Der Wolf ist bekanntlich der Stammvater aller Hunderassen und mithin all ihrer Kreuzungen. Entsprechend schwer – aber nicht unmöglich – ist es, Wölfe auch ohne direkte Beobachtungen zweifelsfrei zu bestätigen.
Ein von Wölfen getötetes Schmaltier. Die Aufnahme stammt aus dem Bundesfortsamt Muskauer Heide |
von Gesa Kluth
Könnte das ein Wolf gewesen sein?“ Mein Gegenüber schaut mich erwartungsvoll an. „Tja“, entgegne ich vorsichtig, „es sieht so aus.“ Vor mir liegt das Foto eines Pfotenabdrucks, ein einzelnes Trittsiegel, eindeutig die Vorderpfote eines hundeartigen Tieres. Sogar ein Lineal ist daneben abgebildet: 8,5 Zentimeter Länge ohne Krallen. Die vorderen Zehenballen liegen vor den Außenzehenballen. „Sieht so aus, als sei das Tier galoppiert“, sage ich. „Deswegen sind die Krallen so stark abgedrückt. Haben Sie den Verlauf der Fährte sehen können?“ „Nein, nur diesen einen Abdruck“, sagt er. Obwohl es mir leid tut, ihn zu enttäuschen, sage ich, dass es unter diesen Umständen nicht möglich sei, den Abdruck eindeutig zu bestimmen. Das Problem dabei sind nicht die Wölfe, sondern die Hunde mit ihrer unglaublichen Rassen- und Kreuzungs-Vielfalt.
Es ist grundsätzlich nicht leicht, Hinweise auf Wölfe –Trittsiegel, Losungen, Risse – verlässlich von denen unserer Hunde zu unterscheiden. Es erfordert genaues Hinsehen und stets erneut das Sammeln einer ganzen Reihe von Indizien.
Hunde und Wölfe haben die selbe Gangart
Trittsiegel und Spurverlauf: Wolfsbranten und Hundepfoten sind grundsätzlich gleich aufgebaut. Die Vorderpfote ist bei beiden größer und durch die stärkere Belastung oft deutlicher abgedrückt als die hintere. Die Hinterpfote wird nur selten wirklich vollständig abgedrückt. Ihr Trittsiegel erscheint daher oft am hinteren Ende des Hauptballens oval und nicht so gerade wie das der Vorderpfote.
Wolfsbranten sind länglich, die vorderen beiden Zehenballen liegen vor den Außenzehenballen, die Krallen sind groß und kräftig abgedrückt. Die Brante wirkt insgesamt sehr regelmäßig und kräftig. Die Vorderbrante misst etwa acht bis zwölf Zentimeter Länge – ohne Krallen – und ist zwischen sieben und elf Zentimeter breit. Die Hinterbranten sind etwa einen Zentimeter kürzer und schmaler.
Hundepfoten dagegen sind meistens eher rundlich und geschlossen, die Krallen sind schwächer abgedrückt und die Pfoten wirken weniger regelmäßig als bei Isegrim. Allerdings ist ihre Größe sehr unterschiedlich – viele größere Hunderassen haben Pfoten, die der Größe von Wolfsbranten entsprechen.
Hunde und Wölfe bedienen sich derselben Gangarten. Dabei setzen sie die Hinterpfoten entweder in die Abdrücke der Vorderpfoten und hinterlassen dabei eine geschnürte Linie, oder sie setzen die Hinterpfoten hinter oder vor die Vorderpfoten. Je langsamer sich das Tier bewegt, desto mehr werden die Hinterpfoten zurückgesetzt. Beim schnellen Trab dagegen wird jede Hinterpfote vor den Abdruck der Vorderpfote derselben Körperseite gesetzt. Das Tier läuft mit schräger Körperachse geradeaus.
Losungen fungieren als Reviermarkierung
Wölfe bewegen sich die überwiegende Zeit im geschnürten Trab oder im schrägen Trab. Sie hinterlassen so über lange Strecken sehr gleichmäßige Spurbilder. Je nach Schnee- oder Sandtiefe und Geländestruktur wechseln sie fließend zwischen den trabenden Gangarten. Schritt und Galopp sind eher selten bei den Wölfen zu beobachten.
