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COVID-19: Wildtierhandel nicht Ursache für Ausbreitung

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Die weltweit agierende Tierrechtsszene nutzt die Spekulation rund um Entstehung und Ausbreitung des Corona-Virus für eine Kampagne mit dem Ziel, jede Nutzung von Wildtieren zu verbieten – und damit auch nachhaltige, regulierte Jagd.

Begründet wird die Forderung mit einem Gesundheitsrisiko, das vom Konsum von Wildfleisch ausginge. Unter Beteiligung der deutschen Partei DIE LINKE hatte die Splittergruppe „Vereinte Europäische Linke/Nordische Grüne (GUE/NGL)“ im Europäischen Parlament jüngst einen Änderungsantrag der EU-Pandemieverordnung gestellt, den die Abgeordneten mit Zweidrittelmehrheit abgelehnt haben. Dieser sah vor, den Handel mit Wildtieren und deren Erzeugnissen (Wildbret) generell zu verbieten.

Geht es nach der Partei DIE LINKE, soll der Handel mit Wildtieren und deren Erzeugnissen (Wildbret) generell verboten werden.
Foto: Peter Diekmann

Dr. Claudia Schoene – Fachtierärztin für Epidemiologie und Tropenveterinärmedizin – bewertet im Interview mit dem Internationalen Rat zur Erhaltung des Wildes (CIC) in Deutschland und Deutschem Jagdverband (DJV) die Verbotsforderung aus Expertensicht.

CIC/DJV: Wie stehen Sie persönlich zu dem Änderungsantrag, der dem Europäischen Parlament vorgelegt wurde?

Dr. Claudia Schoene: Absolute Forderungen jeglicher Art sind selten zielführend und realistisch. Meist auch ungerecht, indem sie bestimmte Gruppen unverhältnismäßig stark einschränken. Sie nutzen letztendlich nur einer kleinen Gruppe von Interessierten. Insofern ist es zu begrüßen, dass der Änderungsantrag vom EU Parlament abgelehnt wurde.

Die Tierrechtsszene begründet ihre Forderungen mit „einer generellen Gesundheitsgefahr“, die vom Konsum von Wildfleisch und dadurch bedingten Zoonosen ausginge. Ließe sich deren Ausbreitung durch ein weltweites Handelsverbot für Wildfleisch verhindern?

Erreger werden oft durch den Wind oder mit Transportmitteln verbreitet und werden sich durch Verbote nicht am Reisen hindern lassen. In der Infektionslehre unterscheidet man zwischen den Anthropozoonosen, wie der Ruhr, die vom Menschen auf das Tier übertragen werden können und den Zooanthroponosen, mit umgekehrten Übertragungsweg – etwa bei der Tollwut. Es stellen also nicht nur Tiere eine Infektionsquelle für Menschen dar, sondern auch umgekehrt. Der Begriff „Tier“ beinhaltet Haus-, Nutz- und Wildtiere. Auch die direkte Übertragung in beide Richtungen ist bei den meisten Infektionskrankheiten möglich, beispielsweise bei Tuberkulose. Mücken, Fliegen oder Zecken können als Zwischenwirte ebenfalls Zoonosen übertragen. Allein die Klimaerwärmung ermöglicht deren Ausbreitung: In den letzten Jahrzehnten haben tropische Krankheiten den Sprung in subtropische und gemäßigte Klimazonen geschafft – auch in die Europäische Union.

Worauf führen Sie die Ausbreitung von COVID-19 zurück?

Die aktuelle ‚Corona-Pandemie’, deren Ursprung man bist jetzt nicht eindeutig identifiziert hat, ist nicht durch den Wildtierhandel entstanden, sondern durch den internationalen Transport infizierter Menschen – insbesondere durch Flugreisen. Je stärker die Weltbevölkerung wächst, desto enger wird zudem der Kontakt an der Mensch-Tier-Schnittstelle. Der Mensch dringt durch Straßen- und Städtebau immer weiter in die Refugien der letzten Wildtierpopulationen vor und zersiedelt diese. Damit steigt weltweit die Kontaktrate und damit das Infektionsrisiko zwischen Tier und Mensch und umgekehrt – völlig unabhängig von jeglichem Handel mit Wildtieren.

Welche Folgen hätte das Ende des Handels mit Wildtierprodukten für die Bevölkerung in Afrika oder Asien?

