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274 JVG – Hochsitz kann bleiben

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274 JVG – Auch Jagdgegner müssen Jagdausübung dulden Hochsitz kann bleiben

274 JVG
Weiterbau gestattet: Der Grundstückeigentümer wurde vom Gericht zur Duldung des Hochsitzes verpflichtet FOTO: BURKHARD WINSMANN-STEINS

Mark G. v. Pückler

I. Die Rechtsgrundlage
„Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Störungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen. Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.“ Paragraf 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) „Der Jagdausübungsberechtigte darf auf land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken besondere Anlagen wie Futterplätze, Ansitze und Jagdhütten nur mit Zustimmung des Grundstückseigentümers errichten. Der Eigentümer muss zustimmen, wenn ihm die Duldung der Anlage zugemutet werden kann und er eine angemessene Entschädigung erhält.“ § 20 Abs. 1 Landesjagdgesetz (LJG)  Rheinland–Pfalz

II. Der Sachverhalt
Der Pächter eines gemeinschaftlichen Jagdbezirks hat auf dem Grundstück des Eigentümers E. einen Hochsitz mit Kirrung errichtet. Die Anlage befindet sich an einer exponierten Stelle, von der aus man das Gelände in alle Richtungen gut einsehen kann. Die Eigentümer haben der Errichtung nicht zugestimmt. Sie verlangen die Beseitigung der jagdlichen  Einrichtungen, da sie als überzeugte Veganer gegen jede Art der Tötung von Tieren seien. Aufgrund ihrer Gewissensnot seien sie auch nicht verpflichtet, den Hochsitz und die Jagdausübung auf ihren Flächen zu dulden. Die mit dem Jagdrecht verfolgten Ziele könnten ebenso gut durch die Wiederansiedlung von Wölfen erreicht werden. Der Pächter erwiderte, dass die Grundstücke weder land- oder forstwirtschaftlich genutzt, noch in sonstiger Weise bewirtschaftet würden. Die Eigentümer seien daher verpflichtet, die Einrichtungen auf ihrem Grund und Boden zu dulden.

III. Das Urteil
Das Amtsgericht hat die Klage der Eigentümer abgewiesen und sie zur Duldung der Anlagen verpflichtet. Ihre hiergegen eingelegte Berufung wurde vom Landgericht kostenpflichtig zurückgewiesen. Anspruchsgrundlage für das Entfernen der ohne Zustimmung erstellten jagdlichen Einrichtungen sei § 1004 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift könne der Eigentümer die Beseitigung von Störungen seines Eigentums verlangen. Dieser Anspruch sei jedoch ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung der Störung verpflichtet sei. Das sei hier der Fall. Zwar hätten die Eigentümer ihre Zustimmung zur Errichtung der Anlage nicht erteilt; auf das Fehlen ihres Einverständnisses könnten sie sich aber nach Treu und Glauben nicht berufen, weil sie nach § 20 Abs. 1 LJG Rheinland–Pfalz zur Erteilung ihrer Zustimmung verpflichtet seien. Es sei bereits fraglich, ob eine Zustimmung überhaupt erforderlich sei, weil nach § 20 Abs. 1 der Eigentümer nur bei land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen zustimmen müsse. Jedenfalls aber seien die Eigentümer nach dieser Vorschrift verpflichtet, ihre Zustimmung zu erteilen, da ihnen die Anlage zugemutet werden könne und sie eine angemessene  Entschädigung erhielten. Bei Prüfung der Zumutbarkeit sei primär auf die wirtschaftliche Nutzung des Grundstücks abzustellen, wie sich aus § 20 Abs. 1 ergebe. Da das Grundstück nicht genutzt werde, stünden wirtschaftliche Interessen der Eigentümer nicht entgegen. Auch eine Beeinträchtigung ihrer Grundrechte sei nicht gegeben. Ihr Eigentumsrecht werde nicht dadurch verletzt, dass sie zwangsweise Mitglied der Jagdgenossenschaft seien und ihre Grundstücke dem gemeinschaftlichen Jagdbezirk angehörten mit der Folge, dass sie die Jagdausübung darauf dulden müssten. Denn hierbei handle es sich um eine zulässige inhaltliche Beschränkung des Eigentums, da das Jagdrecht dem Gemeinwohl diene. Dem stehe auch nicht das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 29. 4. 1999 entgegen. Denn nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 19. 10. 2004 – 2 BvR 1481/04 – entfalteten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs keine absolute Bindungswirkung für die deutschen Gerichte, da sie keinen Verfassungsrang hätten. Schließlich werde auch das Grundrecht auf Gewissensfreiheit nicht verletzt. Auch dieses Recht gelte nämlich nicht schrankenlos, sondern werde durch die Grundrechte  anderer eingeschränkt, hier dem Schutz von deren Eigentum vor Wildschäden. Ob die mit dem Jagdrecht verfolgten Ziele auch oder gar besser durch die Wiederansiedlung von Wölfen erreicht werden könnten, könne offen bleiben. Dem Gesetzgeber stehe ein weiter Ermessensspielraum zu, wie er diese Ziel erreichen will. Landgericht Zweibrücken, Urteil vom 16.11.2004 – 3 S 126/04 – (nicht rechtskräftig)

