Schussentfernungen:
Sicheres Treffen auf größere Entfernungen hängt nicht nur von Waffe und Munition, sondern darüber hinaus von einer ganzen Reihe verschiedener Faktoren ab. Wolfram Osgyan zeigt auf, wo die Grenze zwischen „weit“ und „zu weit“ liegen könnte.
Wie weit würden Sie auf eine Gams schießen? 150, 250 oder 350 Meter? Die Frage nach der Schussentfernung, bei der man noch den Finger krumm macht, stellt sich bei allen Wildarten |
Von Wolfram Osgyan
Maraljagd in Kasachstan. Die Lizenzen sind ausgeschöpft, die Trophäen bleichen neben den Zelten, und zwei erfolgreiche, rundum zufriedene Jäger schlagen die Zeit bis zur Abfahrt im Camp tot. „Mensch, wollen wir nicht ein kleines Wettschießen veranstalten, unterbricht der eine die monotone Ruhe. Dort drüben, die Wassermelonen, das wäre doch was“, schlägt er gleich ein Ziel vor. Der andere nickt zustimmend. Zu den grünen Punkten ist es weit, verdammt weit. Während sich der Angesprochene anschickt, eine passende Auflage für den liegenden Anschlag herzurichten und verstohlen den Entfernungsmesser hervorkramt, um die Distanz anzupeilen, sieht er, wie der Initiator mit einer Bierruhe stehend freihändig anschlägt, wie sich der Zeigefinger krümmt, wie sich die Waffe im Schuss aufbäumt, und er sieht vor allem die Staubfontäne einige Meter vor dem Ziel. „Eetzad woas es!“, hört er den Niederbayern und verfolgt mit offenem Munde, wie eine zweite Kugel aus der .300 Weatherby Magnum die Frucht platzen lässt, die dritte ihre Nachbarin sprengt und die vierte gleiches vollzieht. Das reicht, um zu erkennen, dass gegen diesen bajuwarischen Hünen kein Kraut gewachsen ist und dass jeder Schuss aus der eigenen .300 Winchester Magnum reine Munitionsverschwendung wäre. Immerhin beträgt die Entfernung zum Ziel satte 300 Meter und keinen weniger! Ein hasengroßes Ziel stehend freihändig auf diese Wahnsinnsdistanz mehrmals getroffen, da bleibt einem die Spucke weg und wirft die Frage auf, wo diesem Superschützen die Grenzen gesetzt sind.
Der dürfte sie kennen, denn wer derart schießt, hat Übung und all das, was man zum Treffen benötigt, so verinnerlicht, dass er vor der Schussabgabe nicht groß nachzudenken braucht.
Subjektiv gesehen ist „weit“ natürlich relativ. Dem Waldjäger, der sein Wild durchschnittlich auf 40 bis 50 Gänge erlegt, mögen 100 Meter bereits ungewohnt und damit weit erscheinen. Sein Kollege im Feldrevier wiederum mag nichts Anstößiges dabei finden, wenn er „seinem“ Rehwild auf 150 Meter und mehr die sichere Kugel anträgt, und der Gamsjäger kommt häufig nicht umhin, so um die 200 Meter zu operieren. Schafjagden in asiatischen oder nord-amerikanischen Gefilden gar unterliegen wieder anderen Gesetzen. Wer hier das Wort „weit“ in den Mund nimmt, spricht von Distanzen jenseits der Daten, die wir in den gemeinhin zugänglichen Schusstafeln verzeichnet finden.
Rechnerische Verschiebung der Werte
Objektiv betrachtet setzen selbstverständlich ballistische Gesetzmäßigkeiten dem Griff in die Ferne natürliche Schranken: Selbst die windschlüpfrigsten Geschosse aus den pulverschwangersten Hülsen beginnen in Meereshöhe spätestens nach 250 Metern zu fallen, wenn die Waffe über das Zielfernrohr auf 100 Meter mit einem jagdlich noch vertretbaren Hochschuss eingeschossen wurde. Der beträgt bei einem Abstand von fünf Zentimetern zwischen Visierlinie und Seelenachse auf die günstigste Einschießentfernung (GEE) bezogen normalerweise vier Zentimeter. Auf dieser Basis fußen auch die auf den Munitionspackungen oder Beipackzetteln abgedruckten Schusstafeln. Doch gerade bei kombinierten Waffen mit unten liegendem Kugellauf und montiertem Dämmerungszielfernrohr beträgt die Differenz zwischen Seelenachse und Visierlinie mehr als 50 Millimeter. Das wiederum führt zu einer rechnerischen Verschiebung der Werte.
