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288 JVG – Zwangsmitgliedschaft rechtmäßig

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288 JVG – Zwangsmitgliedschaft rechtmäßig, Kein Ausstieg aus der Jagdgenossenschaft

288 JVG

Mark G. v. Pückler

I. Die Rechtsgrundlage
1. „Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer Beseitigung der  Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Störungen zu besorgen, so kann der  Eigentümer auf Unterlassung klagen. Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.“ § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch
2. „Die Eigentümer der Grundflächen, die zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehören, bilden eine Jagdgenossenschaft.“ § 9 Abs. 1 BJG
3. „Der Jagdausübungsberechtigte darf auf land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken besondere Anlagen, wie Futterplätze, Ansitze und Jagdhütten, nur mit Zustimmung des Grundstückseigentümers errichten. Der Eigentümer muss zustimmen, wenn ihm die Duldung der Anlage zugemutet werden kann und er eine angemessene Entschädigung erhält.“ § 20 Abs. 1 LJG Rheinland-Pfalz

II. Der Sachverhalt
Der Pächter eines gemeinschaftlichen Jagdbezirks errichtete auf dem Grundstück der Eigentümer E. ohne deren Zustimmung einen Hochsitz mit Kirrung. Der Hochsitz befindet sich an einer hervorgehobenen Stelle, von der aus das umliegende Gelände gut einsehbar ist. Die Eigentümer verlangten die Beseitigung der jagdlichen Anlagen, da sie als  überzeugte Veganer gegen jede Art der Tötung von Tieren sind. Aufgrund ihrer Gewissensnot seien sie auch nicht verpflichtet, die Jagdausübung auf ihren Grundstücken zu dulden. Die mit dem Jagdrecht verfolgten Ziele könnten ebenso gut durch die Wiederansiedlung von Wölfen erreicht werden. Der Pächter entgegnete, dass das Grundstück weder land- noch forstwirtschaftlich genutzt werde. Er beantragte daher, die Eigentümer zur Duldung der Einrichtungen zu verurteilen. Amts- und Landgericht gaben dem Pächter Recht. Sie wiesen die Klage auf Beseitigung des Hochsitzes und der Kirrung ab und verpflichteten die Eigentümer, diese Anlagen auf ihrem Grundstück zu dulden. Die Eigentümer gingen in die Revision.

