Bewegungsjagden auf Rehwild:
Veränderte politische Rahmenbedingungen und Revierverhältnisse erfordern zwangsläufig auch neue Jagdstrategien. Die Bewegungsjagd auf Rehwild im Wald ist zwar so neu nicht mehr und auch kein Allheilmittel – trotzdem gehört ihr die Zukunft. Denn schon heute ist in einigen Bereichen der „ökologisch“ umgebauten Wälder die herkömmliche Ansitzjagd allein nicht mehr ausreichend.
Geschickt nutzt das Rehwild auch Forstkulturen und Naturverjüngungen als Deckung. Es gilt daher, solche Inselstrukturen in Standnähe permanent im Auge zu behalten. Denn manchmal findet sich eben doch eine passende Lücke |
Es ist kaum zwei Jahrzehnte her, dass die „Drückjagd“ auf Rehwild noch in weiten Teilen der deutschen Jägerschaft verpönt war. Gemeint waren damit allerdings die sich ob ihres Erfolges bei professioneller Durchführung allmählich durchsetzenden großräumigen Bewegungs- oder so genannten Anrührjagden mit Treibern oder Treibergruppen und stöbernden Hunden. Nur allzu oft wird in diesem Zusammenhang die jagdliche Nomenklatur gebeugt. Denn im Rahmen einer klassischen „Drückjagd“ werden sich Rehe passenderweise ganz überwiegend „drücken“. Der Jagderfolg wäre – wenn überhaupt gegeben – entsprechend gering.
Spannendes und freudvolles Waidwerk
Während man seinerzeit hier und dort jedoch noch kopfschüttelnd abwinkte, gehören Bewegungsjagden auf Rehwild oder solche, auf denen Rehe „mit freigegeben“ sind, für die meisten Jäger heute so selbstverständlich zum alljährlichen Jagdkalender wie ehedem der Hasensylvester – zumindest in ausreichend großen Waldrevieren. Und schon lange lässt sich diese Aussage sinnvollerweise nicht mehr auf fiskalische Forstreviere beschränken. Denn sachgemäß und mit Augenmaß betrieben, sind diese Jagden – von zwangsläufig nicht ausbleibenden Fehlschlägen abgesehen – einerseits erfolgreich, sie bieten spannendes und freudvolles Waidwerk, und sie sind in ihren Auswirkungen für (Reh-)Wild und Wald gleichermaßen positiv zu bewerten. Doch dazu später.
Zunächst zum Rehwild selbst, zu jener Wildart, die in fast jedem Waldtreiben vorkommt. Rehe gelten sicher zu Recht – in gewissen Grenzen – als ausgesprochen standorttreu. Und ihre hinten leicht überbaute Körperform weist sie, ihrer Entwicklungsgeschichte vor etwa 20 bis 25 Millionen Jahren in der Busch- beziehungsweise Waldrandzone entsprechend, als so genannte Schlüpfer oder Springer aus. Dort, wo es die unmittelbare Umgebung ermöglicht, werden Rehe von „Hell nach Dunkel“ in die nächst erreichbare Deckung flüchten, um dort zu verhoffen, sich neu zu orientieren, den Verfolger einzuschätzen und/oder sich zu drücken. Erneut beunruhigt, wiederholt sich dieser Vorgang. Und der erwähnten Standorttreue folgend, können „angerührte“ Rehe also durchaus mehrfach die Schützenstände in ihrem Einstandsgebiet passieren. Nach mehr oder weniger langen Fluchten (vor dem jagenden Hund oder Treiber) werden sie in der Regel relativ schnell in ihren gewohnten Aktionsraum zurückkehren – sofern sie ihn überhaupt verlassen. Und an irgendeinem Stand werden sie im Zweifel „passend“ verhoffen oder entsprechend langsam anwechseln, und können dort sicher angesprochen und mit gutem Schuss erlegt werden.
“Katz und Maus“
Vor allem die Treiber und Hundeführer können das zuvor geschilderte Verhalten im Treiben immer wieder gut beobachten. Die Rehe flüchten über kurze Distanzen in Deckung oder sie verhoffen in Alt- und Stangenhölzern sowie in den Übergangsbereichen. Beste Erfahrungen habe ich persönlich bei Bewegungsjagden auf Rehwild gemacht, bei denen in erster Linie gut eingejagte und fährtensichere Teckel zum Einsatz kamen. Der zwar „lästig“ und hartnäckig folgende, fährtenlaute, aber kleine und langsame Hund wird offenbar nicht für voll genommen. Mitunter erweckt es den Anschein, als ob die Rehe mit dem „kurzläufigen Wolf“ Verstecken oder Katz und Maus spielen. Fährtenlaute, einzeln jagende und weiträumig stöbernde Dackel bringen das Rehwild immer wieder verhoffend vor die Schützen. Dem zu bejagenden Gelände und einer eventuellen Schneedecke sind hierbei aber entscheidende Rollen beizumessen, denn bei beidem sind dem Teckel zweifelsohne Grenzen gesetzt.
