Fähigkeiten. Er lobte den Instikt, die Intelligenz und Redegabe
seines engsten Mitarbeiters. Dieser positive Tenor der Beurteilung durch Klein sollte auch alle späteren Urteile über den Forstbeamten und Offizier Frevert bestimmen. Gautschi fand in den Personalakten seines Protagonisten noch folgende für die Verwaltung nützliche und als zutreffend festgestellte Kriterien: Gewissenhaftigkeit und Pflichtgefühl, Vitalität und Tatkraft sowie soziales Bewusstsein im Verbund mit einer ausgesprochen kameradschaftlichen Fürsorge für Untergebene. Anderseits notierte der Verfasser des Buches jedoch auch von Mitarbeitern, Kollegen, Vorgesetzten und Jagdgästen vermerkte negative Charaktereigenschaften Freverts. So erkannte man bei ihm ein übermäßiges
Selbstbewusstsein, Überheblichkeit, Ehrgeiz und Eitelkeit. Auch Unbeherrschtheit
sowie Geltungssucht und eine gewisse Neigung zu Übertreibungen wurden verzeichnet
und als störend empfunden. Gautschi offenbart so Frevert als einen Mann mit hoher Leistungsfähigkeit und -bereitschaft, aber nur von geringem sozialem Einfühlungsvermögen. Es ist das Verdienst des Autors, dass er diesen Zwiespalt
in Frevert durch ein umfangreiches Aktenstudium sichtbar gemacht hat, denn manches,
was Frevert zur Last gelegt wird, war schon in frühen Jahren vorhanden, zu der
Zeit aber noch nicht dominant. Im Winter 1928 wechselte Frevert vom Auslauf des nordwestlichen Spessarts an den südöstlichen Rand des Rothaargebirges. Er, der bisher immer ein Forstamt im Osten Preußens erstrebt hatte, bewarb sich überraschend für die Oberförsterei Battenberg und erhielt die Stelle.
In Battenberg entwickelte Frevert seine waldbaulichen Grundsätze und wurde zum Rotwildkenner. Gautschi erkennt dessen Fähigkeit, komplex zu denken. Der neue Oberförster betrieb eine konsequente und starke Reduktion des überhöhten Rotwildbestandes. Er wollte die Wildschäden im Wald verringern und das Wohlbefinden
des Wildes anheben. Gleichzeitig bemühte er sich, die Äsungsverhältnisse im Wald
zu verbessern. Er strebte für dieses Ziel eine Mischbestandswirtschaft an und forcierte
den Wintereinschlag in Laubholzbeständen zur Förderung der Prossholzgewinnung
und Knospenäsung. Frevert glaubte, so die Winterfütterung einsparen zu können.
Um seine Ideen zur Rotwildbewirtschaftung auf großer Fläche durchzusetzen,
übernahm er die Geschäftsführung und den Vorsitz im Rotwildjagdverband Rothaargebirge.
In Battenberg und Umgebung wurde Frevert auch als Schweißhundführer bekannt. Sein erster Hannoverscher Schweißhund war die HS-Hündin „Gilka-Winnefeld-Solling“ 805 (1927–1938). Sie meisterte viele erschwerte Suchen. Gleichwertige Erfolge erzielte Frevert später mit seinem HS-Rüden „Dula-Huszarokelö“ 1065, genannt Hirschmann (1937–1945),
ein leistungsstarker Vertreter seiner Rasse. Insgesamt führte Frevert noch sechs weitere
Hannoversche Schweißhunde. Über die Nachsuchentätigkeit Freverts berichtet Gautschi ausführlich. Auch für den Hannoverschen Schweißhund betrieb Frevert eine rege Öffentlichkeitsarbeit. Auf Vorträgen, in Zeitschriften und Büchern warb er eindrucksvoll
für die gerechte Führung dieses Hundes und die Suchenpflicht der Jägerschaft.
