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Feisthirsche

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Jagd auf das Waldgespenst
Am 1. August beginnt die Jagd auf Rotwild. Die alten Hirsche haben verfegt und lange vorher begonnen, sich den Feist für die kräftezehrende Brunft anzuäsen. Lassen Sie sich schon jetzt ein wenig Appetit auf die Feisthirschjagd machen. Dr. Kurt Menzel berichtet aus seinem Erfahrungsschatz über Strategien und Erlebnisse dieser attraktiven Sommerjagd.

 

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Es kann durchaus schon Anfang Juli sein, dass alte Hirsche mit dem Fegen beginnen, doch variieren die Termine individuell und klimabedingt

Von Dr. Kurt Menzel

Mit dem Verfegen seines Geweihes wird der Jägersprache nach der Kolbenhirsch zum Feisthirsch, und der ist er so lange, bis die Brunft einsetzt und er zum Brunfthirsch avanciert. Feisthirsch heißt er, weil er während dieser Zeit in der Regel am meisten Feist angesetzt hat, auf gut deutsch: er fett und behäbig ist. Feisthirsche kann man also nur eine relativ kurze Zeit bejagen, nämlich vom Aufgang der Hirschjagd bis zum Beginn der Brunft, die je nach Gegend, Witterung und der körperlichen Verfassung des Wildes ganz unterschiedlich ausfallen kann. Im Groben und Ganzen wird das in unseren Breiten so Mitte September sein.

Einmal nur das Waldgespenst überlisten

„Wenn die Ebereschen rot sind wie Korallen, ist der Hirsch vom Feiste schwer, und er kann fallen“, heißt es in einem alten Jägerspruch. Doch Vorsicht, entweder stimmte der Spruch von Anfang an nicht oder die Ebereschen haben sich verändert, denn nach meinen Beobachtungen sind heut’ oft schon Ende Juni/Anfang Juli die Beeren des Vogelbeerbaumes knallrot.

Die Jagd auf den Feisthirsch unterscheidet sich von der während der Brunft in vielerlei Hinsicht, und es hat die eine wie die andere Variante ihre Anhänger. Für den einen ist das Waidwerk auf den schreienden Hirsch in den herbstlich bunten Wäldern das Unübertreffliche der Jagd, das Nonplusultra! Selbst der eingefleischte Niederwildjäger wünscht sich einmal im Leben solch ein Erlebnis herbei. Andere wiederum sehen einen ganz besonderen Reiz darin, den Feisthirsch, das Waldgespenst, wie er häufig genannt wird, zu überlisten. Doch es kann auch ganz nüchterne Gründe geben, schon ab dem 1. August den Hirschen nachzustellen. Nebenbei gesagt: Man stelle sich einmal vor, es würde eines Tages bestimmten Natur- und Tierschutzkreisen gelingen, in Deutschland die Jagd während der Fortpflanzungszeit zu verbieten, wie das gelegentlich zu lesen ist, dann wäre es ohnehin mit der Jagd während der hohen Zeit des Rotwildes vorbei. Undenkbar, dass das einmal geschehen könnte, ginge doch damit ein ganzes Stück deutscher Jagdkultur verloren.

Doch Feisthirsche wurden und werden auch ohne solche Zwänge erlegt, seit es Pulver und Blei gibt. Rotwildreviere kann man schon immer in Feisthirschreviere und in Kahlwild- und/oder Brunftreviere einteilen. In großen Revieren sind natürlich alle Komponenten vorhanden. Dort, wo sich Hirsche vorwiegend in der Kolben- und Feistzeit aufhalten, aber mit Beginn der Brunft zum Beispiel in die Kahlwildreviere abwandern und hier die altbekannten Brunftplätze aufsuchen, wird der Revierinhaber gut daran tun, sich rechtzeitig um den ihm freigegebenen Hirsch zu kümmern. Dies besonders dann, wenn er einen bestimmten, abschussreifen Geweihten kennt, der stets außerhalb seines Reviers brunftet. Das muss nichts mit dem Motto „Wenn ich ihn nicht schieße, schießt ihn der Nachbar“ zu tun haben, sondern ist ganz einfach strategisch richtig. In größeren Revieren, in denen viele Hirsche auf dem Abschussplan stehen, ist es ebenfalls zweckmäßig, frühzeitig – also auch in der Feistzeit – mit dem Abschuss der Geweihträger zu beginnen, da sonst während der Brunftzeit das Gäste führende Personal überlastet ist. Ein einstiger Nachbarkollege von mir schoss grundsätzlich seinen Hirsch vorab in der Feiste, damit er sich in der Brunft ohne Druck den zahlreichen Jagdgästen widmen konnte.