„Papier ist geduldig“
Wenn sich jemand freilich mal die Mühe macht, seine Büchse auf Distanzen bis zu 300 Meter zur Kontrolle zu schießen, dann wird er sich manches Mal verwundert die Augen reiben. Schon bei 200 Metern hält nämlich längst nicht jede Laborierung die Treffpunktlage ein, die sie aufgrund des 100-Meter-Hochschusses haben sollte, und darüber hinaus fallen nicht selten Geschosse deutlich mehr als es gemäß den Schusstafeln sein dürfte. Dieser Umstand vermasselte mir beispielsweise einmal einen guten Gamsbock. Ich hatte das 8,2-g-KS-Geschoss im Kaliber 6,5×68 aus meiner Mauser 66 S (65 cm-Lauf ) auf 100 Meter mit vier Zentimeter Hochschuss eingeschossen (Der Streukreis der 5er-Gruppe betrug übrigens sagenhafte 18 Millimeter). Nach der Schusstafel hätte ich nun auf 200 Meter Fleckschuss und auf 300 Meter einen Tiefschuss von 21 Zentimetern haben müssen. Als es ernst wurde, unterschoss ich den im Gegenhang nur wenig höher äsenden Gams trotz bester Auflage und sicherem Abkommen auf geschätzte 220 Meter glatt. Drei hinterher zu Hause abgegebene Kontrollschüsse auf 200 Meter erbrachten einen Tiefschuss von neun (!) Zentimetern. Erneut wurde nun die Büchse auf 100 Meter zur Probe geschossen, doch am Hochschuss von vier Zentimetern hatte sich nichts geändert. Daraufhin schoss ich die Waffe auf 200 Meter „Fleck“ ein und kontrollierte hinterher den Hochschuss auf 100 Meter. Der betrug nun acht (!) Zentimeter.
Eine 8×68 S (11,7-g-KS-Geschoss), für weite Schüsse auf Rotwild erstanden und ebenfalls mit vier Zentimeter Hochschuss auf 100 Meter eingeschossen, wich auf 200 Meter 14 Zentimeter unter den Haltepunkt ab und auf 300 Meter um einen halben Meter. Gemäß der „Papierform“ hätte ich auf 200 Meter noch einen Hochschuss von einem Zentimeter erwarten und auf 300 Meter einen Tiefschuss von 19 Zentimeter haben dürfen. Ob diese zwei Beispiele ausgerechnet die extremen Ausreißer anführen, sei dahingestellt. Sicher aber ist, dass die auf der Packung übermittelten Daten zumindest ab der 200 Meter-Marke nur einen Anhalt darstellen und nicht unbesehen auf jede Waffe übertragen werden können.
Sicher sind sie irgendwann einmal mit exakt definierten Messläufen ermittelt worden und werden getreu dem Motto: „Papier ist geduldig“ über Generationen fortgeschrieben, vor allem dann, wenn sie als Verkaufsargument für Magnum-Patronen herhalten sollen. Allein schon die Tatsache, dass die wenigsten Büchsenläufe von den Maßen her genau mit den Messläufen übereinstimmen, erklärt bereits Abweichungen. Fünf Zentimeter mehr oder weniger an Lauflänge, eine größere Rauigkeit des Laufinneren, minimale Toleranzen im Zug-Feld-Maß, ein bisschen mehr oder weniger an Wandstärke, ein anderes Schwingungsverhalten und differierende Abgangswinkel bewirken ein Übriges. Zu diesen waffenseitigen Faktoren gesellen sich noch munitionsseitige. Wenn, wie mir vor 20 Jahren Günther Frères, der Vater der 5,6×50 (R) sowie der nach ihm benannten 6×62 (R) im Gespräch versicherte, dass die Mündungsgeschwindigkeiten von Laborierungen eines Munitionsloses aus diversen Messläufen bis zu 60 Meter pro Sekunde differieren können, dann tun sie es erst recht aus unterschiedlich abgelängten Jagdläufen. Fehlt aber der Schub, wirkt sich das mit Sicherheit auch auf die Flugbahn aus. Und dass ein neues Los, auch neues „Glück“ bescheren kann, ist kein Geheimnis.