Im Verein Hirschmann wurde der Battenberger Oberförster sehr aktiv. Er liebte den
roten Hund – und den Wachtel. Das schloss nicht aus, dass er rigoros die Ausmerzung
minderwertiger Hunde forderte, er ließ sie erschießen. Gautschi bemerkt zu Recht,
dass „das Totschießen von Hunden gewiss eine Sache ist, die niemand gern tut“, doch
focht er die „konsequente und im Ergebnis richtige, wenn natürlich auch harte Linie“
Freverts nicht an. Gautschi erwähnt auch die Unruhe im Verein Hirschmann, als Frevert sich nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte, Vorsitzender dieses angesehenen Zusammenschlusses der Hirschmänner zu werden. Sein Begehren scheiterte. Auf der Hauptversammlung des Vereins vom 26. Mai 1951 in Uslar/Solling wurde Freverts Verbindungsbruder, Forstmeister Oskar Steinhoff, Winnefeld, zum Geschäftsführenden
Vorsitzenden gewählt und Oberforstmeister a.D. Ferdinand Wallmann, ebenfalls
ATGer und Vorgänger des Verlierers der Wahl im ehemaligen preußischen Forstamt Nassawen, wurde zum Ehrenmitglied ernannt. Frevert war ob des Ausganges der Wahl
„konsterniert“, vermerkt der Autor. Offensichtlich hatte der unterlegene Bewerber nicht nur Freunde im Verein. Aber Frevert erfuhr eine Genugtuung, er wurde Ende Oktober 1955 zum 1. Vorsitzenden des Internationalen Schweißhundverbandes gewählt. Dieses Amt übte er bis zu seinem Tod aus.
Bemerkenswert ist das, was Gautschi über Freverts Verhältnis zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei zu berichten weiß. Frevert, der am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten war, hatte in Ostpreußen zunächst Schwierigkeiten mit örtlichen und regionalen
Parteifunktionären. Aber der Oberforstmeister der Rominter Heide diente einem Mann, der politisch wesentlich stärker war als eine Kreisoder Gauleitung und wie sein Mitarbeiter
dem Parteiapparat distanziert gegenüberstand – Hermann Göring. Frevert hatte es sich sogar leisten können, seine Mitgliedschaft in der SA aufzukündigen. Doch dürfen diese Feststellungen nicht darüber hinwegtäuschen, dass er in Wort, Schrift und Taten der nationalsozialistischen Weltanschauung verhaftet war. Mit der Versetzung von Battenberg an das Forstamt Nassawen (1936) erfüllte sich für den Jäger und Forstmann Frevert ein
Traum: Weites Land, tragende Ruhe und der Hirsche Schrei. Da der Reichsjägermeister
das Können und die Leistung des neuen Forstamtsleiters in der Rominter Heide schätzte und dieser sich dem Lebensstil und den jagdlichen Ansprüchen seines Jagdherren anzupassen verstand, entwickelte sich eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen den beiden. Dazu kam das gute Verhältnis zwischen dem Oberstjägermeister Ulrich Scherping und Frevert. Infolgedessen erweiterte sich sukzessiv der gestalterische Freiraum für den Forstmeister von Nassawen. Er wurde 1938 Inspektionsbeamter der vier Forstämter der
Rominter Heide und zum Oberforstmeister befördert. Ab Juni 1941 unterstand das
Oberforstamt als Mittelbehörde forstlich und jagdlich unmittelbar dem Reichsjagdamt
in Berlin. Frevert war faktisch sein eigener Herr, hatte im Wildgatter Rominter
Heide von rund 25 000 Hektar das Sagen. Er durfte nur eines nicht vergessen, alljährlich
dem Reichsjägermeister und seinen Gästen Hirsche mit starken Geweihen in genügender Zahl anzudienen. Allmählich begann Frevert, an der ihm überlassenen Macht Lust zu verspüren. Er wurde unduldsamer, herrischer. Den Kollegen missfiel „das selbstherrliche Auftreten und die hohe Attitüde“. Mit dem „Battenberger Eröffnungszug“ begann Frevert 1937 auch in Rominten die Wildbahn neu zu ordnen. Innerhalb von zwei Jahren wurde der Rotwildbestand, dessen Optimum überschritten war, „um etwa ein Viertel reduziert“. Durch Intervention Görings, so vermutet Gautschi, wurde ein weitergehender Eingriff gestoppt. Im Zusammenhang mit der Reduzierung ordnete der Oberforstmeister für Wildjagden
den verstärkten Abschuss von Alttieren an, insbesondere auch von Leittieren. Er beabsichtigte damit offensichtlich, die Zuwachsbasis zu schmälern und die Gefahr einer
Vergreisung der weiblichen Teilpopulation zu verhindem. Von dem noch in Battenberg propagierten bevorzugten Kälberabschuss auf Gesellschaftsjagden nahm er Abstand.