III. Das Urteil
Der Bundesgerichtshof wies die Revision zurück. Er entschied, dass der Eigentümer eines zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehörenden Grundstücks die Errichtung jagdlicher Anlagen nicht aus Gewissensgründen verbieten kann. Der Beseitigungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch sei nicht gegeben, so das Gericht, da die Eigentümer nach § 1004 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch zur Duldung der jagdlichen Einrichtungen verpflichtet seien. In gemeinschaftlichen Jagdbezirken stehe das Jagdausübungsrecht der Jagdgenossenschaft zu, die Grundeigentümer seien auch gegen ihren Willen Mitglied der Jagdgenossenschaft. Diese Pflichtmitgliedschaft verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Weder die Eigentumsgarantie noch das  Grundrecht der Gewissensfreiheit oder ein sonstiges Grundrecht würden dadurch verletzt (vergleiche auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 14.4.2005 – 3 C 31/04 –; WuH 22/2005, S. 106).
1. Gewissensfreiheit, Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz „Die Freiheit … des Gewissens … ist unverletzlich“, heißt es im Grundgesetz. Diese Freiheit werde durch die Pflichtmitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft nicht beeinträchtigt, weil die Eigentümer nicht gezwungen würden, selbst Tiere zu töten oder an deren Tötung durch andere mitzuwirken. Sie müssten lediglich die Ausübung der Jagd passiv hinnehmen. Ein Eingriff in ihre eigene Lebensführung sei damit nicht verbunden. Dieses Grundrecht biete daher keine Handhabe für ein Jagdverbot.
2. Eigentumsgarantie, Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz „Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt“, steht im Grundgesetz. Die Abtrennung des Jagdausübungsrechts von dem zum Grundeigentum gehörenden Jagdrecht und dessen Übertragung auf die Jagdgenossenschaft sei eine Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums, die nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz dem Gesetzgeber obliege. Dieser habe hierbei seine Grenzen nicht überschritten. Denn die Regelung stelle einen sachgerechten und nicht unverhältnismäßigen Ausgleich dar zwischen den Nutzungsinteressen des Grundeigentümers und den berechtigten Interessen der Allgemeinheit an einem sachgerechten Jagdwesen. Eine Zersplitterung der Jagdrechte könne die Jagd empfindlich behindern. Jagd sei daher auf staatliche Ordnung und Kontrolle angewiesen. Die Bildung von Jagdgenossenschaften diene dazu, durch Schaffung ausreichend großer Jagdbezirke eine Ausübung von Jagd und Hege zu gewährleisten, die den Zielen des Jagdrechts gerecht werde. Diese Ziele genügten einerseits dem Verfassungsauftrag zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a Grundgesetz), andererseits würden sie durch das Eigentumsrecht Dritter (Verhütung unzumutbarer Wildschäden) gerechtfertigt. Das neue Staatsziel des Tierschutzes lasse die Berechtigung des Gesetzgebers zur Förderung einer gemeinwohlverträglichen Jagd und Hege unberührt. Aus ihm könnten sich allenfalls Folgerungen für die Art und Weise der Jagdausübung ergeben.
3. Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“, sagt das Grundgesetz. Ein Verstoß gegen diesen Gleichheitsatz sei nicht gegeben. Die zwangsweise Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft gelte für das gesamte deutsche Staatsgebiet, und auch die Inhaber von Eigenjagdbezirken seien flächendeckend zur Ausübung der Jagd verpflichtet. Im gemeinschaftlichen Jagdbezirk stehe dem Eigentümer  kein eigenes Jagdausübungsrecht zu, das er ausüben oder ruhen lassen könne, vielmehr erhalte er für den Verlust seines Jagdausübungsrechts nach § 10 Abs. 3 S. 2 Bundesjagdgesetz einen angemessenen Geldausgleich. Die im Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 29.4.1999 (WuH 6/2000, S. 9)  festgestellten Menschenrechtsverletzungen beträfen die vom deutschen Jagdrecht wesentlich abweichende französische Rechtslage und sei daher nicht auf den vorliegenden Streitfall übertragbar. Das deutsche Jagdrecht verfolge nicht wie das französische Gesetz den Zweck, einen demokratischen Zugang zur Jagd sicherzustellen,  sondern durch Schaffung ausreichend großer Jagdbezirke eine  Ausübung von Jagd und Hege zu gewährleisten, die den im Bundesjagdgesetz bestimmten Zielen gerecht werde.
4. Vereinigungsfreiheit, Art. 9 Abs. 1 Grundgesetz „Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden“, bestimmt das Grundgesetz. Umgekehrt darf niemand gezwungen werden, in einen Verein oder eine Gesellschaft einzutreten (negative Vereinigungsfreiheit). Die zwangsweise Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft verstoße nicht gegen die negative Vereinigungsfreiheit, da es sich bei der Jagdgenossenschaft um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft handle, der öffentlich- rechtliche Befugnisse zustünden und die öffentlichen Aufgaben diene.
5. Hochsitz rechtmäßig Das Jagdausübungsrecht schließe grundsätzlich das Recht ein, im Jagdrevier auf fremden Grund und Boden jagdliche Einrichtungen zu erstellen. Nach § 20 Abs. 1 S. 1 LJG Rheinland-Pfalz dürfe der Jagdausübungsberechtigte jedoch auf land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken besondere Anlagen wie Ansitze und Futterplätze nur mit Zustimmung des Grundstückseigentümers errichten. Ob dies auch für brachliegende Flächen gelte, bei denen Kollisionen mit Nutzungsrechten des Eigentümers in der Regel nicht eintreten, könne offen bleiben. Denn jedenfalls müsse der Grundeigentümer der Anlage nach § 20 Abs. 1 S. 2 LJG Rheinland-Pfalz zustimmen, wenn ihm die Duldung zuzumuten sei und er eine angemessene Entschädigung erhalte. Im vorliegenden Falle sei den Eigentümern die Errichtung des Hochsitzes und Futterplatzes auf den ungenutzten Parzellen zumutbar, eine Entschädigung sei von ihnen nicht verlangt worden. Die Widerklage des Jagdpächters auf Duldung des Hochsitzes und der Kirrung sei daher begründet. Bundesgerichtshof, Urteil vom 15.12.2005 – III ZR 10/05 –