Im Zeitalter der „Rangefinder“
Halten wir also fest, dass nur derjenige wirklich weite Schüsse abgeben sollte, der auch aus eigener Erfahrung weiß, wo seine Büchse auf entsprechende Distanzen hinschießt und der vor allem auch bedenkt, dass der Winkelschuss im Hochgebirge eigenen Gesetzmäßigkeiten unterliegt. Bergrauf und bergrunter jedenfalls wird auf weite Entfernungen mehr Wild über- als unterschossen. Dass die Streuung der Kugel ein gewisses Maß nicht übersteigen darf, versteht sich von selbst. Treffen aber die Geschosse auf 200 Meter sicher einen Bierfilz und auf 300 Meter eine Untertasse, dann reicht das waffenseitig überall aus.
Freilich nützt alles Wissen um die Treffpunktlage der Waffe auf Ferndistanzen nur bedingt, wenn man die Entfernung falsch einschätzt, Haltepunktveränderungen vornimmt oder im Fall der Fälle notwendige unterlässt. Viele kennen von der Sommerfuchsbejagung her das Phänomen, dass Jungfüchse leicht überschossen werden, wenn sie allein auf abgemähten Wiesen mausen und somit jeglicher Größenvergleich fehlt. Hier gaukelt nämlich das kleinere Zielbild eine größere Distanz vor. Daher erliegt der Schütze leicht der Versuchung, höher anzuhalten als es der Situation angemessen ist.
Jenseits der 200 Meter entscheiden überdies 50 Meter her oder hin rasch über Wohl oder Wehe, und über die 300 Meter hinaus wirken sich Schätzfehler im Zehnmeterbereich bereits verhängnisvoll aus. Doch im Zeitalter der „Rangefinder“, wie sich die handlichen Entfernungsmesser „neudeutsch“ nennen, dürfte dieses Problem zu lösen sein. Operierten wir bei unseren Überlegungen bis dato mit beherrschbaren Größen, gesellt sich nun als Unbekannte der Wind hinzu. Dass er die Treffpunktlage des Geschosses negativ beeinflusst, dürfte bekannt sein. Über das tatsächliche Ausmaß hingegen kursieren eher vage Vorstellungen.
Abweichungen der Projektile
Grundsätzlich gilt, dass langsam fliegende, leichte Geschosse, die viel Angriffsfläche bieten, eher in die Fänge des Windes geraten als schnelle, windschlüpfrige mit höherem Geschossgewicht. Als Vertreter der ersten Gruppe sei die in den siebziger Jahren so beliebte .22 Winchester Magnum genannt, deren 2,59 Gramm-Geschoss auf Entfernungen über 70 Meter bereits bei leichten Brisen derart abdriftet, dass es kleine Ziele ohne Haltepunktkorrekturen glatt verfehlt. Rehwild- und Hochwildlaborierungen dagegen sind bis 100 Meter so windstabil, dass bei geringen Windstärken die Abweichung noch negiert werden kann. Sie beträgt beispielsweise für das 4,8 Gramm-KS der 5,6×57, das 6 Gramm-TMS der 6,5×57 und das 11,7 Gramm-KS der 8×68 S ganze zwei Zentimeter, wenn der Wind im rechten Winkel mit einer Geschwindigkeit von fünf Meter pro Sekunde auf die Flugbahn einwirkt. (Die .22 Magnum würde hier schon 18 Zentimeter und die Hornet 13 Zentimeter abweichen). Gleiche Windgeschwindigkeit bewirkt bei 200 Metern eine Abdrift der genannten Projektile von elf Zentimetern (5,6×57), 13 Zentimetern (6,5×57) und zehn Zentimetern (8×68 S) und bei 300 Metern eine in den Größenordnungen von 29, 35 und 26 Zentimetern. Höhere Windstärken wiederum ziehen natürlich auch entsprechende größere Abweichungen der Projektile nach sich. Hinzu kommt, dass sich gerade im Gebirge weder die Richtung des Windes, noch sein Einwirkungsgrad auf die gesamte Geschossflugbahn immer ausreichend verlässlich einschätzen und natürlich auch nicht messen lassen.
Das Hochschnellen der Fehlerquote
Wie fatal sich die vertrackten Luftströmungen selbst im flacheren Gelände auswirken können, möge ein Beispiel aus den schottischen Highlands verdeutlichen. Aus dem Windschatten heraus und ohne die wahre Stärke der Brise erahnt zu haben, trug ich einem auf gemessene 200 Meter entfernt äsenden Schmaltier die Kugel hinter dem Blatt an. Zu meiner Verblüffung quittierte das Stück jedoch den Treffer mit krummem Rücken, und ich konnte erkennen, dass sich der Einschuss vor der Keule befand. Als sich das Tier nach wenigen Fluchten erneut breit drehte, diesmal aber in die entgegengesetzte Richtung, visierte ich die Keule an und zirkelte auf diese Weise die Kugel dorthin, wo ich sie beim ersten Versuch haben wollte. Es hat mich übrigens allerhand Überwindung gekostet, den „verkehrten“ Haltepunkt zu wählen, und ohne das negative Erlebnis wäre ich auch nicht auf den Gedanken gekommen.
