Auf der Leinwand oder im Fernsehen kommen Jagd und Jäger heutzutage meist schlecht weg. Umso erstaunlicher ist es, wenn eine Nichtjägerin sich dem Thema unvoreingenommen nähert und das Ergebnis im Kino präsentiert. WuH durfte den Film vorab sehen und sprach mit der Regisseurin.
Alice Agneskirchner arbeitete zwei Jahre am Filmprojekt.
Foto: Broadview-Pictures
WuH: Frau Agneskirchner, welchen Bezug haben Sie zur Jagd?
Agneskirchner: Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Für mich war der Vorgang, dass man, wenn man Fleisch möchte, auch ein Tier töten muss, eine Selbstverständlichkeit. Aber die Jagd hat da, außer dass Freunde des Onkels oder so Jäger waren, erstmal keine Rolle gespielt.
WuH: Wie sind Sie denn, wenn Sie keinen direkten Bezug zur Jagd haben, auf dieses Thema für einen Film gekommen?
Alice Agneskirchner: Meine Aufgabe ist es, Dokumentarfilme zu machen. Für mich ist dabei immer wichtig, dass ich das Thema noch nicht so kenne. Ich begebe mich in einen Mikrokosmos, der mir neu ist und den man entdecken kann. Und ich habe für mich den Anspruch, dass ich das vorurteilsfrei mache, egal, worum es geht. Ich beginne jedes Mal eine lange Reise von mehreren Jahren. Und bei der Jagd war die große Frage: Was machen wir mit unserer Natur? Wem gehört sie? Gibt es sie überhaupt noch? Ich war auf einer Hubertusmesse am Tegernsee, weil da noch Cousins von mir leben, hörte auch immer wieder die große Begeisterung für den Jennerwein, quasi den Wilderer als Lokalheld. Ich dachte mir, das ist wirklich ein großes Thema, weil es unsere Umwelt, aber eben auch diesen Tötungsvorgang betrachtet. Und der ist aus dem Blickfeld geraten. Der passiert irgendwie für die Massenfleischproduktion. Aber wenn er einem bewusst wird, weil man ein Gewehr sieht und einen Menschen dahinter, der auf ein Tier anlegt, dann ist das plötzlich was anderes. Und dem wollte ich auf den Grund gehen.
WuH: Hatten Sie in Bezug auf den Erlegungsaspekt während Ihrer Arbeit am Film ein Aha-Erlebnis?
Alice Agneskirchner: Ich bin wie viele Menschen auf der ganzen Welt mit der Walt-Disney-Verfilmung von Bambi groß geworden. Nach meiner Arbeit am Film weiß ich jetzt, dass der fünfmal in der identischen Fassung wieder aufgelegt wurde. Also jede Generation hat ihn präsentiert bekommen. Und da war natürlich schon dieser Tötungsmoment, in dem die Mutter von Bambi erschossen wird. Ich sag das bewusst jetzt so. Das hat mich schon getroffen. Und deswegen war das für mich von Anfang an auch wichtig, dass die Bambi-Verfilmung Bestandteil des Filmes wird. Und als ich dann, viele Jäger auf die Jagd begleitet habe, habe ich eigentlich zwei, drei sehr wichtige Dinge bemerkt: Man ist, wenn es nicht eine Drückjagd ist, doch sehr oft auf dem Hochsitz oder sonst wie unterwegs, und es erfolgt weit und breit kein Abschuss. Also, dass dieser Moment des Abschusses nur im Verhältnis je nach Revier vielleicht 1:10 stattfindet, war eine neue Erfahrung für mich. Und dann habe ich gemerkt, diese Ruhe, in der das passiert, passieren muss letztendlich, ist fast ein meditativer Vorgang. Ob ich selber den Abzug ziehen möchte, könnte ich jetzt nicht beantworten. Aber dieser Moment, dass das Wild dann fällt, ist natürlich etwas, das muss man für sich rechtfertigen. Ich habe auch bei den Abschüssen, bei denen ich dabei war, gemerkt: Es geht jeder anders damit um. Aber es war immer Respekt dabei. Ich war für den Film auch auf einem Schlachthof. Das ist ein anderer Vorgang. Dort ist das mit dem Bolzenschussgerät Fließbandarbeit. Insofern fand ich diesen Tötungsvorgang draußen auf der Jagd würdevoller.
WuH: Sie sagten, Sie arbeiten über Jahre an einem Dokumentarfilm. Wie viel Zeit ist für diesen ins Land gegangen?