Flankierend sollten auch hier die Äsungsverhältnisse verbessert werden.
Doch bedeutsam war für Göring auf Grund seiner ausgeprägten Trophäensucht nur die ausreichende Zahl von Hirschen mit starken Geweihen. Um diese Vorgabe zu erreichen, wurden dem Wild vom Winter bis in den Mai hinein reichlich bemessene Kraftfuttergaben
vorgelegt. Gefüttert wurde vor allem mit Hafer und Kleie sowie Sesamkuchen. Es gab kein Mindestalter für die Bejagung von Hirschen mit starken Geweihen, ihre Abschussplanung
erfolgte individuell. Dabei unterstützten die jährlichen Stangenparaden die Urteilsfindung. Die starken Trophäen aus der Rominter Heide sind mithin nur bedingt ein Hegeerfolg, sondern vor allem das Produkt einer übermäßigen Fütterung. Ein entsprechender Hinweis wäre vielleicht zweckmäßig gewesen. Die Art und der Umfang der Fütterung in den Staatsjagden führten 1942/43 zum sogenannten „Haferkrieg“, weil Generalforstmeister
Friedrich Alpers, Staatssekretär im Reichsforstamt, eine überzogene Fütterung mit Grundnahrungsmitteln in der Kriegszeit für unverantwortlich hielt. Im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen dem Reichsforstamt und dem Reichsjagdamt
wurde Oberstjägermeister Scherping vorübergehend vom Amt suspendiert.
Zum letzten Mal jagte das Gespann Göring-Frevert zur Hirschbrunft 1944 in der Rominter Heide. Die Front hatte sich bereits genähert. Das Bemühen der Jäger galt dem Hirsch „Leutnant“. Die Darstellung seiner Erlegung und die Angabe der Endenzahl differiert in der Literatur. Unter Vorbehalt gebe ich daher die nachstehende Auswertung der mir vorliegenden Schilderungen bekannt. Görings Kugel streifte den Hirsch am Brustkern. Der Geweihte, ein ungerader Zweiundzwanzigender (217,9 IP), wurde tags darauf dem vorgestellten Oberforstmeister Frevert von Oberförster Roegler zugedrückt. Frevert streckte den Kapitalen mit drei Schüssen. Entgegen dem jagdlichen Brauchtum
wurde aber Göring, der bereits abgereist war, zum Erleger bestimmt. Das Geweih
ging mit dem Nachlass des Reichsmarschalls auf das Land Bayern über und hängt
heute im Deutschen Jagd- und Fischereimuseum München. Es sollte mit einer Hinweistafel,
die mehr als nur die Auskunft über die Erlegung und die üblichen Daten des Geweihes vermittelt, versehen werden: Im Oktober 1944 stand der russische Angriff auf Ostpreußen bevor. Angeschlagene deutsche Verbände und Volkssturm, nach Truppenstärke und Ausrüstung dem Gegner unterlegen, sollten den Durchbruch verhindern. Die Flucht der Bevölkerung setzte ein. Die Trecks erwartete auf den Straßen und an der Küste ein Inferno. Zur gleichen Zeit bejagte der Reichsmarschall und Oberbefehlshaber der Luftwaffe (!) mit
Oberforstmeister Frevert in der Rominter Heide einen Brunfthirsch, und das Inventar
des Jägerhofes wurde mit Sonderzügen (vorerst) in Sicherheit gebracht. Der „Leutnant“
fiel am 9. Oktober 1944, der sowjetische Sturm begann am 16. Oktober 1944.