Doch was nützt alles Wissen um Entfernung, Treffpunktlage, Streukreis und Wind, wenn der Steuermann nicht mitspielt. Es gibt nun mal Schützen, die am Schießstand jede Kugel im Schusspflaster versenken können und es gibt welche, die die Scheibe glatt verfehlen. Auf der Jagd lassen dann Jagdfieber und Nervenkostüm die Fehlerquote nochmals hochschnellen. Wie anders ist es zu erklären, dass manche Leute sitzend aufgelegt Böcke auf 50 Meter anschweißen oder fehlen und andere von bester Auflage aus Hirsche auf 80 Gänge zu Holze schießen. Und das immer wieder. Ist für solche „Flickschuster“ nicht bereits „nahe“ zu weit?
Natürlich macht es einen himmelweiten Unterschied, ob die „aufgelegte“ Waffe auf zwei Sandsäcken ruht, so dass sie überhaupt keine Bewegung mehr vollzieht, ob Führhand und Ellenbogen sie stabilisieren oder ob der Ellenbogen keine oder nur eine unzureichende Abstützung erfährt. Der versierte Schütze wird immer in der jeweiligen Situation die optimale Auflage suchen und den Finger gerade lassen, wenn das Absehen im Wildkörper zu sehr hüpft oder Fadenkreuz, Punkt beziehungsweise Stachelspitze mit jedem Atemzug aus dem Rumpf wandern. Das kann in einem Fall schon beim 100 Meter entfernten Wild eintreten, im anderen bei der mehrfachen Distanz.
Herantasten und erfahren
Sauberes, kontrolliertes Abziehen kennzeichnet ferner den sicheren Schützen. Er weiß, wann und wo er „drauf“ ist, und er sieht, wie das Wild auf die Kugel beziehungsweise ihren Aufschlag reagiert.
Dass die Schießpositionen liegend frei, sitzend frei, Schneidersitz, stehend am freien Stock angestrichen oder gar stehend freihändig gemäß der Reihenfolge immer maßvollere Entfernungen für sicheres Treffen bedingen, dürfte nachvollziehbar sein. Einem Fuchs auf 80 Gänge stehend freihändig die Kugel anzutragen, erfordert schon ein gehöriges Maß an Schießfertigkeit. Klappt es, dann war die Entfernung nicht zu weit. Aufgelegt wiederum wird ein ähnlich weiter Schuss gemeinhin als Pflichtübung betrachtet.
Wer es demnach versteht, ungeachtet der jeweiligen Anschlagsart seine Kugel in die bierfilzgroße Zehn der DJV-Wildscheiben – Durchmesser = zehn Zentimeter – zu platzieren, trifft selbst bei breit verharrendem Haarwild immer in die tödliche Rumpfzone. Für Rehwild und Gams entspricht die zu treffende Fläche einer Untertasse oder der Neun auf der Bockscheibe – Durchmesser = 15 Zentimeter. Größeres Schalenwild wiederum gewährt eine tödliche Trefferzone in der Größenordnung eines Esstellers oder der Acht beispielsweise der Gamsscheibe (Durchmesser = 22 Zentimeter) und belässt sogar noch ein wenig Reserve.
Nimmt nun jemand diese Vorgaben zum Anlass, seine Fertigkeiten mit der Jagdbüchse zu überprüfen, kann er schnell seine individuellen Grenzen erkennen beziehungsweise sich an diese herantasten und so erfahren, wann für ihn „weit“ zu weit ist.
Sauber draufhalten und sauber abziehen
Kreaturen sind bekanntlich keine Scheiben ohne Schmerzempfinden, und sie tragen auch keine Ringeinteilung auf dem Rumpf. Daher ist es ungleich schwieriger und in der Praxis meist auch nicht erforderlich, die Kugel auf den Punkt zu bringen. Das wiederum erschwert ein wenig das exakte Abkommen, und zwar umso mehr, je größer die Trefferfläche ist. Der Kopf des Küchenhasens oder des Murmels bietet ein kleines, abgegrenztes und gut zu erfassendes Ziel. Wer es auswählt, sich seiner Sache sicher ist, sauber draufhält und sauber abzieht, darf die Beute auf der Habenseite buchen, selbst wenn sie 100 Meter entfernt sein sollte. Nicht zuletzt deswegen, weil ein Treffer mit einem Teilmantelgeschoss auch noch verlässlich tötet, wenn er nicht exakt die Kernzone erfasst.