Eine Chance hat der Jäger in der Mittagsstunde

Einen besonderen Vorteil hat die Jagd in der Feistzeit allemal: Stehen die Hirsche noch im Rudel – und das tun sie zumeist, kann man sie miteinander vergleichen, die Altersansprache ist erleichtert, und so fällt der Entschluss, den einen oder anderen Hirsch zu erlegen, viel leichter als wenn sie bei der Brunft einzeln beim Rudel stehen. Auch wird man einen seit Jahren bekannten Recken leichter wiederfinden als während der Brunft. Dabei ist der Feisthirsch gar nicht so sehr das „Waldgespenst“, als das er häufig durch den jagdgrünen Blätterwald geistert. In Revieren, in denen das Rotwild Ruhe hat und überwiegend tagaktiv ist, wird der Jäger auch die Kolben- und Feisthirsche bei noch tauglichem Licht antreffen können. Wo jedoch sämtliches Wild nur noch zur Dämmerungs- oder Nachtzeit auf die Äsungsflächen tritt, wird man vergeblich auf das Erscheinen der Geweihten in den frühen Abendstunden warten, und dort werden sie auch schon vor „Tau und Tag“ einwechseln.

Aber eine Chance hat der Jäger doch, und das sind die Mittagsstunden, in denen so mancher Feisthirsch für kurze Zeit eine stille, bevorzugte Äsungsfläche aufsucht, um den in dieser Zeit unverkennbaren Hunger zu stillen. Denn in der Tat haben Hirsche vor der Brunft einen hohen Nahrungsbedarf und können eine große Menge Grünäsung aufnehmen. So wog ich einmal den Panseninhalt eines am Morgen geschossenen, etwa zwölfjährigen Kronenhirsches; er brachte 24 Kilogramm auf die Waage. Wie sollten sich auch sonst die Tiere ihre Fettreserven anlegen?

Je nach Wetterlage ist die Jagd auf den Feisthirsch ein Wettlauf mit der Zeit

Doch das macht selbst den vorsichtigsten Feisthirsch verwundbar, denn je verlockender bestimmte saftige Kleewiesen oder gar reifende Kornfelder für ihn sind, um so beständiger sucht er diese auf und wird dabei morgens einmal das frühe Einwechseln vergessen oder des Abends noch bei gutem Licht zur Äsung ziehen. Je nach Wetterlage kann die Jagd auf den Feisthirsch zu einem Wettlauf mit der Zeit werden, denn um den 1. August herum sind die Roggen- und Weizenschläge entweder schon abgeerntet oder sie stehen kurz davor.

Ich erinnere mich noch an ein Jahr, in dem mein Nachbarpächter einen alten Zwölfer regelmäßig Ende Juli in einem Roggenschlag beobachtet hatte und sich nur durch schlechtes Wetter die Ernte herauszögerte. Wir hatten uns, wie das bei guter Nachbarschaft immer sein sollte, darüber geeinigt, dass der Hirsch in diesem Jahr fallen sollte. Am 1. August stand das Getreide noch in den Ähren, aber die Ernte stand kurz bevor. Da packte der gute Mann am 31. Juli Rucksack und Gewehr und saß schon am Abend vor Jagdaufgang – an Heiligabend, wie er sagte – auf der Kanzel, nur um den Hirsch am nächsten Morgen nicht zu vergrämen.

Der Zwölfer kam natürlich schon am Abend in Begleitung eines Jüngeren, und es wäre ein Leichtes gewesen, ihn zu erlegen, wäre da nicht die Schonzeitverordnung gewesen. Höllenqualen für den Waidmann! Doch am nächsten Morgen waren die Hirsche noch da, und es gelang dem übernächtigten Jäger, den Geweihten zu strecken. Noch am gleichen Tage ratterte der Mähdrescher über das Feld.

Auch wenn manche alten Recken es vorziehen, nur allein oder in Begleitung eines gleichalten oder jüngeren Kumpans die Feiste zu verbringen, sind doch auch zehnjährige und ältere Hirsche nicht selten in Rudeln anzutreffen. Hier heißt es für den Jäger beim Austreten einzelner Hirsche auf die Äsungsflächen still zu verharren und zu warten, bis auch die wirklich alten, erfahrenen Kameraden erscheinen. Das kann manchmal eine viertel Stunde und länger dauern. In alten Büchern hat man viel darüber geschrieben, wie die Jägersleute die Hirschfährten studierten, um das Alter und die Wechsel der Feisthirsche zu ergründen. Ich denke, das wird heute nur noch in den seltensten Fällen geschehen. Wir haben in der Regel weder die Zeit noch die Erfahrung und auch nicht überall die Voraussetzungen dafür, denn äußerst selten gibt es noch die breiten Sandbahnen im Revier, auf denen man exakt abfährten kann.

