Erfahrungen mit der .222 Remington:
Sie ist offiziell die kleinste bei uns auf Rehwild zugelassene Patrone, wird aber auch gern auf Fuchs oder Krähe eingesetzt. Robert Babenstein schildert seine Erfahrungen mit dem 5,6er-Kaliber.
Glücksspiel Anschusssuche: Leider ist nach dem Schuss mit der .222 manchmal wenig Schweiß zu finden |
Von Robert Babenstein
Es sollte vorläufig der letzte Ansitz in diesem Revier sein, da ich am nächsten Tag abreisen wollte. Noch bei gutem Licht erschien am Waldrand ein hoher, aber dünnstangiger Sechser, den ich als alt genug ansprach. Als er breit stand, schoss ich auf etwa 80 Meter mit der .222 Remington. Der Bock zeichnete mit typischer hoher Flucht und verschwand im angrenzenden Mischwald. Da die Dämmerung anbrach, begab ich mich schon nach zirka fünf Minuten zum Anschuss, der schnell gefunden war. Ein Birkenbusch war über und über mit Lungenschweiß benetzt – da war kein Hund erforderlich.
Die Rotfährte war gut zu halten, und als ich nach 20 Metern im Wald meinen Bock aufsammeln wollte, wurde er vor mir hoch und verschwand blitzschnell in einem Traubenkirschen-Verhau. Was war das? So etwas hatte ich in mehr als drei Jahrzehnten nicht erlebt. Hatte ich etwa einen zweiten Bock hochgemacht?
So schnell wie möglich suchte ich den Berufsjäger auf, den ich zum Glück auch antraf. Er kannte eine erfahrene Schweißhundführerin, die auch wenig später mit ihrem Labrador erschien. Im Schein der Taschenlampe wurde erst einmal der Anschuss begutachtet. „Der muss doch längst verendet im Walde liegen“ war der einhellige Tenor. Den kriegen wir! Die Schweißhundführerin hatte an der Stirn eine Lampe, wie sie bei Bergleuten üblich ist.
Der Hund hielt die Krankfährte gut und führte uns zu der Stelle, wo der Bock einige Minuten gesessen haben musste. Nach etwa 60 Metern Riemenarbeit in den Traubenkirschen wurde plötzlich der Gesuchte vor uns hoch.
Stimmung auf dem Nullpunkt
Lauthals hetzte nun der Labrador den kranken Bock. Doch der Hetzlaut verstummte schnell, und wenig später hörten wir ein Hecheln. Der Hund kehrte unverrichteter Dinge wieder zu seiner Führerin zurück. Hätte ich jetzt nur meinen Drahthaar dabei gehabt! Doch wir waren in Schweden, und zu dieser Zeit durfte man noch keinen Hund ohne Quarantäne in dieses Land einführen. Die Stimmung war nun völlig auf dem Nullpunkt.
Am nächsten Morgen sollte es noch einmal mit anderen Hunden versucht werden. Bei brütender Hitze – in der Nacht hatte es sich kaum abgekühlt – erschienen früh morgens einige Hundeführer. Zuerst wurde es mit einem anderen Labrador versucht, der jedoch auch nicht viel weiterkam. Danach traute ich meinen Augen kaum, wurde doch tatsächlich ein reinrassiger Hannoverscher Schweißhund zur Fährte gelegt. Bei der „Affenhitze“ versagte aber auch dieser Hund und streckte wie die anderen alle Viere von sich. Dazu kamen noch Unmengen von stechlustigen Mücken, die uns allen das Leben schwer machten. Die Schweden und ihre Hunde wollten nicht mehr. Doch aufgeben? Der Bock lag sicher längst verendet irgendwo im Wald. Sollte ich ihn den Füchsen oder Kolkraben überlassen?
Schnell besorgte ich mir bunte Bänder und begann den Wald nach der Karte systematisch abzusuchen. Auch das war bei der Hitze kein Zuckerschlecken. Schweißgebadet lugte ich nach etwa einer halben Stunde aus einem Fichtenstangenholz und erstarrte: Da stand der Bock mit krummem Rücken auf höchstens 40 Schritt am Rande eines Brennesselhorstes! Das durfte doch nicht wahr sein! Meine Büchse hatte ich sorglos in der Hütte gelassen – der Bock war ja längst verendet … Vorsichtig schlich ich weg – zuerst ganz langsam, dann immer schneller, zum Schluss rannte ich nur noch. Der Berufsjäger staunte nicht schlecht, als ich ihm meine Geschichte offenbarte.
Großer Ausschuss
Seine Wachtel-Hunde hatte er schnell beisammen, und eilig strebten wir zu neuen Taten. Vorsichtig pirschten wir durch das Fichtenstangenholz – es war nichts mehr zu sehen. Wir schwärmten aus, und plötzlich erblickte ich den Gesuchten. Er saß am Rande der Brennesseln. Als sich unsere Blicke trafen, schnellte er aus dem Wundbett hoch.