Die Trefferfläche des Fuchses dagegen ist indifferenter. Kriegt er die Kugel auf den Rumpf, spielt es nur aus der Sicht der Balgentwertung eine Rolle, ob Kammer, Rücken, Blatt oder sonstige Partien erfasst wurden. Hauptsache er liegt. Kein Jagdherr wird seinem Mitjäger Vorhaltungen machen, wenn er einen Fuchs mit einem faustgroßen Loch „mittendrauf“ vorzeigt und entsorgt. Demzufolge steigt auch die Bereitschaft, Reineke auf größere Distanzen habhaft zu werden. Betrachten wir den gestreiften Körper eines Fuchses, dann bietet er kein großes Ziel. Dennoch gibt es nicht wenige, die ihr Glück auf 120 oder 150 Meter versuchen und im Falle eines Misserfolges den Fehlschuss nach dem Motto: „Ich hab’s einfach probiert“ mit einem Achselzucken wegstecken, wohl wissend, dass sie bei den meisten auf ein gewisses Verständnis stoßen. Urteilen Sie selbst. Sind 100 Meter für einen Fuchs zu weit?
Beim Reh dagegen sieht die Sache ganz anders aus, denn hier spricht die Waage ein Machtwort, und es darf kein Gramm edlen Wildbrets in Mitleidenschaft gezogen werden. Nicht nur jagdethische Überlegungen spielen hier die Rolle für den willkommenen Treffersitz, sondern auch kommerzielle.
Wenn 100 Meter Schussentfernung für den Fuchs als akzeptabel gelten, dann müssten doch bei dem größeren Wildkörper des Rehs 150 Meter und mehr toleriert werden, und bei der mehr als doppelt so großen Kammer des Rotwildes mit allem Drumherum gar 300 Meter. Tun sie aber nicht.
Die guten Vorsätze
Zum einen spukt der Wert des Wildbrets im Hinterkopf herum, der mit wachsender Größe steigt, zum anderen ist es die Angst vor dem Zorn des Jagdherrn, wenn etwas schief laufen sollte. Um allen Missverständnissen vorzubeugen: Ich möchte an dieser Stelle nicht den Weitschüssen auf Hochwild das Wort reden, sondern nur Diskrepanzen bei den Wertmaßstäben aufzeigen. Passiert nämlich auf 100 Meter ein Malheur, ist das für alle Beteiligten ärgerlich und bleibt, falls es sich um eine Ausnahme handelt, normalerweise ohne weitere Konsequenzen. Geschieht Gleiches aber auf die doppelte oder zweieinhalbfache Distanz, liefert der „unwaidmännische Weitschuss“ den willkommenen Anlass für eine Phillipika (Kampfrede, Anm. d. Red.) oder gar den für einen Rauswurf. Der besonnene Gast wird sich demnach mäßigen und wider besseres Wissen manches unterlassen, was er in den eigenen Reviergrenzen ohne Bedenken und mit Erfolg praktiziert.
Bezahlte Jagd – speziell die auf Trophäenträger – unterliegen wieder anderen Gesetzmäßigkeiten. Keinem Jäger, selbst wenn er noch so gut schießt, käme es in den Sinn, dem „Lebenshirsch“ auf 300 Meter die Kugel anzutragen, wenn er die Chance sieht, näher heranzukommen. Kracht es dagegen bei Bewegungsjagden an allen Ecken und Enden und wechselt endlich Kahlwild jenseits der als „weit“ verschrieenen 200 Meter über eine Freifläche, dann sorgt nicht selten der so genannte Hasch-Effekt schon dafür, dass sich der Zeigefinger selbst bei ansonsten zurückhaltenden Waidgenossen wie von selbst krümmt. Und wenn’s beim Gamsriegler erst einmal steinelt und Bewegung in die Wand kommt, dann schmelzen bei manchem die guten Vorsätze wie der Firn unter der Sonne.
Macht wiederum bei der Gamsjagd der Führer Druck, weil sich plötzlich nach allen vergeblichen Mühen oder bei sich rapide verschlechternden Witterungsbedingungen doch noch eine Last-Minute-Chance auftut, dann lassen sich doch viele von denen, die Weitschüsse von anderen am Stammtisch verteufeln, zu einem Experiment mit vorhersehbarem Ausgang hinreißen, getreu der Losung: Nicht geschossen ist auch vorbei.