Das ist der Vermerk, den ich mir gewünscht hätte, der bei Gautschi aber fehlt, weil er sich als Schweizer wohl zurückhalten wollte. Frevert erlitt durch einen Unfall eine schwere Knieverletzung und wurde zur Operation in das Zoobunker-Lazarett nach Berlin gebracht. Seiner Familie gelang die Flucht. Forstmeister Lopsien führte die Kampfgruppe „Rominter Heide“ und geriet mit den Resten seiner Einheit in russische Gefangenschaft.
Die erste Nachkriegszeit verbrachte die Familie Frevert bei Verwandten in Niedersachsen.
Neben dem Broterwerb durch Fangjagd begann Frevert Material für ein geplantes Erinnerungsbuch über Rominten zu sammeln. Im Winter 1946/47 bewarb er sich als Forstamtsleiter bei der badischen Forstverwaltung. Dabei verschleierte er alles „Kompromittierende“, insbesondere seine Betätigung als Oberforst- Ostpreußen
meister des Staatsjagdreviers Rominter Heide und des Reichsjagdgebietes Bialowies.
Er war nach seinen Angaben nur Forstinspektionsbeamter der Rominter Heide gewesen, und für seine Tätigkeit in Bialowies fand er die Verschlüsselung „Verwaltung und Schutz eines großen östlichen Urwaldgebietes“. Er wird so mit Wirkung vom 1. April 1947 Leiter des Forstamtes Forbach 1 im Murgtal, „später kam noch das Forstamt Herrenwies dazu“. Nach sechs Jahren wechselte Frevert als Amtsvorstand in das Forstamt Kaltenbronn, das 1954, nach der Vereinigung Badens und Württembergs zum Repräsentations- und Staatsjagdrevier dieses Bundeslandes wurde.
Am Anfang seiner Tätigkeit im Schwarzwald hatte Frevert eine Denunziation bei
der vorgesetzten Behörde zu überstehen. Man beschuldigte ihn, maßgeblich an Erschießungen von Partisanen im Raum Bialowies beteiligt gewesen zu sein. Nachforschungen führten jedoch zu keiner Belastung, selbst Personen, die es wissen mussten, äußerten sich nicht verfänglich. Auch das Entnazifizierungsverfahren von 1948,
in dem Frevert als Mitläufer eingestuft wurde, erbrachte keinen Hinweis auf eine Beteiligung an „Untaten“. Kaltenbronn wurde zum Hauptort seiner umfangreichen Schriftstellerei. Sie hatte schon früh eingesetzt und erstreckte sich sowohl auf fachliche Schriften als auch auf jagdliche Erlebnisbücher. Letztere enthielten aber immer Passagen jagdwissenschaftlichen oder -historischen Inhalts und dienten außerdem der Übermittlung
von Erfahrungen aus dem jagdlichen Alltag. Sie zeichnen sich ferner durch klare Sprache und flüssigen Stil aus und erzielten alle hohe Auflagen. Sein Hauptwerk „Rominten“
ist zugleich eine Liebeserklärung an Ostpreußen. Für dieses Werk erhielt Frevert
1959 gemeinsam mit Wolfgang Freiherr von Beck und Walter Lampel den DJVLiteraturpreis.
Im Übrigen wurde Kaltenbronn ein „Klein Rominten“, denn es gab auch hier Hirsche mit starken Geweihen und vorzüglich ausgerichtete Gesellschaftsjagden sowie prominente Jagdgäste. Frevert, der auch persönlich wieder engagiert jagte und zahlreiche Nachsuchen absolvierte, erledigte alle Sonderaufgaben seines Amtes – wie gehabt – gewandt sowie zur Zufriedenheit der Verwaltung und zahlreicher Gäste. Aber dann passierte dem Meister jägerischer Gewandtheit und des gesellschaftlichen Parketts doch ein Fehler mit Folgen.
