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Mit Wamme und Senkrücken

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Merkmale alter Hirsche:
Den wenigsten Rotwildjägern ist es heute vergönnt, wirklich alte Hirsche vorzuhaben. In den meisten Revieren wird den Geweihten kaum eine Chance gegeben, den 12. oder gar 13. Kopf zu erreichen. Burkhard Stöcker zeigt, wie solche „Fabelwesen“ aussehen können.

 

Von Burkhard Stöcker

Sie wollen in dieser Brunft endlich einen wirklich reifen Hirsch schießen? Für den passionierten Jäger eine wohl eher rhetorische Frage! Natürlich wollen wir alle einen wirklich reifen, alten Hirsch schießen! Und nicht nur das: Ich möchte ihn auch gerne selber richtig ansprechen und ihn mir nicht „fremdbestimmt anweisen lassen“. Es heißt also, sich mit alten, reifen Hirsche zu beschäftigen und gerüstet zu sein für die Fälle, die da kommen können…

Feistzeit ‘93, Prignitz, Brandenburg – ein erfahrener Rotwildjäger sitzt auf einen reifen Hirsch. An einem Getreideschlag tauchen vier Geweihte auf und wechseln vertraut auf ihn zu. Ein alter, gewaltiger ist dabei: Massig im Wildkörper, dicke, endenreiche Stangen – der Jäger sticht ein, die Hirsche werfen auf, und die drei Nichtjagdbaren gehen ab. Der „Alte, Kapitale“ zieht schreckend auf den Schützen zu, hoppla! Mit einem mächtigen Kloß im Hals sieht der Jäger diesem Schauspiel zu. Es ist ein an Deutlichkeit kaum zu überbietender Indikator für einen garantiert weder alten, noch reifen Hirsch. Schreckend auf eine schon von anderen Geweihten erkannte Gefahr zuzuziehen, ist nur was für blutjunge Greenhorns! Mit wackligen Beinen und glücklich, dass dieser Kelch an ihm vorübergegangen ist, baumte der Jäger ab. Im folgenden Frühjahr werden die Abwurfstangen des „Schreckenden“ gefunden – außer den Spießen lagen von ihm bisher schon drei Jahrgänge vor – also 5. Kopf! – ein gutveranlagter, junger Hirsch!

„Regeln für alte Hirsche“

Ein Patentrezept, um den „wirklich reifen Hirsch“ vom „noch nicht ganz reifen“ zu unterscheiden, gibt es nicht. Unter „reif“ verstehen wir das Alter der stärksten Geweihentwicklung. Natürlich finden wir auch unter den Hirschen individuelle Variationen und Ausnahmen: „frühergreiste Junghirsche“ genauso wie „ewigjunge Greise“, „Frühstarke“ und „Spätstarke“. Dies sind aber die Ausnahmen von der Regel. Und mit den „Regeln für alte Hirsche“ wollen wir uns im Folgenden vertraut machen.

Drechsler hat im Harz an vielen markierten Hirschen wesentliche Geweihmerkmale über Jahre dokumentiert: Das Geweihgewicht kulminierte bei den Harzhirschen beim 12. und 13. Kopf, die Endenzahl beim 13., die Stangenlänge beim 14. Kopf. Nehmen wir diese Merkmale einmal als wesentliche Indikatoren für die Geweihstärke, spielt sich also unter dem Stichwort „reif“ vor dem 12. Kopf nichts ab.

Schauen wir jetzt einmal auf die Liste der stärksten Hirsche aus den einzelnen Bundesländern (Siehe auch Seite 22 bis 26). Die mit Abstand meisten starken Hirsche kommen aus Mecklenburg, der stärkste dort: 13. Kopf, Nordrhein-Westfalen: 11. bis 12. Kopf, Brandenburg 11. Kopf, Niedersachsen 13. bis 14. Kopf, Sachsen-Anhalt: 15. bis 16. Kopf, Thüringen 15. Kopf.