Kann man einen Elefanten auf 30 Metern verfehlen?
Dass ein Löwe oder Bär mindestens soviel tödliche Trefferfläche wie ein Stück Rotwild bietet, setze ich als ebenso bekannt voraus, wie die Tatsache, dass ein Büffel erheblich mehr davon aufweist als ein Rothirsch. Das Hirn des Elefanten ist so groß wie ein Fußball, sein Herz hat die Dimensionen eines Wanderrucksacks, und in seiner Kammer fände bequem ein Fernsehsessel Platz. Dennoch streben alle Berufsjäger nach Möglichkeit eine Schrotschussdistanz an, wenn es um die angemessene Entfernung bei der Jagd auf die Big Five geht. Dabei lassen sie sich weiß Gott nicht von der Sorge leiten, dass die dicken Pillen auf größere Entfernungen zu viel ihrer Auftreffwucht verlieren könnten. Nein, sie wollen einfach auf Nummer sicher gehen und das Risiko von Nachsuchen im unübersichtlichen Terrain minimieren. Schließlich gilt angeschweißtes Großwild als ungemein gefährlich, Nachsuchengespanne existieren nur in Erzählungen, und es geht letztlich um viel Geld. Natürlich fragt sich jetzt der Außenstehende, was es so schwer machen soll, ein ungewöhnlich großes Ziel zu treffen. Es sind die ungewohnten Schießpositionen, der Stress und die offene beziehungsweise latente Angst vor dem Rückstoß der dicken Dinger. Es ist nun mal so, dass der menschlichen Psyche gewisse Grenzen gesetzt sind, und wer je mit seiner Schulter den Tritt einer .500 Nitro Express aufgefangen hat, wird schneller befangen sein, als er es sich eingestehen möchte. Kann man denn überhaupt einen Elefanten, größer als eine Garage, auf 30 Meter glatt verfehlen? Im Prinzip nein. Doch wenn der Schütze vor der Schussabgabe die Augen schließt, den Kopf zur Seite dreht, die Schulter zurückfährt und dann am Abzug reisst, bringt er das schier Unmögliche fertig. Alles wird man ihm nun abnehmen, nur nicht die Aussage, dass der graue Riese zu weit weg war.
Sind umgekehrt alle Steinbock-, Schaf- und Wildziegenjäger undisziplinierte Schießteufel, weil sie bei ihrer Jagd unter Umständen den Erfolg auf Entfernungen anstreben müssen, die man noch nicht einmal hinter vorgehaltener Hand flüstert, oder sind Sie bereit zu tolerieren, dass es Leute gibt, die alles so im Griff haben, dass sie das unmöglich Erscheinende sicher bewältigen?
Es gehört nun mal zu den menschlichen Eigenschaften, die eigenen Normen auf andere übertragen zu wollen. Wenn einem 150 Meter für ein Reh zu weit sind, der Betreffende das weiß und entsprechend handelt, dann verhält er sich waidmännisch. Doch müssen die 150 Meter auch für den anderen, der sich durch reichliche Übung und Praxis die notwendige Fertigkeit erworben hat, zu weit sein und agiert dieser dann unwaidmännisch?
Eigentlich gebietet doch die Waidmanns-Ehre, jedem Stück die Kugel so anzutragen, dass das Wild schmerzlos verendet. Bei Bewegungsjagden freilich scheinen plötzlich für viele diese Normen aufgehoben. Da wird geballert, was die Rohre hergeben, und längst nicht jede Kugel trifft in die tödliche Zone. Dennoch habe ich es persönlich noch nicht erlebt, dass mir jemand vor oder zu Beginn einer Saujagd erklärte, er fühle sich den Anforderungen an den flüchtigen Schuss nicht gewachsen und er verzichte deshalb auf eine Teilnahme. Woher aber leiten diese Jäger das Recht ab, von unwaidmännischen Weitschüssen anderer zu sprechen?