Alice Agneskirchner: Das sind ja verschiedene Phasen. Erst einmal kommt die Idee, dann frage ich im privaten Umfeld: Was hältst du davon? Um einzuschätzen, ob es auch andere Leute interessiert. Bei diesem Thema fragten mich viele: Wieso willst du dich mit Jagd beschäftigen? Was willst du denn mit diesen komischen Jägern? Die sind entweder irgendwie bescheuert oder Mörder. Da habe ich gedacht: Jetzt gerade! Ich hab 2010 mit meiner Ideenfindung und Recherche begonnen und hab dann jahrelang abgeändert. Also, Fernsehredaktionen haben gesagt: „Ja, eigentlich interessant.“ Natur will man gerne, Tiere will man auch, aber Jagd – da werden ja Tiere geschossen. „Wie wollen Sie denn den Tötungsvorgang darstellen?“ Da sage ich: „Wir müssen ihn darstellen. Wir können schlecht einen Film über Jagd machen, ohne den Tötungsvorgang zu zeigen.“ „Hm, schwierig.“ Es war also wirklich ein No-Go über Jahre. Dann habe ich mir gedacht: Das Thema „Wem gehört die Natur?“ ist eine Menschheitsfrage. Das gehört ins Kino. Ich habe Drehbuchförderung beantragt. Dadurch ist der Produzent Leopold Hoesch auf das Projekt aufmerksam geworden und hat die Finanzierung zusammenbekommen. Ich habe zwei Jahre nach geeigneten Jägern und Revieren gesucht. Im Juli 2015 haben wir mit dem Drehen begonnen, im Sommer 2017 war der Film fertig.
WuH: War es schwierig, Jäger zu finden, die sich filmen lassen wollten?
Alice Agneskirchner: Da möchte ich Sie wirklich bitten, das abzudrucken: Es war sehr schwer, mit den Jägern in Kontakt zu kommen. Ich habe unglaublich viel Misstrauen erlebt, obwohl ich diese Offenheit habe. Ich war manchmal echt verzweifelt und dachte: „Ich will euch nichts Böses. Ich will das vorurteilsfrei und mit einer großen Unvoreingenommenheit angehen.“ „Nein, will ich nicht. Gehen Sie wieder.“ Das habe ich öfter erlebt.
WuH: Und wonach haben Sie die Protagonisten ausgesucht? Ging es dann nur danach, wer Ja gesagt hat?
Alice Agneskirchner: Nein, also ich würde sagen, ich habe bestimmt mit 300 Jägern gesprochen. Für so einen Film müssen ja mehrere Kriterien erfüllt sein. Die, die als Erstes „Hier!“ schreien, sind meist die, die nicht die wirklich Interessanten sind. Sie wollen ins Fernsehen oder ihre eigene Eitelkeit befriedigen. Und das passt überhaupt nicht, weil ein Dokumentarfilm ist ja nicht inszeniert, das ist ganz wichtig. Er wird dann gut, wenn die einzelnen Menschen, die ja nur durch den Filmvorgang Protagonisten werden, sich von dem Filmvorgang möglichst wenig beeinflussen lassen oder möglichst wenig darauf reagieren. Dann sind sie authentisch. Das ist das erste Kriterium.
Ich hatte Jäger in Brandenburg, Mecklenburg und Niedersachsen. Ich hatte aber noch keine Jäger in Bayern. Ich habe aber immer gesagt, irgendwas fehlt noch. Und dann bin ich mal wieder zu so einer Hubertusmesse an den Tegernsee gefahren. Da hat mir einer der Jäger von der Gamsproblematik berichtet. Also, ich habe erfahren, dass es Gebiete in den Alpen gibt, in denen die Gams ganzjährig geschossen wird – schonzeitbefreit. Und dann habe ich mir gedacht: „Warum ist das eigentlich so? Wie stehen die Jäger dazu?“ Ich habe mich darüber mit ein paar Jägern unterhalten. Und dann habe ich gemerkt, dass die das überhaupt nicht wollen. Die wollen nicht schießen. Das war der Dreh- und Angelpunkt für die Finanzierung. Die, die den Film finanzieren, sind ja keine Jäger. Und dass Jäger nicht schießen wollen, war für sie ein paradoxer Widerspruch, der sie für den Film eingenommen hat. Deshalb wurde die Gams einer von fünf Themenschwerpunkten.
WuH: Es dauert in Ihrem Film zehn Minuten, bis das erste Mal gesprochen wird. Außerdem wird keiner der Protagonisten vorgestellt. Erst ganz am Schluss werden Name und Beruf genannt. Warum haben Sie das gemacht?
