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40 Jahre Waschbärstrecken in Deutschland

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Was ist aus den am 12. April 1934 am Edersee ausgesetzten Waschbären geworden? Was war diesem aus heutiger Sicht doch so bedeutenden Ereignis vorausgegangen?

 

Durch zunehmend ausbleibende Beobachtungen von Waschbären in den Jahren nach ihrer Aussetzung war man der Meinung, dass das Klima deutscher Mittelgebirge dem Kleinbären nicht zusage. Ein bedeutender Irrtum. Sie pflanzten sich fort und fort und fort…

von Dr. Hans Kampmann

Der damalige Kreisjägermeister des Kreises Wolfhagen, der Geflügelfarmbesitzer Haak (Ippinghausen), hatte dem Leiter des Hessischen Forstamtes Vöhl die unentgeltliche Überlassung einiger Waschbären zum Aussetzen in die Ederseewälder angeboten.

Der Gedanke, die heimische Fauna durch eine weitere Tierart und die sich damit ergebenden Jagdmöglichkeiten zu „bereichern“, mag der Grund dieses Angebotes gewesen sein.

Wie alles begann

Als erste Notiz über das Aussetzen der Waschbären befindet sich in den Akten des Forstamtes ein Brief, in dem Haak schreibt, „dass nicht zu erwarten ist, dass die Waschbären irgendwelchen nennenswerten Schaden machen werden, da sie ähnlich wie der Dachs Allesfresser sind und sich hauptsächlich von Kleintieren, Waldbeeren und Mäusen ernähren. Ich würde mich freuen, wenn die harmlosen und netten Waschbären in den Kurhessischen Wäldern heimisch würden.“

Forstmeister Freiherr von Berlepsch trug dieses Ansinnen seiner vorgesetzten Dienststelle in Kassel vor, und bat um Genehmigung, die Tiere aussetzen zu dürfen.

Die Forstabteilung in Kassel gab den Antrag an das Preußische Landesjagdamt in Berlin weiter. Von dort wurde schließlich die Genehmigung zum Aussetzen erteilt. Allerdings mit der Auflage, nach Ablauf eines Jahres zum 1. April 1935 über das Verhalten der Tiere und eventuell entstandene Schäden Bericht zu erstatten.

Um den Erfolg des Einbürgerungsversuches sicherzustellen, wurde durch polizeiliche Anordnung des Regierungspräsidenten in Kassel der Waschbär am 22. September 1934 in mehreren Gemarkungen der Kreise Frankenberg und Bad Wildungen unter Schutz gestellt.

Gleichzeitig wurde die Bevölkerung, die verunsichert auf das „Aussetzen von Bären“ reagiert hatte, in der Tagespresse über die Harmlosigkeit des nordamerikanischen Kleinbären aufgeklärt.

So ist in der damaligen Lokalzeitung nachzulesen, „dass der Waschbär das Bild eines harmlosen, wenn nicht sogar durch die Vertilgung von Insekten und Mäusen nützlichen Tierchens zeigt, das wohl verdient, in Schutz genommen zu werden.“

Anfänglich wurden die ausgesetzten Tiere noch relativ häufig – allerdings recht weit vom Aussetzungsort entfernt – beobachtet. Die an den Tagesrhythmus des Menschen gewöhnten Gattertiere nahmen aber schon bald ihre natürlichen Gewohnheiten wieder an und verlagerten ihre Aktivitätsphasen in die Nacht.

Die Waschbären wurden kaum noch gesehen, woraus man folgerte, dass das Klima der deutschen Mittelgebirge dem Neubürger offenbar nicht zusage. So erfolgte im Dunkel der Nacht ein stetes, unbemerktes Anwachsen der Population.

Spürbare Vermehrung

Völlig in Vergessenheit gerieten die Waschbären während des Zweiten Weltkrieges. Nach dessen Ende – elf Jahre nach der Einbürgerung bei Asel – war jedoch plötzlich eine spürbare Vermehrung der Kleinbären zu beobachten.

Niemand erinnerte sich der mahnenden Worte der renommierten Zoologen Lutz Heck (Berlin) und Carl Hagenbeck (Hamburg), die unmittelbar nach der Aussetzung unabhängig voneinander ihre Bedenken geäußert hatten.

Kritische Stimmen

Heck schrieb dem Forstamt Vöhl, dass seiner Meinung nach der Schaden größer sei als der Nutzen, und riet grundsätzlich von der Aussetzung ab.

Hagenbeck reagierte deutlicher: „Da ich annehme, dass die Waschbären in einem Jagdrevier ausgesetzt werden sollen, möchte ich dringend hiervon abraten, da kaum noch Fasanen, Rebhühner und anderes Federwild, ebenso Kaninchen, aufkommen werden.“

Derweil mehrten sich in den Dörfern am Edersee die Klagen darüber, „dass von Waschbären Obstbäume geplündert, Hühner gerissen und Kartoffel- und Rübenmieten geöffnet würden“.

Freigabe

Im Dezember 1953 forderte die hessische Jägerschaft, die Jagd auf den Waschbären freizugeben. Fast ein Jahr später, am 29. Oktober 1954, wurde der Waschbär in Hessen zum jagdbaren Tier ohne Schonzeit erklärt.

Die anderen Bundesländer folgten aufgrund des sehr viel geringeren Vorkommens erst später: z. B. Niedersachsen 1963, Bayern 1967, Rheinland-Pfalz 1968 und Nordrhein-Westfalen 1977. In der ehemaligen DDR zählte der Waschbär seit 1970 zu den jagdbaren Tieren ohne Schonzeit.