Doch kommen wir nun zum Drücken der Rehe und zu ihrem Verhalten in Deckung. Welcher erfahrene Hundeführer oder Treiber hat es nicht selbst schon erlebt? Eine Bewegung aus dem Augenwinkel zwei oder drei Meter vor ihm im Farnkraut, in den Brom- oder Himbeeren. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich das Ganze als Reh, das eng an den Boden gedrückt und in Hasenmanier fast erst bei unmittelbarem Körperkontakt hoch wird.
Erstaunliche Geschwindigkeit
In Deckung versuchen Rehe, sofern sie sich nicht drücken, auch stehend und regelmäßig sichernd und windend abzuwarten, bis die Gefahr vorüber ist. Sollte in „erreichbarer“ Entfernung, aber aus Geschwindigkeitsgründen nicht zu beschiessendes Rehwild vor Ihnen – liebe Leserinnen und Leser – in nicht zu hoher Deckung sich offenbar drückend abtauchen, lohnt es stets, diese Deckungsinseln dauerhaft im Auge zu behalten. Denn auch sich drückende Rehe werden häufig schon nach kurzer Zeit wieder hoch, um sich stehend neu zu orientieren. Und hier und da bietet sich meistens doch eine Lücke, die einen vertretbaren Schuss ermöglicht.
Zur Flucht selbst: Rehe flüchten im Gegensatz zum Rotwild, das als Langstreckenflüchter im raumgreifenden Troll versucht, „dem Beutegreifer“ zu entgehen, in mehr oder minder weiten Sprüngen. Dabei springen sie mit beiden Hinterläufen, die durch die Länge und Winkelstellung der Lauf- und Fußknochen zueinander fast wie Sprungfedern wirken, gleichzeitig ab. Je nach Sprungintensität, Schnelligkeit und Weite werden die Hinterläufe dabei unterschiedlich weit vor den Vorderläufen aufgesetzt. Die Vorderläufe werden in hoher Flucht zeitlich und räumlich versetzt nacheinander aufgesetzt, um so den Sprung abzufangen. Die Sprungweiten liegen bei hochflüchtigen Rehen etwa zwischen drei und sieben Metern. Vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass ein Kugelschuss auf flüchtiges Rehwild aus Tierschutzaspekten nicht zu verantworten ist.
Rehe erreichen auf der Flucht über kurze Distanz zwar eine erstaunliche Geschwindigkeit – sind dabei aber nicht sehr ausdauernd. Schnelle, hochläufige und ausdauernd jagende Hunde sind daher die geborenen Rehpacker. Ein schneller, fährtentreuer DD oder DK zum Beispiel, vor allem wenn nicht spurlaut, würde in übersichtlichem Gelände auf kurz oder lang wahrscheinlich jedes gesunde Reh „fangen“ – wenn er es denn wollte und dürfte…
„Kitz(e
vor Ricke“)
Das oben beschriebene „Drücken“ der Rehe ist ein weiterer Grund, der gegen den Einsatz großer, schneller Hunde spricht. Von diesen auf kurze Distanzen hochgemacht, neigen Rehe zu panischer und kopfloser Flucht. Sie rennen dann häufig in Kultur- oder andere Zäune und werden dort von den Hunden gegriffen. Bei Rot-, Schwarz- oder Damwild passiert dies sehr viel seltener. Hinzu kommt, dass sich Ricken und Kitze sehr schnell und häufig schon bei geringem Druck voneinander trennen. Denn anders als zum Beispiel Rotwildkälber machen sich Rehkitze auch auf der Flucht sehr früh selbstständig.
