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375 JVG – Bache statt Überläuferbache erlegt

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375 JVG Bache statt Überläuferbache erlegt  VERFAHREN EINGESTELLT

Mark G. v. Pückler

375 JVG

I. Die Rechtsgrundlage

1. In Schleswig-Holstein dauert die Jagdzeit für Keiler und Bachen vom 16. Juni bis zum 31. Januar. JagdzeitenVO vom 11.3. 2014.

2. Außerhalb der Jagdzeiten ist Wild zu schonen. § 22 Abs. 1 S. 2 BJagdG

3. Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig Wild in der Schonzeit bejagt. § 39 Abs. 2 Nr. 3a BJagdG

4. Hält das Gericht eine Ahndung nicht für geboten, so kann es das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft in jeder Lage einstellen. § 47 Abs. 2 Ordnungswidrigkeitsgesetz

II. Der Sachverhalt

Anfang Mai saß ein älterer Jäger in Schleswig-Holstein im Staatsforst auf einem ihm vom Förster zugewiesenen Hochsitz auf Frischlinge und Überläufer an. Die Sicht war gut, als gegen 20 Uhr ein einzelnes Stück Schwarzwild in etwa 50 bis 60 Metern Entfernung die Lichtung betrat. Nach sorgfältigem Beobachten und Ansprechen stellte der Jäger anhand der

• Größe (50 bis 60 kg),

• der schlanken Gestalt,

• der dunkelbraunen bis fast schwarzen Färbung und des

• glatten Unterbauches fest, dass es sich um eine nicht führende Überläuferbache handeln musste – und schoss.

Nach dem Erlegen barg er das Stück gemeinsam mit dem ebenfalls ansitzenden Förster. Dieser hatte wegen der dunklen Färbung Zweifel, ob es sich tatsächlich um eine Überläuferbache handelte, und erstattete Anzeige. Daraufhin stellte die Untere Jagdbehörde den Unterkiefer des Stückes sicher und ließ ihn durch den Kreisjägermeister und den Kreisveterinär auf das Alter schätzen. Beide kamen zu dem Ergebnis, dass es sich um eine mindestens zweijährige, nicht führende Bache gehandelt habe. Daraufhin erließ das Landratsamt gegen den Jäger einen Bußgeldbescheid über 500 Euro, weil er eine Bache in der Schonzeit erlegt habe. Hiergegen erhob der Jäger Einspruch, die Sache gelangte schließlich bis vor das Oberlandesgericht.

III. Die Gerichtsentscheidung

Das Oberlandesgericht kam nach sorgfältiger Überprüfung des Sachverhalts zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen die Schonzeitbestimmungen nicht erwiesen sei und es sich im Übrigen eher um ein ärgerliches Missgeschick als um eine schuldhafte Verfehlung handle. Im Einzelnen wies das Gericht darauf hin, dass die Altersbestimmung lückenhaft und daher nicht ausreichend erfolgt sei. Sowohl der Förster als auch der Kreisjägermeister hätten vor dem Amtsgericht ihre Altersbestimmung darauf gestützt, dass die Oberkante der Schneidezähne eine gerade, gleichmäßige Linie bildete und alle vier Schneidezähne etwa gleichmäßig dick seien. Dies entspreche dem Zahnstatus einer Bache ab Vollendung des zweiten Lebensjahres. Die Schneidezähne einer Überläuferbache

verliefen demgegenüber etwa keilförmig, ungleichmäßig hoch und nicht gleichmäßig dick, insbesondere seien die äußeren Schneidezähne noch dünner.

Diese Altersbestimmung, so das Gericht weiter, sei zwar als Schätzung für den jagdlichen Alltag geeignet, für eine Verurteilung sei sie jedoch nicht sicher genug. Denn der Wechsel der Schneidezähne erfolge nicht „frühestens“ nach zwei Jahren, sondern im Alter von 21 bis 24 Monaten, sodass der Wechsel schon vor zwei Jahren abgeschlossen sein könne. Weiterhin müssten der Abschliff der Schneidezähne und der dritte Backenzahn (M3) in die Altersbestimmung einbezogen werden. Bereits im Alter von 22 bis 24 Monaten zeige der Unterkiefer einer Überläuferbache eine gerade Front der Schneidezähne und der M3 befinde sich im Durchbruch. Der Unterkiefer einer zweijährigen Bache weise zwar ebenfalls eine gerade Front der Schneidezähne auf, jedoch seien alle vier Schneidezähne bereits abgenutzt und der M3 vorhanden (vgl. zur Altersschätzung: Briedermann, Schwarzwild, Kosmos Verlag 2009, S. 353; David, WuH 19/2005, S. 68 – 72). Diese Kriterien seien bei der Altersbestimmung durch den Kreisjägermeister und den Kreisveterinär nicht berücksichtigt worden, sodass das Alter des erlegten Stückes nicht genügend sicher festgestellt worden sei.