Alice Agneskirchner: Ich finde, man sollte sich auf die Leute einlassen und zuhören, was sie sagen. Sie werden ja auch in ihrem Umfeld gezeigt, und man kann sich das dann ganz gut erschließen. Ich finde es auch wichtig, in einem Film den Zuschauer nicht zu bevormunden. Alle Leute können denken, und die Möglichkeit möchte ich denen auch geben. Mit einem Kinofilm hat man die Möglichkeit dazu, weil man da einen Raum schafft, dass man sich darauf einlassen kann.
WuH: Wie haben Sie die Wolfsaufnahmen gedreht?
Alice Agneskirchner: Natürlich kann man Wölfe nicht so einfach drehen. Es sind echte Wölfe, die es gewohnt sind, mit Menschen zu leben, und mit denen haben wir gezielt gedreht. Das sind die einzigen Tieraufnahmen, die wir aufgrund der Tatsache, dass wir eben nicht mit irgendwie Wolfshunden oder so drehen wollen, gezielt mit Tiertrainern gedreht haben, die mit Wölfen leben.
WuH: Für den Film haben Sie auch jagende Ureinwohnerinnen in Kanada begleitet. Welchen Bezug hat das zur Jagd in Deutschland?
Alice Agneskirchner: Das kommt eigentlich daher, dass ich in meinem Bekanntenkreis ganz viele Jagdgegner oder -skeptiker habe. Die haben dann immer gesagt: „Ach, jetzt gehst du schon wieder zu deinen Jägern.“ Und dann habe ich irgendwann mal erzählt: „Ich fliege nach Kanada und drehe mit Algonquin.“ „Was sind denn Algonquin?“ „Naja, die sind, wie wir sie nennen würden, Indianer. „Ach, Mensch. Toll! Und was drehst du da?“ Ich sage: „Mit denen gehe ich auf die Jagd. „Toll, du gehst mit denen auf die Jagd!“ Also plötzlich war die Jagd etwas, was erlaubt ist, was zur Kultur gehört, zu Indianern. Da habe ich gedacht: „Das ist jetzt irgendwie verschoben.“ Deswegen wollte ich diesen Moment drin haben. Wir sind eines der wildreichsten Länder überhaupt, und das haben wir vergessen, oder wir ordnen das nicht mehr so richtig ein.
WuH: Warum wird ein und dieselbe Sache, Ihrer Meinung nach, so unterschiedlich bewertet?
Alice Agneskirchner: Naja, ich glaube, man sagt einfach bei den Ureinwohnern, den Indianern, dem afrikanischen Buschmann, da gehört es zur Lebensform. Und bei uns hat das einfach nicht mehr zu sein. Das ist etwas, was man hier für antiquiert hält. Es kann natürlich auch dadurch sein, dass es halt in Europa sehr lange ein Privileg des Adels war und das normale Volk eben nicht jagen durfte. In Bayern sagt man, das sind die Großkopferten, die gehen zur Jagd und die anderen dürfen nicht. Und deswegen ist die Jagd etwas, was mit so einem Makel behaftet ist. Dadurch fällt es vielen schwer zu sagen: „Die Jagd gehört eben auch zu uns, wie es zu einem Indianer und zum Buschmann gehört.“ Wir sind ja nicht mehr das Urvolk. Die Indianer und die Buschmänner schon. Die Indianer und die Buschmänner schon. Man macht da eine Abgrenzung und sagt: „Das haben wir nicht mehr nötig.“ Aber dass es eigentlich ein Vorzug ist, jagen zu dürfen, wird momentan nicht erkannt. Wildfleisch ist ein regionales, nachhaltiges Nahrungsmittel, und das Tier hatte bis zu seinem Tod ein artgerechtes Leben.
WuH: Ein Thema im Film ist die Wald-vor-Wild-Thematik in Bayern.
Alice Agneskirchner: Was für mich total neu war. Ich wusste nicht, dass es einen Passus „Wald-vor-Wild“ überhaupt gibt. Also das war für mich eine völlig neue Erfahrung.
WuH: Wie sehen Sie die Thematik jetzt, wo Sie sich eingearbeitet haben?
