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(K)ein Fall für den Artenschutz

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Die Jahresstrecke des Muffelwildes liegt in Deutschland seit einem Jahrzehnt weitgehend konstant zwischen 6 000 und 7 000 Stück – der Gesamtbestand ist stabil. Keineswegs heißt das aber, dass die gut 100 Teilvorkommen hierzulande ungefährdet sind. Im Gegenteil: Vielfach handelt es sich um kleine Populationen. Gerade denen sagen Fachleute eine schwere Zukunft voraus. Bereits vor sechs Jahren ging der Mufflon-Experte Dr. Holger Piegert mit Blick auf den Harz davon aus, „dass kleinere Populationen ganz verschwinden werden“. Ganz große Pessimisten sehen diese Gefahr sogar für das gesamte Bundesgebiet. Der erste Feind des Muffelwildes sind oft Jagdbehörden. Denn obwohl es laut der Internationalen Union für die Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen (IUCN) zu den gefährdeten Arten zählt, wird lokal immer der Totalabschuss angeordnet. So gibt es in der Dresdner Heide seit Anfang 2013 keine Muffel mehr. Knapp 40 Jahre nach Begründung des zu Spitzenzeiten etwa 80-köpfigen Bestandes wurde der letzte Widder erlegt. Ganz bewusst sei das Vorkommen zugunsten des Rotwildes ausgelöscht worden, erläutert Dr. Markus Biernath, Leiter des Forstbezirks Dresden. Waldbesitzer im nordrheinwestfälischen Bielefeld bemühen gar die Gerichte, um die anspruchslosen Raufutterfresser wegen angeblich untragbarer Wildschäden vollends aus ihrem Besitz zu tilgen. Einige Verbände wie der Nabu-NRW möchten die Muffel als vermeintlich nicht heimische Faunenverfälscher verbannen.

Seit einigen Jahren reihen sich Luchs und Wolf in die Phalanx der Muffel-Jäger ein. Besonders beim Grauhund stehen mancherorts die Wildschafe ganz oben auf der Speisekarte. In weiten Teilen der Lausitz (Sachsen) hat er die Muffel bereits eliminiert. In Gartow ist der ohnehin kleine Bestand kurz vor dem Verschwinden, seit im niedersächsischen Kreis Lüchow-Dannenberg wieder Wölfe unterwegs sind. Und bereits knapp anderthalb Jahre nachdem sich im Hohwald (Brandenburg) im Sommer 2012 ein Wolfsrudel angesiedelt hatte, hieß es von dem dort

lebenden 80-köpfigen Muffelvorkommen, es sei „lange nichts mehr gesehen worden“. Muffel sind für die Grauhunde eine leichte Beute. Trotz der imposanten Schnecken sind selbst Widder mit bester Konstitution den Räubern hilflos ausgeliefert. Denn der gedrehte Kopfschmuck trägt zu wenig zur Wehrhaftigkeit bei. Bei Gefahr flüchten die Wildschafe, verhoffen aber relativ schnell, rudeln, nehmen die Lämmer in die Mitte und versuchen, die Gefahr zu eräugen. Dieses Verhalten ist ihnen angeboren. In ihrer ursprünglichen Heimat Korsika und Sardinien gibt es keine großen Beutegreifer. Daher flüchten sie auf Felsen und Klippen in waldfreie Regionen und versuchen, sich dort mittels ihres sehr guten Gesichtssinns zu orientieren. Mit den vergleichsweise kurzen Sprints machen es die Boviden ihren Fressfeinden leicht. Denn das Verhoffen ist gegenüber Luchs und Wolf meistens ein tödlicher Fehler. Selbst hoher Prädatorendruck lässt die standorttreuen Wildschafe kaum dauerhaft abwandern. Das führt zu immer neuen Verlusten, die die Rudel letztlich aufreiben.

Es geht ganz rapide bergab“, sagt Gisela Polz. Die Vorsitzende der Arbeitsgruppe Muffelwild in der Hegegemeinschaft Hohenbucko-Rochauer Heide hat einen dramatischen Sinkflug erlebt: Die ehemals rund 1 000 Wildschafe auf den 53 000 Hektar der Hegegemeinschaft seien innerhalb von vier Jahren auf „vielleicht noch 50“ zusammengeschmolzen. „Die haben hier keine Zukunft mehr“, ist Gisela Polz überzeugt. Ändern könne sich die Situation nur, wenn der Wolf zur Bejagung freigegeben würde. So aber setzt sich der Trend sinkender Mufflonstrecken in Brandenburg fort. Im Jagdjahr 2012/13
wurden landesweit 751 Stücke erlegt. Das

Muffel gehören zum Beutespektrum des Luchses. Jäger vermuten, dass deshalb die Wildschafe im Harz weniger und heimlicher wurden.

ist ein Drittel weniger als vier Jahre zuvor. Bedeutende Strecken konnten noch in Oberhavel und der Uckermark erzielt werden. Für das Haupteinstandsgebiet der Wildschafe im Elbe-Elster-Kreis, wo einst bis zu 300 Stück zur Strecke kamen, hat Ebbo Hahlweg, Vorsitzender der Hegegemeinschaft, für das laufende Jagdjahr lediglich 20 Stück zum Abschuss freigegeben. „Erlegt werden nur noch reife Widder oder kranke Stücke. Muffeljagd im eigentlichen Sinn findet nicht mehr statt“, sagt Hahlweg. Er hat daraus die Konsequenz gezogen: „Ich schieße auf kein einziges Stück Muffelwild mehr.“ Oft hätte Hahlweg dazu sowieso nicht mehr die Chance. Denn in den vergangenen vier Jahren hat er in seinem Revier, das mitten im Kerngebiet liegt, ein einziges Mal ein kleines Rudel in Anblick gehabt.

