274 JVG – Zwei Landwirte verurteilt Acht Kitze ausgemäht
Mark G. v. Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
„Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet.“ § 17 Nr. 1 Tierschutzgesetz
II. Der Sachverhalt
Auf der Jagdgenossenschaftsversammlung Ende März 2003 wurde aus Gründen des Tierschutzes beschlossen, dass alle Jagdgenossen dem Jagdpächter den Beginn des Mähens ihrer Wiesen spätestens 24 Stunden vorher mitteilen, damit dieser am Vorabend die notwendigen Maßnahmen zur Rettung der Kitze durchführen kann. Auch die Brüder A. und B., die als Nebenerwerbslandwirte mehrere Wiesen bewirtschafteten, nahmen an dieser Versammlung teil. Ende Mai verabredeten sich die Brüder eines Abends, am folgenden Morgen Silofutter zu mähen. Gegen 22.30 Uhr rief A. den Jagdpächter an und teilte ihm das mit. Dieser erwiderte, dass er in der Nacht keine Schutzmaßnahmen mehr ergreifen könne, die Brüder sollten am Morgen auf ihn warten, damit er vorher das Gebiet absuchen könne. Am folgenden Morgen begann B. mit dem Mähen, ohne auf den kurz danach eintreffenden Pächter zu warten. Schutzmaßnahmen hatte er nicht ergriffen. Es wurden zwei Kitze getötet. Am Pfingstsonntag beschlossen die Brüder, am folgenden Tag vier Wiesen zu mähen. Da A. nicht auf den Anrufbeantworter des Pächters sprechen wollte, informierte er diesen erst am folgenden Morgen kurz vor Beginn der Arbeiten. Der Pächter erwiderte, dass er umgehend einen Suchtrupp zusammenstellen und so schnell wie möglich kommen werde. Erneut begann B. ohne zu warten mit dem Mähen. Als der Pächter eintraf, waren bereits vier Kitze getötet. Während der Suchtrupp nun die restliche, noch nicht zu Ende gemähte Wiese absuchte, fuhr B. zu den weiteren Wiesen und setzte dort das Mähen fort. Hierbei wurden nochmals zwei Kitze getötet. Der Pächter erstattete Anzeige wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz.
III. Das Urteil
Das Gericht verurteilte A. und B. als Mittäter zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 40,- Euro (den A.) beziehungsweise 30,- Euro (den B.) und legte ihnen die Kosten des Verfahrens auf. Beide Angeklagten hätten sich des Tötens eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund schuldig gemacht und insgesamt acht Kitze getötet. Die Angeklagten hätten vorsätzlich gehandelt. Ihnen sei bekannt gewesen, dass sie den Jagdpächter mindestens 24 Stunden vorher hätten informieren müssen. Obwohl sie diese Frist nicht eingehalten hätten und der Jagdpächter sein Erscheinen zwecks Absuchens der Wiesen ankündigte, habe B. in Absprache mit A. mit dem Mähen begonnen. Beide Angeklagten hätten auch nicht darauf vertrauen können, dass keine Kitze getötet würden. Aufgrund der Örtlichkeit und früherer Vorkommnisse sowie der Besprechung in der Jagdgenossenschaftsversammlung sei ihnen bekannt gewesen, dass mit Jungwild zu rechnen sei und dieses gefährdet würde. Gleichwohl hätten sie mit den Arbeiten begonnen, ohne auf den Pächter und seine Helfer zu warten oder selbst Rettungsmaßnahmen vorzunehmen. Strafmildernd sei zu berücksichtigen, dass sich die Angeklagten nachträglich tadellos verhalten, insbesondere weiteres Mähen rechtzeitig mitgeteilt hätten und der materielle Schaden mit insgesamt 960,- Euro (je 120 Euro pro Kitz) relativ gering sei. Strafschärfend habe sich die rohe Einstellung der Angeklagten ausgewirkt. Sie hätten ihre Mäharbeiten selbst dann noch fortgesetzt und weitere Kitze getötet, nachdem bereits mehrere Tiere den Tod gefunden hätten. Amtsgericht Hadamar, Urteil vom 29.9.2004 – 1 Ds – 3 Js 12550/03 –
IV. Anmerkungen
Ein unglaublicher Fall: Der Landwirt weiß, dass mit Kitzen zu rechnen ist und der Jagdpächter trotz verspäteter Benachrichtigung zur Wiese eilt, um das Wild zu retten, und beginnt trotzdem mit seinem tödlichen Tun. Und damit nicht genug: Als die ersten Kitze verstümmelt am Boden liegen, setzt er in Anwesenheit des Pächters sein rohes Verhalten auf einer anderen Wiese fort, ohne Rücksicht auf das sich drückende Wild. Landwirte sind wie jeder andere auch dazu verpflichtet, sich gegenüber der Natur verantwortungsvoll zu verhalten. Das gilt sowohl bei der Bodennutzung als auch gegenüber der betroffenen Tier- und Pflanzenwelt. Wegen seiner hohen Bedeutung ist der Tierschutz inzwischen sogar im Grundgesetz verankert.
● Das Tierschutzgesetz verbietet es generell, ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund zu töten. Da in vielen Fällen die Tötung eines Tieres ungewollt oder unvermeidlich ist, sei es im Straßenverkehr oder bei landwirtschaftlicher Betätigung, liegt nur bei Vorsatz eine Straftat vor.
● Vorsätzlich handelt, wer absichtlich oder wissentlich ein Tier ohne vernünftigen Grund tötet oder wer den Tod eines Tieres billigend in Kauf nimmt, zum Beispiel weil er dadurch seine Arbeit schneller erledigen kann oder weil es „schon immer“ so gehandhabt wurde. Die ordnungsgemäße Jagdausübung ist legal und damit ein vernünftiger Grund für das Töten von Wild sowie sonstiger Tiere im Rahmen des Jagdschutzes.
● Bei einem Grundstückseigentümer kommt erschwerend hinzu, dass er als Inhaber des Jagdrechts kraft Gesetzes zur Hege verpflichtet ist. Aufgrund dieser Hegepflicht hat er alles zu unterlassen, was dem Wild Schaden zufügen kann, soweit ihm das möglich und zumutbar ist. Es liegt auf der Hand, dass es angesichts der schweren Leiden zumutbar ist, entweder den Jagdpächter so rechtzeitig vorher zu benachrichtigen, dass dieser geeignete Rettungsmaßnahmen treffen kann, oder selbst die erforderlichen Maßnahmen sachgerecht durchzuführen. Das gilt umso mehr, wenn es sich um eine Wiese handelt, auf der bereits in der Vergangenheit Kitze ausgemäht wurden (siehe WuH 10/2002, S. 76).
● Zur Nachahmung empfohlen ist die Aktion der Jagdgenossenschaft, ihre Mitglieder auf die Pflicht zum Schutz des Jungwildes hinzuweisen und die vorherige Benachrichtigung des Jagdpächters zu beschließen. Dann weiß jeder, was er zu tun hat, um nicht mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten.
V. Ergebnis
1. Das vorsätzliche Töten eines Wirbeltieres ohne vernünftigen Grund ist eine Straftat.
2. Ein Landwirt, der in der Setzzeit eine Wiese mäht, dabei ein Kitz tötet und dies billigend in Kauf nimmt, macht sich nach dem Tierschutzgesetz strafbar.
3. Das gilt nicht, wenn er selbst geeignete Rettungsmaßnahmen durchführt (zum Beispiel durch Absuchen, Vergrämen oder Benutzen eines Wildretters) oder den Pächter rechtzeitig vorher informiert, damit dieser das Wild schützen kann.