Alice Agneskirchner: Ich denke mir, Wald-vor-Wild ist einfach im Waldgesetz gesetzt. Dadurch kommt da eigentlich so keiner drumrum. Aber die Frage ist ja: „Wie viel Wald und wie viel Wild?“ Ein Bauer geht ja auch davon aus, dass so und so viel Schaden entsteht, durch Regen, durch Wind, durch was auch immer. Er hat keinen hundertprozentigen Ertrag dessen, was er aufs Feld ausbringt. Und im Wald oder im Forst muss man ja sagen, ist das vielleicht eher zu sehen. Wie viel Prozent Gewinn im Sinne von wie viel angepflanzter Pflanzen müssen dann auch fertige Bäume werden? Und wie viel Bedeutung hat es, dass da auch mal was verbissen wird? Dann gibt es ja auch die Theorie, dass nicht jeder Verbiss auch wirklich sofort schädlich ist. Leittriebverbiss vielleicht schon. Aber selbst da wächst der Nebentrieb nach oben. Das ist aber etwas, was die Holzindustrie nicht möchte, weil dann der Stamm eben nicht so gerade ist oder da mal irgendwie ein Astloch drin hat. Wir müssen uns entscheiden, was uns wichtiger ist. Und insofern sehe ich das jetzt nicht mehr so eins zu eins.
WuH: Sie sind also diesbezüglich ins Grübeln gekommen?
Alice Agneskirchner: Ja, man kommt ins Grübeln, weil man denkt: „Was ist jetzt mehr wert?“ Und warum ist es okay, dass in der Landwirtschaft gesagt wird: „Hier wollen wir keinerlei Schaden“ oder „Wenn Schaden entsteht, dann muss da das Tier sofort weg“. Und im Wald, wo es dann hin soll, darf es aber auch nicht sein, weil da ja auch Schaden entsteht. Wenn es da nicht hin darf und dort nicht hin, ich meine, von irgendwas muss es ja nun leben. Und da ist natürlich die Grundproblematik, dass in Deutschland auf 90 oder wahrscheinlich 95 Prozent der Flächen, irgendein wirtschaftliches Interesse besteht. Da muss einfach die Bereitschaft da sein, dass jeder vielleicht ein bisschen was abgibt. Sonst haben wir halt kein Wild mehr irgendwann.
WuH: Denken Sie, dass dieses Thema mehr in den Fokus der nichtjagenden Öffentlichkeit gerückt werden sollte?
Alice Agneskirchner: Ich glaube, es muss in die gesellschaftliche Diskussion kommen, damit auch der Normalbevölkerung klar ist: So uns so viel Holzproduktion bedeutet natürlich auch so und so viel oder so und so wenig Wild. Man muss das einfach wissen und dann über die politische Arbeit oder Verbände oder Organisationen politische Ziele festlegen, was man möchte. Das ist beim Wolf übrigens auch so. Es muss in eine breite gesellschaftliche Diskussion, und dafür muss halt einfach noch ein bisschen mehr Wissen her. Und ich hoffe, dass mein Film einen Beitrag dazu leistet.
WuH: Und wie sehen Sie das mit dem Wolf in der Kulturlandschaft?
Alice Agneskirchner: Na ja, es ist halt so eine Sache. Ich bin jetzt nicht per se ein Wolfsfreund oder Wolfsgegner. Ich fand es auch erst einfach interessant. Ich habe aber natürlich jetzt auch gelernt, dass Wölfe Territorien brauchen. Und auch von ihrer genetischen und tradierten Prägung wissen, wie groß ihr Territorium sein muss. Das heißt, irgendwann sind alle möglichen Territorien von Wolfsrudeln besetzt. Das ist einfach der natürliche Reproduktionsvorgang. Und was passiert dann, wenn alle Territorien besetzt sind? In Brandenburg ist es ja jetzt schon so. Was passiert logischerweise? Die Jungwölfe im dritten Lebensjahr müssen abwandern. Ja, wo wandern sie hin? Das ist genau der Punkt. Oder was bedeuten Revierkämpfe? Das ist etwas, was der normalen Bevölkerung, die nichts mit Jagd zu tun hat, nicht bewusst ist. Und ich denke, da muss ein Bewusstsein geschaffen werden. Und dann muss darüber nachgedacht werden, wie viel Wolf möchte Deutschland.
WuH: Denken Sie, dass in Deutschland ausgewogen über Jäger berichtet wird?
Alice Agneskirchner: Also, ich hab natürlich jetzt nicht den Überblick über alle publizistischen Erzeugnisse im Radio, im Fernsehen und in den Printmedien. Ich stelle nur fest, gerade im Fernsehen ist das oft schon eine sehr tendenziöse Berichterstattung, die den Jäger per se als bösen Menschen darstellt. Da wird die Bedeutung für die verschiedenen Gleichgewichtssituationen und die Nachhaltigkeit ausgeblendet. Und da wollte ich in meinem Film vorurteilsfrei rangehen.