Im Übrigen sei auch die Höhe des Bußgeldes zu beanstanden. Denn die Untere Jagdbehörde sei von einer maximalen Geldbuße von 5 000 Euro ausgegangen, ohne zu beachten, dass diese Höhe nur für einen vorsätzlichen Verstoß gelte. Bei bloßer Fahrlässigkeit sei hingegen nach § 17 Abs. 2 Ordnungswidrigkeitsgesetz nur von der Hälfte auszugehen, also von 2 500 Euro. Bereits dieser Fehler führe grundsätzlich zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung an das Amtsgericht zwecks neuer Entscheidung.

Das Gericht sei jedoch der Auffassung, dass dieser Aufwand mit weiterer Altersschätzung durch einen Sachverständigen der Bedeutung des Falles nicht gerecht werde und eine Ahndung nicht geboten sei. Denn angesichts der jedem Jäger bekannten

,Schwierigkeiten beim Ansprechen von Schwarzwild erscheine die Tat lediglich als „ärgerliches Versehen“ mit – wenn überhaupt – nur geringem Verschulden. Denn der Jäger habe kein einziges Merkmal, das deutlich für eine Bache und gegen eine Überläuferbache sprechen würde, missachtet:

• Das Stück habe eine dunkelbraune bis schwarze Schwarte gehabt. Die Färbung sei jedoch für ein Ansprechen des Alters ungeeignet, da 30 Prozent der Überläuferbachen im Winterkleid (bis Mai) eine dunkle, fast schwarze Farbe und nur 19 Prozent eine mittel- bis dunkelbraune Färbung haben (Briedermann, S. 93,94).

• Auch das Gewicht gebe keinen sicheren Anhaltspunkt, da Überläufer bis zu 50 bis 60 kg erreichen könnten.

• Allenfalls das Erscheinen als Einzelstück außerhalb einer Rotte spreche andeutungsweise gegen eine Überläuferbache, da Überläufer zumeist in gemischten Rotten zusammen blieben.

• Das Erlegen sei keinesfalls spontan und bedenkenlos erfolgt. Der Jäger habe das Stück erst nach längerem sorgfältigem Beobachten unter Berücksichtigung der maßgeblichen äußeren Merkmale als nicht führende Überläuferbache angesprochen und sodann erlegt.

Was bleibe, sei die allgemeine Unsicherheit bei jedem Ansprechen von jungem weiblichen Schwarzwild, die – wäre sie allein ausschlaggebend – eine Bejagung dieser Jahrgänge unmöglich machen würde. Dies aber stünde im Gegensatz zu der allgemeinen Forderung nach einer „straffen Bejagung“ gerade dieser Altersklassen. Niemand sei dagegen gefeit, dass ihm angesichts der mehrdeutigen Merkmale trotz sorgfältigsten Ansprechens ein Irrtum unterlaufe.

Das Gericht stellte daher das Verfahren mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemäß § 47 Abs. 2 Ordnungswidrigkeitsgesetz ein und legte die Auslagen der Staatskasse auf.

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein, Beschluss vom 9.3.2016 – 1 SsOWi 2/16 (5/16)

V. Anmerkungen und Ergebnis

1. Ein Urteil, das sich sehr intensiv sowohl mit der Situation des Jägers als auch mit den Schwierigkeiten beim Ansprechen von Überläufern und Bachen befasst.

2. Als Ergebnis ist festzuhalten, dass weder die Färbung noch die „übliche Zahnprobe“ für eine sichere Altersbestimmung ausreichen und daher auch nicht für eine Verurteilung genügen.

3. Das Wichtigste aber ist, dass keine führende Bache erlegt wird; denn sonst liegt eine Straftat vor. Schon deshalb ist ein längeres intensives Beobachten des Stückes einschließlich der Umgebung unerlässlich.

4. Wer nach längerem Beobachten unter sorgfältiger Überprüfung der einzelnen äußeren Merkmale zu dem Ergebnis gelangt, eine nicht führende Überläuferbache vor sich zu haben, und schießt, dürfte nach diesem Urteil nicht leichtfertig und damit nicht fahrlässig handeln. Damit würde eine Ahndung mangels Verschuldens ausscheiden.

5. Sehr informativ ist auch ein früheres Verfahren, in dem es um das Erlegen einer angeblich noch führenden Bache ging. Nach Einholung fachlich hervorragender, sich aber widersprechender Gutachten, eines vom Gericht angefordert und eines von der Verteidigung vorgelegt, hat das Gericht schließlich das Verfahren gegen Zahlung einer Geldbuße eingestellt (Landgericht Heidelberg, Beschluss vom 21.4.1999 – 4 Ns 23 Js 24079/96; WuH 5/2000, S. 52 – 55).

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