IV. Anmerkungen
Nach dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (Urteil vom 13. 7. 2004 – 8 A 10216/04.OVG, siehe WuH 20/2004, S. 118) hat nun ein weiteres Gericht entschieden, dass das deutsche Reviersystem mit der zwangsweisen Zugehörigkeit der Eigentümer zur Jagdgenossenschaft und deren Grundflächen zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Es handelt sich um eine nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz zulässige Bestimmung des Eigentumsinhalts. Zwar sind beide Urteile noch nicht  rechtskräftig – die Gegenseite wird sicher durch alle Instanzen gehen – aber die Chancen für den Erhalt unseres bewährten und von vielen Ländern kopierten Jagdsystems sind gut. Der vom Europäischen Gerichtshof mit Urteil vom 29. 4. 1999 entschiedene Fall, der in Frankreich spielte und auf den in diesem Zusammenhang immer wieder verwiesen wird, ist in den entscheidenden Punkten mit dem deutschen Reviersystem nicht vergleichbar. Die dort für menschenrechtswidrig befundenen französischen Regeln sind im deutschen System nicht enthalten.

● Im Gegensatz zum beanstandeten französischen Recht gilt das deutsche Reviersystem flächendeckend, es erfasst alle Grundstücke außer Eigenjagdbezirke und beteiligt alle Eigentümer am Reinertrag aus der Jagdnutzung. Durch ihre Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft haben die Grundeigentümer die Möglichkeit, gestaltend auf Hege und Jagdausübung einzuwirken.

● Der wichtigste Unterschied aber besteht darin, dass in Frankreich das Jagdrecht privaten Zwecken dient, die Jagd wird als „Sport“ und „Freizeitvergnügen“ begriffen. In Deutschland hingegen dient das Jagdrecht öffentlichen Zwecken. Durch die Verbindung mit der Hegepflicht und die behördlich gelenkte Bewirtschaftung des Schalenwildes (Abschusspläne mit Jagdpflicht) soll im Interesse der Allgemeinheit sichergestellt werden, dass einerseits ein gesunder und artenreicher Wildbestand erhalten bleibt, andererseits aber auch  übermäßige Wildschäden vermieden werden. Das gilt vor allem für Schäden im Wald wegen dessen herausragender Bedeutung für Boden, Wasser, Luft und Klima (§ 1  Bundeswaldgesetz).

● Nachdem im Jahre 1848 zunächst das französische Jagdsystem auf Verlangen der Landbevölkerung eingeführt worden war und dies binnen kürzester Zeit zu einer  weiträumigen Vernichtung der Wildbestände geführt hatte, haben sich die deutschen Staaten schon im Jahre 1849/50 bewusst von diesem System wieder abgewandt und das Reviersystem mit dem für das Wild verantwortlichen Jagdausübungsberechtigten eingeführt. Ziel war die langfristige Erhaltung und Pflege der Wildbestände durch eine dauerhaft angelegte und der landeskulturellen Umgebung angepassten Hege und Jagdausübung (siehe hierzu ausführlich Dietlein, AgrarR 2000, 76 ff und von Pückler, AgrarR 2001, 72 ff).