Eine Menge Energie gespart

Der Durchschnitt liegt also auch hier bei oder über dem 12. Kopf. Wohlgemerkt, wir sprechen hier von „Trophäenreife“. Ausgewachsen und voll brunftfähig und damit körperlich reif sind sicherlich auch schon die acht- bis zehnjährigen. Natürlich tragen diese gut Veranlagten schon früher gewaltige Geweihe, aber für den Höhepunkt ihrer Geweihentwicklung bräuchten sie halt noch ein paar Jahre. Übrigens fallen die absoluten Ausnahmehirsche ja oft zu früh, weil sie durch ihren überdurchschnittlichen Kopfschmuck älter eingeschätzt werden als sie wirklich sind. Wenn Sie wissen wollen, wie alt ein Hirsch wirklich ist, hilft uns das Geweih kaum weiter. Zahlreiche Abwurfstangensammlungen belegen, dass die Spitzenhirsche schon mit dem 5. bis 6. Kopf mehr auf haben können als die Schlechtveranlagten mit dem 12. oder 13. Kopf.

Aufzeichnungen in zwei Rotwildforschungsgebieten in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg haben gezeigt, dass die dortigen Hirsche ihren Zenit erst im Alter von 13 bis 15 Jahren erreichten. Interessant war hier, dass die Hirsche häufig im Alter um den 12. Kopf kurzfristig in der Geweihqualität einbüßten, um dann vom 13. Kopf an noch einen deutlichen Satz nach vorne zu machen. Selbst die wenigen Hirsche, die diesen „Alterssprung“ nicht mitmachten, waren jedoch im 14. und 15. Kopf mindestens genauso stark wie im Alter elf oder zwölf. Experten interpretieren diesen Altersschub mit der Tatsache, dass diese alten Geweihten sich keine großen Kahlwildrudel mehr leisten und auch nicht verteidigen müssen, sondern heimlich oft nur mit ein oder zwei Stück Kahlwild brunften. Das spart eine Menge Energie, und diese Substanz schlägt sich häufig in der Geweihmasse des Folgejahres nieder.

Im Wildforschungsgebiet Rothemühl wurde festgestellt, dass der Rosenumfang, der untere und der obere Stangenumfang sowie die Stangenlänge zwischen dem 14. und dem 16. Kopf ihren Höhepunkt erreichen. In Rominten machte man ebenfalls diesbezüglich interessante Erfahrungen: Zu Anfang der dreißiger Jahre gab es unter Oberforstmeister Wallmann nur eine Erhaltungsfütterung für das Rotwild. In dieser Zeit schoben die meisten Hirsche ihre stärksten Geweihe um den 12. Kopf. Danach übernahm Walter Frevert die Leitung der Rominter Heide und unter dem „Rekorddruck“ Hermann Görings begann eine intensivere Winterfütterung des Rotwildes. Im Verlaufe dieser Entwicklung sank das „Kulminationsalter“ auf acht bis neun Jahre. Mit dem elften Kopf setzten die Hirsche dann oft schon zurück. In der Zusammenschau scheint also auch hier das Gesetz des Örtlichen zu gelten – je nach Revier und Umständen schieben die Hirsche in unterschiedlichen Altern ihre stärksten Geweihe. Trotzdem läßt sich sicherlich sagen, dass im Regelfall erst ab dem zwölften Geweih von einem reifen Hirsch geredet werden sollte.

Viel Erfahrung und Passion ist verlangt

Wie unterscheiden wir jetzt jedoch den zehnjährigen vom dreizehn- bis fünfzehnjährigen Hirsch? Der profunde europäische Rotwildkenner Wilfried Bützler fasst die zehn- bis vierzehnjährigen Hirsche in seiner Rotwildmonographie zu einer Klasse zusammen!

Damit drückt er sich geschickt und vielleicht wohlweislich um diese Frage. Entweder weil er sie für die Praxis draußen für nicht lösbar hält, oder weil er wirklich glaubt, man könne sie nicht unterscheiden. Unzweifelhaft ist es ausgesprochen schwierig und verlangt viel Erfahrung und auch Passion. Das Ansprechen alter Hirsche muss immer eine Sammelübung aus zahlreichen Komponenten sein. Nicht nur das Erscheinungsbild, sondern auch das Verhalten können wichtige Hinweise zur Altersansprache liefern.