Dieses artspezifische Verhalten birgt für den Jäger die Gefahr, ungewollt auch führende Ricken zu erlegen. Unzählige Beobachtungen von Ricken mit ihren Kitzen im Spätherbst und Winter zeigen uns, dass sich die Kitze unter der mütterlichen Führung offenbar am sichersten und wohlsten fühlen. Die ebenfalls bekannte Tatsache, dass einige Kitze in dieser Zeit bereits vorübergehend allein stehen oder sich mitunter auch anderen Sippenmitgliedern anschließen, sollte ebenso nicht als Freifahrtschein für den Abschuss führender Ricken genutzt werden. Auch die unbestrittene Notwendigkeit eines den Gegebenheiten vor Ort entsprechenden hohen Rickenabschusses steht dem nicht entgegen. Denn wie gesagt – ganz ohne Grund folgen auch Rehkitze sicher nicht der Führung ihrer Mutter, mindestens bis in das nächste Frühjahr hinein. Wenn irgend möglich, sollte also auch beim Rehwild der Grundsatz „Kitz(e) vor Ricke“ gelten.
Intensität und zeitliche Frequenz spielt eine wichtige Rolle
Bewegungsjagden auf Rehwild sollten aus diesem Grund aber auch möglichst spät, etwa ab Ende Oktober, besser noch im November oder Dezember stattfinden. Der Spätherbst und Frühwinter ist für die Ansitzjagd auf Rehe vor dem Hintergrund des arteigenen Aktivitätsmusters und der Wetterbedingungen ohnehin die „Saure-Gurken-Zeit“ und bietet sich als Bewegungsjagdtermin an. Für die Rehe selbst beginnt diese „Saure-Gurken-Zeit“ mit dem winterlichen Äsungsengpass und der Umstellung des eigenen Stoffwechsels. Vor allem in vergleichsweise kalten und schneereichen Wintern und in winteräsungsarmen Revieren sind die Rehe dann mehr oder minder weitgehend auf ihre während der Herbstmast angelegten, körpereigenen Fettreserven angewiesen. Bewegungsjagden sollten also auch nicht zu spät angesetzt werden. Denn je weiter das Thermometer sinkt, umso mehr müssen die Rehe dagegen „anheizen“. Vor diesem Hintergrund sollten wir bemüht sein, den Rehwildabschuss möglichst bis Weihnachten oder zum Jahreswechsel – auch im Rahmen von Bewegungsjagden – erfüllt zu haben.
Die Hardliner unter den Ökojägern halten dem entgegen, dass das Rehwild natürlicherweise auch daran angepasst sei, im tiefsten Winter und bei hohen Schneelagen sein Heil in der Flucht zu suchen, denn schließlich würden zum Beispiel Wolf und Luchs ja auch im Winter Rehe „jagen“. Eine Argumentation, die zunächst einleuchtet, denn selbstverständlich sind auch Rehe an ganzjährigen Druck durch Beutegreifer angepasst. Doch spielt hier die Intensität und zeitliche Frequenz eine wichtige Rolle. Denn einerseits waren die anderen, heute alltäglichen und quasi „unnatürlichen“, weil menschlichen Störungen, weitaus geringer, wenn überhaupt vorhanden. Und andererseits ist die Jagd von Wolf und Luchs wohl kaum mit einer großräumigen Bewegungsjagd modernen Zuschnitts in einen Topf zu werfen. Der Vergleich hinkt also, und wir sollten auch dem Rehwild im Winter die notwendige Ruhe lassen.
Der organistorische Aufwand ist zu hoch!
Dies bedingt allerdings, dass zuvor entsprechend motiviert gejagt wird. Wer nicht willens ist, im Rahmen von Bewegungsjagden auch auf Rehwild Strecke zu machen, sollte besser absagen. Der organistorische Aufwand ist einfach zu hoch! Und Sinn und Zweck dieser Jagden ist es, an wenigen Terminen und unter hohem Druck und beträchtlicher Störung eine möglichst hohe Strecke zu erzielen, um anschließend Ruhe zu lassen. Es gilt also, die sich bietenden Chancen konsequent zu nutzen. Solches Vorgehen dient dem Rehwild und der Waldvegetation. Die bis dahin erlegten Rehe können einerseits nicht mehr zum Winterverbiss der forstlichen Nutzpflanzen beitragen, der andererseits durch zusätzlich jagdlich beunruhigte und bewegte Rehe, durch einen höheren Äsungsbedarf steigt.
Die Strecke wiederum steigt durch eine professionelle Durchführung und Vorbereitung, die mit der Auswahl der Stände – möglichst nicht zu hohe offene Kanzeln oder die so genannten Ansitzböcke – beginnt. Hierbei ist zunächst zu bedenken, dass gerade beunruhigtes Rehwild nur in Ausnahmefällen größere Freiflächen und Waldlichtungen überquert. Jene Plätze also, die einen morgendlichen oder abendlichen Ansitz durchaus erfolgversprechend erscheinen lassen, sind für die Bewegungsjagd auf Rehe im Normalfall völlig ungeeignet. Ebenso sollten schmale Rückeschneisen oder Waldwege ausgespart werden. Die Zeit für einen guten Schuss ist dort in aller Regel zu kurz. Dies gilt auch für Standorte direkt an der Wald- beziehungsweise Dickungskante. Denn die Deckung wird speziell vor den eingesetzten Hunden zunächst hochflüchtig mit entsprechender Geschwindigkeit verlassen.