WuH: Wie sieht Ihrer Meinung die Zukunft der Jagd in Deutschland aus?
Alice Agneskirchner: Ich frag immer: „Was ist, wenn der Jäger das Interesse hätte, alle Tiere zu schießen? Was wäre in zwei Jahren? Oder in fünf? Es gäbe eben keine Jäger mehr, weil es keine Tiere mehr gäbe. Das Interesse des Jägers ist ja, dass er im nächsten Jahr auch noch Jäger ist. Also wird er doch nie auf die Idee kommen, alles, was es gibt, abzuschießen. Und aus dieser Haltung ergibt sich ja, dass der Jäger, sofern er ein Revier verantwortungsvoll betreut, dass es seinen Tieren in seinem Revier auch gut geht. Und gelegentlich nimmt er welche raus. So.
WuH: Das klingt für Nichtjäger paradox: Erhalten durch Nutzen.
Alice Agneskirchner: Naja, das ist natürlich das Problem. Wir haben in Deutschland 383 000 Jagdscheininhaber. Und dann gibt es noch so und so viele Landwirte oder Menschen in ländlichen Regionen, die sich auch noch ein bisschen damit auskennen. Aber ich würde mal denken: 70 Millionen Menschen, das ist jetzt meine Schätzung, haben mit Jagd keine Berührung. Und davon gibt es einen Prozentsatz totaler Jagdgegner. Und dann wird es eine ganz große, breite Masse geben, der das einfach egal ist. Und dieser breiten Masse ist das eben nicht bewusst. Also ich kann von mir aus sagen: Ein ökologischeres, regionaleres, wertvolleres Fleischerzeugnis kann ich gar haben als vom Wildtier. Ich persönlich finde ein Hirschgulasch mindestens so gut, wenn nicht besser, als ein Rindergulasch. Aber das ist natürlich eine Geschmacksfrage. Ich esse sowieso sehr wenig Fleisch, nehme das sehr ausgewählt und möchte dann auch wissen, wo es herkommt. Und wenn man es von der Tierethik anschaut, hat so ein Wildtier das bessere, schönere, freiere Leben gehabt, hat vermutlich auch eine ausgewogenere Nahrung, weil es nicht nur auf ein Futtermittel oder auf wenige Futtermittel spezialisiert ist, sondern sich das zusammensucht. Ich wüsste jetzt gar nicht, was dagegen spricht. Vielleicht ist noch mehr Wild besser als mehr Schwein, aus der Nutztierhaltung.
Und noch so eine Sache: Als ich angefangen habe, den Film zu machen, habe ich Nichtjäger gefragt: „Wie viele Rehe werden denn jedes Jahr erlegt?“ „Hm, 5 000, 50 000?“ Dann habe ich gesagt: „Das ist viel zu wenig.“ „Vielleicht 500 000?“ Dann habe ich gesagt: „So um die 1,2 Millionen.“ „Was, so viele?“ „Ja“, sage ich, „aber das Reh stirbt nicht aus. Das ist nicht gefährdet. Gar kein Problem für das Reh.“ Ich glaube, was die nichtjagende Bevölkerung echt nicht weiß – da kann ich den Jägern nur einen Tipp geben–, dass sich die Tiere jedes Jahr reproduzieren. Da macht sich keiner Gedanken. Der sieht da fünf Rehe und denkt: „Ach, ist doch schön.“ Aber das aus diesen fünf Rehen im nächsten Jahr vielleicht zehn werden, wenn nicht sogar zwölf, das ist etwas, was niemand weiß.
Ich glaube, wenn es ein Interesse daran gibt, Wildfleisch zu essen, und man das als normales Nahrungsmittel sehen würde und nicht als Bambi, das man da leider irgendwie im Wildleben stört, dann würde das Ganze mit etwas weniger emotionaler Aufregung gesehen werden. So würde ich mir das wünschen. Wildfleisch ist ein regionales nachhaltiges Nahrungsmittel und das Tier hatte bis zu seinem Tod ein artgerechtes Leben.
Die Fragen stellte Markus Deutsch.
Ab dem 10. Mai ist der rund anderthalbstündige Dokumentarfilm in den deutschen Kinos zu sehen. Wo Sie ihn sehen können, weitere Informationen sowie den Trailer finden Sie unter wemgehoertdienatur.de.