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Wenn die Jagd ins Wasser fällt

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Die Flut:
Die erschreckenden Bilder von der Flutkatastrophe entlang der Elbe und ihrer Zuflüsse haben uns wochenlang in Atem gehalten. Auch Jäger sind betroffen. Und sie stehen nicht nur vor den Trümmern ihrer privaten Existenz, sondern finden zudem anstelle ihres Jagdreviers eine Seenlandschaft vor. Burkhard Stöcker hat einen von ihnen besucht.

 

Von Burkhard Stöcker

Willst du auf meinem Wassergrundstück einen Bootsanleger mieten?“ Freund Ulrich hat seinen Humor nicht verloren, und das will was heißen: Zwei Kilometer sind es bis zur Havel, dazwischen liegt sein Revier, und dort hatten im vergangenen Sommer 52 Böcke ihren Einstand.

Ich bin auf dem Weg ins Havelland. Langsam wird es belebt auf den Straßen – blaue, rote und grüne Fahrzeuge mehren sich. Wie vor fünf Jahren ein wenig weiter östlich, an der Oder: Ich konnte nächtelang nicht schlafen, weil die Hubschrauber unaufhörlich Sandsäcke flogen.

Vor uns liegen einige tausende Hektar Wasser

„Die Straße zu uns ist teilweise überschwemmt und eigentlich gesperrt – du musst dich irgendwie durchmogeln.“ Es sind noch sechs Kilometer bis zur Havel und 17 Kilometer Luftlinie bis zur Elbe, da steht das Wasser direkt an der Straße. Wenig später reichen die Fluten bis zum Horizont. Kurz vor dem Ort ist die Straße überschwemmt, ein Ponton hilft. Am Ortseingang Sandsäcke, provisorische Wälle, vor dem Haus das erste Wasser, hinter dem Haus nur noch Wasser. „Wir machen die Revierfahrt diesmal ohne Fahrrad“, grinst Uli und hat den Außenborder schon in der Hand. Wir packen das Nötigste für einen Tag ins Boot – zwischen meinen Füßen huscht ein Maulwurf Richtung Haus.

Vor uns liegen einige tausende Hektar Wasser und unter ihnen Kieferndickungen, Eichenbestände, Obstwiesen, Wildäcker, Trockenrasen, Wiesen, Maisfelder, Brunftplätze, Kinderstuben, Saudickungen…

Das erste flache Stück rudern wir, der Außenborder würde sich in den vielen Gartenblumen sofort festdrehen. Der kleine Dorfwall aus Sandsäcken ist gebrochen, und nachdem wir die geborstene Stelle durchrudert haben, werfen wir den Motor an. Vorbei geht’s an einer Fichtenkultur, nur die Triebspitzen gucken raus – „gegen Schälschäden oder Verbiss muss ich da ja wohl in diesem Jahr nichts mehr unternehmen“, frotzelt Uli. „Dagegen musst du nie mehr was unternehmen – dies hier überlebt keine deiner Fichten.“ Jetzt sehe ich zum ersten Mal Betroffenheit in seinem Gesicht und beiße mir auf die Zunge. Ich sollte etwas diplomatischer sein.

„Worüber fahren wir jetzt?“, frage ich, um Uli wieder auf andere Gedanken zu bringen. „Das ist abgeerntetes Getreide – da liegt noch ein wenig Stroh rum. Glaubst du, dass ein paar Hasen überlebt haben?“, fragt er zurück.

Kopfhoch der Mais

Mein Blick schweift über endloses Wasser während ich antworte: „Wenn du ein paar trockene Landrücken im Revier hast, schon.“ Wir halten auf eine offene Leiter zu, daneben ragt wirklich ein wenig trockene Erde heraus, und zwei Löffelpaare ducken sich, als wir näher kommen. Schnell weg, damit der arme Mümmelmann nicht sein Heil in den Fluten sucht.