Wo keiner schreit – das sind die ganz alten

Auch außerhalb der Brunft ist der alte Hirsch oft Einzelgänger. Manchmal steht er jedoch auch mit einem Alterskollegen oder nur wenigen Hirschen zusammen. In wirklich großen Rudeln finden sich richtig alte Hirsche vom 12. bis 16. Kopf nur noch ganz selten. Zur Brunft hin werden die Feisthirschrudel immer kleiner, und die Hirsche lösen sich je älter desto früher aus den Rudeln, um zu den Brunftplätzen zu wandern. Je früher im August einzeln ziehende Hirsche beobachtet werden können, desto älter können sie sein.

Wirklich alte Hirsche sind meist heimliche und bescheiden brunftende Kollegen. Gerade zu Anfang der hohen Zeit, wenn noch kein Tier brunftig ist, oder zum Ende, wenn alle Tiere schon beschlagen sind, stehen oft mittelalte Hirsche, die auch schon mächtig prahlende Geweihe haben können, schreiend beim Rudel. Wenn das erste Tier jedoch brunftig ist, steht, einen ausgewogenen Altersaufbau vorausgesetzt, in der Regel schon ein „reifer“ Hirsch beim Rudel – allerdings nicht unbedingt auch ein reifer in unserem Sinne. Die aktivsten Hirsche in der Brunft sind jene um den zehnten Kopf. Erfolgreiche Platzhirsche können durchaus auch erst acht oder neun sein. Das heißt: auch der Platzhirsch, der in der Hochbrunft das Rudel beherrscht, muss nicht reif im Sinne der Trophäenstärke sein – Platzhirsch = „trophäenreif“ ist ein absoluter Trugschluss!

Ein alter, erfahrener Rotwildjäger hat einmal gesagt: Wenn sie einen ganz alten Hirsch schießen wollen, müssen sie dahin gehen, wo keiner schreit – das sind die ganz alten. Und in der Tat ist es so, dass alte Hirsche oft leise brunften, sich oft mit einem kleinen Rudel begnügen oder gar nur mit einem Tier. Natürlich können sie auch größere Rudel führen, aber halt nicht grundsätzlich.

Dies gilt nicht nur für den Feisthirsch, sondern fast ganzjährig für alte Hirsche. Sie tauchen unvermutet auf und sind genauso plötzlich wieder verschwunden. Sie treten oft spät aus und sind ausgesprochen heimlich. Sie beziehen oft ungewöhnliche Einstände, in denen man Rotwild kaum vermuten würde, etwa Gehölze in der Feldmark, kleine Dickungen fernab der großen Einstände von Kahlwild und großen Hirschrudeln, oder Verjüngunshorste in großen Althölzern. Es lohnt sich also durchaus, wachsame Blicke in sonst vom Rotwild nicht üppig frequentierte Revierteile zu werfen.

In der Summe sind diese Verhaltensweisen äußerst hilfreich beim Ansprechen der Hirsche. Eine Garantie bieten sie jedoch keinesfalls. Auch jüngere können in Ausnahmefällen schon mal einzeln gehen, ungewöhnliche Einstände beziehen oder spät austreten. Sie tun dies alles nur deutlich seltener als der erfahrene, reife Hirsch.

Neben den Verhaltensmerkmalen des reifen Hirsches sind natürlich die wesentlichen Körpermerkmale zu berücksichtigen. Wichtig und alles entscheidend ist auch hier der Gesamteindruck.

Je älter der Hirsch

Und vor allem: Halten sie Glas und Augen fern von der Kopfzier – am besten wäre es, man würde in moderne Jagdgläser zwei große, breite schwarze Balken einbauen, die sich beim Blick zwischen die Lauscher automatisch nach schräg rechts- und links oben ausrichten – hüten Sie sich vor dem verführerischen Biss in den Apfel, sprich: vor dem vorschnellen Blick aufs Geweih.