Das Geschlechterverhältnis während der Brunft sollte beachtet werden

Auch sollte man bedenken, dass das Streben nach einem Feisthirsch ohnehin viel Zeit braucht. Jeden Abend um elf ins Bett und um vier Uhr morgens wieder draußen sein, das zehrt an den Kräften auch des passioniertesten Nimrods. Um so größer ist dann die Freude bei einem Gelingen. Wie viel leichter jagt es sich da auf den Brunfthirsch bei der Tag- und Nachtgleiche. Auf eine Möglichkeit sei auch noch hingewiesen, bei der es sich auch empfiehlt, die vorhandenen Fährten emsig zu studieren: Ich denke da an den Ansitz an einer Suhle in der Nähe des Sommereinstandes des gesuchten Hirsches. Nichts liebt der Feisthirsch in den heißen Sommertagen mehr als ein kühlendes Schlammbad.

Je mehr sich die Feistzeit dem Ende nähert, um so heimlicher werden die Hirsche. Sie sind nun wirklich feist und behäbig und können es sich leisten, weniger aktiv zu sein. Hinzu kommt, dass sie – durch einige Schüsse gewarnt – nun auch vorsichtiger werden. Doch ganz ohne Wermutstropfen geht es bei dem frühen Jagdbeginn auf den Rothirsch auch nicht. Denn solange uns die Trophäe noch etwas bedeutet – und das tut sie gottlob immer noch – sollten wir darauf achten, dass wir den Hirsch möglichst nicht im Bast erlegen. Zwar gibt es unter den Präparatoren und „Geweihabkochern“ begabte Menschen, die aus den weißen „Knochen“ noch eine ganz ansehnliche Trophäe zaubern können, doch nicht jedermann hat einen solchen guten Geist in seiner Nähe. Bekanntlich fegen die alten Hirsche vor den jungen, und zum 1. August sollte eigentlich ein reifer Erntehirsch blank sein. Aber genetische Veranlagung, körperliche Verfassung und Witterung können immer wieder unterschiedliche Fegetermine hervorrufen. So können dann allen Regeln zum Trotz auch alte Kronenhirsche am 1. August noch reichlich Bastfetzen im Geweih tragen und wiederum junge Achter schon blank sein.

Ein guter Freund sollte einmal Anfang August einen geringen Achter bei mir schießen. Wir saßen abends gemeinsam an einer grünen Wiese an. Spät kamen die Hirsche, sehr spät. Wir konnten den Achter als solchen recht gut ansprechen und waren beide der Meinung, dass er verfegt war. Doch zu unserem großen Schreck mussten wir nach dem Schuss feststellen, dass er noch im Bast war. Ich sehe noch heute meinen Freund nach dem Abkochen des Geweihs, wie er alle um das Forsthaus herum stehenden Sträucher und Büsche mit dem Achtergeweih bearbeitete, als wäre er ein emsig fegender Hirsch, aber das Ergebnis dieser Bemühungen war doch recht bescheiden. Später sagte er mir, dass er daheim mit Bohnerwachs nachgeholfen habe.

Aus wildbiologischer Sicht sollten wir bei dem Feisthirschabschuss einen Aspekt auch nicht aus dem Auge verlieren, und das ist das Geschlechterverhältnis während der Brunft. Jeder im August erlegte potentielle Platzhirsch fehlt später bei der Brunft. Das wird sich um so nachteiliger bemerkbar machen, je mehr alte Hirsche ohnehin im Bestand fehlen und je unausgewogener das Geschlechterverhältnis zwischen Hirschen und Kahlwild ist. Über die Bedeutung alter Hirsche beim Brunftgeschehen ist ja schon viel geschrieben worden, so dass ich es hier nicht wiederholen muss. Biologisch sicher weniger bedenklich ist es, wenn wir im August schon damit beginnen, den einen oder anderen Hirsch der Jugendklasse zu erlegen. Dann sind auch diese Hirsche noch schwerer und liefern ein ausgezeichnetes Wildbret. Wer sich jedoch die Jagdstrategie zu eigen gemacht hat, im Juli und August eine klare Jagdruhe einzuhalten, der muss die Hirsche der Klasse III dann gleich nach der Brunft schießen, denn auch dann sind sie relativ leicht zu bekommen.

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Stehen die Feisthirsche im Rudel, lässt sich Alter und Geweihstärke besser einschätzen

 


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