● Dem vorliegenden Urteil ist eigentlich schon deshalb zuzustimmen, weil die jagdlichen Anlagen auf Grundflächen erstellt wurden, die weder land-noch forstwirtschaftlich genutzt wurden. Wie sich aus § 20 Abs. 1 S. 1 LJG Rheinland- Pfalz und den entsprechenden Vorschriften nahezu aller übrigen Bundesländer ergibt (z.B. § 28 LJG NW), ist nur bei land- oder forstwirtschaftlicher Nutzung die Zustimmung erforderlich. Denn nur in diesen Fällen wird erheblich in das fremde Eigentum eingegriffen.

● Dagegen ist auf land- oder forstwirtschaftlich ungenutzten Flächen die Zustimmung des Eigentümers in der Regel nicht notwendig, da der Pächter eines Jagdbezirks zur Errichtung notwendiger jagdlicher Einrichtungen berechtigt ist und das Eigentum dadurch nur unwesentlich belastet wird (vergleiche zum Beispiel Mitzschke/Schäfer, BJG, Anhang zu § 18 BJG RandNr. 3 und 12; Leonhardt, Jagdrecht, Art. 36 BayJG Anmerkung 1 und 2). Diese Beschränkungen hat der Eigentümer auf Grund seiner eigenen Hegeverpflichtung hinzunehmen (§ 3 Abs. 1 S. 1, § 1 Abs. 1 S. 2 BJG), sie werden mit seinem Anspruch auf Auszahlung seines Anteils am Reinertrag aus der Jagdnutzung mit abgegolten (§ 10 Abs. 3 BJG). Der Abschuss des Wildes im Rahmen des § 21 BJG dient im wesentlichen der Erfüllung dieser Hegepflicht. Das gilt nicht nur für das Erlösen von verletztem, krankem und leidendem Wild, sondern auch für die Schaffung und Erhaltung eines den landschaftlichen und landeskulturellen Verhältnissen „angepassten“,  artenreichen und gesunden Wildbestands. Denn eine Anpassung der Wildbestände, insbesondere des Schalenwildes, an die örtlichen Verhältnisse ist nur durch ein Erlegen möglich, wobei sich beim Schalenwild aus den Vorgaben des Abschussplanes eine Erlegungspflicht ergibt ( § 21 Abs. 1, Abs. 2 S. 6 BJG). Mit der Pflicht zur Hege und damit auch zur Anpassung der Wildbestände an die örtlichen Verhältnisse zwecks Vermeidung übermäßiger Wildschäden sowie zur Bekämpfung der Wildseuchen (z. B. Schweinepest, Tollwut u.a.) erfüllt der Jäger öffentlich-rechtliche Aufgaben zugunsten der Allgemeinheit. Nur von einem Hochsitz aus ist das zuverlässig machbar, da meistens nur von dort aus ein sicheres Ansprechen für ein selektives Erlegen und ein für die Umgebung gefahrloser Schuss möglich ist (Kugelfang). Das Gericht hat seine Entscheidung abgesichert; es hat den Hochsitz selbst dann für zulässig erachtet, wenn der Eigentümer auch bei land- oder forstwirtschaftlich ungenutzten Grundstücken zustimmen müsste, da er jedenfalls zur Duldung verpflichtet ist.

V. Ergebnis
1. Auf land- oder forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken darf der  Jagdausübungsberechtigte jagdliche Einrichtungen wie Hochsitze und Fütterungen nur mit Zustimmung des Grundeigentümers errichten.
2. Der Grundeigentümer muss seine Zustimmung erteilen, wenn ihm die Anlage zumutbar ist. Bei Prüfung der Zumutbarkeit sind vor allem seine wirtschaftlichen Interessen (Ernteverlust, Behinderungen) mit den jagdlichen Erfordernissen unter Berücksichtigung der Hege- und Abschusspflicht sowie der Verhütung von Wildschäden und Wildseuchen abzuwägen.

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