Welche Folgen hat das fragwürdige Experiment in den Niederlanden mit Motto „Das Leid der Tiere ist immer noch besser als die Jagd?” Über die aktuelle Situation in Oostvaardersplassen berichtet der Deutsche Jagdschutzverband (DJV).
Geier werden in Oostvaardersplassen satt, weil Wildtiere verhungern. Foto: dpa |
In den Niederlanden sollte jüngst ein mit EU-Mitteln gefördertes Projekt zeigen: Die Natur regelt sich selbst (vergleiche WILD UND HUND 10/2012). Das Gebiet Oostvaardersplassen liegt nordöstlich von Amsterdam und ist Eigentum der staatlichen Waldbehörde. Auf dem rund 5.600 Hektar großen, umzäunten Areal werden Rothirsche, Heckrinder und Wildpferde gehalten. Schlagzeilen machte das Projekt, als 2010 ein Fernsehteam hinter die Kulissen blickte und schockierende Aufnahmen von verhungerten Hirschen machte. Was war los? Und wie ist die Situation heute? Der DJV befragte Marlies Kolthof von der Koninklijke Nederlandse Jagers Vereniging, dem Dachverband der niederländischen Jäger.
DJV: Die Natur sollte sich in Oostvaardersplassen selbst regeln, ohne Jagd. Was waren die Folgen?
Marlies Kolthof: Oostvaardersplassen besteht zu mehr als der Hälfte nur aus Wasserflächen. Auf den etwa 2000 Hektar Land haben sich die Rothirsche, Heckrinder und Wildpferde innerhalb kürzester Zeit prächtig vermehrt. Im Winter wurde dann recht schnell die Nahrung knapp. Eskaliert ist die Situation im besonders kalten Winter 2009/2010. Ein Fernsehteam verschaffte sich zusammen mit Vertretern der Organisation Vereniging Het Edelhert (Liebhaber von Rothirschen) illegal Zutritt zum Gelände. Sie filmten in Teilen von Oostvaardersplassen, die für die Öffentlichkeit gesperrt sind. Die Aufnahmen zeigen stark abgemagerte, apathische Tiere und unzählige Kadaver. Auf der Suche nach Futter haben die Tiere versucht, Wasserflächen zu durchqueren und sind jämmerlich ertrunken. Überall erkennt man starke Schälschäden an den Bäumen. Diese Reportage kann man sich hier anschauen…
DJV: Welche Konsequenzen hat die Regierung gezogen –und wie reagierten Tierschützer?
Marlies Kolthof: Nach der Fernsehsendung gab es in der ganzen Gesellschaft eine Diskussion über das Leid der Tiere. Viele Leute waren erschüttert von den Bildern und innerhalb eine Woche gab es eine Debatte im Parlament zu den Vorgängen. Die Partei für Tierrechte hat wirklich mit allen Mitteln versucht, die Situation in Oostvaardersplassen zu rechtfertigen. Das Leid der Tiere sei immer noch besser als Jagd, war eine Aussage. Sogar die eigene Anhängerschaft hat es aber schließlich nicht mehr akzeptiert.
Die staatliche Waldbehörde hat Anfang 2010 behauptet, dass nur ein Viertel der Tiere im Winter gestorben sei. Eine Stiftung, speziell gegründet für das Wohlergehen der Tiere in Oostvaardersplassen, hat dann später bekanntgegeben, dass tatsächlich drei Viertel der Tiere im Winter 2009/2010 verendet sind.
Einen Beitrag gibt es hier…
Die staatliche Waldbehörde hat Anfang 2010 behauptet, dass nur ein Viertel der Tiere im Winter gestorben sei. Eine Stiftung, speziell gegründet für das Wohlergehen der Tiere in Oostvaardersplassen, hat dann später bekanntgegeben, dass tatsächlich drei Viertel der Tiere im Winter 2009/2010 verendet sind.
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Die niederländische Regierung hat wenig später beschlossen, die Vorkommnisse durch eine unabhängige Kommission untersuchen zu lassen, der Untersuchungsbericht lag im November 2010 vor. Die Leiterin, die ehemalige Staatssekretärin Dzsingisz Gabor, hat die Tierrechtspartei darin scharf kritisiert. Der gegenwärtige Staatssekretär Henk Bleker, der verantwortlich ist für die staatliche Waldbehörde, hat schließlich eingestanden, dass das Experiment, die Natur sich selbst regeln zu lassen, gescheitert war. Er hat befürwortet, dass 30 Prozent der Hirschpopulation in Oostvaardersplassen zum Herbst geschossen werden müssen, damit die übrigen 70 Prozent eine gute Chance haben, den Winter zu überleben.
Allerdings ist die Nutzung des Wildbrets immer noch tabu. Erst Anfang eines Winters wird die Entscheidung getroffen, welche Tiere geschossen werden. Das sind dann meistens kranke und alte Tiere. Einige Kadaver verbleiben in Oostvaardersplassen als „Biomasse“ und die anderen werden vernichtet.
DJV: Nachhaltige Jagd oder „wise use“ natürlicher Ressourcen wie Wildbret ist von der IUCN als eine Art von Naturschutz anerkannt. Was spricht dagegen, die Tiere in Oostvaardersplassen nachhaltig zu bejagen?
Marlies Kolthof: Oostvaardersplassen gilt als ein besonderes Naturgebiet. Es ist eines der wichtigsten Gebiete in den Niederlanden, wo in relativ großem Umfang Erfahrungen gesammelt werden mit der Naturentwicklung. Das Einsetzen von Rothirschen, Heckrindern und Wildpferden war vom Anfang an ein Teil des Konzepts. Einerseits mit dem Ziel, alternative Beweidungsmethoden zu testen, andererseits um zu versuchen, ein sich selbst regulierendes Ökosystem zu schaffen. Die Jagd oder „wise use“ käme also dem „Fluchen in der Kirche“ gleich.
DJV: Was fordern die Niederländischen Jäger?
Marlies Kolthof: Die Jäger in den Niederlanden fordern als Minimalstandard die Berechnung der Lebensraumkapazität für Oostvaardersplassen. Für wie viele Rothirsche, Heckrinder und Wildpferde gibt es auf 2000 Hektar trockenem Grund ausreichend Nahrung – auch während des Winters? Auf dieser Basis sollte ein Abschussplan erarbeitet werden, um den Überschuss abzuschöpfen.
Die staatliche Waldbehörde verpasst unserer Meinung nach eine hervorragende Chance. Durch den lokalen Verkauf von Fleisch und Wildbret könnten Menschen für Oostvaardersplassen und die dort lebenden Tiere begeistert werden. Der „Nationaal Park De Hoge Veluwe“ ist da ein sehr gutes Vorbild. Lokale Produkte liegen im Trend bei Amateurkochs und in Restaurants. Auch Biofleisch ist im Moment sehr angesagt angesichts der Diskussion über intensive Viehhaltung.