Die Menschheit hat seit 1970 durchschnittlich 69 Prozent aller beobachteten Populationen von Säugetieren, Vögeln, Fischen, Amphibien und Reptilien vernichtet. Das geht aus dem 14. Living Planet Report hervor, den der WWF heute in Berlin veröffentlicht hat. (deutsche Zusammenfassung hier)
Erstmals zeigt der Living Planet Report klar die Zusammenhänge von Klimakrise und Artensterben auf. (Bild: Staffan Widstrand / WWF)
Süßwasserarten sind mit einem durchschnittlichen Rückgang von 83 Prozent aller beobachteten Populationen am stärksten von der Artenkrise betroffen. Geographischer Hotspot des Artensterbens ist Süd- und Zentralamerika. Dort sind die untersuchten Tierbestände mit durchschnittlich 94 Prozent besonders stark geschrumpft. Die Ursachen für den Artenverlust sind laut WWF allesamt menschengemacht. Vor allem die Zerstörung der Lebensräume vieler Tiere und Pflanzen, Umweltverschmutzung sowie die Klimakrise sind die Hauptgründe für die Artenkrise. Die Autoren vom WWF und der Zoologischen Gesellschaft London werteten für den Living Planet Report über 31.000 Bestände von 5.230 Wirbeltierarten auf der ganzen Welt aus.
Die Chance dazu, das Artensterben zu stoppen, bietet sich auf der Weltnaturkonferenz diesen Dezember in Montreal, so der WWF. Dort wird ein neues globales Abkommen zum Erhalt der biologischen Vielfalt verhandelt. Ziel davon ist es, das Artensterben und den Verlust von Ökosystemen bis 2030 zu stoppen. Der WWF fordert die Bundesregierung auf, sich in Montreal für ambitionierte Ziele einzusetzen und die internationale Biodiversitätsfinanzierung Deutschlands sofort auf mindestens zwei Milliarden Euro im Jahr zu erhöhen.
Die „fatale Wechselwirkung“ zwischen Artensterben und Klimakrise steht erstmal im Fokus des Living Planet Reports. Als potenzielles Opfer dieser zweifachen Krise nennt der WWF zum Beispiel den afrikanischen Waldelefanten. Seine Bestände sind in einigen Gebieten bereits um mehr als 90 Prozent zurückgegangen. Mit fatalen Folgen: Ohne Elefanten verändert sich die Zusammensetzung des Waldes, sodass dieser deutlich weniger Kohlenstoff speichern kann.
Besonders gefährdete Tiere im Living Planet Index sind der Westliche Flachlandgorilla (Rückgang von 69 Prozent zwischen 2005 und 2019 im Nki-Nationalpark in Kamerun), der Amazonasdelfin (Rückgang um 65 Prozent zwischen 1994 und 2016 in Brasilien) sowie die Feldlerche (Rückgang von 56 Prozent zwischen 1980 bis 2019 in Europa).
Dass der Naturverlust auch gestoppt werden kann, zeigen hingegen wachsende Bestände von Seeadlern (Zuwachs von einem Revierpaar 1945 auf 57 in 2010 in Schleswig-Holstein), Tigern (Zuwachs um 91 Prozent von 2009 bis 2018 in Nepal) und der Kegelrobbe in der Ostsee (Zuwachs um 139 Prozent zwischen 2013 und 2019).
In ihrer Meldung über den WWF-Bericht nennt die FAZ in der heutigen Ausgabe schon in der Überschrift die „Jagd“ als eine Hauptursache für den Verlust an Artenvielfalt. Zur geregelten Jagdausübung findet sich im Bericht hingegen nichts. Die FAZ meint mit ihrer missverständlichen Wortwahl wohl Wilderei und kommerzielle Übernutzung von Wildtieren, z.B. als sogenanntes „bushmeat“. Im Gegenteil nennt der Bericht ein nachhaltiges Wildtiermanagement, das auch Jagdtourismus einschließt, als eine Option zur Verhinderung von Verlust an Biodiversität. Als Beispiel wird das mit 520.000 Quadratkilometern zweitgrößte Land-Schutzgebietsnetzwerk der Erde, KAZA, angeführt. Es entsteht entlang der Flüsse Kavango und Sambesi im südlichen Afrika und soll 36 Nationalparks und Wildreservate miteinander verbinden. Dieser zusammenhängende Naturraum ermöglicht Elefanten und anderen Tieren ungehinderte Wanderungen in ihre ehemaligen Verbreitungsgebiete. Die nachhaltige Nutzung besteht aus Foto- und Jagdtourismus sowie der Wildnutzung durch lokale Gemeinschaften. Mit ihnen arbeitet der WWF zusammen, um Gemeindeschutzgebiete einzurichten, die dann als Korridore fungieren und staatliche Schutzgebiete verbinden. Zugleich geben diese Gebiete der lokalen Bevölkerung Arbeit und Einkommen.
Die nachhaltige Nutzung von Wildtieren ist nicht ein Allheilmittel, aber eine Möglichkeit zur Erhaltung von Artenvielfalt. Das zeigt der WWF-Bericht „Living Planet“.
rdb