315 JVG – Jagdverbot missachtet, Notwendiges Elterntier erlegt
Mark G. v. Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
1. „In den Setz- und Brutzeiten dürfen bis zum Selbstständigwerden der Jungtiere die für die Aufzucht notwendigen Elterntiere, auch die von Wild ohne Schonzeit, nicht bejagt werden.“ (§ 22 Abs. 4 BJagdG) 2. „Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen § 22 Abs. 4 BJagdG vorsätzlich ein Elterntier bejagt“. „Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen“. (§ 38 BJagdG)
II. Der Sachverhalt
Auf einer Drückjagd im November 2007 erlegte ein Jäger zwei führende Alttiere. Vor Gericht erklärten mehrere Mitjäger als Zeugen, dass unmittelbar vor den Schüssen zwei Alttiere mit Kälbern direkt auf den Stand des Schützen zugewechselt seien. Hunde haben die Zeugen nicht in deren Nähe feststellen können, so dass die Kälber nicht von ihren Muttertieren getrennt worden seien. Nach den Schüssen wechselten zwei einzelne Kälber aus Richtung des Angeklagten an. Zumindest eines der Alttiere habe ein pralles Gesäuge gehabt, das der Schütze herausgeschnitten und entsorgt habe. Unter dem Druck dieser Zeugenangaben und wohl auch um eine Strafmilderung zu erlangen, legte der Angeklagte in zweiter Instanz ein Geständnis ab.
III. Das Urteil
Das Gericht verurteilte den Jäger in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen zu je 30 Euro. Aufgrund der Zeugenaussagen und des Geständnisses sah es als erwiesen an, dass die beiden Alttiere mit ihren Kälbern sichtbar auf den Jäger zugewechselt und von diesem erlegt worden seien. Nach Angaben des Sachverständigen sei davon auszugehen, dass die Alttiere noch als notwendige Elterntiere einzustufen seien, da die Kälber ohne Führung durch die Muttertiere nicht ausreichend im Rudel angenommen würden und zu verkümmern drohten. Selbst in einem Alter von sechs Monaten könnten sie oft nicht allein überleben. Allerdings habe der Jäger nur fahrlässig gehandelt, weil er sich in der gegebenen Situation schnell habe entscheiden müssen. (Landgericht Schweinfurt, Urteil vom Juni 2009 – 3 Ns 12 Js 2394/08 –)
IV. Anmerkungen
1. Straftat oder Ordnungswidrigkeit Bei einer Schonzeitverletzung unterscheidet das Gesetz drei Fälle, die in ihrer Schwere sehr unterschiedlich sind: 1. Wer Wild, das eine Jagdzeit und eine Schonzeit hat, in der Schonzeit erlegt, begeht nach § 39 Abs. 2 Nr. 3a BJagdG nur eine Ordnungswidrigkeit. Grund: Durch die Verletzung der Schonzeit wird nur die Jagdruhe des geschonten Stückes verletzt, nicht aber ein weiteres Schutzgut. Beispiel: Erlegen eines Rehbockes an Stelle einer Ricke auf einer Drückjagd im Dezember, Erlegen einer schwachen, nicht führenden Bache im März an Stelle einer Überläuferbache (in Ländern mit Schonzeit für Bachen vom 1.2.–15.6.). 2. Wer Wild mit ganzjähriger Schonzeit erlegt, begeht nach § 38 Abs. 1 Nr. 2 BJagdG eine Straftat. Grund: Bei ganzjährig geschontem Wild handelt es sich um selten gewordene Arten, die zwecks Erhaltung ihrer Art nicht bejagt werden dürfen. Hier kommt neben der Verletzung der Jagdruhe als weiterer Schutzgrund eine Beeinträchtigung des Artenschutzes hinzu, weshalb das Vergehen eine Straftat darstellt. Beispiel: Erlegen einer Wildkatze anstelle einer wildernden Hauskatze, einer Hohltaube anstelle einer Türkentaube, eines Fischotters, eines Falken und so weiter. 3. Wer ein notwendiges Elterntier in der Setzzeit erlegt, begeht nach § 38 Abs. 1 Nr. 3 BJagdG ebenfalls eine Straftat. Grund: In diesem Falle wird den Jungtieren das noch notwendige Elterntier genommen, so dass den Jungtieren der Hungertod droht. Beispiel Schalenwild: Wer eine tragende Ricke Anfang Mai erlegt, weil er sie mit einem Schmalreh verwechselt hat, begeht nur eine Ordnungswidrigkeit. Denn vor dem Setzen ist sie noch kein Elterntier, und ganzjährig geschont ist sie auch nicht. Dass sie kurz vor dem Setzen war, mag die Geldbuße erhöhen, macht den Verstoß aber nicht zu einer Straftat. Auch im Januar, also während ihrer Jagdzeit, war sie tragend. Wird die Ricke aber