Die eigenen Grenzen kennenlernen
35 Meter gelten allgemein als nicht zu weit für den Schrotschuss. Doch wer einem wegflüchtenden Hasen auf diese Entfernung die Keulen spickt, nimmt billigend in Kauf, dass der Mümmelmann möglicherweise verludert oder durch Prädatoren zur Strecke kommt. Dennoch passiert das so selten nicht und wird von den Beteiligten besonders bei so genannten „Kompaniehasen“ noch nicht einmal als Kavaliersdelikt angesehen. Man hat’s halt probiert. Und wenn bei „baumhohen“ Enten oder Gänsen das Gefieder die Garbe prasseln lässt, wird eher der Treffer reklamiert als dass sich jemand darüber Gedanken macht, ob im Einzelfall der Schuss noch gerechtfertigt war. Diese Beispiele zeigen einmal mehr, wie relativ der Begriff „weit“ ist und wie gedankenlos ihn manche in den Mund nehmen.
Was zu weit ist, klärt sich dagegen schnell. Dieses Prädikat verdienen alle Schüsse, die ungeachtet ihrer tatsächlichen Entfernung Wild anschweißen oder fehlen.
Die Grenzen von Waffe und Munition auszuloten und die eigenen Grenzen kennen zu lernen, war das erklärte Ziel unserer Runde. Was lag daher näher, als auf die DJV-Wildscheiben „Fuchs“, „Bock“ und „Gams“ zurückzugreifen und sie gemäß der Wildgröße so im Gelände zu platzieren, dass sie von den Schützen als „weit“, aber machbar, „sehr weit“ und „extrem weit“ eingestuft wurden. Nachdem vom vorgesehenen Schießplatz aus die Entfernung von 320 Metern über einen Talgrund hinweg zu einem markanten Geländepunkt hin bekannt war, postierten wir die Gamsscheibe nach Augenmaß auf zirka 300 Meter, die Bockscheibe auf ungefähr 250 Meter und die Fuchsscheibe um die 200 Meter. Ein Unterfangen, das wir aufgrund des leicht geneigten Geländes nicht durch Schritte absicherten. Bewusst verzichteten wir zudem vorerst auf die Distanzmessung per „Rangefinder“, legten jedoch nach Inaugenscheinnahme die Haltepunkte mit „Fleck“ beim Fuchs, Rückenlinie beim Bock und Oberkante Scheibe beim Gams fest.
Nahezu ideale Bedingungen
Absichtlich unterließen wir ferner, die abgesprochenen Haltepunktsabweichungen von der Zielmitte in Zentimetern nachzumessen. Das Ganze sollten ja einigermaßen praxiskonform unter dem Aspekt „weite Schüsse“ unter Revierbedingungen ablaufen. Die stabile Auflage bestand aus zwei linear in den Boden gerammten Pflöcken, einem Brett und zwei Sandsäcken und war für den stehenden Anschlag ausgerichtet.
Alle Waffen waren auf 100 Meter mit dem empfohlenen Hochschuss von vier Zentimetern eingeschossen. Ausgewählt wurden als „Weitschussbüchsen“ eine R 93 im Kaliber .22-250 mit einem 66,5 Zentimeter langen kannelierten Matchlauf und einem Swarovski PV 2,5–10×56, Absehen 4 N K sowie eine R 93 im Kaliber .300 Win. Mag. mit ebenfalls 66,5 Zentimeter langem und mit einer „Mündungsstufe“ versehenen Matchlauf, montiert mit Zeiss Victory, 3–12×56, Absehen 4. Die eingesetzte kalibergleiche Mauser M 03 weist eine Lauflänge von 60 Zentimeter auf und ist mit einem Victory 2,5–10×50, Absehen 40 bestückt. Als Vertreter der „Standardklasse“ fungierte eine R 93 im Kaliber .30-06 mit Victory 3–12×56, Absehen 4.
Schnell zeigte sich, dass es nicht einfach ist, auf große Entfernung das jeweilige Fadenkreuz im Bereich der (vermuteten!) Zehn auf der Wildscheibe des Fuchses zu halten, zumal die Deckmaße der einzelnen Zielfernrohr-Modelle differieren. Bei der Bockscheibe erschwerte der seitliche Lichteinfall das exakte Erfassen der Trennlinie zwischen dem braunen Wildkörper und dem grünen Hintergrund. Beim Gams dagegen erleichterte der helle Hintergrund die angestrebte Haltepunktveränderung, zudem erlaubte der dünne Faden des Kreuzes einen sauberen Anhalt am vorderen Rückenhaarbüschel. Die äußeren Bedingungen waren nahezu ideal, denn es wehte – wenn überhaupt – nur ein ganz laues Lüftchen im rechten Winkel zur Geschossflugbahn. Und das auch nur abschnittsweise.