Der Berufsjäger schoss einmal mit seiner Flinte auf den hochflüchtigen Bock und schnallte seine Hunde. Nach 200 Metern ertönte ein kurzes Klagen, dann war das Drama vorbei. Als wir beim Bock ankamen, war er bereits verendet.
Beim Aufbrechen stellten wir fest, dass das kleine Teilmantelgeschoss die letzte Spitze des Lungenflügels vor dem Zwerchfell durchschlagen hatte und dabei einen zweimarkstückgroßen Schusskanal hinterlassen hatte. Der Ausschuss fiel ebenfalls relativ groß aus. Daher auch die gute Schweißfährte, die leider bei dieser Patrone nicht immer vorhanden ist. Auf der Einschuss-Seite war das Geschoss zwischen den Rippen hindurchgerutscht. Die groben Schrote des Berufsjägers hatten den Bock übrigens von der Keule bis zum Trägeransatz gefasst, ohne dass er zeichnete.
Jedes Kaliber oder Geschoss hat irgendwann eine unbefriedigende Wirkung
Zu dieser Zeit hatte ich mit der .222 Remington schon mehr als 350 Stück Rehwild problemlos erlegen können. Es fiel keine einzige größere Nachsuche an. Diese lange Serie ohne Nachsuche und Fehlschuss hätte ich wohl niemals mit einer .30-06 oder 7×64 auf Rehwild erreicht. Ich war mit diesem Kaliber durch häufiges Übungsschießen und die Jagd auf Krähen, Füchse und Katzen bestens „eingeschossen“. Ein absolutes Vertrauen war entstanden. Nun hatte mich die .222 zum ersten Mal im Stich gelassen. Etwas kleinlaut griff ich nun wieder zu meiner 6,5×57 mit dem 8,2-g-KS-Geschoss.
Wenig später blattete ich im heimischen Revier noch Ende August. Tatsächlich stand noch ein Kümmerer zu, den ich mit der 6,5 auf 100 Meter breitstehend in einer Felspartie beschoss. Der Spießer zog den Steilhang herunter und tat sich 50 Meter vor meinem Sitz nieder, aber so ungünstig, dass ich keinen zweiten Schuss anbringen konnte. Nachdem ich noch nach zehn Minuten ein Röcheln hörte, verließ ich vorsichtig meinen Stand und gab den Fangschuss.
Auch hier war das Projektil hoch durch die Lunge gefahren. Der Schusskanal und auch der Ausschuss waren wesentlich kleiner als bei dem Schweden-Bock. Nach diesem Erlebnis tauschte ich meine 6,5×57 wieder mit der .222 und habe das bisher nicht wieder bereut. Ein alter Berufsjäger in der Lüneburger Heide schoss in seinem Leben mehr als 2 000 Stück Rehwild. Die ersten 1 000 mit der 6,5×57 und die zweiten 1 000 mit der .222 Remington. „Die Wirkung der .222 war keinesfalls schlechter – eher besser“, lautete sein Urteil. Jedes Kaliber oder Geschoss hat irgendwann eine unbefriedigende Wirkung. Der Sitz des Schusses – da kommt es oft auf den Zentimeter an – ist hier immer entscheidend.
So beschoss man in der Nachbarschaft einen Rehbock mit dem 19-g-TUG aus der 9,3×64, der am nächsten Morgen noch lebte und den Schuss ebenfalls hoch durch die Lunge hatte! So etwas wird es immer wieder geben. Zum Glück ist die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas öfter auftritt, bei modernen Geschosskonstruktionen äußerst gering. Bei den Bleigeschossen im vorletzten Jahrhundert kamen solche „Hohlschüsse“ weitaus häufiger vor. Sechzig Prozent aller Rehe, die ich mit der .222 Remington erlegen konnte, lagen im Feuer. Den Prozentsatz hätte ich sicher erhöhen können, wenn ich häufiger auf der Blattschaufel abgekommen wäre. Doch die Wildbretzerstörung war dabei so groß, dass ich immer eine Handbreit hinter das „Blatt“ hielt. Hämatome, die bei hochrasanten Geschossen auf nahe Entfernung immer wieder entstehen, wirken sich auf den Rippen weniger nachteilig aus.
Die kleine Kugel hatte den Alten nur gestreift
Große Ausschüsse, die ein Stück Rehwild furchtbar verunstalten können und mit Hochwildkalibern meist die Regel sind, kommen mit der .222 Remington auch bei Schrägschüssen nicht vor. Die Zerstörungen im Wildkörper können allerdings enorm sein.
Neben den geschilderten Fällen kann ich von wenigen weiteren Erlebnissen mit schlechten Schüssen berichten: Leichtsinnigerweise beschoss ich vor Jahren einen herangeblatteten Bock spitz von vorn. Der Beschossene warf sich zur Seite und entschwand meinen Blicken. Auf dem Anschuss fand ich eine Handvoll Panseninhalt. Nach einer Stunde – ich gebe zu, zu früh – waren wir mit einem Hund zur Stelle. Der Schweißhund zog aber zuerst den Führer in die falsche Richtung. Als die beiden nicht wiederkamen, schaute ich selbst nach, und erblickte den im Wundbett Sitzenden 80 Meter vom Anschuss entfernt. Der Fangschuss ließ den Kranken schnell verenden. Die kleine Kugel hatte den Alten nur gestreift, ihm aber den Pansen aufgerissen.