Die „guten Stände“ stehen im Bestand, in lichten Stangen- oder Althölzern, möglichst zwischen den bekannten Deckungs- beziehungsweise Dickungskomplexen und nicht unbedingt nur an Wechseln. Die Erfahrung und zahlreiche eigene Auswertungen der jägerischen Beobachtungsprotokolle (Standkarten) zeigen, dass „angerührte“ Rehe – zum Beispiel im Gegensatz zum Rotwild – häufig eben nicht die bekannten Wechsel zur Flucht nutzen, sondern meistens auf kürzestem Wege versuchen, die nächste Deckung zu erreichen.
Rehe neigen nicht zu großräumigen Fluchten
An nicht zu hohen Kulturen können ausnahmsweise auch hohe geschlossene Kanzeln gute Dienste tun. Diese Bereiche (s.o.) werden vom Rehwild gern angenommen, um sich darin zu drücken oder vermeintlich gedeckt zu verhoffen und das weitere Geschehen abzuwarten beziehungsweise die Bewegungen der Treiber und Hunde zu sondieren. Der Schütze „auf dem hohen Turm“ wird nicht wahrgenommen und kommt in Ruhe und selektiv zu Schuss.
Obwohl Rehe – wie bereits dargestellt – nicht zu großräumigen Fluchten neigen, sollte das zu bejagende Terrain nicht zu klein gewählt werden. Anderenfalls besteht auch beim Rehwild die Gefahr, dass sich das Wild sowie die eingesetzten Hunde nach relativ kurzer Zeit bereits außerhalb des abgesetzten Treibens bewegen. Je nach den örtlichen Gegebenheiten sollte das Treiben möglichst viele Einstandskomplexe auf mindestens etwa 400 Hektar Fläche umfassen.
Neben gut eingejagten, kurzläufigen Hunden, einem entsprechenden Wildbestand und motivierten und geübten Schützen sind ortskundige Treiber(-führer) Garanten des Erfolges. Die Auswertung der Standkarten im Rahmen eines Rehwildforschungsprojektes in der Staatlichen Revierförsterei Radbruch (Forstamt Rosengarten, Lüneburger Heide) zeigte, dass ein Durchgehen in Linie und auf ganzer Breite – wenn auch „hin und zurück“ – in aller Regel nachteilig ist. Die Zahl der Beobachtungen und Schüsse häuft sich kurzzeitig im Bereich der Treiber und Hunde, um dann steil abzufallen. Im Bereich dahinter, der mit zunehmender Dauer des Treibens immer größer wird, tat sich kaum noch etwas. Es sei denn, selbstständig jagende, zurückbleibende Hunde hielten einzelne Rehe in Bewegung, was die Ausnahme war, da sich die meisten Hunde hinsichtlich ihrer Aktivität an den Treibern und Hundeführeren – quasi als Meutekern – orientierten. Ansonsten herrschte weitgehend das Motto: „Ist die Wehr erst weg, bleibt das Reh am Fleck“.
Auf großer Fläche permanente Unruhe
Es empfiehlt sich daher, Treiber mit Hundeführern in verschiedene Gruppen zusammenzufassen und diesen bestimmte, nicht zu große Bereiche zuzuteilen, in denen sie die Einstände mehrfach durchkämmen. So entsteht auf großer Fläche eine permanente Unruhe, die das Rehwild stets erneut auf die Läufe bringt.
Wie eingangs erwähnt, werden aber auch bei größter Mühe und Sorgfalt in der Planung und Durchführung Fehlschläge nicht ausbleiben. Mal liegt’s am Wetter, mal an Faktoren, die auch für Profis im Verborgenen bleiben. Dort allerdings, wo die beschriebene Form der Jagd, regelmäßig schlechte oder keine Strecken bringt, sollten sich die Verantwortlichen dahingehend Gedanken machen, ob der vorhandene Rehwildbestand – zumindest vorübergehend – überhaupt noch bejagt werden sollte oder muss.
Ein gemeinschaftlicher „Aufbrechplatz“ zum Versorgen und Wiegen der Strecke sollte auch bei Bewegungsjagden auf Rehwild zum Standard gehören |