Die meisten Hunde dagegen wechseln die Gangart sehr häufig, vor allem galoppieren sie viel. Ein wirklich perfektes Schnüren sieht man bei Hunden sehr selten. Nur im tiefen Schnee kann es über kurze Distanzen vorkommen. Den schrägen Trab dagegen verwenden sie häufig, allerdings oft weniger gleichmäßig ausgeprägt als beim Wolf.
Losung: Wolfslosung enthält die Haare und Knochenstücke der Beutetiere. Mitunter findet sich auch ein Zahn, die Schalen eines Rehs oder Frischlings oder im Herbst die Reste von Früchten. Die Losungen sind meist zwei bis drei Zentimeter dick und etwa 15 bis 20 Zentimeter lang, können aber durchaus auch schmaler und kürzer sein. Verwechslungsgefahr besteht manchmal mit Fuchslosung, die ebenfalls Schalenwildreste enthalten kann. Die Losung wird bevorzugt an oder auf Wegen – noch besser an Kreuzungen – platziert, in der Mitte des Weges oder an seinem (oft erhöhten) Rand. Losungen fungieren als Reviermarkierung, vor allem die bevorzugten Routen und Plätze im Territorium werden so markiert.
Risse: Wie man Mäuse fängt, weiß auch schon ein junger Wolf. Die Jagd auf Rotwild, Rehe und anderes Schalenwild muss er dagegen erst von seinen Eltern und anderen Rudelmitgliedern lernen. Beherrschen sie einmal die Technik, töten Wölfe sehr gezielt und effizient. Sie fügen ihren Beutetieren mit aller Kraft schwere Verletzungen zu, die in aller Regel eine schnell tötende Wirkung haben. Kleine bis mittelgroße Beutetiere werden durch Drosselbisse getötet. Der Abstand zwischen den oberen Eckzähnen beträgt etwa vier Zentimeter, zwischen den unteren drei Zentimeter. Auch etliche Hunde beherrschen das gezielte Töten durch Drosselbiss, der Abstand ihrer Reißzähne variiert dabei mit der Größe des Hundes.
Die weitaus meisten Hunde fügen ihrem Opfer aber an vielen Körperstellen, oft wahllos, sehr unterschiedlich tiefe und schwere Wunden zu. Große Beutetiere werden auch von Wölfen nur sehr selten mit Drosselbiss getötet. Die Angriffe erfolgen dann mit großer Intensität von allen Seiten, an Schultern, Flanken und Haupt, mit dem Ziel, das Tier zum Straucheln zu bringen und an den Boden zu ziehen.
Wolf oder Hund der Täter?
Hunde und Wölfe schneiden das getötete Tier gerne vom Bauchraum her an und fressen zuerst die Innereien. Oft ist es aber gerade bei einzeln jagenden Wölfen so, dass sie die Beute von der Keule her anschneiden und den Bauchraum nicht gleich öffnen. Dies könnte damit zusammenhängen, dass der Riss eines einzelnen Wolfes über einen längeren Zeitraum dem möglichen Zugriff von Aasfressern ausgeliefert ist, als die Beute eines Rudels. Letzteres kann gleich bei der ersten Mahlzeit einen größeren Teil des gerissenen Tieres verschlingen.
Daher ist das sofortige Aufreißen des Bauchraums mit der einhergehenden starken Geruchsentwicklung für ein Wolfsrudel weniger problematisch, als für einen einzeln jagenden Wolf (oder auch einen Luchs).
Wölfe fressen ihre Beute normalerweise komplett auf. Sie kehren solange an den Riss zurück, bis nichts Verwertbares mehr übrig ist. Wildernde Hunde fressen dagegen oft nur einen kleinen Teil des getöteten Tieres.
Nicht bei jedem Riss lässt sich eindeutig klären, ob ein Wolf oder ein Hund der Täter war. Wenn aber das Fell, die Decke oder Schwarte des getöteten Tieres abgeschärft wird, die Art, Verteilung und Schwere aller Verletzungen notiert und möglichst fotografisch dokumentiert wird, steigen die Chancen für eine korrekte Zuordnung.
Vorderpfote (links unten) und Hinterpfote eines Wolfes im schrägen Trab |