299 JVG – Rechtswidrige Störung der Jagdausübung Open-Air-Festival im Revier
Mark G. v .Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
1. „Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu befürchten, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen. Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.“ § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch 2. „Der Eigentümer eines Grundstücks kann … Einwirkungen von einem anderen Grundstück insoweit nicht verbieten, als sie die Benutzung seines Grundstücks nicht oder nur unwesentlich beeinträchtigen. Das Gleiche gilt insoweit, als eine wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind.“ § 906 Bürgerliches Gesetzbuch
II. Der Sachverhalt
Die Gemeinde A. beabsichtigte, ein gemeindeeigenes Grundstück zur Durchführung eines Musikfestivals zu verpachten. Das Grundstück lag außerhalb des Ortes in der freien Landschaft und gehörte zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk. Bereits in den vergangenen Jahren hatten sich die Jagdpächter bei gleichartigen Veranstaltungen auf dem Grundstück über erhebliche Störungen beschwert, insbesondere durch die hohe Zahl von Besuchern und die ungewöhnlich laute Musik zu jeder Tageszeit. Als erneut ein solches Festival veranstaltet werden sollte, beantragten sie bei Gericht eine einstweilige Verfügung gegen die Gemeinde auf Unterlassung der Verpachtung ihres Grundstücks. Das Landgericht untersagte der Gemeinde, ihr Grundstück dem Musikveranstalter zur Durchführung des Festivals zur Verfügung zu stellen. Die Gemeinde wollte sich damit nicht abfinden und legte Berufung ein.
III. Das Urteil
Das Oberlandesgericht gab den Jagdpächtern ebenfalls Recht. Es wies die Berufung zurück, weil die zu erwartenden Störungen der Jagdausübung rechtswidrig seien und von der Gemeinde durch die geplante Zur-Verfügung- Stellung ihres Grundstücks mitverursacht würden. Das Jagdausübungsrecht des Jagdpächters sei ein absolutes Recht. Wer es rechtswidrig und schuldhaft verletzt, sei zu Schadensersatz verpflichtet; wer es rechtswidrig stört oder beeinträchtigt, habe das zu unterlassen. In Eilfällen könne bei erheblichen Störungen eine einstweilige Verfügung beantragt werden. Ein solcher Eilfall mit erheblichen Störungen sei hier gegeben. Dabei sei unerheblich, dass die Gemeinde die Störungen nicht selbst verursache, sondern die Musikveranstalter und ihre Bands. Denn eine rechtswidrige Beeinträchtigung durch die Gemeinde liege bereits darin, dass sie ihr Grundstück dem Veranstalter für das Festival zur Verfügung stelle. Der Verpächter eines Grundstücks sei schon dann als Störer einzustufen, wenn er die vom Grundstücksp.chter ausgehenden Störungen entweder veranlasst habe oder aufrechterhalte und in der Lage sei, sie zu beseitigen. Das sei hier der Fall. Aufgrund der Vorkommnisse in der Vergangenheit sei der Gemeinde bekannt, dass mit einem Festival zu rechnen sei, zu dem in den vergangenen Jahren jeweils mehrere tausend Besucher erschienen seien. Die ungewöhnlich laute Musik rund um die Uhr habe bereits zu erheblichen Beanstandungen der Jagdpächter wegen der damit verursachten Störungen geführt. Wenn die Gemeinde ihr Grundstück trotz dieser Proteste wieder für dieses Festival zur Verfügung stelle, so veranlasse und ermögliche sie mitursächlich die zu erwartenden Störungen, obwohl sie sie ohne weiteres verhindern könne. Die von den Jagdpächtern durch eidesstattliche Versicherung bestätigten Störungen seien glaubhaft und beeinträchtigten ihr Jagdausübungsrecht in unzumutbarer Weise. Sie überschritten das am Ort des Grundstücks übliche Maß, seien deshalb rechtswidrig und müssten nicht hingenommen werden. Auch eine nur zeitweilige Vertreibung des Wildes stelle eine schwerwiegende, rechtswidrige Störung des Jagdausübungsrechts dar. Oberlandesgericht Koblenz, Urteil vom 11.6.1985 – 1 U 679/85 –