Der Bedarf der Menschen an tierischen Eiweißen in den Industrienationen wird größtenteils durch intensive Nutztierhaltung gedeckt. Dies führt teils zu eklatanten tierschutzwidrigen Zuständen. In den sogenannten Entwicklungsländern ist diese Intensivhaltung von Tieren weitestgehend unbekannt. Oft ist die Jagd auf Wildtiere die einzige Quelle für tierisches Eiweiß. Die Jagd und die dazugehörigen Märkte zu verbieten hieße, große Gruppen der menschlichen Bevölkerung von der überlebenswichtigen Versorgung mit tierischem Eiweiß abzuschneiden. Das ist schlicht unmenschlich.

Die Forderungen beinhalten auch ein Verbot der sogenannten „Trophäenjagd“. Welche Effekte sehen Sie hier?

Wissenschaftliche Studien belegen, dass ohne kommerzielle Wildtierhaltung und ohne Trophäenjagd viele der wildlebenden Arten und ihrer Lebensräume in Afrika schon lange nicht mehr existieren würden. Ein kompletter Einfuhrstopp für Trophäen nach Europa wäre langfristig wahrscheinlich kontraproduktiv.

Welche Bedeutung hat die „traditionelle chinesische Medizin“ für die Ausbreitung von COVID-19?

Die Auswüchse, besonders in China erreicht, prangern Nichtregierungsorganisationen seit vielen Jahren an. Selbst die chinesische Regierung und Vertreter der traditionellen Medizin in China haben inzwischen Maßnahmen gegen die Verwendung wildlebender Arten wie Nashörnern propagiert und installiert. Ändert sich jedoch die Einstellung – insbesondere der chinesischen und vietnamesischen Bevölkerung – zur Nutzung der traditionellen Medizin nicht und werden illegale Produkte ungehindert im Diplomatengepäck transportiert, gilt: Der komplette Bann dieser Medizin wird nur zu einem noch stärkeren Anstieg des illegalen Handels führen – und den damit verbundenen gesundheitlichen Risiken.

Wie schätzen Sie die Effekte der Tierrechtskampagne hierzulande und in Europa ein?

In den Kulturlandschaften Europas gibt es keine Wildnis mehr, die vollkommen ohne Management durch den Menschen auskommt. Teil dieses Managements ist die Bestandsregulierung der jeweiligen Wildtierpopulation, kurz: die Jagd. Jegliche Nutzung und die Haltung von Wildtieren in Europa gänzlich zu untersagen, ist realitätsfremd. Es bleiben zahlreiche Fragen. Was soll beispielsweise mit erlegten Tieren geschehen? Soll diese wertvolle Proteinquelle, deren Qualität in den meisten Fällen derjenigen von Nutztieren aus der Massentierhaltung überlegen ist, vernichtet werden? Und das in Zeiten einer stetig wachsenden Weltbevölkerung mit stetig steigendem Proteinbedarf? Welche Schäden würde ein unkontrolliert wachsender Wildtierbestand in den europäischen Naturlandschaften anrichten? Wollen wir auch den aus Afrika und anderen Ländern der Welt nach Europa kommenden Zugvögeln durch eine EU-Resolution die Rast und den Aufenthalt hier untersagen? Auch sie tragen schließlich zoonotische Krankheitserreger mit sich, etwa Influenzaviren. Was gilt für die Fischerei? Kein Import von außerhalb der EU gefischten ‚wilden‘ Fischen und Meeresfrüchten mehr in die EU? Aale wandern über den Atlantik und zurück. Wollen wir ihnen dies mit dem Aufstellen schwimmender Verbotsschilder verwehren?

Welche Empfehlung geben Sie?

Die Welt ist weder schwarz noch weiß. Alle Lebewesen sind Träger von Keimen: Viren, Bakterien, Pilzen, Prionen. Homo sapiens koexistiert seit Anbeginn mit diesen Erregern und wird es auch in Zukunft tun müssen. Ein genereller Bann des Wildtierhandels und der Nutzung wildlebender Arten weltweit kann keine Lösung sein. Pandemien, wie die jetzige ‚Corona-Krise‘, wird es auch in Zukunft immer wieder geben. Ansätze und Gesetzesinitiativen, um diese zu verhindern oder zumindest deren Auswirkungen zu vermindern, müssen durchdacht, verhältnismäßig und unter Berücksichtigung aller aktueller wissenschaftlicher Kenntnisse sowie unter Einbeziehung aller Betroffenen erfolgen. Man muss sicherstellen, dass nicht aus purem Aktionismus und dem Streben nach Wählerstimmen Existenzen in Europa und im Rest der Welt sinnlos und verantwortungslos zerstört werden.

PM DJV/CIC


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