Von Meistern, Rekorden und Regularien:
Die Bundesmeisterschaften im Jagdlichen Schießen haben ihre eigenen Gesetze: 350 Punkte sind möglich, erklommen hat diesen Olymp aber noch niemand. Wieviel Punkte der deutsche Rekordhalter erzielt hat und das im Laufe der Jahre die Besten nicht immer die Ersten wurden, weiß Wolfram Osgyan.
Von Wolfram Qsgyan
Liebenau, 7. September 1991: Finaltag. Nach Einzelschützen, Junioren und Altersklasse treten nun die Mann-schaftsschützen in den Tauben-Wettbewerb. Es sind die Besten der Landesjagdverbände, und alle haben ihren Kugeldurchgang absolviert. Der für den Landesjagdverband Hessen startende Stabsarzt Dr. Georg Zerfaß ist ein wenig angesäuert, musste er doch bei den „Schwarzen“ zwei Punkte lassen. Zwei zuviel, wie er meint, denn er hatte die 200 im Visier und auch drauf. Mit 198 Ringen aber kann er schon nicht mehr Meister im Büchsenschießen werden, denn hoch sind die 199 Punkte (19 mal die Zehn und eine Neun beim Wackligen!) des Niedersachsen Dieter Lembke. Diese bedeuten gleichzeitig die Einstellung des deutschen Rekords (Dafür gewertet werden übrigens nur die Resultate bei den Bundesmeisterschaften). 200 Punkte, die hat’s auch schon mal gegeben, doch war der Schütze dem Vernehmen nach so mit Beta-Blockern vollgepumpt, dass er disqualifiziert wurde und das Traumergebnis keinen Einzug in die Annalen fand. Ohne Zweifel ist Dr. Zerfaß der Top-Schütze mit der Kugel. Mit der Flinte dagegen gibt es Bessere und vor allem Beständigere. Die ersten 13 Tauben hat er beim Trap schon getroffen und dafür 15 Schüsse benötigt. Die 14. Taube nimmt er etwas spät auf und fehlt sie. Ein Raunen geht durch die Zuschauer. Doch als die Wurfscheibe bereits im Abtauchen begriffen ist, kracht der zweite Schuss und reißt ihr zwei Stücke aus dem Rund. Treffer 2, vom Glück begünstigt. Was dann folgt, sieht wie Routine aus. Zerfaß trifft die 15. Taube und alle Skeettauben mit jeweils einem Schuss, ist mit 348 Punkten deutscher Meister und hat den Rekord von Ulrich Hadrian aus dem Jahre 1975 eingestellt. Dieser ließ übrigens bei Bock und Fuchs je einen Zähler. Dass Ronald Beckhaus mit 347 Punkten das zweithöchste Ergebnis aller Zeiten erzielte und doch nur Zweiter wurde, ist pure Ironie des Schicksals.
Harte interne Ausscheidungen
Bundesmeister werden weiß Gott nicht immer die Besten. Der herausragende Jagdschütze Deutschlands, Franz Schröder, stand nie ganz oben auf dem Treppchen, und auch Hans-Ludwig Hapke, dem beständigsten Schützen Niedersachsens und Mitglied vieler Meistermannschaften, war noch nie ein Einzeltitel beschieden.
Oft genug stellen Außenseiter den Favoriten ein Bein, wenn sie als Einzelstarter einen guten Tag erwischen und ein hohes Ergebnis vorlegen. Das Muss von über 340 im Hinterkopf bringt nämlich auch den abgezocktesten Jagdschützen unter Druck, und wenn dann noch die Witterungsverhältnisse einen Strich durch die Rechnung machen, dann können, wie 1987 beim Junioren Hans-Jörg Faden, 342 Punkte zum Meister aller Klassen reichen. 1988 erzielte der Baden-Württemberger Peter Bitz sein mit Abstand bestes Ergebnis am ersten Tag der Meisterschaften und wurde Sieger mit 346 Punkten. Mit gleichem Resultat wurde 1990 Peter Teuber, Mitglied der Schleswig-Holsteiner Mannschaft, Erster. Ihn hatte ebenfalls keiner auf der Rechnung.
Der erste Jagdschütze, der zweimal Meister wurde, war Dr. Hermann Meyer. Dieses Kunststück brachte auch Ernst Heiming fertig. Der erste jedoch, der seinen Titel (1994, 347 Punkte) verteidigen konnte, war Claus Sutter vom LJV Reinland-Pfalz. Er schaffte ein Jahr später 346 Punkte und errang 2000 mit 338 Punkten ein drittes Mal die höchste Ehre.
Die Startplätze bei den Bundesmeisterschaften sind gemäß der Mitgliederzahlen der Landesjagdverbände kontingentiert. Niedersachsen beispielsweise könnte von der Leistungsdichte her wesentlich mehr Jagdschützen melden als es darf. Daher gibt es harte interne Ausscheidungen. Als deren Folge kommen nur die Allerbesten zur Bundesmeisterschaft, und von ihnen hat eigentlich jeder das Zeug zum Meister. So nimmt es nicht Wunder, dass die Mannschaft dieser Landesjägerschaft in den Jahren seit 1954 die mit Abstand meisten Titel abräumte. Wer nun aber glaubt, dass die Niedersachsen bei den Einzelschützen ein Abonnement auf die vordersten Ränge besitzen, irrt. Es ist nämlich schon vorgekommen, dass ein ständiges Mitglied der Meistermannschaft die Bundesmeisterschaft mit einem Ergebnis von deutlich unter 300 Punkten abhaken musste. Nichts verdeutlicht übrigens die Leistungsdichte mehr als der Umstand, dass 300 Punkte für einen Rang zwischen 200 und 220 reichen, eine Taube mehr oder weniger bis zu 20 Plätze ausmacht, man mit 320 Punkten um den hundersten Platz herumkrebst und einer, wenn’s dumm läuft, mit 340 Punkten noch nicht unter die ersten zehn kommt.
2004 feiert das jagdliche Schießen nach DJV-Reglement seinen 50. Geburtstag. In den Jahren 1954 und 1955 konnte man dabei 400 Punkte erreichen. Die derzeitige Regelung mit einem Maximum von 350 Punkten wurde aber bereits 1956 eingeführt.
Üben
Im Kern blieb alles beim Alten, sieht man von zwei Änderungen ab: Beim Skeet-Schießen werden anstelle der beiden Einzeltauben auf Stand sieben und der letzten Taube auf Stand vier eine Dublette auf Stand sieben geworfen, gefolgt von einer Niederhaustaube. Zudem wurde die Vorlage bei den Schrotpatronen schrittweise von 36 Gramm über 32, 28 auf derzeit 24 Gramm reduziert. Hier scheint tatsächlich die kritische Grenze zum Leistungsabfall erreicht. Zwölf Gramm Schrote weniger sind nämlich eine ganze Menge. Sie fehlen, auch wenn die reduzierte Garbe nunmehr mit höherer Geschwindigkeit der Taube nacheilt, und die Resultate in der Breite scheinen den Kritikern das Wort zu reden.
Wenn’s drum geht, die Nerven vor dem Kugelschießen in den Griff zu kriegen, sind viele Mittel recht. Die einen schwören auf Baldriantropfen, die anderen auf ein Glas „Hopfenblütentee“, weitere auf Obst aus der Flasche und schließlich gibt es noch welche, die fernöstliche Rituale bemühen. Wenn einen das alles oder die Einbildung nicht weiterbringen, dann hilft nur eines: üben, üben und noch mal üben.