Das Haupt des alten, reifen Hirsches wirkt dreieckig, kurz und bullig. Häufig zeigt es eine ausgeprägte Wamme, das „Doppelkinn“ des Rothirsches – es kann aber durchaus fehlen. Auch den alten Hirschen häufig nachgesagte graue Gesichtsfärbung ist keinesfalls bindend, sondern eher stark von der Persönlichkeit des Hirsches abhängig. Je älter der Hirsch, desto enger liegt die Haut am Knochen auf – eine „Vergreisung“ des Hauptes setzt ein. Der Träger ist stark, sehr breit und zeigt keinen sichtbaren Übergang zum Körper – „Träger und Körper sind eins“. Die Stärke der Brunftmähne ist leider, wie gelegentlich immer noch zu hören, als Altersmerkmal völlig untauglich, da es hier wirklich gravierende individuelle Unterschiede gibt. Dort wo in bestehende Populationen Maral-, Wapiti- oder Ungarnblut eingekreuzt wurde, sind Brunftmähnen selten oder fehlen ganz. Haupt und Träger hält der alte Hirsch beim Ziehen fast waagerecht, aber Vorsicht: Ungewöhnlich starke Jünglinge oder mittelalte Hirsche, die auch schon Geweihgewichte von acht Kilogramm oder mehr mit sich herumschleppen, tragen auch schon schwer an ihrer Last. Solche Jünglinge halten dann logischerweise auch „die Nase nicht mehr hoch“. Da die Trophäenstärken in fast allen Rotwildpopulationen im Verlaufe der letzten Jahrzehnte zugenommen haben, ist verstärkt auf solche kapitalen „Junghirsche“ zu achten.

Der Widerrist tritt bei reifen Hirschen meist stark hervor, die Rückenlinie ist mehr oder minder gerade oder tendiert auch schon zum Senkrücken. Je älter der Hirsch, desto stärker ist in der Regel der Senkrücken ausgeprägt. Ich halte den Senkrücken für ein wirklich gutes Altersmerkmal. Ich habe bisher kaum einen zehnten Kopf mit Senkrücken gesehen – oder einen vierzehnten ohne.

Viele verschiedene Merkmale

Der reife Hirsch wirkt wegen des massigen, bulligen Körpers oft ausgesprochen kurzläufig. Die überwiegende Masse des Körpers ruht scheinbar auf den Vorderläufen. Das Geweih hat extrem kurze Rosenstöcke und steht unmittelbar auf dem Schädelknochen – dieses Merkmal in freier Wildbahn und am lebenden Hirsch anzusprechen, ist aber wohl in den meisten Fällen eher etwas für Zauberkünstler – es sei denn, der Hirsch steht bei gutem Licht wirklich zum Greifen nahe oder wir simulieren dies mit Hilfe des Spektivs. Apropos: Dieses optische Gerät leistet wahrlich nicht nur in der Ornithologie oder im Hochgebirge gute Dienste – es ist zum detaillierten Ansprechen eine fast unentbehrliche Hilfe!

„Der reife Hirsch hat die Geweihmasse unten“ – stimmt leider auch nur manchmal und zu selten, um als vernünftiges Merkmal zu gelten. Kapitale Hirsche auf der Höhe ihrer Geweihentwicklung haben oft „unten und oben“ Masse, und überhaupt gibt es auch hier viel zu viele individuelle Ausnahmen.

Das Ansprechen auf ein Jahr genau können wir in der freien Wildbahn nahezu ausschließen (außer bei genau bekannten oder bei markierten Hirschen). Auf zwei Jahre genau ist es immer noch schwierig, auf drei Jahre ist es oft schon machbar, auf vier Jahre sicherlich möglich. Den achten Kopf aber vom nun dreizehnten Kopf zu unterscheiden, das sollte in den meisten Fällen doch wohl gelingen.

Mit einem Quentchen Glück werden Sie dann die mittelalten, prahlenden Zukunftshirsche ziehen lassen und einen wirklich Reifen erlegen – Waidmannsheil!

Solling, 11. Kopf. Der Hirsch setzte ab dem 13. Kopf völlig zurück – mit dem 15. Kopf wurde er erlegt. Das starke Zurücksetzen ist wahrscheinlich mit Krankheit und/oder einer Verletzung zu erklären

 


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