345 JVG – KEIN ERSATZ FÜR WALDTYPISCHE GEFAHREN, Die Haftung des Waldeigentümers
Mark G. v. Pückler
I. Die Rechtsgrundlage
1. „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, die Gesundheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“ § 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch 2. „Wer eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, oder wer die Verfügungsgewalt über eine Sache besitzt, von der eine Gefahr für andere ausgeht, muss die notwendigen und zumutbaren Sicherungsmaßnahmen treffen, um andere vor Schäden zu bewahren.“ Allgemeine Verkehrssicherungspflicht
II. Der Sachverhalt
Frau F. ging mit ihrem Hund in einem Naherholungsgebiet im Wald spazieren. Sie benutzte einen etwa 3,5 Meter breiten Forstwirtschaftsweg. Plötzlich löste sich von einer Eiche, die rund fünf bis sechs Meter neben dem Weg stand, ein Starkast, der sie am Hinterkopf traf und schwer verletzte. Der Ast war circa 17 Meter lang. Sein Durchmesser betrug an der Bruchstelle etwa 23 Zentimeter. Frau F. ging vor Gericht und verlangte vom Waldbesitzer Schadensersatz und ein Schmerzensgeld für ihre schwere Hirnschädigung.
III. Das Urteil
1. Die Verkehrssicherungspflicht Der Bundesgerichtshof hat die Klage in letzter Instanz abgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich verpflichtet sei, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die notwendig und zumutbar seien, um Schädigungen anderer zu verhindern. In gleicher Weise sei derjenige verpflichtet, der eine in seinem Verantwortungsbereich eingetretene Gefahrenlage fortbestehen lasse. Hierbei sei allerdings zu berücksichtigen, dass nicht jeder noch so fernen Gefahr vorgebeugt werden könne. Haftungsbegründend sei daher eine Gefahr nur, wenn die „nahe liegende Möglichkeit“ bestehe, dass andere verletzt würden. Deshalb müsse nicht gegen alle denkbaren Schäden Vorsorge getroffen werden. Trete in solchen (seltenen) Fällen ausnahmsweise ein Schaden ein, müsse der Geschädigte – „so hart dies im Einzelfall sein mag“ – den Schaden selbst tragen. 2. Keine Haftung für waldtypische Gefahren Nach diesen Grundsätzen besteht im vorliegenden Fall kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld. Denn nach § 25 des Waldgesetzes erfolge das Betreten des Waldes auf eigene Gefahr. Hieraus folge, dass der Waldbesitzer grundsätzlich nicht für waldtypische Gefahren hafte, da der Waldbesucher sich diesen mit dem Betreten des Waldes bewusst aussetze. Diese Gefahren fielen daher in seinen Verantwortungsbereich. Insoweit handle er auf eigene Gefahr, eine Verkehrssicherungspflicht ihm gegenüber bestehe nicht. Mit waldtypischen Gefahren müsse der Waldbesucher immer rechnen, auch auf Wegen. Das gelte ebenso für stark frequentierte Waldwege. „Waldtypisch“ seien Gefahren, die sich aus der Natur oder der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung des Waldes ergeben, zum Beispiel Ast- und Baumbruch (wohl auch aus Glätte, Steinschlag und von Laub oder Schnee verdeckten Löchern, Steinen und sonstigen Hindernissen und so weiter). Dass der Waldbenutzer Schäden durch diese Gefahren selbst tragen müsse, sei „gleichsam der Preis für die ihm eingeräumte Betretungsbefugnis“. Ein Spaziergänger, der auf eigene Gefahr Waldwege betrete, könne daher grundsätzlich nicht erwarten, dass der Waldbesitzer Sicherungsmaßnahmen gegen waldtypische Gefahren getroffen habe. Das Risiko, das mit dem freien Bewegen in der Natur verbunden sei, gehöre grundsätzlich zum entschädigungslos hinzunehmenden allgemeinen Lebensrisiko. „Atypisch“ und damit grundsätzlich entschädigungspflichtig seien Schäden durch Gefahren, die nicht durch die Natur oder die Art der Bewirtschaftung des Waldes mehr oder weniger vorgegeben seien. Hierzu gehörten Gefahren, die vom Waldbesitzer geschaffen oder geduldet würden und die ein Waldbesucher weder erkennen könne noch mit ihnen rechnen müsse (zum Beispiel ungesicherter Holzstapel). 3. Baumkontrollen entlang von Straßen Anders sei es entlang öffentlicher Straßen. Hier sei der Waldbesitzer verpflichtet, schädliche Einwirkungen auf die Verkehrsteilnehmer durch umstürzende Bäume oder herabfallende Äste zu verhindern. Deshalb müsse er den Baumbestand so anlegen und kontrollieren, dass Windbruch und Windwurf möglichst verhindert würden. Diese Grundsätze gelten aber nicht für Waldwege, weil diese forstliche Wirtschaftswege seien und keine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straßen. Bundesgerichtshof, Urteil vom 2. 10. 2012 – VI ZR 311/11 –
V. Ergebnis
1. Der Waldbesitzer haftet dem Waldbenutzer grundsätzlich nicht für Schäden, die auf waldtypischen Gefahren beruhen. Waldtypisch sind Gefahren, die sich aus der Natur oder der Bewirtschaftung ergeben. Insoweit handelt der Waldbenutzer auf eigene Gefahr. 2. Dies gilt auch auf stark frequentierten Waldwegen. Eine weitergehende Haftung auf Wegen, die den Waldbenutzern ausdrücklich zur Benutzung empfohlen werden (zum Beispiel Rundwege, Panoramawege), gibt es – entgegen früheren Entscheidungen – nach diesem Urteil wohl nicht mehr, da der Bundesgerichtshof keine Ausnahmen nennt und sich der Unfall in einem städtischen Naherholungsgebiet ereignete. 3. Für Gefahren, die nicht waldtypisch sind, haftet grundsätzlich der Waldbesitzer. Hierzu gehören beispielsweise Gefahren, die er geschaffen hat oder die ihm zuzurechnen sind. 4. Entlang öffentlicher Straßen obliegt es dem Waldbesitzer, die Verkehrsteilnehmer vor Gefahren durch Astoder Baumbruch zu bewahren. Hierzu sind Baumkontrollen notwendig. Siehe ergänzend WuH 22/2009, S. 100.