Bei einem anderen Bock kam ich versehentlich auf Höhe der Leber ab. Er brach schlagartig zusammen und kam nicht mehr von der Stelle. Die Leber war vollständig zerstört.
Über 90 Prozent der beschossenen Füchse lagen im Knall
Böcke, die ich beim Blatten meist auf sehr nahe Distanz beschoss, lagen fast alle im Feuer, hatten aber selten Ausschuss. Rehe, die auf 150 Meter beschossen wurden, hatten dagegen in der Regel immer Ausschuss! Auf nahe Entfernung scheint sich das Teilmantelgeschoss noch nicht genügend stabilisiert zu haben und überschlägt sich im Wildkörper. Die hohe Geschwindigkeit und der weiche Geschossmantel tun dann ein Übriges.
Auch bei dem Einsatz von Vollmantelgeschossen sah ich ähnliche Wirkungen: Vor 25 Jahren versuchte ich, Ringeltauben mit der .222 zu erlegen. Auf 100 Meter funktionierte das sehr gut, auf 30 Meter flogen sie auch mit der Vollmantel auseinander. Viele, die mit dieser Patrone einen Auer- oder Birkhahn geschossen haben, mussten da schon Lehrgeld zahlen. Auf kurze Entfernung schießt man einen Birkhahn buchstäblich in zwei Teile – da hilft auch das Vollmantel-Geschoss nicht. Den Einsatz der Vollmantel-Laborierung habe ich schnell wieder eingestellt und benutze heute ausschließlich das 3,24-g-Teilmantel-Geschoss von RWS. Wer will, kann Geschosse bis vier Gramm verwenden, deren vo und Rasanz dann allerdings etwas geringer sind.
Auf den Fuchs habe ich alle so genannten „Schonzeitpatronen“ ausprobiert und stelle der kleinen Amerikanerin dabei vergleichsweise die beste Note aus. Über 90 Prozent der beschossenen Füchse lagen im Knall – auch auf Entfernungen um 150 Meter. Der Balg war meistens noch zu verwerten. Das meiste Wild, das ich mit diesem Kaliber zur Strecke brachte, waren jedoch Krähen. Diese wiegten sich auf 150 Meter oft in Sicherheit und wurden mir somit relativ leicht zur Beute. Bei starkem Wind muss man auf diese Entfernung allerdings die Seitenabdrift des Geschosses berücksichtigen. Der Wind war wohl der häufigste Grund meiner Fehlschüsse auf diese schlauen Vögel.
Setzt man die Patrone auf Hasen ein, sollte man unbedingt darauf achten, dass sie breitsitzen, da ansonsten die Wildbretzerstörung zu groß ist. Einige Jäger, die ich kenne, erlegen den Kugelhasen nur mit Kopfschüssen. Doch Vorsicht: Die Gefahr ist groß, einen Äserschuss anzubringen. Deshalb verzichte ich auf solche Experimente. Ein weiterer Vorteil der .222 Remington: Es ist fast kein Rückstoß zu spüren. Weil man die Büchse nicht fest einziehen muss, schießt man weniger verkrampft und hat keine Angst, nähere Bekanntschaft mit dem Zielfernrohr zu machen. Durch den geringen Rückstoß kann man zudem das Zeichnen des Wildes genau durchs Zielfernrohr beobachten, was bei stärkeren Kalibern nicht immer ohne weiteres möglich ist.
Bei meinen Jagdfreunden, die die .30-06 auf Rehwild führen, habe ich oft bei Kammerschüssen Fluchtstrecken von über 100 Metern erlebt. Bei der .222 Remington sind Todesfluchten über 40 Meter eher selten.
Verzicht auf leichtsinnige Schüsse
So richtig bewusst erlebte ich diesen Unterschied einmal in Schlesien. Ein Dutzend Jäger aus verschiedenen Ländern jagte in einem riesigen Revier auf Böcke. Jeden Tag fielen Nachsuchen an, und der Veranstalter hatte seine liebe Not, die krankgeschossenen Böcke zur Strecke zu bringen. Sogar ein Hinterlaufschuss war dabei – die Kaliber der Jagdgäste waren meines Erachtens viel zu grob. Jedenfalls war ich mit meinem „Stricknadelgeschoss“ der Einzige, der keinen Hund benötigte. Allerdings verzichtete ich auch auf leichtsinnige Schüsse – das muss halt jeder verinnerlichen, der eine Büchse in diesem Kaliber führt.
Nach langer Nachsuche: Der Schweden-Bock kam zur Strecke. Der Ausschuss war für dieses Kaliber ziemlich groß |