Als wir um die nächste Waldecke biegen, taucht im wahrsten Sinn des Wortes plötzlich eine Kanzel vor uns auf. „Hier sind in diesem Jahr schon drei Böcke gefallen – einer davon an der Salzlecke.“ „Salzlecke?“, werfe ich provozierend ein. „Ja, da vorne, aber ich werde den Sitz ab jetzt wohl Karpfen-Kirrung nennen.“

Durch eine Lücke in der Hecke fahren wir in Richtung Wald. „Hier habe ich vor zwei Wochen einen alten Hirsch beim Suhlen gefilmt.“ Im Moment wüsste der Hirsch wahrscheinlich vor lauter Gelegenheiten gar nicht, wo er zuerst suhlen sollte. Auch der Brunftplatz ist weg – kopfhoch der Mais, hüfthoch das Wasser, vom eingesäten Hafer kann man nur schemenhaft Unterwasserstrukturen erkennen.

Ein wunderbares Revier unter der Flut verborgen

„Mit der Brunft wird es in diesem Jahr hier wohl nichts werden.“ Ich denke über ein paar tröstende Worte nach, wie „Donauauen, Ungarn“ oder „Wasserhirsche, Müritz“, aber nach meinem Fettnäpfchen mit den Fichten vorhin, halte ich lieber den Mund. An einer kleinen Pappel-Kultur, die offenbar noch trocken ist, gehen wir an Land. Doch auch hier ist der größte Teil überflutet. Auf dem kleinen, wirklich trockenen Teil ist mächtig was los: Unter jedem Schritt hüpfen Frösche fort, huschen Mäuse davon – weiter darf das Wasser hier nicht steigen.

Wir legen wieder ab und queren bald die Allee, die zum Nachbardorf führt – in wenigen Wochen werden hier die toten, braunen Zweige alter Linden gespenstisch in den Himmel ragen. Zügig geht es weiter Richtung Havel. „Was ist denn das da vorn? Schilf?“, entfährt es mir. „Das ist Mais“, antwortet Uli trocken, und Sekunden später legen wir an der fahrbaren Kanzel an, in deren Boden das Wasser knöchelhoch steht. „Das dürfte in einigen Wochen für die Gänsejagd interessant werden“ – mitten in der Katastrophe lotet Uli die positiven Aspekte aus, man muss halt das Beste draus machen.

Wir sehen nicht ein Reh, weder verendet noch lebend, nicht ein Stück Schwarzwild, keinen Hirsch und erzählen uns die ganze Zeit die Geschichten eines wunderbaren Revieres, das nun unter den Fluten verborgen liegt. Aber es gelingt mir, Uli ein wenig Mut zu machen, als ich ihm vom Oder-Hochwasser in der Ziltendorfer Niederung erzähle: Vor fünf Jahren waren die Jäger dort wie vom Schlag getroffen und glaubten ihre Reviere auf Jahre verwaist. Doch viel schneller als sie alle vermuteten, waren Rehe und Sauen wieder da. Beim Niederwild dauerte es ein bisschen länger, doch die Natur wusste sich zu helfen. Wie übrigens fast immer bei den so genannten Naturkatastrophen: Ob nun Großbrand im Yellowstone Nationalpark, Vulkanausbruch am Mount St. Helen oder Windwurf im Nationalpark Bayerischer Wald: Staunend standen die Wissenschaftler da und beobachteten, mit welch rasender Geschwindigkeit das Leben wieder Raum gewann. Im Nachhinein mutete es vielmehr an wie eine Verjüngungskur der Natur als eine Katastrophe.

Die Kastrierung der Flüsse

Abends sitzen wir im Revier eines Bekannten an einem riesigen Maisschlag. Fünf bis sechs Hirsche schreien – Ende August! „So beeindruckend das hier ist – hundert Hektar Mais sind genauso eine Katastrophe wie die Kastrierung der Flüsse“, meint Uli versonnen. „Was meinst du, wie viel Rotwild hier gerade drinsteckt? Und Sauen?“, frage ich scheinbar zusammenhanglos. „Sicher über hundert“, antwortet er und fügt hinzu: „Der Fluss wehrt sich selber gegen seine Kasernierung, die Natur bedient sich im Maisschlag der Hirsche und der Sauen, um hier ein bisschen Abwechslung herein zu bekommen.“ Ich lächle und nicke. „Wenn du im nächsten Jahr weniger als vierzig Böcke im Revier hast, gebe ich dir einen aus.“ Jetzt lacht Uli, freut sich über meine Zuversicht – und glaubt fast schon selbst daran.

Land in Sicht? Immer wieder suchen wir den riesigen See nach Wild ab

 

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