IV. Anmerkungen
Das vorstehende Urteil zählt zu den Grundsatzentscheidungen zur Abwehr rechtswidriger Störungen und Beeinträchtigungen des Jagdausübungsrechts. Der Eigentümer eines Grundstücks ist zwar grundsätzlich befugt, sein Grundstück nach freiem Belieben zu nutzen, also auch anderen zur Nutzung zu überlassen. Diese Befugnis endet aber dort, wo dadurch in Rechte anderer – hier das fremde Jagdausübungsrecht – rechtswidrig eingegriffen wird. 1. Rechtswidrige Störungen „Rechtswidrig“ ist eine Störung/ Beeinträchtigung, wenn sie 1. wesentlich und zusätzlich 2. „nicht ortsüblich“ ist. Das ergibt sich aus dem Grundgedanken des § 906 Bürgerliches Gesetzbuch. Nach dieser Vorschrift sind wesentliche Beeinträchtigungen/ Störungen eines Grundstücks von einem anderen Grundstück nur dann hinzunehmen, wenn sie ortsüblich sind, das heißt wenn sie an dieser Stelle durch eine dort übliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt werden. Maßgebend ist also, dass in der Umgebung des Grundstücks solche Störungen üblich sind. Dieser für das Eigentum geltende Grundsatz gilt auch für das Jagdausübungsrecht, da beide absolute Rechte sind. „Wesentlich“ ist eine Störung/ Beeinträchtigung, wenn sie die Ausübung der Jagd oder der Hege mehr als nur kurzfristig und geringfügig stört, behindert oder gar unmöglich macht, zum Beispiel wenn dadurch die Fortpflanzung des Wildes beeinträchtigt, die Erfüllung des Abschuss planes infolge Vergrämung und Abwanderung vereitelt oder die Bekämpfung von Wildseuchen erschwert wird. Ob das der Fall ist, muss im Streitfall von einem Sachverständigen geklärt werden. Maßgebend für sein Gutachten sind die gestörten und verdrängten Wildarten, die Dauer der Abwanderung, die Bedeutung der betroffenen Umgebung für das Wild als Einstands- und Äsungsgebiet, Brut-, Setz- und Ruhezone usw. In der Regel hängt der Ausgang des Verfahrens ganz entscheidend vom Ergebnis dieses Gutachtens ab. Eine Beeinträchtigung/ Störung ist „nicht ortsüblich“, wenn sie in der gegebenen Umgebung einen Fremdkörper darstellt, zum Beispiel wenn in einer ruhigen Feld- und Wiesenlandschaft oder im Wald ein Grundstück als Übungsgelände für Reiter, Hundeausbildungsstelle, Modellflugplatz oder Freilichtbühne genutzt wird (siehe hierzu auch WuH – Exklusiv Nr. 27 „Jagdrecht (2)“, S. 30 – 42 mit zahlreichen Hinweisen). Umgekehrt kann eine Störung ortsüblich und daher hinzunehmen sein, wenn zum Beispiel neben einem Sägewerk eine weitere, ähnliche Störquelle geschaffen wird, weil hier die Umgebung bereits „vorbelastet“ ist. Zur Beantwortung der Frage, was ortsüblich ist, ist oft ein Blick in den Flächennutzungsplan der Gemeinde sehr hilfreich. Aus diesem Plan kann man nämlich ersehen, welche Nutzung für das (störende) Grundstück vorgesehen ist (zum Beispiel Landwirtschaft, Wald, Bebauung, Verkehr u. a.). 