Er hatte ohne Einschaltung des für die Jagdeinladungen in Kaltenbronn zuständigen
Fachministers den früheren Reichskanzler Franz von Papen, der im Gästebuch des Jägerhofes Rominten zu finden ist und auch als Steigbügelhalter Hitlers bezeichnet wird, für Mitte Dezember 1958 zu einer Drückjagd in Kaltenbronn eingeladen. Diese jagdliche Beteiligung einer nicht erwünschten Persönlichkeit der Weimarer Republik in der landeseigenen Repräsentationsjagd wurde 1959 dem damaligen Ministerpräsidenten
Dr. Kurt Georg Kiesinger im Landtag von der Opposition vorgehalten. Der Vorfall gelangte in die Presse, und Frevert, der als „Leibjägermeister von Hermann Göring“ apostrophiert wurde, konnte zu den Vorwürfen nicht sogleich Stellung nehmen, weil er sich in Afrika befand. Das steigerte die Erregung der Politiker. In den Schwarzwald zurückgekehrt, verteidigte sich der Forstamtsleiter von Kaltenbronn jedoch geschickt und ging selbst in
die Presse. Eine von einigen Landtagsabgeordneten geforderte Versetzung Freverts erfolgte
nicht, es blieb bei einer vom Minister geforderten „schriftlichen Missbilligung“.
Frevert war noch einmal davongekommen, aber das stets vorhandene Geraune um
seine Person, um seine Vergangenheit, nahm zu. Am 30. Juli 1962 starb Frevert plötzlich, offenbar bei einer Nachsuche durch Schussverletzung. Jedenfalls kam die ermittelnde Staatsanwaltschaft Baden-Baden zu diesem Befund und schloss das Verfahren mit der Feststellung ab, dass ein Jagdunfall vorliegen würde. Sein Tod wurde und wird aber von vielen Seiten „als ein vortrefflich getarnter Selbstmord“ bezeichnet. Dieser ist allerdings nicht beweisbar. Doch sollte uns das im Interesse der Wahrheitsfindung nicht hindern, Freverts Handeln in Adlersfelde und vor allem in Bialowies soweit wie möglich offenzulegen. Gautschi hat diesen wichtigen und bislang dunklen Teil der Frevertschen Biografie ausgeleuchtet. Göring war mit seiner Staatsjagd in Ostpreußen allein nicht zufrieden. Die Erweiterung des Revieres Rominten um das ehemalige Gut Adlersfelde und die Einrichtung des gleichnamigen Forstamtes, verbunden mit der Aussiedlung der dort lebenden Menschen, genügten ihm nicht. So war es ihm gerade recht, dass im Zuge des Krieges gegen die Sowjetunion im Sommer 1941 das ehemalige Hofjagdrevier Bialowies (Bial/owiez .a) der Zaren von Russland in deutsche Hände fiel. Ausgestattet mit einer Jagdschlossanlage, umfasste das im heutigen Grenzgebiet zwischen Polen und eißrussland gelegene Revier zirka 160 000 Hektar. Göring wollte es um 100 000 Hektar aufstocken. Darüber berichtete Oberstjägermeister Scherping in „Wild und Hund“ 1943. Sonst war über die Pläne Görings nicht viel bekannt. Erst Heinrich Rubner brachte mit seinem Buch „Deutsche Forstgeschichte 1933 – 1945“ (2. Auflage 1997) etwas Licht in das Dunkel der Jagdgeschichte der Bialowieser Heide. Dieses Themas hatte sich Gautschi bereits in seiner Biografie „Der Reichsjägermeister“ (1998) angenommen. Ausführlicher berichtet er jetzt darüber in der Biografie „Walter Frevert“. Nach Gautschi war Frevert, der am 1. Mai 1941 zur Artillerie eingezogen worden war, „für einen Sonderauftrag zwecks Befriedung und Evakuierung des Urwaldes Bialowies“ beurlaubt worden. In einem Gespräch mit Göring, an dem auch Scherping als Leiter des Reichsjagdamtes teilnahm, wurde die Vorbereitung eines Staatsjagdgebietes Bialowies erörtert. Göring wollte zahlreiche Dörfer im Inneren und am Rande des Waldes beseitigt haben. Walter Frevert richtete daraufhin in Bialowies
ein Oberforstamt und acht Forstämter ein. Leiter des im Schloss Bialowies untergebrachten Oberforstamtes wurde Oberforstmeister Fritz Wagner. Gautschi kommt offenbar nach Einsichtnahme in Akten des Bundesarchivs Ludwigsburg unter Auswertung von Unterlagen aus drei strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu dem Ergebnis, dass Frevert „wirklich Chef
des ganzen Urwaldes“ war, wiewohl er natürlich eingebunden war in beamtenrechtliche
Weisungen des Reichsjagdamtes, des Reichsjägermeisters und des Reichsmarschalls.