Nachdem die Disziplinen durchgeschossen waren, ging es ans Begutachten sowie Abkleben. Bei dieser Gelegenheit erfolgte auch das Messen der tatsächlichen Entfernung mit dem Rangemaster 1 200 von Leica. Dabei stellte sich heraus, dass der Fuchs nicht 200 Meter von uns weg auf seinem Stubben hockte, sondern 227 Meter, dass es zum Bock hin 267 Meter waren und zum Gams deren 307.
Dennoch wurden beim Fuchs die Treffer etwa in der Rumpfmitte erwartet. Das sollte sich als Irrtum herausstellen, denn alle lagen zu tief. Einmal die Neun, einmal die Acht und ein hoher Vorderlauftreffer mit der .300 Win. Mag aus der R 93, zweimal die Neun und ein Vorderlaufschuss mit der M 03, fantastische 37 Millimeter Streukreis mit der .22-250 – leider als Streifschüsse im Brustkern-Vorderlaufbereich und erhebliche Abweichungen nach unten (minus 22,5 Zentimeter im Schnitt) bei der .30-06.
Bei den drei erstgenannten hätte ein Haltepunkt in der hohen Zehn zum angestrebten Ziel geführt, bei der .30-06 dagegen wäre ein Anhalt über dem Nackenhaar angemessen gewesen. Nebenbei bemerkt schießen sowohl die .22-250 als auch die .300 Win. Mag. aus den langen Läufen auf 200 Meter annähernd Fleck.
Scheiben sind ohne Frage geduldig
Bei der Bockscheibe (267 Meter) erwies sich der gewählte Haltepunkt „Rückenlinie“ für die rasanten Kugeln als richtig. Zweimal die Zehn und einmal die Acht mit dem „300er-Sonderlauf“, eine Zehn, eine Neun und eine Drei vorne mit der M 03, und selbst die nach links abgedrifteten Treffer mit der .22-250 hätten den Bock nicht mehr vom Platz kommen lassen. Hier betrug der Streukreis 65 Millimeter. Die Abweichung des sehr leichten Projektils ist möglicherweise auf Windeinfluss (gering) zurückzuführen. Signifikant war nur der Geschossabfall der .30-06 mit 34 Zentimetern.
Bei der Gamsscheibe lag wiederum der Haltepunkt mit 40 Zentimetern über der Zielmitte beziehungsweise 25 Zentimeter über dem Rücken für die schnellen Geschosse zu hoch. Die drei 300er aus dem schweren Matchlauf durchfurchten nämlich den Ziemer beziehungsweise kämmten die vorderen Barthaare, desgleichen trafen die .22-250er die hohe Neun, die hohe Acht und die hohe Begrenzung zwischen Acht und Drei (Streukreis: 70 Millimeter!). Die Ausbeute des kürzeren Laufes der M 03 bestand in einer Zehn, einer Acht und einer Drei, und die .30-06 hätte ebenfalls dreimal „Leben“ bei einem Streukreis von 90 Millimetern (Acht, Drei, Drei) gefasst. Die beiden erstgenannten wären mit „handbreit über dem Rücken“ optimal zurande gekommen, bei den beiden anderen hatte es mit dem gewählten Haltepunkt seine Richtigkeit.
Nachdem die Entfernungen und der Geschossabfall bekannt waren, stand eigentlich dem sicheren Treffen auf alle gewählten Entfernungen nichts mehr im Wege. Mit-Tester Wolfgang demonstrierte es im Abschluss auf „Ansage“. Er setzte nämlich dem „Scheiben-Gamsbock“ das 11,7-g-„HiShok“ aus seiner „langsamen“ .30-06 dorthin, wo es in natura verwerflich wäre: zwei Fingerbreit unter den Lauscher!
Scheiben sind ohne Frage geduldig. Sie bleiben stehen, wenn die Kugel im Leben sitzt, sie tun es bei schlechten Treffern ebenso wie bei „Fahrkarten“, und sie leiden nicht unter menschlichem Versagen. Zudem kann man sie beliebig lange und seelenruhig anvisieren. Und wenn der Wind sein Spiel treibt, dann wird das halt beim nächsten Versuch durch einen anderen Haltepunkt kompensiert. Das alles gibt es in der Praxis nicht. Deshalb sind durchaus Abstriche bei der Entfernung angebracht. Dennoch scheint mehr machbar als es vorher den Anschein hatte und zwar dann, wenn alles zusammenpasst.
Normalerweise heißt es auf der Büffeljagd „So nah ran wie es geht – und dann noch zehn Schritt“. Aber ohne Deckung muss auch mal der Schuss auf 80 bis 120 Meter gewagt werden – Nerven und gutes Schießvermögen sind dann gefragt |