Ende Mai nach dem Setzen erlegt, liegt eine Straftat vor, weil sie jetzt ein notwendiges Elterntier ist. Rechtlich problematisch wird es erst bei der Frage, wie lange beim Reh- und Schwarzwild sowie insbesondere beim Rotwild der Schutz des Elterntieres dauert. Aus § 22 Abs. 4 BJagdG ergibt sich hierzu, dass die für die Aufzucht notwendigen Elterntiere „bis zum Selbstständigwerden“ der Jungtiere nicht bejagt werden dürfen. Sie sind also so lange geschützt, bis sich die Jungtiere selbstständig ernähren und damit überleben können (Mitzschke/ Schäfer, Kommentar zum BJagdG, § 22 Nr. 11; Leonhardt, Jagdrecht, § 22 Nr. 8.1.2.2). Als grobe Faustregel für das Selbstständigwerden gilt für . Kitze: Ab einem Alter von etwa 5 Monaten (Oktober); . Kälber: Ab dem Ende der Brunft des Muttertieres (vgl. Wölfel, WuH 23/1998, S. 9); . Frischlinge: Ab einem Gewicht von rund 20 Kilogramm (Verlust der Längsstreifen, Alter drei bis vier Monate). Dass auch nach diesem Zeitpunkt teilweise noch gesäugt wird und sowohl Kitze und Frischlinge als auch insbesondere Kälber der Führung und Betreuung durch das Elterntier bedürfen und ohne sie kümmern, ist – hiernach – schonzeitrechtlich ohne Belang. Es kann aber einen schweren Verstoß gegen die Grundsätze deutscher Waidgerechtigkeit darstellen und damit auch zum Verlust des Jagdscheins führen (§ 17 Abs. 2 Nr. 4, § 18 BJagdG, Leonhardt, Jagdrecht, § 22 Nr. 8.1.2.2). Ein solcher Verstoß liegt vor allem bei Kälbern des Rotwildes vor, weil sie in besonderem Maße dem Kümmern, teilweise sogar dem Verenden ausgesetzt sind, da sie ohne ihr Elterntier vom Rudel verstoßen werden. Aus diesem Grunde wird auch die Ansicht vertreten, dass Alttiere bis zum Beginn des folgenden Frühjahres noch als geschützte Elterntiere einzustufen sind (siehe auch obiges Urteil: November), so dass das Erlegen eines führenden Alttieres sogar bis zu diesem Zeitpunkt eine Straftat darstellt. Hieraus folgt, dass Alttiere in jedem Falle immer erst nach dem Kalb erlegt werden dürfen. Wer schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig, erst das Alttier und danach das Kalb erlegt, macht sich entweder strafbar oder begeht zumindest einen erheblichen Verstoß gegen die Waidgerechtigkeit, selbst wenn es ihm noch gelingt, das Kalb Gebührendanach zu erlegen. Denn mit dem Abschuss des Elterntieres ist die Tat bereits vollendet. Beispiel Fuchs: Füchse haben zwar in den meisten Bundesländern ganzjährig Jagdzeit, aber der Schutz notwendiger Elterntiere gilt auch für sie. Dieser dauert grundsätzlich ebenfalls vom 1. März bis 15. Juni. Fähe und Rüde werden beide als notwendiges Elterntier eingestuft, wenn auch mit unterschiedlicher Intensität. Da Jungtiere keine Elterntiere sind, dürfen Jungfüchse ganzjährig bejagt werden (auch in Niedersachsen und NRW). Nach dem Erlegen aller Jungtiere eines Wurfes dürfen auch die dazu gehörenden Altfüchse bejagt werden, weil sie dann keine „Eltern“- tiere mehr sind (nicht in Niedersachsen und NRW). Bei dringendem Tollwutverdacht ist das Erlegen eines notwendigen Elterntieres erlaubt, um die Allgemeinheit vor Gefahren zu schützen und einer Verbreitung der Seuche vorzubeugen. Anschließend sind die Jungfüchse unverzüglich gezielt zu erlegen, um sie vor dem Hungertod zu bewahren.
IV. Ergebnis
1. Eine Verletzung der Schonzeit ist: . bei ganzjährig geschontem Wild (Artenschutz) und notwendigen Elterntieren (Tierschutz) eine Straftat, . bei Wild mit Jagd- und Schonzeit eine Ordnungswidrigkeit. 2. Trotz Jagdzeit dürfen notwendige Elterntiere bis zum Selbstständigwerden ihrer Jungtiere nicht bejagt werden. 3. Wann Jungtiere selbstständig geworden sind, sich also allein ernähren und überleben können, ist von der Wildart sowie den klimatischen und ernährungsmäßigen Verhältnissen abhängig. 4. Der Verlust allein der Führung durch das Elterntier ist zumindest ein erheblicher Verstoß gegen die Waidgerechtigkeit, der zur Einziehung des Jagdscheins führen kann. Als strikter Grundsatz gilt daher stets: „Erst das Jungtier, danach das Elterntier!“