2. Rechtmäßige Störungen Rechtmäßig sind Störungen/ Beeinträchtigungen, wenn sie gegenüber dem Jagdausübungsberechtigten auf einem Rechtsgrund beruhen und daher von ihm hinzunehmen sind. Hierzu gehören vor allem Eingriffe aufgrund ordnungsgemäßer Land-, Forstoder Fischereiwirtschaft (zum Beispiel notwendige abendliche Feldarbeit, geänderter Fruchtanbau, Übergang von Feldwirtschaft zu Weidewirtschaft und umgekehrt) sowie aufgrund des allgemeinen Rechts zum Betreten des Waldes und der freien Landschaft (Spaziergänger, Jogger, Radfahrer, Reiter, jeweils im Rahmen des Erlaubten). Verboten und damit rechtswidrig ist in der Regel (Landesrecht beachten) das Betreten von Forstkulturen, Dickungen und gesperrten Waldflächen sowie von landwirtschaftlich genutzten Flächen von der Bestellung bis zur Ernte und Grünfl.chen während des Aufwuchses und der Beweidung. In Wildschutz- und Naturschutzgebieten besteht oft ein Wegeund Anleingebot, so dass das Betreten außerhalb der Wege sowie das unangeleinte Mitführen von Hunden untersagt ist. Ist das Betreten erlaubt, so darf es nur zum Zwecke der Erholung geschehen und nur so erfolgen, dass die Natur nicht gestört wird. Eine gewerbliche oder wettkampfmäßige Nutzung wird daher vom allgemeinen Betretungsrecht nicht gedeckt. Joggen und Walken sowie Schifahren und Rodeln gehören noch zum Betretungsrecht, Reiten und Radeln sind – je nach Landesrecht – grundsätzlich nur auf Straßen und Wegen erlaubt, zum Teil nur auf ausgewiesenen oder bestimmten Wegen. Das Fahren mit motorisierten Fahrzeugen auf Feld- und Waldwegen ist Unbefugten grundsätzlich verboten, ebenso das Querfeldeinfahren mit Mountainbikes oder gar Geländefahrzeugen. 3. Wer ist Störer? Je nach seiner Stellung zur Störung gibt es verschiedene Störer. „Unmittelbarer“ Störer ist, wer die Störung durch sein eigenes Handeln selbst bewirkt, hier also der Veranstalter des Musikfestivals und die vom ihm engagierten Musiker. „Mittelbarer“ Störer ist, „Joggen“ und „Walken“ gehören leider zum allgemeinen Betretungsrecht der Landschaft, auch wenn dadurch Wild gestört wird wer die Störung eines anderen mitverursacht, sie also zum Beispiel veranlasst, unterstützt oder gestattet („Hintermann“). Deshalb ist auch der Eigentümer eines Grundstücks Störer, wenn er sein Grundstück für eine störende Nutzung zur Verfügung stellt, obwohl der Lärm unmittelbar von anderen, den Musikern und den Zuhörern, ausgeht. Er hat die rechtliche Möglichkeit, die störende Nutzung auf seinem Grundstück zu unterbinden. Sowohl der Grundeigentümer als auch der Veranstalter sind daher für die Störungen verantwortlich: Ersterer hat es zu unterlassen, sein Grundstück für die störende Musik zur Verfügung zu stellen, letzterer hat es zu unterlassen, die störende Aufführung durchzuführen (vgl. hierzu auch Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 16.1.1990 – 2 U 153/87 – in WuH Exklusiv Nr. 27 „Jagdrecht (2)“, S. 39 – 40).
V. Ergebnis
1. Wird die Ausübung der Jagd oder die Hege rechtswidrig gestört, so kann der Jagdausübungsberechtigte Unterlassung verlangen. In Eilfällen ist eine einstweilige Verfügung zu beantragen. 2. Eine Störung ist rechtswidrig, wenn sie „wesentlich“ und „nicht ortsüblich“ ist (Fremdkörper in der Umgebung). 3. Unwesentliche und ortsübliche Störungen sind hinzunehmen, ebenso solche, die nach dem Gesetz erlaubt sind (zum Beispiel aufgrund des allgemeinen Betretungsrechts). 4. Störer ist nicht nur derjenige, der den Lärm verursacht, sondern auch derjenige, der sein Grundstück für diese Nutzung zur Verfügung stellt.