Göring, als Oberbefehlshaber der Luftwaffe, erteilte nach Gautschi Scherpin und Frevert Anordnungsbefugnisse gegenüber den in Bialowies stationierten Truppen in Bezug auf die Partisanen- und Bandenbekämpfung und beauftragte die Evakuierung und Vernichtung der
Dörfer in dem als Reichsjagdgebiet vorgesehenen Raum. Nach einer von Generalleutnant
Nolte – dem Wehrmachtsbefehlshaber im Bezirk Bial/ystok – erstellten Denkschrift ließ Frevert von der Schutzpolizei, die ihm direkt unterstellt war, die Dörfer einkesseln.
Deren Bewohner mussten binnen einer halben Stunde ihre Habe auf Wagen laden und ihre Siedlungen in östlicher Richtung verlassen, ohne dass man sich weiter um sie kümmerte.
Die Dörfer wurden in Brand gesetzt. Nach Angaben von Forstmeister Wilhelm von Lewinski von 1941 wurden über 100 Dörfer zerstört. Nolte und Regierungspräsident Magunia (Zivilverwaltung) – Bialowies war inzwischen vom Reich annektiert – wollten die Räumungsaktion stoppen. Frevert war aber nicht umzustimmen. Über 6 000 Menschen wurden vertrieben und etwa 900 erschossen. Das Frevert unterstellte Polizeibatallion
322 tötete auf Anordnung des Höheren SSund Polizeiführers im Gebiet Bialowies auch sämtliche männlichen Juden und deportierte den Rest der jüdischen Bevölkerung.
Die dann dort noch lebenden Förster, Waldarbeiter und Heger wurden noch gebraucht
und ordentlich behandelt. Vom Frühjahr 1943 an leitete Frevert ein Jägersonderkommando
der Luftwaffe, das speziell zur Partisanenbekämpfung eingesetzt wurde. In einem Brief an Forstmeister Oskar Steinhoff vom 25. Juni 1944 berichtet er, dass er „Banditen am aufenden Band“ totschieße. Bald darauf eroberten sowjetische Truppen Bialowies. Damit war geplatzt. Eingebunden in das Geschehen in Bialowies der Jahre 1941 bis 1943 war auch Oberlandforstmeister Fritz Nüßlein, dem im Reichsjagdamt die forstliche Betreuung
der Staatsjagdreviere oblag. Gautschis Darstellungen über die Ereignisse in Bialowies
decken sich mit denjenigen Rubners. In den Schriften Freverts, Scherpings und Nü ßleins aus der Zeit nach 1945 werden die Pläne für das Reichsjagdgebiet Bialowies nicht genannt. Sie hätten alle drei belastet, ob als Täter oder Mitwisser.
Frevert war nach dem Krieg Beamter in Baden-Württemberg, Scherping Hauptgeschäftsführer des Deutschen Jagdschutzverbandes, Nüßlein leitete das Institut für
Jagdkunde der Universität Göttingen. Alle drei sind längst tot. Oberforstmeister Wagner
wurde 1947 von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit wegen Eindringens in das Gebiet der Sowjetunion und wegen Verrates des Aufenthaltsortes
von Partisanen an die deutschen Truppen verurteilt. Er starb im Konzentrationslager
Sachsenhausen an Hunger, Kälte und Entkräftung. Gautschi hat in seinen Büchern die Fakten als Historiker zusammengetragen. Deren rechtliche Würdigung hat er nicht vorgenommen. Es wäre eine interessante Aufgabe für einen Rechtshistoriker zu untersuchen, ob und wie das Verhalten Freverts in Bialowies strafrechtlich zu bewerten ist.
Die Frevert-Biografie von Gautschi ist ein wichtiger Beitrag zur Geschichte der deutschen Jagd im 20. Jahrhundert. Man muss ihm dankbar sein, dass er sich dieser schwierigen Aufgabe umsichtig unterzogen hat.