Dass das eigentlich tagaktive Wildschaf kontinuierlich heimlicher geworden ist, haben auch viele Jäger im Harz festgestellt. Sie machen dafür den Luchs verantwortlich. Dessen Hauptbeute ist zwar Rehwild, doch auch Muffel gehören dazu. Als die Pinselohren ab 2000 im Harz ausgewildert wurden, lebten die Muffel schon ein rundes Jahrhundert dort. Oscar Louis Tesdorpf hatte die Einbürgerung in Deutschland vorangetrieben, die 1903 östlich von Lüneburg in der Göhrde Premiere hatte und drei Jahre später in Harzgerode erfolgte. Das anschließende prächtige Gedeihen beendete der Luchs in weniger als einem Jahrzehnt. Die Entwicklung in den drei Bundesländern, über die sich der Harz erstreckt, unterscheidet sich kaum. Im niedersächsischen Landkreis Goslar war im Jagdjahr 2011/2012 ein Minusrekord von 22 Stück Muffelwild erreicht. Immerhin stabilisierte sich die Situation mit 36 Stücken im vergangenen Jahr. Im thüringischen Südharz kamen 2012/13 nur noch acht Stücke zur Strecke. Im sachsen-anhaltinischen Forstbetrieb Unterharz wurden früher 300 Stück Muffelwild geschossen. Inzwischen sind es weniger als zehn Prozent davon.

Weil innerhalb eines halben Jahrzehnts die landesweite Strecke von 1 050 (Jahr 2009) um mehr als ein Viertel auf 757 Stücke im Jagdjahr 2013/14 einbrach, hat das zuständige Ministerium in Magdeburg eigens ein Luchs- Mufflon-Forschungsprojekt auf den Weg gebracht. Der renommierte Biologe Prof. Dr. Hans-Dieter Pfannenstiel jedenfalls prognostizierte bereits vor einem Jahr: „Muffelwild im Ostharz wird vermutlich über kurz oder lang vom Luchs ausgerottet.“ Trotz aller Verluste durch Wolf und Luchs gibt es mit Blick auf die Muffelvorkommen auch eine andere Seite der Medaille. In Sachsen beispielsweise liegt die Bovidenstrecke seit fast einem Jahrzehnt konstant bei gut 700 bis 800 Stück. Offizielle Stellen bestätigen sie zwar nicht, Beobachter aber sprechen von einer Bestandszunahme entlang der Mittelgebirge vom Vogtland über das Erzgebirge und das Erzgebirgsvorland bis in die Sächsische Schweiz und das Oberlausitzer Bergland. Auch im nördlichen Sachsen-Anhalt, besonders in der Altmark, wachsen Strecken und Bestand.

In Hessen hat sich die Muffelstrecke innerhalb eines Jahrzehnts nahezu verdoppelt, auf 606 Stück im Jagdjahr 2012/13. Das gilt noch stärker für Nordrhein-Westfalen, wo mit 933 Stück ebenfalls ein Spitzenwert erzielt ist. In den schleswig-holsteinischen Kreisen Steinburg und Rendsburg-Eckernförde haben sich durch Gatterflüchtlinge neue Kleinvorkommen gebildet. Sie dürften aber keine langfristige Perspektive haben. Denn ein Totalabschuss der Muffelbestände im nördlichsten Bundesland wurde angeordnet. Das „Muffelwild wird wohl in den kommenden Jahren aus Schleswig-Holstein verschwinden“, erwartet das Wildtier-Kataster der Universität Kiel.

Dazu wird es in Rheinland-Pfalz sicher nicht kommen. Es ist das deutsche Muffelland Nummer eins mit der bedeutendsten Zunahme. Landesweit wies die Streckenstatistik zuletzt 1 523 Wildschafe aus. Der vorläufige Endpunkt einer kontinuierlichen Steigerung ist maßgeblich auf Vorkommen zurückzuführen, die es offiziell überhaupt nicht gibt, weil sie nicht in anerkannten Bewirtschaftungsbezirken leben. Ein markantes Beispiel ist der Rhein-Lahn-Kreis. Über Jahre hat sich der auf einem Gattervorkommen basierende Bestand aufgebaut. Lange seien auf den herbstlichen Gesellschaftsjagden keine Zuwachsträger geschossen worden, benennt Kreisjagdmeister Rüdiger Klotz eine wesentliche Ursache. Das hat sich geändert. Inzwischen werden jährlich rund 200 Wildschafe erlegt, darunter etliche Goldmedaillen-Widder mit bis zu 210 CIC-Punkten.

Verschiebung der Muffel-Hochburgen: Im Osten sinken die Strecken, im Westen steigen sie.

„Die Versuche, den Zustand zu legalisieren, sind gescheitert, obwohl das Biotop beste Bedingungen bietet. Das Land weist keine neuen Bewirtschaftungsgebiete für Schalenwild mehr aus, erst recht nicht für Muffel. Der Totalabschuss ist seit Jahren verfügt, in den stark zerklüfteten Rhein-Hängen aber nicht realisierbar“, schildert Klotz die Rechtslage. Sein Ziel ist, wenigstens eine Tolerierung zu erreichen. Dazu müssten „die Jäger den Bestand aber niedrig halten, und auf keinen Fall darf es weitere Aussetzungen geben“.

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