IV. Anmerkungen
Nach dem Bundesverwaltungsgericht hat jetzt auch der Bundesgerichtshof die Pflichtmitgliedschaft der Grundeigentümer in der Jagdgenossenschaft und damit auch die Pflichtzugehörigkeit ihrer Flächen zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk für rechtmäßig erklärt. Sowohl das oberste Verwaltungsgericht als auch das oberste Zivilgericht kamen zu dem Ergebnis, dass diese Regelung (und damit das deutsche Reviersystem) weder die Grundrechte der betroffenen Eigentümer noch sonstiges höherrangiges Recht verletzt. War mithin die Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft rechtmäßig, so gehörten die Grundstücke der Eigentümer auch zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk. Auf diesen Flächen durfte der Hochsitz mit Kirrung schon deshalb erstellt werden, weil das Grundstück weder land noch forstwirtschaftlich genutzt wurde, die Errichtung den Eigentümern zumutbar war und diese keine Entschädigung verlangten. In nahezu allen Landesjagdgesetzen ist bestimmt, dass jagdliche Einrichtungen auf land- und forstwirtschaftlich genutzten Grundstücken nur mit Genehmigung des Grundeigentümers errichtet werden dürfen; dieser ist aber zur Genehmigung verpflichtet, wenn ihm die Duldung der Anlage zugemutet werden kann und er eine angemessene Entschädigung erhält (vergleiche z. B. § 28 LJG NW). Umgekehrt ergibt sich hieraus, dass auf land- und forstwirtschaftlich ungenutzten Grundstücken eine Zustimmung des Eigentümers in der Regel nicht notwendig ist. Denn der Eigentümer erleidet in diesen Fällen keinen  Nutzungsausfall, für den er zu entschädigen wäre. Der Pächter ist grundsätzlich befugt, die für eine ordnungsgemäße Jagdausübung notwendigen Anlagen zu errichten, insbesondere um die ihm auferlegte, auch dem Grundeigentümer dienende Pflicht zur Verhinderung übermäßiger Wildschäden zu erfüllen. Aus der auch dem Eigentümer obliegenden Hegepflicht ergibt sich hierbei eine Mitwirkungspflicht, da die Hege nach § 1 Abs. 2 BJG so durchzuführen ist, dass Wildschäden möglichst vermieden werden. Der Grundeigentümer hat daher in der Regel notwendige jagdliche Anlagen auf Brachflächen hinzunehmen, dies wird mit seinem Anspruch auf Auszahlung seines Anteils am Reingewinn aus der Jagdnutzung mit abgegolten (siehe auch Mitzschke/Schäfer, BJG, Anhang I zu § 18, RandNr. 3; Leonhardt, Jagdrecht, Art. 36 BayJG, Anmerkung 1 und 2).  Das von der Gegenseite immer wieder herangezogene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 29.4.1999 (WuH  6/2000, S. 9) betrifft einen Fall aus Frankreich, der in den entscheidenden Punkten vom deutschen Reviersystem gravierend abweicht und daher nicht übertragbar ist. In Frankreich steht das Jagdrecht grundsätzlich dem Eigentümer zu; er darf es selbst ausüben, verpachten oder keinen Gebrauch davon machen. Deshalb darf prinzipiell niemand auf fremdem Grund und Boden ohne Erlaubnis des Berechtigten jagen. In Abweichung hiervon wurde in einem Teil Frankreichs ein Gesetz erlassen, das die kleinen Grundstücke einer Gemeinde (bis 20 Hektar, teilweise auch bis 60 Hektar, je nach Gegend) zu einem gemeinsamen Jagdbezirk zusammenfasste und ihre Eigentümer zwangsweise in einem kommunalen Jagdverband vereinte. Als Gegenleistung für den Entzug der Jagdausübungsrechte eines jeden Kleineigentümers durften diese alle im gemeinsamen Jagdbezirk jagen  „demokratischer Zugang“ zur Jagd), einen Geldausgleich gab es nicht. Größere Grundstücke und Flächen der öffentlichen Hand waren vom Jagdbezirk ausgenommen. Der Europäische Gerichtshof sah darin einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, weil das Gesetz unter anderem nicht alle Grundstücke erfasste, nur in einem Teil Frankreichs galt und die Eigentümer keinen Geldausgleich erhielten. Das deutsche Reviersystem gilt demgegenüber in ganz Deutschland, es erfasst alle Grundstücke, und die Mitglieder der Jagdgenossenschaft erhalten für die fremde Jagdausübung auf ihren Flächen ihren Anteil am Reingewinn aus der Jagdnutzung. Auch das Grundverständnis zur Jagd ist in beiden Ländern völlig unterschiedlich. In Frankreich wird die Jagd als Sport und Freizeitvergnügen verstanden (siehe obiges Urteil des EUGH, Nrn. 76 und 106), das möglichst vielen Personen offen stehen soll („demokratischer Zugang“ zur Jagd, siehe oben). In Deutschland dient die Jagd öffentlichen Zwecken. Durch die Verbindung mit der Hegepflicht und die behördlich gelenkte Bewirtschaftung des Schalenwildes soll im Interesse der Allgemeinheit sichergestellt werden, dass einerseits ein artenreicher und  gesunder Wildbestand erhalten bleibt, andererseits aber auch übermäßige  Wildschäden verhindert werden. Das gilt vor allem für Schäden im Wald wegen dessen besonderer Bedeutung für Boden, Wasser, Luft und Klima (siehe ergänzend WuH 8/2005, S. 111). Mit diesem Urteil ist der Streit aber noch lange nicht zu Ende. Die Eigentümer haben bereits Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Ihr Ziel heißt Straßburg: Europäischer Gerichtshof.

V. Ergebnis
1. Die zwangsweise Mitgliedschaft  in der Jagdgenossenschaft ist rechtmäßig. Sie verletzt  weder das Grundrecht der Gewissensfreiheit noch ein sonstiges Grundrecht und beeinträchtigt nicht höherrangiges Recht. 2. Ein Jagdgenosse kann daher weder die Errichtung jagdlicher Anlagen noch die Ausübung der Jagd auf seinen Flächen aus  Gewissensgründen verbieten


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