Erste Erhebungen zum Vorkommen

Die erste Erhebung über das Verbreitungsgebiet und den Schaden haben die Jagd- und Forstbehörden im Regierungsbezirk Kassel im Jahre 1956 durchgeführt. Danach erstreckte sich das Waschbärvorkommen auf die Kreise Frankenberg /Eder, Fritzlar-Homburg, Waldeck, Marburg/ Lahn, Rothenburg/Fulda und Wolfhagen. Der Bestand wurde auf etwa 285 Tiere geschätzt.

Zwei Jahre später, 1958, schrieb Prof. Dr. Müller-Using von der Forstlichen Fakultät der Universität Göttingen dem Regierungspräsidenten in Kassel, dass der Waschbär im Kreis Rothenburg ins nordhessische Auerwildgebiet vorgedrungen sei und für das Auerwild eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstelle.

Eine daraufhin erfolgte Fragebogenaktion an den staatlichen Forstämtern Hessens ließ auf einen Waschbärbestand von 500 bis 1000 Tieren auf etwa 3000 Quadratkilometern im Jahre 1958 schließen.

Zwölf Jahre später (1970) wandte ich mich an möglichst alle Stellen, die über das Vorkommen von Waschbären in ihren Bereichen Auskunft erteilen konnten. So kam ein fast lückenloses Abschussergebnis (inklusive Fallwild) seit 1958 zusammen.

In der dargestellten Streckenentwicklung (siehe Grafik Seite 33) bis 1997 sind nur die Bundesländer Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen berücksichtigt. In den übrigen Ländern sind die Waschbärvorkommen bisher noch gering.

Auffallend ist, dass die Entwicklung in allen drei Ländern tendenziell einen annähernd gleichen Verlauf genommen hat. 1974 schien mit etwa 40 000 Waschbären die maximal tragbare Wilddichte erreicht gewesen zu sein.

Fortan stagnierte für sechs Jahre der bislang steigende Zuwachs. Für die vier folgenden Jahre zeigt die Statistik gar eine rückläufige Tendenz, bis in den Jahren 1984 bis 1986 der Tiefststand erreicht wurde. Danach stieg die Zahl wieder an.

Ab 1992 dann war ein bis dato unbekannter Anstieg zu verzeichnen, so dass allein von 1992 bis 1997 die statistisch erfasste Waschbärstrecke um mehr als das Doppelte gestiegen ist.

Kurzzeitiger Rückgang

Was mögen die Gründe für den Rückgang in den Jahren 1980 bis 1986 gewesen sein? In diesen Jahren verschwanden die dörflichen Müllkippen, die für die Waschbären optimale Futterplätze boten.

Der Fuchs wurde wegen der grassierenden Tollwut durch die Baubegasungen dezimiert – und mit ihm auch der Waschbär, der in dem einen oder anderen Fuchsbau steckte oder selbst an Tollwut verendete.

Nach dem Abklingen der Tollwut erholten sich nicht nur die Fuchsbesätze sehr rasch, sondern – wie die Statistik zeigt – auch die Waschbärpopulationen.

Von 1958 bis 1998 kamen im Untersuchungsgebiet insgesamt 62 570 Waschbären (einschließlich Fallwild) zur Strecke. Davon entfallen auf Hessen 83, auf Nordrhein-Westfalen zwölf und auf Niedersachsen fünf Prozent. Auf zwei in Niedersachsen gemeldete Waschbären kamen 1997 fünf in Nordrhein-Westfalen und 25 in Hessen.

In den USA werden jährlich eine bis anderthalb Millionen Waschbären erlegt. Dort steht der Waschbär in der Streckenstatistik nach dem Bisam (4 bis 4,5 Millionen) und dem Nutria (etwa 1,5 Millionen) an dritter Stelle.

Der Wert der Rohbälge des Waschbären beträgt im Durchschnitt etwa 15 Millionen US-Dollar pro Jahr. Nach amerikanischen Berechnungen müssen jährlich rund 60 Prozent des Herbstbestandes erlegt werden, um die Waschbärvorkommen nicht über das Vorjahresniveau hinaus anwachsen zu lassen.

Konrad Lorenz, von mir im Februar 1972 auf das Waschbärproblem angesprochen, hat mir damals geantwortet: „Ich halte das Einführen einer fremdländischen Tierart, noch dazu, wenn es sich um eine so anpassungsfähige Art wie den Waschbären handelt, für ausgesprochen gefährlich. Es ist nie abzusehen, welche Auswirkungen das haben kann.“

Und in der Zukunft?

Die wenigen Schätzungen zur Bestandsdichte des Waschbären in Amerika schwanken zwischen zwölf und 24 Stück pro 100 Hektar. Diese Dichte ist in Deutschland längst nicht erreicht, die Tendenz ist jedoch weiterhin steigend. Vielleicht sind es inzwischen 100 000, 150 000 oder sogar mehr Waschbären, die in den Bundesländern Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen leben.

Das also ist aus den ursprünglich vier Kleinbären vom Edersee geworden. Der Waschbär hat sich inzwischen einen festen Platz in der Raubtierfauna vor unserer Haustür verschafft. Er ist nicht mehr wegzudenken und auch nicht mehr wegzukriegen. Beobachten wir also, wie es mit ihm weitergeht.

 

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